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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/461: Iran-Report Nr. 5 - Mai 2020


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 5 - Mai 2020
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand


Iran steht an einem Scheideweg. Nach dem Austritt der USA und der Wiedereinführung von Wirtschaftssanktionen droht das Atomabkommen zu scheitern. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung, die Öffnung nach außen und vor allem auch die Liberalisierung der theokratischen Staatsordnung sind in weite Ferne gerückt. Über den Kurs des Landes, auch über die Rolle Irans in der Region, ist sich die Staatsführung nicht einig. Wie der Machtkampf, der schon seit geraumer Zeit zwischen Konservativen und Reformern tobt, ausgehen wird, ist ungewiss. Der Iran-Report wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus. Auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen, sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter.

INNENPOLITIK

• Keine einheitliche Strategie im Kampf gegen Corona-Virus
• Chamenei zögert bei Freigabe von Geldern zur Überwindung der Corona-Krise
• Lockerung der Einschränkungen
• Gesundheitsminister: Details sollen nicht öffentlich gemacht werden
• Lockerung in drei Phasen
• Abgeordneter Azizi: Das Virus kann nur militärisch bezwungen werden
• Forschungszentrum des Parlaments kritisiert Kampfstrategie gegen die Epidemie
• Militärparade ohne Panzer und Raketen
• Streit um die Öffnung der Moscheen
• Warnung vor voreilige Lockerungen
• Revolutionsgarden präsentieren ein Gerät zur Erkennung des Corona-Virus
• Mehr als 700 Personen wegen Einnahme von Methanol gestorben
• Häftlinge im Gefängnis getötet
• Beurlaubte Gefangene sollen begnadigt werden
• Korruption im iranischen Gesundheitssystem
• Rohani leugnet neu entdeckten Korruptionsfall


KEINE EINHEITLICHE STRATEGIE IM KAMPF GEGEN CORONA-VIRUS

Die Organisation Iranischer Ingenieure, die der Reformbewegung angehört, forderte am 28. März in einem offenen Brief an Präsident Hassan Rohani entschieden gegen die Missachtung der einschränkenden Vorschriften vorzugehen. Sie übte scharfe Kritik an ideologisch rückwärtsgerichteten Gruppen und Verschwörungstheorien. Das Corona-Virus sei eine Bedrohung gegen die gesamte Menschheit. Es sei bedauerlich, dass manche versuchten, hinter dem Virus Verschwörungen gegen Iran zu sehen. Es sei nicht zulässig, dass einige rückständige Gruppen gegen die Sperrung religiöser Einrichtungen vorgingen, Lügen verbreiteten und die Ärzte und das Pflegepersonal verunglimpften. "Diese Ultras müssen entlarvt und zur Verantwortung gezogen werden," schreiben die Autoren.

Zudem forderte die Organisation, dass Namen von Personen, die an den Vertuschungen der Daten über das Ausmaß der Krankheit beteiligt waren, öffentlich gemacht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Regierung hat den Vorwurf der Vertuschung stets zurückgewiesen. Doch einige Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums haben in den vergangenen Tagen darauf hingewiesen, dass die Verantwortlichen den Ernst der Lage zu spät erkannt hätten. Gerade in ersten Tagen und Wochen nach dem Ausbruch der Epidemie wurde die Existenz der gefährlichen Krankheit entweder geleugnet oder verharmlost. Zudem hatten sich konservative Geistliche gegen die Sperrung der Moscheen und die Aussetzung der Freitagsgebete gestellt.

Die Autoren des offenen Briefs, der in der Zeitung Etemad veröffentlicht wurde, kritisieren auch, dass das Hilfsangebot von Ärzte ohne Grenzen zurückgewiesen wurde. Die Ausweisung der Ärzte sei eine "Schande" gewesen, sie habe dem Ansehen des Landes in der Welt schwer geschadet, schreiben sie.

Ärzte ohne Grenzen hatten alle Vorbereitungen für den Aufbau eines Feldkrankenhauses mit fünfzig Betten in Isfahan getroffen, doch ihnen wurde in letzter Minute die Erlaubnis entzogen. Als Begründung war angeführt worden, unter den Ärzten könnten auch Spione sein.

Grund für die verworrene Situation war und ist der Umstand, dass verschiedene, miteinander rivalisierende Instanzen und Kräfte an Entscheidungen des Krisenstabs mitwirken und dass die Regierung nicht genügend Macht hat, dies zu verhindern. Am 31. März erklärte Rohani: "Wir haben die Einschränkungen sozialer Kontakte bis zum 8. April verlängert. Weitere Schritte werden wir nach dem neuen Bericht des Gesundheitsministeriums am 5. April entscheiden." Die Corona-Krise sei nach dem Iran-Irak-Krieg (1980 - 1988) und den harten Sanktionen die dritte Krise, die das Land in den vergangenen 40 Jahren erlebt habe.

Die zweiwöchigen Neujahrsfeiertage dauerten in Iran bis zum 4. April. "Wir wissen mehr, wenn nach den Ferien der normale Alltag wieder einkehrt," sagte der Präsident. "Ich muss hier noch einmal klarstellen, dass wir nicht sagen können, wann die Krise endgültig beendet sein wird. Es könnte Monate dauern, sogar bis zum Ende des Jahres (21. März 2021).

Am 1. April gab der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Kianusch Dschahanpur, die neuesten Daten über das Ausmaß der Epidemie bekannt. Demnach gab es bis dahin 47.593 Infizierte und 3.036 Tote. Zum Glück zeigten die neuen Zahlen einen Abwärtstrend, und zwar ausnahmslos in allen Provinzen, erklärte Rohani.


CHAMENEI ZÖGERT BEI FREIGABE VON GELDERN ZUR ÜBERWINDUNG DER CORONA-KRISE

Endlich, nach elf Tagen des Zögerns, erteilte Revolutionsführer Ali Chamenei seine Zustimmung, eine Milliarde Euro aus dem für nationale Entwicklung eingerichteten Fonds zur Unterstützung des Kampfes gegen das Corona-Virus einzusetzen. Angesichts der tiefen wirtschaftlichen Krise, in der sich das Land ohnehin wegen Sanktionen, der weitverbreiteten Korruption und Misswirtschaft befindet, sind die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit den der Regierung zur Verfügungen stehenden Finanzmitteln nicht zu bewältigen. Umso schwerer fällt es den Verantwortlichen, harte Maßnahmen und Einschränkungen anzuordnen, um eine Ausbreitung der Epidemie zu verhindern. Daher hatte Rohani bereits Mitte März angekündigt, dass er bei Chamenei die Freigabe von Geldern aus dem Fond beantragen werde.

Der Fonds gehört dem iranischen Staat. Er wurde bereits vor Jahrzehnten eingerichtet, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben, mit dem Ziel, das Land von den Öleinnahmen unabhängig zu machen. Dies soll, vor allem nach Meinung von Chamenei, durch die Unterstützung der Privatwirtschaft erreicht werden. Über welche Summen der Fonds verfügt und welche Investitionen er vorgenommen hat, sind der Öffentlichkeit nichts bekannt. Nur einmal vor Jahren hatte der Leiter des Fonds, Safdar Hosseini, erklärt, innerhalb von drei Jahren sei eine Summe von 65 Milliarden Dollar in den Fonds eingegangen. Eigentlich ist für Entscheidungen, die den Fonds betreffen, das Parlament zuständig, aber auch hier hat Chamenei den Schlüssel selbst in die Hand genommen. Bislang ist es gelegentlich vorgekommen, dass die Regierung bei Katastrophen, zum Beispiel beim großen Erdbeben 2003 in Bam, Unterstützung aus dem Fonds erhalten hat. Ansonsten blieben größere Summen den Militärs, vor allem den Revolutionsgarden, vorbehalten. Aber alle Transaktionen des Fonds finden ohne Kenntnis der Öffentlichkeit statt.

Es war erstaunlich, dass Chamenei elf Tage lang zögerte, bis er eine Summe von einer Milliarde Euro für den Kampf gegen das Corona-Virus genehmigte, was natürlich in Anbetracht der katastrophalen Lage nicht mehr bewirken kann als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Über die Gründe des Zögerns von Chamenei wird in Iran viel spekuliert.


LOCKERUNG DER EINSCHRÄNKUNGEN

Am 5. April kündigte der Krisenstab unter Vorsitz Rohanis an, dass ab dem 11. April alle Geschäfte in den Provinzen geöffnet werden können. In der Hauptstadt Teheran werde die Lockerung erste eine Woche später, das heißt ab dem 18. April erlaubt. Das gelte jedoch nicht für jene Einrichtungen, wie Schwimmbäder, Sportstadien oder Kinos, in denen wegen der größeren Ansammlung von Menschen die Ansteckungsgefahr größer sei. Angeordnet wurde auch, dass statt bisher ein Drittel, zwei Drittel der Beamten und staatlichen Angestellten ihre Arbeit wieder aufnehmen könnten. Die Moscheen sollen weiterhin geschlossen bleiben, ebenso sollen Freitagsgebete verboten bleiben. Mit dem Corona-Virus Infizierte sollen unter allen Umständen zu Hause bleiben. Kein Infizierter dürfe zur Arbeit gehen.

Einen Tag zuvor hatte Gesundheitsminister Said Namaki in einem Schreiben an Rohani die geplanten Lockerungen kritisiert. Jede Entscheidung, den staatlichen, nichtstaatlichen kulturellen und religiösen freie Hand zu lassen, werde schwere Folgen für die Gesundheit und die Wirtschaft haben, schrieb der Minister. "Unbedachte Maßnahmen werden verheerende, nicht wieder gutzumachende Folgen haben."

Demgegenüber schickte das Industrieministerium ein Rundschreiben an alle Produktionsstätten, mit der Aufforderung, ihre Arbeit wieder voll aufzunehmen. Dennoch wies Rohani Gerüchte über Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung zurück. "Es stimmt nicht, dass es zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Industrie- und Handwerksministerium Unstimmigkeiten gebe," sagte er.

Aliresa Sali, verantwortlich für den Kampf gegen Corona in der Hauptstadt Teheran, sagte: "Wir sind nicht nur nicht in der Lage, die Epidemie zu kontrollieren, sie bereitet sich immer weiter aus." Die Krankheit habe nun den Stand einer Pandemie erreicht. Die Schwankungen der jüngsten Zeit in Teheran seien Folge der verordneten Einschränkungen.

Auch Justizchef Ebrahim Raisi meinte, es sei ein Gebot der Vernunft, die Gesundheit der Menschen der Wiederbelebung der Wirtschaft vorzuziehen. Diese Äußerung könnte als Widerspruch gegen die von Rohani geplanten Lockerungen gedeutet werden. Zudem sagte Raisi, die offiziellen Angaben dürften nicht widersprüchlich sein, sonst erzeugten sie Verwirrung in der Bevölkerung. Vermutlich hatte Raisi bei dieser Aussage die Widersprüche zwischen dem Gesundheits- und dem Industrieministerium im Blick. Die Regierung verteidigte am 6. April die Lockerungen. Regierungssprecher Ali Rabii sagte: "Es gibt keine kurzfristige Perspektive für ein Ende der Corona-Krise, da sie noch ein weiteres Jahr dauern könnte. Wir können doch nicht ein Jahr lang alle Behörden, Banken und Geschäfte dicht machen." Es gebe Millionen Arbeitnehmer, Handwerker, Geschäftsleute, die von der Krise heimgesucht worden seien.


GESUNDHEITSMINISTER: DETAILS SOLLEN NICHT ÖFFENTLICH GEMACHT WERDEN

Gesundheitsminister Said Namaki sagte am 7. April im Parlament, Details über die Verbreitung des Corona-Virus, das bislang 3.700 Menschen getötet hat, sollen in einer nicht-öffentlichen Sitzung besprochen werden. Verschiedene Gruppen hätten über die Herkunft des Virus in Iran geforscht, doch die Details sollten nicht öffentlich gemacht werden.

Der Beginn der Verbreitung des Virus sei in der Provinz Gilan ganz anderes gewesen als der in der Stadt Ghom, sagte der Minister. "Wir haben alle Details untersucht." In Ghom sei zunächst über Fälle der Erkältung und Influenza berichtet worden. "Danach gab es zwei Fälle mit verdächtigen Symptomen. Das waren vermutlich die ersten Infizierungen mit dem Corona-Virus gewesen. Wir haben die Fälle öffentlich bekanntgegeben, obwohl manche der Meinung waren, dass die Bekanntgabe kurz vor den Parlamentswahlen nicht richtig sei. Doch ich habe darauf bestanden, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen." (Die Parlamentswahlen fanden am 21. Februar statt). Damals hatte Revolutionsführer Ali Chamenei erklärt, die Veröffentlichung der Nachrichten über das Virus sei mit der Absicht geschehen, unter der Bevölkerung Resignation zu verbreiten und sie von der Teilnahme an den Wahlen abzuhalten.

"Wir versuchen in der gegenwärtigen Phase uns Überblick über die Krankheit zu verschaffen," fuhr der Minister fort. "Es ist falsch zu glauben, wir hätten bereits alles unter Kontrolle und könnten das Virus bezwingen."


LOCKERUNG IN DREI PHASEN

Am 8. April kündigte Rohani, trotz der Warnung des Gesundheitsministeriums, an, die Einschränkungen in drei Phasen zu lockern. "Natürlich wollen wir keine weiteren Corona-Opfer. Gleichzeitig wollen wir die Menschen auch nicht verhungern lassen," sagte er im staatlichen Fernsehen.

Geplant sei, zunächst in den Provinzen die Arbeit in den Bereichen der Wirtschaft, in denen die Ansteckungsgefahr gering sei, wieder aufzunehmen. Dasselbe solle dann in der zweiten Phasen in der Hauptstadt Teheran geschehen. In der dritten Phase sollen dann die risikoreicheren Bereiche wie Sportveranstaltungen, Moscheebesuche und Freitagsgebete freigegeben werden. All dies solle "unter besonders strengen hygienischen Auflagen" geschehen. Rohani sprach sich nach wie vor gegen Quarantäne aus. Kritiker warfen ihm vor, er bevorzuge wirtschaftliche Interessen gegenüber Menschenleben. Doch er verteidigte seinen Plan und sagte: "Aber wer deckt dann ihre Grundbedürfnisse wie Brot, Wasser, Elektrizität und Benzin?" Zahlreiche Menschen hätten seit Monaten keine Arbeit und müssten ohne Einkommen leben. Er als Präsident könne dies nicht länger hinnehmen.

Mit dem Beginn der ersten Phase nahm der Verkehr in allen Städten rapide zu. Der Geschäftsführer der Teheraner U-Bahn-Gesellschaft, Farnusch Nobacht, gab bekannt, dass die Zahl der U-Bahn-Passagiere gleich am ersten Tag um 40 Prozent zugenommen habe. Es seien 300.000 Passagiere befördert worden. Vor dem Ausbruch der Epidemie lag die Zahl der Passagiere bei 1,8 Millionen täglich.


ABGEORDNETER AZIZI: DAS VIRUS KANN NUR MILITÄRISCH BEZWUNGEN WERDEN

Abdolresa Azizi, Leiter des Ausschusses für Soziales im islamischen Parlament, forderte am 13. April vor der Vollversammlung, man müsse das gesamte Land für drei Monate stilllegen, um das Virus "militärisch" bezwingen zu können. "Ich bin Arzt. Wir können nicht mal streng, mal nachgiebig handeln. Wir müssen genauso vorgehen wie die Chinesen in Wuhan, um die Kette der Krankheit brechen zu können," sagte er. "China ist in Wuhan militärisch vorgegangen. Niemand durfte das Haus verlassen. Nahrungsmittel wurden zu den Leuten ins Haus gebracht. Auch wir müssen die Menschen mit Nahrungsmitteln versorgen. Dann können wir ihnen auch vorschreiben, ihre Häuser nicht zu verlassen. Wir können ihnen nicht sagen, bleibt zu Hause, ohne sie mit Nahrungsmittel zu versorgen." "Die Chinesen haben militärisch gehandelt und deshalb Erfolg gehabt. Wenn wir so handeln, können wir gleichzeitig die negativen sozialen, psychischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Krankheit vermeiden," sagte Azizi. Er wolle seien Vorschlag als Antrag dem Parlament vorlegen.

Indes beauftragte Revolutionsführer Chamenei die Streitkräfte, ebenfalls einen Krisenstab zum Kampf gegen das Corona-Virus zu gründen. Den Vorsitz übernahm General Mohammad Bagheri, Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte. Dieser Auftrag gab den Militärs die Gelegenheit, sich immer weiter in die Arbeit des Krisenstabs unter der Leitung von Präsident Rohani einzumischen.

Am 19. April kritisiert der iranische Ärzteverband die "parallel aktiven Entscheidungszentren." Das verhindere die Durchsetzung medizinischer und hygienischer Maßnahmen, hieß es in der Erklärung des Verbands.


FORSCHUNGSZENTRUM DES PARLAMENTS KRITISIERT KAMPFSTRATEGIE GEGEN DIE EPIDEMIE

Erhebliche Zweifel hat das Forschungszentrum des Parlaments an der Kampfstrategie gegen das Corona-Virus geäußert. Das Krisenzentrum habe weder die in China erfolgreich erprobte Methode einer vollständigen Quarantäne, noch die in Südkorea ebenso erfolgreich praktizierte Selektierung der Infizierten angewendet. Insgesamt sei das Vorgehen der Regierung in der ersten Phase "sehr schwach" gewesen. Zugleich betonten die Autoren des Berichts, derzeit sei das Angebot medizinischer Dienstleistungen "akzeptabel."

"Wie es scheint," heißt es in dem Bericht weiter, "entwickeln sich Viren wie Corona saisonal. Daher wird erwartet, dass die Krankheit in der kommenden Kälteperiode noch einmal wuchtig Aufschwung nehmen wird. Das erfordert, dass das Gesundheitssystem ausgebaut und erforderliche Präventivmaßnahmen getroffen werden müssen."

Brisant ist eine Fußnote in dem 46-seitigen Bericht, in der die Angaben der Regierung als falsch bezeichnet werden. Die Zahl der Infizierten sei wahrscheinlich achtmal bis zehnmal so hoch, die der Toten zweimal. Denn die vom Gesundheitsministerium durchgeführten Tests seien zu gering, um die Zahl der Infizierten bestimmen zu können. Auch die angegebene Zahl der Toten sei nicht korrekt, denn gezählt würden nur Kranke, die in den Krankenhäusern gestorben seien, nicht aber jene, die zu Hause ihr Leben verloren hätte. Es sei also anzunehmen, dass mindestens doppelt so viele Menschen an dem Virus gestorben seien.


MILITÄRPARADE OHNE PANZER UND RAKETEN

In diesem Jahr fand die Militärparade am 17. April, dem Tag der Armee, ohne Panzer und Raketen statt. Stattdessen präsentierten die Streitkräfte ihre Fähigkeiten im Kampf gegen das Corona-Virus. "Unsere tapferen Streitkräfte haben bis jetzt gegen einen sichtbaren Feind gekämpft, jetzt aber kämpfen sie gegen einen unsichtbaren," hieß es in einer Videobotschaft von Präsident Rohani. Er nahm aus Sicherheitsgründen nicht direkt an der Parade teil.

Eine solche Parade hatte es in der iranischen Geschichte noch nie gegeben. Sowohl die Soldaten als auch die Offiziere und selbst die Generäle trugen Schutzmasken. "Die Gesundheitsfront ist die neue Kriegsfront, und unsere Streitkräfte sind nun das Backup-Team unserer Ärzte und Krankenschwestern," zitiert dpa den Präsidenten.


STREIT UM DIE ÖFFNUNG DER MOSCHEEN

Je näher der Fastenmonat Ramadan (23. April - 23. Mai) rückte, desto heftiger wurde der Druck auf die Verantwortlichen, die Moscheen wieder zu öffnen. Insbesondere die Pilgerstädten Ghom und Maschad, die vor allem in der Fastenzeit von hunderttausenden Gläubigen, auch aus dem Ausland, besucht werden, drängten darauf, die seit Wochen andauernde Quarantäne aufzuheben.

Am 17. April erklärte Ahmad Marwi, Verwalter des Imam Resa Mausoleums in Maschad, das Gesundheitsministerium habe gemeinsam mit den Leitern religiöser Institutionen einen Plan zur Wiedereröffnung der Pilgerstätten erstellt. "Die erforderlichen Vorbereitungen sind getroffen worden, die Moscheen können die Gläubigen unter Einhaltung von Vorschriften wieder empfangen," schrieb er auf Instagram. "Die Schließung des Mausoleums hat uns schwere Tage beschert. Voller Sehnsucht warten wir darauf, die Gläubigen wieder begrüßen zu können." Selbstverständlich stehe die Gesundheit der Menschen an oberster Stelle, fügte Marwi hinzu.

Ahmad Alamolhodda, Beauftragter des Revolutionsführers für das Mausoleum in Maschad und Chefprediger der Pilgerstadt, erklärte nach den ersten Lockerungen der Maßnahmen mit Blick auf den Fastenmonat: "Es ist inakzeptabel, dass alle kommerziellen Unternehmen geöffnet sind, die Mausoleen und Moscheen aber nicht. Wir haben Ramadan, den Monat Gottes, und da kann man Gläubigen für ihre Rituale nicht die Tore der heiligen Stätte blockieren."

Demgegenüber sagte Präsident Rohani: "Mit dem Beginn des Ramadans ist es natürlich der innigste Wunsch der Gläubigen, dass die heiligen Stätten wieder geöffnet werden." Daher lege die Regierung großen Wert darauf, so bald wie möglich, den Zugang zu diesen Stätten zu ermöglichen. Doch es sei für die Regierung ebenso wichtig, dass die Vorschriften, die zum Schutz der Gesundheit der Menschen festgelegt worden seien, eingehalten werden. "Wir müssen leider noch eine Weile mit dem Corona-Virus zusammenleben," betonte der Präsident. Er habe das Gesundheitsministerium gebeten, zu untersuchen, ob und wann es möglich sei, die Tore der Moscheen zu öffnen. Doch Gesundheitsminister Namaki warnte: "Wir haben zwar erste Erfolge im Kampf gegen das Corona-Virus erzielt. Trotzdem sollten wir aufpassen, in den letzten Spielminuten keine bitteren Tore zu kassieren."

Am 25. April sagte Rohani: "Wir haben mit Blick auf die Verbreitung des Corona-Virus das Land in drei Gebiete eingeteilt, in weiße Gebiete für Corona-freie, gelbe für gefährdete und rote für sehr gefährdete Gebiete. In allen weißen Gebieten können religiöse Stätte wieder ihre Tore öffnen und Freitagsgebete stattfinden, allerdings unter strenger Einhaltung der Vorschriften." Rohani betonte, niemand solle glaube, dass mit den ersten Lockerungen der Einschränkungen das Corona-Virus gebannte sei.

Am 26. April erklärte der Sekretär des Krisenstabs, Hossein Ghassemi: "Während des Fastenmonats Ramadan sind jegliche religiöse Veranstaltungen verboten. Diese Maßnahme ist zum Schutz der Gesundheit der Menschen notwendig. Widerhandlungen werden gerichtlich verfolgt." Dies gelte für alle Moscheen, Mausoleen und Schreine. Die ultrarechte Tageszeitung Kayhan, die als Sprachrohr des Revolutionsführers gilt, kritisierte die Maßnahme und schrieb: "In den letzten Tagen wurde verschiedenen Berufsverbänden erlaubt, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Selbst Einkaufspassagen, Basare und Parks durften wieder geöffnet werden. Die Öffnung der Moscheen und Mausoleen gehört zu den innigsten Forderungen der Menschen in unserem Land. Moscheen und Mausoleen lassen sich doch besser kontrollieren als Basare und Einkaufszentren."

Die Zeitung Dschomhuri Eslami mahnte hingegen zur Vorsicht. Der Präsident und andere Verantwortliche stünden unter dem Druck religiöser Instanzen, die eine Öffnung der Moscheen unbedingt durchsetzen wollten. Doch die Regierung sollte keine voreiligen Entscheidungen treffen. Das Wohl und die Gesundheit der Menschen hätten in allen Phasen Vorrang. Die vorzeitige Aufhebung der Einschränkungen für Basare, Einkaufszentren und den öffentlichen Verkehr war, trotz wirtschaftlicher Zwänge, ein Fehler. Diesen Fehler sollte man in Bezug auf religiöse Stätte nicht wiederholen, zumal hier wirtschaftliche Aspekte kaum eine Rolle spielten.

Offenbar hat der Druck der Rechten Wirkung gezeigt. Am 2. Mai erklärte Präsident Rohani, Untersuchungen des Krisenstabs zeigten, dass 82 Prozent der Bevölkerung die Vorschriften befolgt hätten und 132 Städte als weißen Gebiete (Corona-frei) eingestuft werden könnten. "In allen diesen Städten und Provinzen können die Moscheen geöffnet und Freitagsgebete veranstaltet werden. Auch die Schulen könnten in "weniger gefährdeten Gebieten" wieder ihre Arbeit aufnehmen.

In den vergangenen 24 Stunden seien wesentlich weniger Infizierte in Krankenhäusern behandelt worden, sagte Rohani weiter. "Allerdings sind wir vom Ziel noch weit entfernt. Wir müssen uns auch auf schlechtere Zeiten vorbereiten, müssen skeptisch sein und sagen, die Epidemie kann sich noch bis zum Sommer hinziehen oder erneut ausbrechen." Der Präsident behauptete, in der ersten Phase seien 78 Millionen Menschen und in der zweiten Phase 20 Millionen Menschen "ausgesiebt" worden. Er sagte jedoch nicht, auf welchem Weg dies gelungen sei. Den offiziellen Angaben des Gesundheitsministeriums zufolge wurden von den 82 Millionen Bewohner des Landes weniger als eine halbe Million getestet.


WARNUNG VOR VOREILIGE LOCKERUNGEN

Aliresa Sali, Koordinator der Aktivitäten gegen das Corona-Virus in der Hauptstadt Teheran, sagte am 23. April es sei eine "falsche Botschaft," den Eindruck zu erwecken, das Corona-Virus stehe unter Kontrolle und die Verbreitung der Seuche sei langsamer geworden. Ohne Zweifel werde die Zunahme des Verkehrs zwischen den Provinzen die Verbreitung des Virus verstärken und beschleunigen.

Sali, der zugleich Dekan der medizinischen Fakultät der Schahid Beheschti Universität in Teheran ist, sagte, obwohl die Krankheit in einigen Städten abnehme, sollte niemand glauben, dass sie bald verschwinden werde. Er betonte, dass etwaige Lockerungen mit aller Vorsicht und unter strenger Einhaltung der Vorschriften erfolgen sollten.

Dem schlossen sich rund 70 Ärzte an. In einem Brief an Gesundheitsminister Said Namaki forderten sie mehr Transparenz. Die Empfehlungen von Gesundheitsexperten müssten "mit Macht" durchgesetzt werden. Bestimmte notwendige Maßnahmen wie die Quarantäne von Städten, in denen das Virus sich rasch verbreitet, das Verbot sozialer Kontakte und die Einhaltung des vorgeschriebenen Abstands sollten unbedingt befolgt und Geschädigte finanziell unterstützt werden. "Weichen Sie von Ihrer Position nicht zurück, verteidigen Sie mit Macht die Ratschläge der Experten gegen mächtige Minderheiten," schreiben die Ärzte. Die Öffentlichkeit müsse über die genaue Zahl der Toten und Infizierten informiert werden, und darüber, wie diese Zahlen zustande kommen seien. Es mache keinen Sinn, die Informationen allein in der nicht-öffentlichen Sitzung des Parlaments mitzuteilen. Die Bevölkerung müsse sicher sein, dass sie über alle Details informiert werde. Dies schaffe Vertrauen und diene dazu, dass Menschen eher bereit sein werden, die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zu befolgen.

Weiter forderten die Ärzte, dass bei der Behandlung von Corona-Infizierten keinen Unterschied zwischen den Bewohnern des Landes gemacht werden dürfe. Sowohl aus humanistischen und medizinischen als auch aus epidemiologischen Gründen müssten auch nicht-iranische, insbesondere die afghanischen Bewohner, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, medizinisch versorgt werden.

Schließlich forderten die Ärzte, dass die Einstellungsbedingungen des medizinischen Personals, das sich in diesen schweren Zeiten voll einsetzt und dabei seine Gesundheit riskiert, vereinfacht und verbessert werden. Wirtschaftsunternehmen sollte aus den Krankenhäusern ausgeschlossen und das Gesundheitssystem unter der Führung des Gesundheitsministeriums vereinheitlichte werde. Die Unterzeichner kritisierten betrügerische Personen und Gruppen, die die religiösen Überzeugungen der Menschen missbrauchen und Aberglauben verbreiten, um ihnen vermeintliche Heilmittel anzubieten.


REVOLUTIONSGARDEN PRÄSENTIEREN EIN GERÄT ZUR ERKENNUNG DES CORONA-VIRUS

Der Oberbefehlshabe der Revolutionsgarden, General Hossein Salami, kündigte voller Stolz an, die Garden hätten ein Gerät erfunden, mit dem das Corona-Virus in einem Umkreis von 100 Metern erkannt werden könne. "Durch die Erzeugung eines Magnetfelds kann das Gerät jeden Fall einer Corona-Virus-Infektion in einem Umkreis von 100 Metern in der Umgebung erkennen," sagte er am 19. April im staatlichen Fernsehen. Das Gerät könne mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit korrekte Ergebnisse liefern. Es sei in Iran erfunden und komplett gebaut worden. Das Gerät erübrige eine Blutuntersuchung, denn "der intelligente Detektor" sei in der Lage "diejenigen, die mit Covid-19 infiziert seien, aus der Ferne zu erkennen."

Wenige Tage später berichtete der General, "Dutzende Länder" hätten Iran gebeten, ihnen das Gerät zur Verfügung zu stellen. Dazu sei Iran gerne bereit. Der Sprecher der Garden, Ramazan Sharif, teilte freudestrahlend mit, "bald werden der Produktionsprozess, die technischen Merkmale und Fähigkeiten des Geräts" der Presse bekannt gegeben. Mit dieser Ankündigung machten sich der General und mit ihm die Garden lächerlich. In den sozialen Netzwerken kursierten Witze über sie.

Der bekannte iranische Physiker, Resa Mansuri, schrieb dazu, es hätte keinen Sinn diese "Gaunerei," diesen "Betrug," verheimlichen zu wollen. "Die Welt wird uns auslachen." "Ich habe Angst, mich weiter dazu zu äußern. Wo bleiben die Scham und das Ehrgefühl unseres Militärs? Das Virus erkennen? In einem Umkreis von 100 Metern? Innerhalb von fünf Sekunden? Wieso in fünf Sekunden? Es ist unglaublich. Ich muss versuchen, die Lüge zu tarnen. Ich habe Angst, ich bin besorgt um das Schicksal meines Landes." "Ja, auch die Wissenschaftler haben Angst, auch sie müssen die Lügen tarnen, denn wir haben keine Institution, die pseudowissenschaftliche Gaunereien verbieten könnte,", sagte Mansuri weiter, der auch eine Zeit lang Vizewissenschaftsminister war. Die Pflicht eines jeden Wissenschaftlers sei es, die Wahrheit zu sagen, vor allem den Machthabern. "Seid aber beruhigt. Das Corona-Virus hat auch sein Positives für die Entwicklung und gesellschaftliche Umwälzung in Iran. Es belebt nicht nur die Solidarität in unserem Land, die wie damals während des Iran-Irak-Kriegs (1980-1988) existiert, es entlarvt auch die Dummheit der Machthaber. Habt keine Angst. In Iran sind gesellschaftliche Umwälzungen im Gange. Wir brauchen nichts zu vertuschen. Wir können lachen. Alle sollten lachen. Auch die Welt lacht über diese Machthaber. Nur sie sind diejenigen, die nichts davon merken."


MEHR ALS 700 PERSONEN WEGEN EINNAHME VON METHANOL GESTORBEN

Hossein Hassanian, Berater des Gesundheitsministeriums, gab laut dpa am 27. April bekannt, dass mehr als 700 Menschen nach der Einnahme des vermeintlichen Heilmittels Methanol gestorben seien. Da etwa 200 von ihnen nicht im Krankenhaus behandelt worden seien, gehe das Gesundheitsministerium davon aus, dass die Zahl der Toten sogar höher als 700 sei. Zuvor hatte der Sprecher des Ministeriums die Zahl der Opfer seit dem 20. Februar mit 525 angegeben.

Mit dem Aufkommen der Corona-Krankheit stieg der Alkoholkonsum rapide an, weil viele glaubten, damit ließe sich das Virus unwirksam machen.

Laut der nationalen Gerichtsmedizin seien vom 20. Februar bis 7. April 728 Personen an Alkoholvergiftung gestorben. Damit habe sich die Zahl der Alkoholvergiftungen innerhalb der vergangenen 12 Monate verzehnfacht.

Seit dem 20. Februar habe es in Iran mehr als 5.000 Alkoholvergiftungen gegeben, rund 90 von ihnen seien erblindet oder hätten Sehschäden erlitten, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums Kianusch Dschahanpur.

Seit der Gründung der Islamischen Republik ist der Alkoholkonsum verboten. Allein Christen und Juden sind von dem Verbot ausgenommen. Aber auch sie dürfen nur im privaten Rahmen trinken. Verboten ist demnach ebenfalls die Produktion von alkoholischen Getränken. Dennoch wird in Iran weit mehr Alkohol konsumiert als zu den Zeiten vor der Revolution. Die Getränke werden entweder aus dem Ausland eingeschmuggelt oder im Verborgenen privat hergestellt. Die Folge war, dass besonders in den ersten Jahren nach der Revolution zahlreiche Menschen wegen des Konsums gepanschten Alkohols erblindeten.


HÄFTLINGE IM GEFÄNGNIS GETÖTET

Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International vom 9. April zufolge wurden bei Protesten in iranischen Gefängnissen 35 Häftlinge von Sicherheitskräften getötet. In den ersten Tagen des April habe es in acht Gefängnissen des Landes Rebellionen gegeben. Die Häftlinge hätten gegen mangelnde gesundheitliche Sicherheitsmaßnahmen protestiert. Sicherheits- und Ordnungskräfte seien mit scharfer Munition und Tränengas gegen die Rebellierenden vorgegangen. Diese Reaktion bezeichnete Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin der AI für den Nahen Osten und Nordafrika, als "abscheulich." Die Behörden seien nicht bereit gewesen, auf die berechtigten Forderungen der Häftlinge einzugehen. Stattdessen sei die Rebellion mit brutaler Gewalt niedergeschlagen und einige Gefangene seien getötet worden. Die AI beruft sich auf "verlässliche Quellen."

Eltahawy forderte eine unabhängige Untersuchung und die Freilassung politischer Häftlinge. Zudem sollen Menschen, die sich in der Untersuchungshaft befinden sowie jene, die zu den Risikogruppen gehören, aus der Haft entlassen werden.

Am 31. März wurden in den sozialen Medien Videoaufnehmen in Umlauf gebracht, auf denen das Hauptgefängnis der Stadt Ahwas, in der Provinz Chusistan, im Südwesten Irans zu sehen war. Aus diesem stieg Rauch auf. Offenbar hatte es dort gebrannt. Es waren auch Schüsse zu hören. Berichten zufolge hatten die Gefangenen aus Angst vor dem Ausbruch des Corona-Virus rebelliert. Heydar Abbassadeh, Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Chusistan, sagte der Agentur Irna, in dem Gefängnis sei nun Ruhe eingekehrt. Einige Gefangene hätten in vier Trakten versucht, Unruhe zu stiften. Sie hätten Müllcontainer in Brand gesteckt. Doch Militäreinheiten seien rechtzeitig zur Stelle gewesen und hätten die Rebellion unter Kontrolle gebracht und wieder Ruhe geschaffen. Keinem Gefangenen sei die Flucht gelungen. Es habe keine Verletzte gegeben. Alle Insassen seien wohlauf, sagte Abbassadeh. Nach dem Grund der Rebellion gefragt, gab er ausweichende Antworten. "Leider haben eine geringe Zahl von Gefangenen falsche Informationen verbreitet und versucht damit andere Gefangene zur Unruhe anzustiften."

Bereits Ende März waren Medienberichten zufolge Gefangene aus den Gefängnissen geflohen. Aus dem Gefängnis von Saghes, in der Provinz Kurdistan im Westen Irans, hatte es laut Medien eine Massenflucht gegeben. Justizchef Ebrahim Raisi ordnete eine schärfere Kontrolle der Gefängnisse an. Er wies den Oberstaatsanwalt an, Sonderkomitees einzurichten, um die Schuldigen zu bestrafen und die Flüchtigen wieder in die Gefängnisse zurückzubringen. Bislang seien zwölf Gefangene wieder festgenommen worden, hieß es.

Grund der Flucht waren die schlechten hygienischen Verhältnisse in den Gefängnissen. Die Gefangenen hatten Hafturlaub gefordert, was ihnen verweigert wurde. Iran hatte infolge der Corona-Krise rund hunderttausend Gefangenen Hafturlaub erteilt, doch rund 50.000 weitere Gefangene befinden sich noch in den Gefängnissen. Laut Angaben der Justiz handelt es sich bei diesen Gefangenen um Schwerverbrecher oder um sogenannte Sicherheitsfälle, womit politische Gefangene gemeint sind.

Sadegh Hosseini, Kommandeur der Revolutionsgarden in der Provinz Kurdistan, sagte, "möglicherweise" seien die Gefangenen aus Furcht vor dem Corona-Virus geflohen. Die Zahl der Geflohenen aus dem Gefängnis in Saghes wird offiziell mit 76 angegeben. Laut Staatsanwaltschaft waren von den zwölf Rückkehrern zwei freiwillig zurückgekommen, zehn seien auf der Flucht festgenommen worden.

Laut AP vom 30. März gab es auch in einem Gefängnis in der Stadt Schiras, im Süden des Landes, Aufruhr. Die Gefangenen hätten Überwachungskameras zerstört und weitere Schäden angerichtet, heißt es in dem Bericht. Laut dem Gouverneur der Provinz, Enayatollah Rahimi, habe es keine Verletzten gegeben und niemand sei geflohen.


BEURLAUBTE GEFANGENE SOLLEN BEGNADIGT WERDEN

Justizsprecher Gholam-Hossein Esmaili gab am 18. April bekannt, dass die Justiz geplant habe, Gefangene, die sich wegen der Corona-Krise im Hafturlaub befinden, zu begnadigen. "Auf Anweisung des Justizchefs werden in diesem Zusammenhang 500 Komitees der Justizbehörde ab morgen (19. April) das Thema untersuchen," sagte er im staatlichen Fernsehen. Bis zum 29. April soll entschieden werden, wer unter den Häftlingen begnadigt werde. Für andere könne es eine Strafmilderung geben. Der Hafturlaub war zweimal verlängert worden. Ende April wird er zu Ende sein.

Unter den Beurlaubten befinden sich einige Doppelstaater, wie die iranisch-britische Staatbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe. Die Mitarbeiterin der Thomas Reuters Stiftung befindet sich derzeit im Haus ihrer Eltern in Teheran. Sie war 2016, während sie nach einem Besuch in Teheran Iran verlassen wollte, verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Vielleicht wird sie unter denen sein, die begnadigt werden. Ihre Verurteilung hatte zu großen Unstimmigkeiten zwischen Teheran und London geführt. Zahlreiche politische Häftlinge, unter ihnen die 56-jährige Anwältin Nasrin Sotudeh, bekamen keinen Hafturlaub.


KORRUPTION IM IRANISCHEN GESUNDHEITSSYSTEM

Eine Gruppe von ehemaligen Mitarbeitern des Gesundheitsministeriums hat gemeinsam mit einigen Professoren Gesundheitsminister Said Namaki in einem offenen Brief aufgefordert, gegen die weit verbreitete Korruption im Gesundheitssystem vorzugehen. Die wichtigste Quellen der Korruption seien die Lizenzen, die zur Produktion von Medikamenten und medizinischen Geräten unrechtmäßig an Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums oder an deren Angehörige vergeben wurden, heißt es in dem Brief. Um den Vorwurf des Interessenkonflikts auszuschließen, seien mache dieser Lizenzen im Namen von Firmen ausgestellt worden, die nie existiert hätten. Zudem warnen die Autoren vor den Folgen der Genehmigung von Medikamenten, die die Tests in den Laboren nicht bestanden hätten. Solche Medikamente häuften sich gerade in Zeiten der Corona-Krise.

Zu den Unterzeichnern des offenen Briefs gehören der ehemalige Gesundheitsminister Mohammad Hossein Tarighat Onfared, der ehemalige Berater des Gesundheitsministeriums Kasem Aschofteh und Prof. Mohammad Dschawad Eghbal, ehemaliger Rektor der Fakultät für Zahnmedizin an der Schahid Beheschti Universität in Teheran.


ROHANI LEUGNET NEU ENTDECKTEN KORRUPTIONSFALL

Präsident Hassan Rohani wies am 15. April einen Bericht des Rechnungshofs zurück, wonach 2,8 Milliarden Dollar Devisen verschwunden sein sollen. In dem Bericht, der am 14. April veröffentlicht wurde und im ganzen Land Entsetzen auslöste, hieß es, vom März 2018 bis März 2019 (iranisches Jahr) seien Devisen zur Einfuhr von Waren in Höhe von 31 Milliarden Dollar an Importeure vergeben worden. Doch der Wert der eingeführten Waren sei um 2,8 Milliarden Dollar niedriger. Das bedeute, dass diese Summe einfach verschwunden sei.

Der Bericht sei "zu hundert Prozent falsch," sagte Rohani. Offenbar hätten die Autoren keinerlei Kenntnis von den Gesetzen und Verordnungen. "Das ist für uns eine Schande, dass eine Institution (Rechnungshof) sich über etwas äußert, wovon sie keine Ahnung hat," sagte der Präsident. "Wenn wir schon kontrollieren, müssen wir alle Institutionen kontrollieren und uns nicht allein auf eine Institution konzentrieren. Auch die Justiz, das Parlament und die militärischen, revolutionären und kulturellen Organisationen haben Anteil an dem Haushalt. Der Rechnungshof sollte auch diese Institutionen unter die Lupe nehmen." Der Rechnungshof hat die Aufgabe, das Haushaltsgesetz und dessen Umsetzung durch die Regierung zu kontrollieren.

Rohani kritisierte auch die Überprüfungsmethode des Rechnungshofs. Eine Kontrollinstanz müsse mit der Regierung sprechen, bevor sie einen Bericht veröffentlicht, sagte er. Er forderte alle Abteilungen der Regierung auf, "gebührend" zu dem Bericht Stellung zu nehmen.

Als 2018, nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen, der Wert des Dollars auf dem freien Markt rasant anstieg, beschloss die Regierung, weitaus billigere Devisen für Importeure zur Verfügung zu stellen, um die Versorgung des Landes mit existentiell wichtigen Waren zu gewährleisten. Doch diese Maßnahme wurde zu einer unerschöpflichen Quelle der Korruption. Wer gute Beziehungen zu den Verantwortlichen hatte oder diese reichlich bestechen konnte, erhielt billige Dollars, mit denen man höchst lukrative Geschäfte machen konnte. In dem Bericht des Rechnungshofes wird zudem erwähnt, dass mit den Devisen keineswegs nur existenziell wichtige Waren importiert wurden, sondern ebenso Waren wie Zahnseide, Puppen, Spielzeuge, Küchengeräte und dergleichen mehr; darunter Waren, die im eigenen Land produziert wurden, aber teurer waren als die eingeführten Waren.

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KULTUR

• Printpresse in Quarantäne geschickt
• Fünf Jahre Haft für den Journalisten Samimi


PRINTPRESSE IN QUARANTÄNE GESCHICKT

Laut einer Verordnung des Corona-Krisenstabs vom 30. März, sollten sämtliche Zeitungen und Zeitschriften ihr Erscheinen bis einschließlich 8. April einstellen. "Zur effektiven Umsetzung des vom Gesundheitsministerium verabschiedeten Plans zur Reduzierung sozialer Kontakte sollen bis zum 8. April keine Zeitungen mehr gedruckt werden und diese nur noch online erscheinen," lautete die Verordnung.

Damit war die von der Regierung unabhängige Presse praktisch ausgeschaltet. Denn nur wenige Zeitungen haben die Möglichkeit, online zu erscheinen. Diese gehören fast ausschließlich zum rechten Lager.


FÜNF JAHRE HAFT FÜR DEN JOURNALISTEN SAMIMI

Der Verein für die Verteidigung der Pressefreiheit hat das Urteil gegen den Journalisten Kaywan Samimi kritisiert. Das Urteil sei rechtswidrig und verstoße gegen die Verfassung, hieß es in einer Erklärung des Vereins vom 23. April. "Samimi ist Chefredakteur der Zeitung Farda, die eine Lizenz des Kulturministeriums besitzt. Sie erscheint mit Zustimmung des Informationsministeriums und der Justiz. Ihm wird vorgeworfen, eine Partei gegründet zu haben, die nach Meinung des Richters illegal sei, obwohl die Partei vor 22 Jahren legal gegründet wurde."

Nach Samimis Darstellung hat das Revolutionsgericht das Urteil ohne seine Anwesenheit gefällt. Das Gericht hatte ihn zudem beschuldigt, politische Gefangene verteidigt und am 1. Mai 2019 an einer Demonstration teilgenommen zu haben.

Tatsächlich hatte Samimi im Mai vorigen Jahres an einer Demonstration der Werktätigen und Gewerkschaften vor dem Parlament in Teheran teilgenommen. Er ist Vorsitzender des Vereins für Pressefreiheit.

Samimi hatte 2009 an den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad teilgenommen. Er wurde damals festgenommen und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Verein kritisierte die "unkorrekte" Prozessführung und forderte eine Revision des Urteils. Es sei erstaunlich, dass die Justiz selbst in Zeiten, in denen das ganze Land gegen die Corona-Krankheit kämpft, nicht dazu bereit sei, die Verfolgung von Andersdenkenden einzustellen, schreiben die Autoren der Erklärung.

Laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) ist der Druck auf Journalisten in Iran in jüngster Zeit weiter erhöht worden. Bezüglich der Pressefreiheit steht Iran an 173. Stelle von insgesamt 180 Staaten, so eine Untersuchung von ROG.

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WIRTSCHAFT

• Deutschland gibt Aktivierung von Instex bekannt
• Hilfe aus dem Ausland
• Atomprogramm trotz Corona weiterentwickelt
• USA lehnen Kreditvergabe des IWF an Iran ab
• Hohe Verluste der Tourismusindustrie


DEUTSCHLAND GIBT AKTIVIERUNG VON INSTEX BEKANNT

Die Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin, Maria Adebahr, gab am 1. April bekannt, dass Frankreich, Deutschland und Großbritannien das erste Geschäft mit Iran über die Finanzersatzgesellschaft Instex abgewickelt hätten. Dabei sei es um die Lieferung von medizinischen Geräten und Medikamenten gegangen. "Es gibt ungefähr 50 Anfragen in der Pipeline," sagte sie. Seitens der USA, die den Handel mit Iran sanktioniert haben, habe es keine Reaktionen gegeben.

Instex ist eine Ersatzgesellschaft, eine Tauschbörse, die von den drei europäischen Staaten, Deutschaland, Frankreich und Großbritannien, gegründet wurde, um trotz US-Sanktionen mit Iran Handel treiben zu können. Zugleich soll damit das Atomabkommen gerettet werden. In einem ersten Schritt sollen humanitäre Güter nach Iran exportiert werden, danach hofft man, andere Waren hinzunehmen zu können. Die Tauschbörse wurde 2019 gegründet nachdem die USA im Mai 2018 aus dem Atomabkommen mit Iran ausgestiegen waren.

Die tatsächliche Aktivierung von Instex hatte sich lange verzögert. Eigentlich sollte der Handel im Sommer vergangenen Jahres beginnen. Das forderte die Kritik Irans heraus und veranlasste das Land, Schritt für Schritt seine im Atomabkommen eingegangenen Pflichten auszusetzen. Auch jetzt zeigte Iran keine große Begeisterung. Wenn die Behauptung der USA zutreffe, dass humanitäre Güter aus den Sanktionen ausgeschlossen seien, lasse es sich nicht nachvollziehen, warum nun die Lieferung von medizinischen Geräten über Instex abgewickelt werden müsse, twitterte Kianusch Dschahanpur, Sprecher des Gesundheitsministeriums, am 1. April. Teheran fordert die Europäer immer wieder auf, auf die USA Druck auszuüben, um die Sanktionen zu lockern. Ob nun die Europäer mit Hilfe von Instex das Problem lösen können, ist höchst fraglich. Sie haben ein Jahr gebraucht, um das erste Geschäft mit Iran abzuwickeln und dies umfasste schließlich medizinische Geräte. Eine Erweiterung des Handels mit Iran um andere Güter scheint vorerst aufgrund der US-Sanktionen kaum möglich.

Angesichts der bestehenden Lage spielt Instex eher eine symbolische Rolle, die Tauschbörse ist mehr oder weniger ein Signal an die USA. Es soll zeigen, dass die Europäer ihre Entscheidungen unabhängig von den Vereinigten Staaten treffen. Man wird mit Instex weder die Probleme Irans lösen, noch den Stand des Handels von 2017 erreichen können. 2017, also bevor die USA aus dem Abkommen ausgetreten waren, lag der Handel zwischen Iran und der EU bei 11 Milliarden Dollar. Die jüngste Lieferung über Instex hatte ein Volumen von 500.000 Dollar.


HILFE AUS DEM AUSLAND

Die USA haben Iran abermals vorgeworfen, Hilfe aus dem Ausland abzulehnen und damit der eigenen Bevölkerung zu schaden. Auf der Webseite des US-Außenministeriums wurde Außenminister Mike Pompeo mit den Worten zitiert: "Die iranische Führung lehnt die Hilfsangebote der Vereinigten Staaten ab. Zugleich behauptet das Regime, US-Sanktionen versperrten dem Land den Zugang zu medizinischen Geräten. Das ist eine Lüge." Dabei verweist Pompeo auf die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die ein gut ausgerüstetes Feldkrankenhaus mit 50 Betten in Iran einrichten wollte, jedoch von iranischen Behörden zurückgewiesen wurde.

Tatsächlich wurde das Hilfsangebot von Ärzte ohne Grenzen abgelehnt, weil einige Hardliner den Verdacht äußerten, unter den Ärzten seien Spione. Doch was die Hilfen aus den USA betrifft, enthalten die Äußerungen Pompeos nur die halbe Wahrheit. Die USA haben Iran nie konkrete Hilfsangebote gemacht, sondern immer nur verbal ihre Bereitschaft dazu wiederholt. Iran hat Hilfen aus dem Ausland auch nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern nur Hilfen aus den USA und Israel. Die Ablehnung des Angebots von Ärzte ohne Grenzen ist eine Ausnahme. Als die Corona-Krise ihren ersten Höhepunkt in Iran erreichte, erklärte die Regierung, das Land benötige dringend Hilfe aus dem Ausland. So hat Teheran beim Internationalen Währungsfonds eine Unterstützung in Höhe von fünf Milliarden Dollar beantragt.

Die Hilfen, die Iran bislang aus dem Ausland erhalten hat, sind überschaubar. Gemessen an dem Bedarf des Landes sind sie sehr gering. Die 27 Staaten der EU haben 20 Millionen Euro angekündigt, doch es ist nicht klar, wie das Geld trotz US-Sanktionen in iranische Hände gelangen soll. Zudem haben die drei Staaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien eine Unterstützung von fünf Millionen Euro versprochen. Zugleich haben sie über Instex medizinische Geräte im Wert 500.000 Dollar nach Iran geschickt.

Auch Japan hat eine Unterstützung im Wert von 2,5 Milliarden Yen (230 Millionen Dollar) angekündigt. Unter den Nachbarstaaten war Aserbaidschan, der erste Staat, der Iran mit fünf Millionen Dollar unterstützen will. Unter den arabischen Staaten war Kuwait, der erste Staat, der zehn Millionen Dollar Spende versprochen hat, gefolgt von Katar, das medizinische Geräte und Medikamente nach Iran geschickt hat. Die größten Hilfen an Iran leistete China.


ATOMPROGRAMM TROTZ CORONA WEITERENTWICKELT

Akbar Salehi, Vorsitzender der iranischen Atomenergieorganisation, kündigte am 8. April an, dass eine neue Generation von Zentrifugen in der Urananreicherungsanlage Natans eingesetzt werden soll. Zudem habe die Organisation Projekte zur Herstellung von medizinischen Geräten entwickelt. Auch Präsident Hassan Rohani erklärte, dass Irans Atomprogramm inzwischen weit "fortgeschrittener sei als in der Zeit vor dem Atomabkommen." Er betonte aber, Iran habe vorerst nicht einen Ausstieg aus dem Atomabkommen geplant.

Gemäß einer UN-Resolution, die nach dem Atomabkommen von 2015 verabschiedet wurde, endet im Oktober dieses Jahres das gegen Iran gerichtete Embargo für konventionelle Waffen. Nun wollen die USA alles versuchen, um eine Verlängerung des Embargos durchzusetzen. Dies wäre nur möglich, wenn ein Mitglied des Abkommens feststellt, dass Iran in den vergangenen fünf Jahren gegen das Abkommen verstoßen habe. Die USA versuchen auf die drei europäischen Mitgliedstaaten Druck auszuüben, damit diese Iran wegen Verstoß gegen die UN-Resolution den UN-Sicherheitsrat anrufen. "Wenn wir das nicht schaffen, dass jemand anders handelt, werden die USA jede Möglichkeit prüfen, wie wir das tun könnten," sagte Außenminister Mike Pompeo am 29. April. Die EU-Staaten scheinen jedoch vorerst nicht dazu bereit zu sein. Auch die beiden anderen Mitgliedstaaten, Russland und China, werden höchstwahrscheinlich gegen einen möglichen Antrag der USA ihr Veto einlegen.

Der Ausweg, der für die USA bliebe, wäre, zu dem Atomabkommen zurückzukehren, schrieb die New York Times am 27. April. Dann könnte Washington als Vertragspartner nicht nur versuchen, eine Verlängerung des Embargos zu erreichen, sondern durch eine konfrontative Politik und die Aufnahme neuer Sanktionen gegen Iran ein Ende des Abkommens herbeizuführen. Denn wie Irans Vizeaußenminister Abbas Araghtschi erklärte, betrachtet Iran die Wiederaufnahme der UN-Sanktionen als eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe. Andernfalls werde Iran seine Atompolitik gänzlich ändern. Das könnte nicht nur den Austritt aus dem Atomabkommen, sondern auch aus dem Atomwaffensperrvertrag bedeuten.

Die Agentur Reuters berichtete am 27. April unter Berufung auf einen Diplomaten, der Mitglied des UN-Sicherheitsrates ist, aber nicht genannt werden wollte, der Antrag Washingtons, das Embargo zu verlängern, werde scheitern, sobald er im Sicherheitsrat eingereicht werde. Die USA bräuchten für ihre Strategie die Zustimmung Russlands und Chinas. Ein ebenfalls ungenannter europäischer Diplomat sagte Reuters, es werde für ein Mitglied, das aus dem Abkommen ausgetreten ist, sehr schwer sein wieder als voll berechtigtes Mitglied aktiv zu werden.


USA LEHNEN KREDITVERGABE DES IWF AN IRAN AB

Morgan Ortagus, Sprecherin des US-Außenministeriums, sagte in einen Interview mit der BBC am 7. April, die USA hätten ihre Stellungnahme zu dem von Iran beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragten Kredit dem IWF mitgeteilt und erklärt, dass sie jegliche Kreditvergabe an Iran ablehnten. Die Ablehnung begründete sie damit, dass das Geld nicht der iranischen Bevölkerung zugutekommen werde. "Die Vergangenheit zeigt, dass sie (die iranische Führung) das Geld entweder in die eigene Tasche stecken oder damit terroristische Gruppen im Nahen Osten finanzieren."

Iran hatte mit Hinweis auf die kritische Lage, in der sich das Land befindet, am 12. März einen Kredit in Höhe von fünf Milliarden Dollar beantragt. Das Geld soll für den Kampf gegen das Corona-Virus verwendet werden. Zuvor hatte der für die Wirtschaft zuständige Vizepräsident, Mohammad Nahadian, in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN Gerüchte über die Ablehnung des Antrags zurückgewiesen und erklärt, der Antrag werde bearbeitet. Viele Länder hätten den Antrag unterstützt. Die Behauptung der USA, Sanktionen würden Nahrungsmittel und medizinische Geräte sowie Medikamente nicht betreffen, sei falsch und irreführend, sagte er. Ferner betonte er, dass in Iran "völlige Transparenz" über die Corona-Epidemie herrsche. "Wir handeln nicht mit Leben und Tod von Menschen. Für uns ist das menschliche Leben genauso viel Wert, wie das Leben der Wirtschaft."

Iran gehört zu den Ländern, die am stärksten vom Corona-Virus betroffen sind. Anfang März hatten 24 Topdiplomaten, wie die frühere EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini sowie Topdiplomaten der Bush-, Clinton- und Obama-Regierung US-Präsident Trump in einem Brief aufgefordert, die Sanktionen gegen Iran zu lockern und dem Land humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, um tausende Menschenleben zu retten.

Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif twitterte: "Iran ist reich an menschlichen und natürlichen Quellen. Wir brauchen keine Almosen von Trump, der gezwungen ist Beatmungsgeräte von einem Land zu kaufen, das er mit Sanktionen belegt hat." (gemeint ist Russland). "Was wir von Trump fordern, ist, dass er nicht den iranischen Ölexport und benötigte Importe sowie Finanztransaktionen boykottiert."

Am 8. April forderte Präsident Rohani laut AFP auf einer Kabinettsitzung den IWF noch einmal eindringlich auf, Irans Antrag zu bewilligen. "Ich fordere alle internationalen Organisationen auf, ihre Pflichten zu erfüllen," sagte er. Iran sei Mitglied des IWF und dürfe anderen Ländern gegenüber nicht benachteiligt werden. "Wenn Sie in dieser schwierigen Situation ihren Pflichten nicht nachkommen, wird die Welt sie anders beurteilen." Zu der ablehnenden Stellungnahme der USA sagte Rohani, die Amerikaner setzten ihre "falsche Politik und falsche Vorstellungen" fort. "Das Weiße Haus in Washington wird nicht nur als Wirtschaftsterrorist, sondern von nun an auch als Gesundheitsterrorist in die Geschichte eingehen."

Am 19. April meldete sich laut dpa der Chef der iranischen Zentralbank, Abdolnasser Hemmati, zu Wort. Er forderte den IWF auf, den von den USA ausgeübten Druck zu wiederstehen und Irans Antrag zu bewilligen, um Iran zu ermöglichen, das Defizit seiner Wirtschaft in Höhe von 10 Milliarden Dollar zu finanzieren. Iran könne aufgrund bestehender Sanktionen nicht über das Guthaben der Zentralbank im Ausland verfügen.


HOHE VERLUSTE DER TOURISMUSINDUSTRIE

Der Direktor der Zentralbank, Abdolnasser Hemmati, notierte am 5. April auf Instagram: "Die Schäden, die die Corona-Epidemie der Tourismusindustrie zugefügt hat, sind irreparabel. Wir sind wegen ernster Probleme des Haushalts in diesem Jahr nicht in der Lage, die Verluste der Branche vollständig zu ersetzen." Am Vortag hatte er bei einem Treffen mit Vertretern des Ministeriums für Tourismus, Kulturerbe und Handwerk erklärt, "die größten Einnahmen in jedem Jahr erzielen Hotel, Reisegesellschaften, Handwerker und Reisebüros während den Neujahrsfeiertagen. In diesem Jahr sind die Einnahmen nahezu gänzlich ausgeblieben. Das ist eine Tatsache, die wir sehr ernst nehmen. Aber der Glaube, dass der Staat alle Verluste ersetzen könnte, ist nicht realistisch."

Den Angaben des Vereins der Fluggesellschaften Irans zufolge, wurden in den ersten zwei Wochen des neuen Jahres 90 Prozent der Flüge gestrichen. Vereinsvorsitzender Maghsud Asadi Samani sagte, nahezu sämtliche Fluggesellschaften hätten jetzt alle ihre Aktivitäten gestoppt. Ein kleiner Rest arbeitet nur noch mit zehn Prozent seiner Kapazität. Seiner Einschätzung nach liege der Verlust der Fluggesellschaften bei 3.000 Milliarden Tuman.

Die Stornierung der Flüge hatte Anfang März begonnen. Mitte März gab Verkehrsminister Mohammad Eslami bekannt, dass Passagiere ohne Gebühr ihre Flug- oder Zugtickets zurückgeben oder gegen Gutschein eintauschen könnten.

Ähnlich wie den Fluggesellschaften erging es während der Feiertage den Hotels und Gaststätten. Zwar sollen sie wie die Handwerker vom Staat eine finanzielle Unterstützung bekommen. Doch die ist bei weitem nicht ausreichend, um die Verluste zu ersetzen.

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AUSSENPOLITIK

• Kontroverse Diskussion über Beziehungen zu China
• Chinas Iran-Politik
• Neue Drohungen zwischen Teheran und Washington
• Trump erteilt Schießbefehl
• Irans Satellitenstart fordert scharfe Kritik heraus
• Anklage gegen die USA
• Biden fordert Milderung der Sanktionen
• Sarif besucht Assad
• Kritik an Irans Sonderbotschafter in Afghanistan
• UN erhebt schwere Vorwürfe gegen iranische Justiz
• Flugverbot für iranische Flugzeuge nach Deutschland
• Anklage wegen Spionage für Iran
• Macron fordert sofortige Freilassung von Adelchah
• Rohani fordert internationale Kooperation im Kampf gegen Pandemie


KONTROVERSE DISKUSSION ÜBER BEZIEHUNGEN ZU CHINA

Eine kritische Äußerung des Sprechers des Gesundheitsministeriums, Kianusch Dschahanpur, über China sorgte für kontroverse Diskussionen über die Beziehung Irans zu China. Dschahanpur hatte auf einer Pressekonferenz am 3. April in Teheran auf die Frage eines türkischen Journalisten über Irans Umgang mit dem Corona-Virus erklärt, sein Ministerium habe den Ernst der Lage zu spät erkannt, weil China "mit der ganzen Welt einen bitteren Spaß" gemacht und falsche Angaben über das Virus gemacht habe. Damit seien alle Staaten zunächst davon ausgegangen, dass Corona weniger aggressiv als Influenza sei. "So ist es aber nicht. Und wir können nicht davon ausgehen, dass die ganze Geschichte in zwei Monaten vorbei sein wird," sagte der Sprecher.

Als diese Äußerung auf Kritik stieß, legte Dschahanpur noch einmal nach und schrieb auf Twitter: "Man kann und darf nicht wissenschaftliche Erkenntnisse mit Politik vermischen. Wissenschaftliche Institutionen in anderen Staaten waren ausgehend von den Informationen aus China zu der Ansicht gelangt, dass Influenza aggressiver sei als Corona. Doch die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen das Gegenteil. (...) Unter solchen Umständen sollten wir lieber den eigenen Erkenntnissen trauen als den Angaben aus China."

Wenige Minuten später reagierte der chinesische Botschafter in Teheran auf die Äußerung Dschahanpurs mit den Worten: "Das chinesische Gesundheitsministerium veranstaltet täglich eine Pressekonferenz. Ich schlage vor, erst die Berichte zu lesen, dann zu urteilen." Daraufhin schrieb Dschahanpur, das iranische Gesundheitsministerium veranstalte täglich zweimal internationale Pressekonferenzen. Die Berichte darüber seien für die verehrten Botschafter, insbesondere für jene aus befreundeten Staaten "sehr nützlich." Darauf reagierte wiederum Chinas Botschafter und schrieb spürbar verärgert: "Mein lieber Herr, ich hoffe Sie nehmen die Tatsachen zur Kenntnis und erweisen den großen Aktivitäten des chinesischen Volkes gebührende Hochachtung."

Der unfreundliche Ton des Botschafters sowie die heftige Kritik die Dschahanpur auch von iranischer Seite entgegenschlug, zwangen ihn dazu, einen Rückzieher zu machen. Das iranische Volk und der iranische Staat seien jenen Staaten und Völkern dankbar, "die in diesen Zeiten, in denen das Corona-Virus sich weltweit verbreitet, unserem Land zur Seite stehen. (...) Auch dies werden wir niemals vergessen. Die Hilfen, die China in diesen schweren Tagen für uns geleistet hat, bleiben ewig in Erinnerung."

Zuvor hatte bereits der Sprecher des Teheraner Außenministeriums, Abbas Mussawi, China hoch gelobt. "Das chinesische Volk und der chinesische Staat stehen im Kampf gegen das Corona-Virus und bei der großzügigen Hilfe für andere Staaten an vorderster Front." "Der Mut, die Sachkenntnis und die Zuverlässigkeit" der Chinesen bei der Bewältigung der Lungenkrankheit sei "bewundernswert." "Wir waren China stets für seinen Einsatz in Zeiten der Not dankbar."

Nach dem kurzen Schlagabtausch zwischen dem chinesischen Botschafter und dem Sprecher des Gesundheitsministeriums erhoben sich Stimmen für und gegen Dschahanpur. Die Unterstützer übten scharfe Kritik an China und warfen dem iranischen Außenamtssprecher Anbiederung vor. Die Gegner warfen Dschahanpur vor, gegen die nationalen Interessen verstoßen und der Beziehung zwischen Iran und China Schaden zugefügt zu haben. Sie forderten ihn auf, sich öffentlich zu entschuldigen, manche forderten sogar seine sofortige Entlassung.

Es gab auch Kritiker, die dem Gesundheitsministerium vorwarfen, den "bitteren Spaß" von Anbeginn ernst genommen zu haben. Die Äußerungen Dschahanpurs seien nur ein Vorwand, um das Versagen des eigenen Ministeriums zu vertuschen, hieß es. "Wie kam es, dass Südkorea zum Beispiel den Chinesen nicht geglaubt hat, wir aber doch? Zudem kann es wohl kaum stimmen, dass die Chinesen aus Corona einen 'Spaß' gemacht hatten, wenn man bedenkt, dass sie drei Monate lang harte Einschränkungen angeordnet und Milliarden investiert haben, um die Krankheit zu bezwingen," schrieb die Zeitung Etemad. Der Epidemiologe Hamid Suri, Professor an der Universität Schahid Beheschti in Teheran, meinte, in solchen Fällen wäre es besser, wenn Politiker die Kritik Wissenschaftlern überlassen würden. Wissenschaftler würden als unabhängige Instanzen wahrgenommen und deren Stellungnahmen hätten mehr Gewicht. Es sei den Interessen des Staates nicht dienlich, wenn das Außenministerium oder die Regierung sich für Äußerungen eines Politikers offiziell entschuldigen müssen. "Wir Wissenschaftler sind nur für die Gesundheit der Menschen zuständig, während Politiker auch auf andere Aspekte Rücksicht nehmen müssen," sagte Suri.

"Sobhe Sadegh," Presseorgan der Revolutionsgarden, warnte davor, die Beziehung zu China zu schädigen. Die Zeitung forderte die Regierung auf, nicht nur den Schaden wiedergutzumachen, sondern darüber hinaus zu erforschen, "was dahinterstecken" könnte. China sei ein "strategischer Partner Irans." Diese Stellungnahme, die vor allem in weiten Kreisen der Konservativen Zustimmung findet, ist für die Außenpolitik der Islamischen Republik von entscheidender Bedeutung.

Während die Reformer in Iran mehr zu westlichen Modellen tendieren, diente das Staatssystem der Volksrepublik China sowohl unter Präsident Haschemi Rafsandschani (1989-1997) als auch unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad (2005-2013) als Vorbild. Ahmadinedschad gab damals die Parole aus: "Weg vom Westen, hin zum Osten." Bekanntlich schwebt Revolutionsführer Chamenei ein ähnliches Modell vor. Dabei stellt sich die Frage, ob China in all den Jahren tatsächlich ein "strategischer Partner" Irans war und ob Iran auch jetzt, wo das Land sich in einer schweren Krise befindet, auf Freundschaft und Beistand der Chinesen zählen kann. Dieser Frage geht ein Artikel des persischsprachigen Programms der BBC nach. Im Folgenden bringen wir eine inhaltliche Zusammenfassung des Artikels:


CHINAS IRAN-POLITIK

Solange Ayatollah Chomeini das Schicksal des Landes bestimmte, vor allem in der Zeit des achtjährigen Krieges gegen den Nachbarstaats Irak (1980-1988), war das Bestreben des neu gegründeten Staates darauf ausgerichtet, sein militärisches Potential zu erhöhen, insbesondere sein Waffenarsenal aufzustocken. Doch angesichts der antiwestlichen Außenpolitik des Landes waren die Möglichkeiten, Waffen aus dem Westen zu importieren, stark eingeschränkt. Ähnlich verhielt es sich mit Russland. So richtete sich der Blick damals vor allem auf China. Aber China war eher geneigt, Irak zu unterstützen. Während des achtjährigen Kriegs lieferte China Waffen im Wert von rund 1,8 Milliarden Dollar an Iran, während der Wert der exportierten Waffen nach Irak bei mehr als fünf Milliarden lag.

Bei der Abstimmung des Gouverneursrats der Internationalen Atombehörde 2006, über die Weiterleitung der Akte Irans an den UN-Sicherheitsrat, stimmten nur drei Staaten, nämlich Venezuela, Kuba und Syrien dagegen, fünf Staaten, Algerien, Weißrussland, Indonesien, Libyen und Südafrika enthielten sich. Demgegenüber stimmten sowohl Russland als auch China, gemeinsam mit den USA und den Staaten der EU, dafür. Russland und China, von denen Iran Beistand erwartete, waren nicht bereit gewesen, Irans Interessen zu berücksichtigen, obwohl sie sich zuvor gelegentlich gegen die Weiterleitung geäußert hatten. Auch im UN-Sicherheitsrat stimmten sie für die Iran-Resolution, mit der harte Sanktionen gegen Iran verhängt wurden. Danach wurden sämtliche Resolutionen des Sicherheitsrats mit Zustimmung Russlands und China beschlossen. Sowohl Moskau als auch Peking hätten mit ihrem Veto die jeweiligen Resolutionen verhindern können. Doch sie waren nicht einmal dazu bereit gewesen, sich wenigstens zu enthalten. Zwar hat China die Atomverhandlungen mit Iran, die schließlich 2015 zu einem Abkommen führten, unterstützt. Das Abkommen sah die Aufhebung der von den Vereinten Nationen sowie von den USA und der EU verhängte Sanktionen vor. Doch das Engagement Chinas bei den Verhandlungen war weit geringer als das der Amerikaner. Damals wollte US-Präsident Barack Obama unbedingt den Konflikt mit Iran beenden, während China wenig Interesse an dem Abkommen zeigte.

Nach der Regierungsübernahme durch Donald Trump und dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen, nahm Washington die Sanktionen gegen Iran wieder auf. Wenige Wochen danach reiste der außenpolitische Berater des Revolutionsführers, Aliakbar Welayati, nach Peking und Moskau und verkündete nach seiner Rückkehr, sowohl Russland als auch China hätten sich verpflichtet, die US-Sanktionen zu ignorieren. Wörtlich sagte er: "Russland und China haben versichert, weiterhin unser Öl zu kaufen, selbst dann, wenn die USA deswegen gegen sie Sanktionen verhängen sollten." Nichtdestotrotz akzeptierte Peking nach und nach die US-Sanktionen und reduzierte seinen Ölimport aus Iran drastisch. 2019 lag der Ölimport Chinas aus Iran im Durchschnitt bei 295.000 Barrel pro Tag, im Dezember dahingegen nur noch bei 100.000 Barrel. Das ist ein Siebtel der Menge, die in der gleichen Zeit im Jahr davor importiert wurde. Just im Dezember 2019 hatte der amerikanische Finanzminister erklärt, Washington sei im Gespräch mit Peking, um sicherzustellen, dass "China kein Öl mehr aus Iran importiert."

Bemerkenswert ist, dass Iran über die Einnahmen aus dem nach China exportiertem Öl nicht frei verfügen kann. Fast die Hälfte der Einnahmen wird zur Tilgung der Schulden Irans bei zwei chinesischen Unternehmen verwendet. Diese Unternehmen hatten insgesamt eine Summe in Höhe von fünf Milliarden Dollar in die iranische Ölindustrie investiert. Doch selbst die andere Hälfte kann aufgrund der US-Sanktionen nicht nach Iran transferiert werden. Daher wird sie für den Kauf chinesischer Waren verwendet.

Solange Ayatollah Chomeini lebte, war Iran bestrebt seine Außenpolitik nach der Parole, "Weder Westen, noch Osten" auszurichten. Doch sein Nachfolger, Ali Chamenei, hat einerseits die Feindschaft zum Westen, allen voran zu den USA, intensiviert und sich zugleich nach Osten gewandt - nach Russland und China. Inzwischen ist China der größte Handelspartner Irans. Iranische Märkte sind überfüllt mit Billigwaren aus China. Peking spielt derzeit nicht nur wirtschaftlich eine überragende Rolle in Iran, sondern auch politisch, vor allem außenpolitisch. Doch die Teheraner Führung macht sich Illusionen über die Treue und Freundschaft der Chinesen. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigen deutlich, dass China einzig und allein eigene wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt und jederzeit dazu bereit ist, die Freundschaft zu Iran zu kündigen, wenn sollten seine Interessen es erfordern.


NEUE DROHUNGEN ZWISCHEN TEHERAN UND WASHINGTON

Anfang April eskalierten abermals die Konflikte zwischen Teheran und Washington, obwohl beide Länder sich auf den Kampf gegen das Corona-Virus konzentrieren mussten. Grund der neuen Eskalation sind die neuen Ereignisse im Persischen Golf und die Auseinandersetzungen im Irak.

Als im Januar US-Raketen in der Nähe des Bagdader Flughafens den iranischen General Ghassem Soleimani, Oberbefehlshaber der Al Kuds-Brigade, und den hohen irakischen Milizenführer Abu Mahdi al Muhandis töteten, schworen die mit Iran verbündeten irakischen Milizen alles daran zu setzen, die amerikanischen Streitkräfte aus dem Land zu jagen. Seitdem haben zahlreiche Raketen-Angriffe auf US-Stützpunkte im Irak stattgefunden. Politische Beobachter schätzen, dass die Milizen-Organisationen in der Lage sind, rund 130.000 Mann zu mobilisieren. So verfügen sie über starken Einfluss. Der schiitische Block, das Al-Fattah-Bündnis, bekam bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren die zweitmeisten Stimmen.

Die Raketenangriffe der Milizen haben die USA bereits gezwungen, drei ihrer Stützpunkte zu verlassen. Gleichzeitig haben die USA mehrere Stützpunkte der Milizen angegriffen, was die Milizen keineswegs davon abhalten konnte, ihren Kampf fortzusetzen. "Wir werden sie (die US-Truppen) weiter angreifen, wo immer sie sind, denn wir sind der Meinung, dass sie illegal im Irak sind," erklärte ein Sprecher der Kataib Hisbollah, die zu den stärksten Milizen gehört. Die USA vermuten Iran hinter den Angriffen. Es wird befürchtet, dass sie demnächst einen großen Angriff gegen Kataib Hisbollah starten. Auf der Website "War in the Rocks" warnen die Analysten Maria Fantappie und Sam Heller: "Wenn der Zyklus der Gewalt weitergeht (...), wird es für die USA und Irak in einem Desaster enden."

Am 1. April warnte US-Präsident Donald Trump auf Twitter, sollte Iran etwas gegen die USA unternehmen, wird Iran dafür "einen hohen Preis" zahlen. Auf einer Pressekonferenz am selben Tag sagte er, er habe genaue Informationen bekommen, dass die mit Iran verbündeten Gruppen im Irak einen Angriff gegen die USA planten. Dafür machte Trump Iran verantwortlich. "Wir sagen ihnen (den Iranern), tut das nicht. Wenn sie es tun, wird es für sie sehr schlecht sein," sagte er.

Das Wall Street Journal schrieb unter Berufung auf eigene Quellen, Washington habe neue Informationen über einen Angriff der Milizen erhalten. "Wir rechnen mit einem baldigen Ereignis." Zugleich berichteten Medien über die Reise von General Esmail Ghaani, Nachfolger von Ghassen Soleimani, mit dem Ziel, die Aktivitäten der irakischen Milizorganisationen zu koordinieren.

In Washington forderten US-demokratische Abgeordnete den Präsidenten auf, den Kongress vorab über jede militärische Aktion, etwa gegen Iran, die zu einem Krieg führen könnte, zu informieren.

Der stellvertretende Militärberater des Revolutionsführers, Yahya Safawi, nahm zu einem möglichen Angriff der USA Stellung. "US-Militärs sind sich darüber bewusst, dass ein Angriff in Irak ihnen kein Nutzen bringen wird. (...) Sicher ist jedenfalls, dass die Aktivitäten gegen die US-Besatzungsmacht zunehmen werden," schrieb der General in einem Artikel. "Wir empfehlen den US-Politikern und -Militärs, sich über die Folgen Gedanken zu machen, bevor sie militärische Aktionen in Irak starten."

Über die Reise General Ghaanis nach Bagdad wurde in den Medien viel spekuliert. Wie AP berichtete, war Ghaani am 1. April unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in Bagdad angekommen. Seine Hauptaufgabe sei, die proiranischen Schiitenmilizen miteinander zu koordinieren, eine Aufgabe, die General Soleimani bis zu seiner Ermordung bestens geleistet hatte, hieß es in einigen Berichten. Es gab auch Gerüchte über ein Attentat auf Ghaani.

Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif reagierte auf Trumps Drohungen mit den Worten, Iran werde niemals einen Krieg beginnen, "aber jenen, die dies tun, eine Lektion erteilen." Er empfahl dem Präsidenten, sich nicht von seinen kriegslustigen Beratern in die Irre führen lassen.

Deutlich härter äußerte sich der Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte, General Mohammad Hossein Bagheri. Sollten die USA den geringsten Versuch unternehmen, die Sicherheit Irans anzutasten, müssen sie mit härtesten Reaktionen rechnen," sagte er auf einer Pressekonferenz am 2. April in Teheran. In den letzten Tagen hätten die militärischen Aktivitäten der USA in der Region, insbesondere im Irak, zugenommen. Auch in den Medien seien ähnliche Gerüchte im Umlauf. Iran habe mit den Vorgängen im Irak nichts zu tun und habe auch nicht die Absicht, fremde Mächte in dem Land anzugreifen. "Wir beobachten genau die Aktivitäten der US-Militärs. Zugleich überwachen unsere Einheiten unsere Wasser-, Luft- und Bodengrenzen. Die Reaktionen der irakischen Bevölkerung gegen die US-Basen in dem Land seien nach dem "teuflischen Mord" an Soleimani und Muhandis allzu natürlich und nachvollziehbar. "All dies hat aber mit unserem Land nichts zu tun. (...) Die Amerikaner wissen sehr wohl, dass ihre Präsenz in der Region und im Irak unerwünscht ist," sagte der General.

Am 16. April teilte laut AFP das US-Verteidigungsministerium mit, elf iranische Boote der Revolutionsgarden hätten "wiederholt mit hoher Geschwindigkeit und sehr nahe Bug und Heck von US-Schiffen" gekreuzt. Ein Boot sei sogar bis auf zehn Meter an einem Kutter der Küstenwache vorbeigerauscht. Dies habe sich ereignet, als die US-Flotte in internationalen Gewässern im Norden des Persischen Golfs Übungen mit Apache-Kampfhubschaubern durchführte. Trotz Warnungen hätten iranische Motorboote eine Stunde lang ihr Manöver fortgesetzt, danach seien sie abgezogen. Diese gefährliche Provokation verstoße gegen das internationale Schifffahrtsrecht, hieß es in der Stellungnahme des US-Verteidigungsministeriums.

US-Außenminister Mike Pompeo erklärte in einem Interview mit dem Sender Fox am 17. April: "Wir prüfen derzeit, wie wir am besten auf das Ereignis reagieren sollen." Die Iraner hätten in der Vergangenheit schon oft genug gezeigt, dass sie nicht logisch und nicht in Übereinstimmung mit internationalem Recht handelten. Er sei sich sicher, dass Präsident Trump ausreichend Maßnahmen treffen werde, um amerikanische Einheiten zu schützen.


TRUMP ERTEILT SCHIEßBEFEHL

US-Präsident Donald Trump erteilte amerikanischen Soldaten den Befehl, jedes iranische Boot, das amerikanische Schiffe belästigt, sofort abzuschießen und zu vernichten. In einem Tweet vom 22. April schrieb er: "Wir wollen nicht, dass ihre bewaffneten Booten um unsere Schiffe herumkurven und sich vergnügen. Wir wollen nicht, dass sie sich unseren Schiffen nähern. Das ist während der Regierungszeit Obamas oft geschehen. Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit entsprechende Anweisungen erteilt, sie haben sich wohlverhalten und es gab keine Probleme. Aber gestern habe ich gehört, dass sie wieder damit angefangen haben."

Abofasl Schekartschi, Sprecher der iranischen Streitkräfte, reagierte auf die Drohung Trumps mit den Worten: "Die Amerikaner sollten statt den starken Mann zu spielen, sich um die eigene Bevölkerung kümmern, um jene zu retten, die mit dem Corona-Virus infiziert sind. (...)Die USA müssen die Region verlassen und ihre Kräfte, genau wie die iranischen Streitkräfte, in den Dienst des Volkes stellen."

Die Revolutionsgarden veröffentlichten eine Erklärung, in der es hieß, "wir empfehlen den USA, auf Abenteuer und Verbreitung von Lügen zu verzichten. (...) Das dilettantische Verhalten der terroristischen Marine der USA in den Gewässern des Persischen Golfs bedroht die Sicherheit und Stabilität der Region. Aus diesem Grund und um dieses dilettantische, gefährliche Abenteuer amerikanischer Terroristen zu unterbinden haben wir unsere Kontrollpatrouillen im Persischen Golf verstärkt."

General Hossein Salami, Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden erklärte am 23. April, Iran werde, im Falle eines Angriffs der USA, eine "entschiedene, effiziente und rasche Antwort erteilen." Auch er habe an die Einheiten der Revolutionsgarden den Befehl erteilt, auf jedes amerikanische Schiff, das sie bedroht, zu schießen. "Die USA sollten wissen, dass wir unsere nationale Sicherheit und die Sicherheit unserer Seegrenzen sehr ernst nehmen."

Am 23. April wiederholte Trump seine Drohung. Amerikanische Einheiten würden sich unter seiner Führung iranische Provokationen nicht gefallen lassen, sagte er laut dpa im Weißen Haus. Das US-Militär "wird sie aus dem Wasser schießen." Indes erklärten die Revolutionsgarden, ihre Anti-Schiffsraketen hätten inzwischen eine Reichweite von 700 Kilometern erreicht und seien auch in der Lage Ziele unterhalb der Wasserfläche zu treffen. Diese Raketen seien in Iran entwickelt worden, sagte Admiral Ali Resa Tangsiri am 20. April der Presse. Auch "unsere Kriegsboote sind dreimal schneller als die der Amerikaner."


IRANS SATELLITENSTART FORDERT SCHARFE KRITIK HERAUS

Irans Revolutionsgarden meldeten am 22. April, erfolgreich einen Militärsatelliten ins Weltall geschossen zu haben. In einer Meldung von Sepah-News, dem Nachrichtenorgan der Revolutionsgarden, heißt es, der Satellit Nur-1 (Licht-1) sei von der Wüste im Zentrum Irans gestartet und in zwei Stufen in eine Umlaufbahn von 425 Kilometern Höhe gebracht worden. Es war der vierte Versuch dieser Art, nachdem zuvor drei Versuche gescheitert waren. Die Garden betonten, der Satellit verfolge keine militärischen Ziele, er solle lediglich Daten liefern, die der Wissenschaft dienlich seien und zur Wetterbestimmung, Feststellung von Naturkatastrophen und der Landwirtschaft Informationen übermitteln. Die Garden feierten den Abschuss als eine "große Errungenschaft."

Der gelungene Versuch forderte scharfe Kritik, vor allem westlicher Staaten hervor. Das Auswärtige Amt in Berlin zeigte sich "besorgt." "Das iranische Raketenprogramm wirkt destabilisierend auf die Region und ist auch aus Sicht unserer europäischen Interessen inakzeptabel," hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums vom 22. April.

Noch schärfer nahmen die USA zu dem Unternehmen Stellung. Außenminister Mike Pompeo erklärte, Iran habe damit gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrats verstoßen und müsse deswegen zur Verantwortung gezogen werden. "Jede Nation hat die Pflicht, die Vereinten Nationen anzurufen, um bewerten zu lassen, ob dieser Raketenstart mit dem Beschluss des Sicherheitsrats im Einklang stand." (Gemeint ist die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats) "Eigentlich gehe es den Revolutionsgarden um die Weiterentwicklung des Raketenprogramms, vor allem um den Ausbau ballistischer Raketen." Es sei eine Provokation, die nicht unwidersprochen hingenommen werden dürfe. "Diese Aktivitäten Irans zeigen, dass alles, was wir bisher über das iranische Regime gesagt haben, richtig ist."

Auch Morgan Ortagus, Sprecherin des US-Außenministeriums, betonte in einem Interview mit der BBC, der Satellitenabschuss verstoße gegen die UN-Resolution 2231. Die USA werden den UN-Sicherheitsrat anrufen, damit Staaten, die gegen Resolutionen verstoßen, darauf aufmerksam gemacht werden, dass solche Verstöße nicht folgenlos blieben.

Kritik kam auch aus Israel. Iran habe eindeutig gegen die Zusicherungen an die internationale Gemeinschaft verstoßen, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Tel Aviv. "Das iranische Regime konzentriert seine Bemühung weiterhin auf eine militärische Aggression, anstatt seinen gescheiterten Umgang mit dem Ausbruch des Corona-Virus zu verbessern, der zehntausende iranischer Bürger betrifft." Teheran baue sein Raketenprogramm weiter aus, um ballistische Raketen mit Atomsprengstoff bestücken zu können. Die Weltgemeinschaft müsse die Sanktionen gegen das Land verschärfen, um derartige Aktivitäten zu beenden.

Unterstützung für Iran kam aus Moskau. Die UN-Resolution verbiete dem Land keineswegs, das Weltall für friedliche Zwecke zu nutzen, hieß es in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums. Das Ministerium warf den USA Verstöße gegen internationales Recht vor. Ihre Anschuldigungen gegen Iran entbehrten jeder rechtlichen Grundlage. Zugleich wurde in der Mitteilung die Hoffnung geäußert, dass Iran nie Atomwaffen produzieren werde.

Irans Außenamtssprecher, Abbas Mussawi, erklärte am 23. April gegenüber Journalisten in Teheran, Iran habe das Recht, Satelliten ins Weltall zu schießen. Keine UN-Resolution schränke dieses Recht ein. Der Hinweis der USA auf die Resolution 2231 sei völlig abwegig. Er widersprach ebenfalls der Stellungnahme Deutschlands. Er sagte: "Das Auswärtige Amt in Berlin zeige sich besorgt über den Abschuss eines Satelliten, der von iranischen Ingenieuren gebaut worden ist, während Deutschland seinen Beschluss bekannt gegeben hat, Kampfflugzeuge zu kaufen, die auch mit atomarem Sprengstoff bestückt werden können. Das ist eine zwiespältige Politik, die bedrohlich ist für die Region, für Europa und für die ganze Welt."


ANKLAGE GEGEN DIE USA

Vizeaußenminister Abbas Araghtschi forderte laut AFP am 23. April die Staatengemeinschaft auf, die USA wegen ihrer "grausamen" Sanktionen in der Zeit, in der Iran vom Corona-Virus heimgesucht worden sei, anzuklagen. Dies sei ein "eindeutiger Verstoß" gegen die UN-Resolution 2231. Diese "illegalen, unmenschlichen Sanktionen" hätten mit dem Ausbruch der Epidemie das Leid der Bevölkerung erheblich verstärkt. "Es ist das Recht des iranischen Volkes, Zugang zu seinen finanziellen Ressourcen zu haben, um die Krankheit zu bekämpfen und ihren wirtschaftlichen Folgen entgegenzuwirken," sagte Araghtschi.


BIDEN FORDERT MILDERUNG DER SANKTIONEN

Der US-Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, veröffentlichte am 2. April in Washington eine Presseerklärung, in der es hieß, seiner Ansicht nach sollten angesichts der Corona-Pandemie die Sanktionen gegen Iran aus humanitären Gründen gemildert werden. Biden wird aller Voraussicht nach, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im November, der Herausforderer von Präsident Donald Trump sein. "In einer weltweiten Krise müssen die Vereinigten Staaten von Amerika Vorbild sein. Wir müssen der erste sein, der den Hilfebedürftigen die Hand reicht. Diese Eigenschaft hat uns stets ausgezeichnet. Auch jetzt, bei dieser tödlichen Epidemie, die keine Grenzen kennt, müssen die Vereinigten Staaten die Humanität und Gesundheit als primäres Ziel betrachten und bei der Hilfe für Länder, wie Iran, die von dem Virus am meisten betroffen sind, an vorderster Front stehen," schrieb Biden.

Biden war während der Regierungszeit von Barack Obama acht Jahre lang Vizepräsident. Ihm seien die Vertuschungen der iranischen Regierung bekannt, die zu rasanten Verbreitung des Corona-Virus geführt hätten. Dennoch werde von den Vereinigten Staaten erwartet, dass sie an humanitären Prinzipien festhielten. Die Hilfsangebote Washingtons an Iran reichten nicht aus. Es müsse sichergestellt werden, dass die Politik der USA die Virus-Krise in Iran nicht beschleunigt und die menschliche Katastrophe nicht weiter verschärft. Biden schlug vor, Lizenzen für Banken und Unternehmen auszustellen, die ihnen erlauben, Medikamente und medizinisches Gerät an Iran zu verkaufen. Den Unternehmen soll garantiert werden, dass sie wegen Geschäfte mit Iran nicht sanktioniert werden. "Um der Verbreitung der Epidemie Einhalt zu gebieten, müssen alle Staaten miteinander kooperieren," schrieb Biden weiter.

Biden war an den Atomverhandlungen mit Iran beteiligt. Er hat Trump mehrmals wegen dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen kritisiert und den Rückzug als "selbsterzeugte Katastrophe" bezeichnet. Dieser Schritt werde Iran einen Anlass liefern, zu seinem Atomprogramm zurückkehren. Zudem werde durch den Austritt der Boden für eine militärische Auseinandersetzung zwischen Iran und den USA bereitet. Trump dürfe nun nicht den Misserfolg seiner Iran-Politik mit der Weigerung von Hilfe an Iran wettmachen und damit die Lage noch komplizierter machen als sie bereits sei.

Auch Irans Präsident Hassan Rohani kritisierte erneut die US-Sanktion gegen Iran. Es wäre jetzt "die beste Zeit," die Sanktionen zu lockern, sagte er am 1. April. Mit Blick auf die Corona-Krise meinte er: "Es war die beste historische Gelegenheit für Amerika. Sie hätten sich entschuldigen können. Dies ist eine humanitäre Angelegenheit und niemand hätte sie dafür kritisiert, wenn sie sich zurückgezogen hätten."

Einen Tag zuvor hatte US-Außenminister Mike Pompeo auf einer Pressekonferenz in Washington auf die Frage, ob er eine Lockerung der Sanktionen gegen Iran für möglich halte, geantwortet: "Wir überprüfen immer wieder unsere Politik. Die Antwort heißt also ja, wir überprüfen."

Der Druck auf die USA, die Sanktionen gegen Iran zu lockern, ist groß. Washington betont immer wieder, dass Nahrungsmittel, Medikamente und medizinische Geräte von den Sanktionen ausgenommen seien.


SARIF BESUCHT ASSAD

Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif traf am 20. April den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in Damaskus. Eine Erklärung, die Assads Büro während des Besuchs veröffentlichte, verurteilte, dass die amerikanischen Sanktionen trotz der Corona-Krise aufrechtgehalten werden. Die Pandemie zeige "das Scheitern westlicher Systeme und ihren Mangel an Moral." Das Büro veröffentlichte auch ein Foto, auf dem beide Politiker mit Masken zu sehen sind.

Laut AFP vom 20. April übte Assad scharfe Kritik an den USA, die "trotz dieser außergewöhnlichen humanitären Bedingungen" die Sanktionen aufrechterhielten. Seine Kritik richtete sich auch gegen die Türkei, die die Souveränität Syriens missachte. Laut einer Erklärung der iranischen Regierung kritisierte auch Sarif die USA, die "in Wahrheit die Agenda verfolgen, die grausamen Sanktionen gegen Staaten, die sich im Kampf gegen diese Krankheit befinden," aufrechtzuerhalten.

In einer Videokonferenz mit seinen russischen und türkischen Amtskollegen hat Sarif laut dpa vom 22. April die Entwicklung in Syrien als konstruktiv bezeichnet. Die drei Außenminister kamen überein, die Syrien-Verhandlungen im Rahmen der Astana Vereinbarungen fortzusetzen. Zudem beschlossen sie, nach dem Ende der Pandemie ein Gipfeltreffen in Teheran zu veranstalten.

Nach der Videokonferenz twitterte der türkische Außenminister, Mevlüt Cavusoglu, ein wichtiges Thema des Gesprächs sei der Kampf gegen das Corona-Virus in Syrien gewesen. Zudem sei über die Lage in Idlib sowie östlich des Flusses Euphrat gesprochen worden.


KRITIK AN IRANS SONDERBOTSCHAFTER IN AFGHANISTAN

Der Besuch des iranischen Sonderbotschafters Mohammad Ebrahim Taherian und sein Treffen mit der afghanischen Führung haben kritische Reaktionen ausgelöst. Taherian hatte sich mit dem afghanischen Staatspräsidenten Aschraf Ghani sowie dessen Konkurrenten Abdullah Abdullah in Kabul getroffen. Bei einem Treffen mit Mohammad Mohaghegh, dem ehemaligen Vizepräsidenten, erklärte Taherian, Iran wünsche eine "Einigung und vernünftige Verständigung" zwischen den rivalisierenden Parteien und "alles, was der Stabilität und der Entwicklung des Landes dient."

Darauf reagierte Schah Hossein Mortasawi, Kulturberater des Präsidenten, auf Facebook mit den Worten: "Unsere Nachbarstaaten sollten uns keine Rezepte für eine Koalitionsregierung empfehlen. Wenn solche Rezepte die Probleme lösen würden, möchte ich fragen, warum Ahmadinedschad diesen Ausweg nicht gegenüber Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi angewendet hat."

Gemeint sind die Auseinandersetzungen über das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2009, bei denen Mussawi und Karrubi, Ahmadinedschad Wahlfälschung vorwarfen. Eine ähnliche Situation gibt es zurzeit in Afghanistan.


UN ERHEBT SCHWERE VORWÜRFE GEGEN IRANISCHE JUSTIZ

Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, übte scharfe Kritik gegen die iranische Justiz, die zwei Männer, die zur Tatzeit im jugendlichen Alter waren, hingerichtet hat. In einer Erklärung, die am 22. April in Genf veröffentlicht wurde, nimmt sie Bezug auf die Hinrichtung von Schayan Saidpur in der Stadt Saghes und Madschid Esmailsadeh in der Stadt Ardebil. "Die Hinrichtung der beiden Männer, die zur Tatzeit im Jugendalter waren, verstößt gegen internationale Konventionen," schreibt sie. "Obwohl mein Büro mehrmals zu der iranischen Justiz Kontakt aufgenommen hat, werden die Hinrichtung von Jugendlichen in Iran fortgesetzt. Das ist nicht nur traurig, sondern beschämend."

Bachelet forderte den iranischen Staat auf, internationale Konventionen zu achten und die Hinrichtung von Jugendlichen zu beenden. Sie verurteilte zudem den Tod des Gefangenen Danial Seinalabedin, der im Gefängnis von Miandoab im März dieses Jahres infolge von schweren Folterungen gestorben war. Auch Seinalabedin war zur Tatzeit nicht volljährig gewesen. Er hatte im Gefängnis von Mahabad an Protesten gegen mangelnde hygienische und medizinische Versorgung teilgenommen. Daraufhin wurde er nach Miandoab gebracht, dort gequält, gefoltert und getötet. Bachelet forderte die uneingeschränkte Aufklärung des Falls. Sie befürchtet, dass die Corona-Krise und die Proteste in den Gefängnissen zu noch mehr Hinrichtungen führen könnten.

Auch Saidpur hatte an Protesten teilgenommen und war aus dem Gefängnis geflüchtet. Danach wurde er wieder festgenommen und hingerichtet. Gegen seine Hinrichtung haben auch zwei UN-Menschenrechtsexperten protestiert. "Wir sind schockiert darüber, dass die iranischen Behörden sich erneut den internationalen Pflichten widersetzt haben, indem sie einen Straftäter im Kindesalter exekutiert haben," teilten die Experten mit. "Wir haben die iranische Regierung und die Justiz wiederholt daran erinnert, dass das internationale Menschenrechtsgesetz klar sagt: Die Durchführung einer Todesstrafe gegen Straftäter im Kindesalter ist strikt verboten, die Anwendung ist eine ungeheuerliche Verletzung des Rechts auf Leben." Saidpur war 17 Jahre alt, als er die Straftat beging. Berichten zufolge hatten die Behörden seine Familie unter Druck gesetzt, der Vollstreckung des Todesurteils zuzustimmen.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International übte scharfe Kritik gegen die Hinrichtungen. In der am 22. April veröffentlichten Erklärung heißt es, die Hinrichtungen seien weitere Beweise dafür, dass die Islamische Republik das unantastbare Recht auf Leben permanent missachte.


FLUGVERBOT FÜR IRANISCHE FLUGZEUGE NACH DEUTSCHLAND

Laut Bundegesundheitsminister Jens Spahn wurden im Rahmen der Einschränkungsmaßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus Flüge aus Iran nach Deutschland ab sofort verboten. "Wir legen uns in Deutschland in der Epidemie Beschränkungen auf, da können wir Flüge aus diesem Hochkrisengebiet nicht zulassen," sagte der Minister am 1. April laut dpa. Den Beschluss begründete er damit, dass die Lage in Iran unübersichtlich und intransparent sei.


ANKLAGE WEGEN SPIONAGE FÜR IRAN

Laut einem Bericht der AFP vom 7. April wurde ein Israeli wegen Spionage für Iran angeklagt. Er habe "Kontakt zu Mitgliedern des iranischen Geheimdienstes gehabt," hieß es in einer Mitteilung des israelischen Geheimdienstes Schin Bet. Er habe arabische Israeli angeworben. Sie sollten Iran bei der Durchführung von "Terroranschlägen" unterstützen. Zudem habe er den Auftrag gehabt, den iranischen Geheimdienst über "strategische Standorte" in Israel zu informieren. Schließlich wird dem Mann, dessen Identität nicht bekannt gegeben wird, vorgeworfen, Kontakte zu Chaled Jamani gepflegt zu haben. Jamani ist Mitglied der Volksfront für die Befreiung Palästinas im Libanon (PFLP). Die Organisation steht sowohl in den USA als auch in der EU auf der Liste der terroristischen Organisationen.

Bei dem Mann, der am 16. März verhaftet wurde, wurden laut Schin Bet Verschlüsselungsgeräte und eine Festplatte sichergestellt. Er habe sie vor seiner Festnahme zerstören wollen. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass er die Verschlüsselungsgeräte vom iranischen Geheimdienst erhalten habe. In der Erklärung von Schin Bet heißt es: "Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen die Tiefe der Verbindungen zwischen Iran und der PFLP und ihre Bemühungen, Spionage und terroristische Aktivitäten in Israel durchzuführen."


MACRON FORDERT SOFORTIGE FREILASSUNG VON ADELCHAH

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seinen iranischen Amtskollegen aufgefordert, die iranisch-französische Wissenschaftlerin, Fariba Adelchah "unverzüglich freizulassen." Die Anthropologin war im August vergangenen Jahres während eines Besuchs in Teheran verhaftet worden. Später wurde sie unter dem Vorwurf "Verschwörung gegen die Nationale Sicherheit Irans" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Der zunächst gegen sie erhobene Vorwurf der Spionage, der gewöhnlich mit dem Tod bestraft wird, wurde im Januar fallengelassen.

Macron hatte am Tag zuvor mit Rohani telefoniert. Bei dem Gespräch ging es, wie die Medien berichteten, um das Atomabkommen und um die Zweckgesellschaft Instex. Roland Marchal, der Lebensgefährte von Adelchah, war ebenfalls in iranischer Haft. Er war nach Teheran gekommen, um Adelchah zu besuchen und wurde daraufhin wegen Propaganda gegen die Islamische Republik festgenommen. Der Soziologe Marchal arbeitet am selben Institut in Paris, an dem auch seine Lebenspartnerin arbeitete. Er wurde nach einer neunmonatigen Haft im März dieses Jahres im Zuge eines Gefangenenaustauschs freigelassen. Später berichtete er über seine Erlebnisse im Gefängnis. Er sei physisch nicht gefoltert worden, sagte er. Er habe seine Gefährtin nur dreimal treffen können und dies nur für wenige Minuten und unter strenger Aufsicht.


ROHANI FORDERT INTERNATIONALE KOOPERATION IM KAMPF GEGEN PANDEMIE

In einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte Präsident Rohani laut dpa vom 6. April eine globale Zusammenarbeit im Kampf gegen das Corona-Virus. "Ohne eine gemeinsame globale Zusammenarbeit und Austausch unserer Erfahrungen, können wir diese kritische Phase nicht meistern," sagte Rohani. Iran benötige besondere Unterstützung, weil das Land einerseits vom Corona-Virus bedroht werde und andererseits von den US-Sanktionen. Unter diesen Umständen erwarte Iran von befreundeten Staaten, dass sie auf die USA Druck ausübten und die Aussetzung der Sanktionen während der Corona-Krise forderten.

Wie der Élysée-Palast mitteilte, seien Frankreich und seine europäischen Partner bereit, die humanitäre Zusammenarbeit mit Iran fortzusetzen. Sie hätten bereits medizinische Geräte geliefert und werden dies auch weiter tun. Demgegenüber werde von Iran erwartet, seine im Atomabkommen vorgesehenen Pflichten zu erfüllen.

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Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Anja Hoffmann
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
19. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 5/2020 - Mai 2020 / 19. Jahrgang
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2020

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