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DILJA/100: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 17 (SB)


Das "Massaker von Srebrenica" - nachgelieferte Letztbegründung für die gewaltsame Zerschlagung Jugoslawiens und Präzedenzfall der humanitär bemäntelten Kriegführung westlicher Hegemonialmächte

Teil 17: Herbst 1995 - Wie die Serben durch die Kriegsdiplomatie des Westens zur Kapitulation gezwungen wurden. Der "Frieden" von Dayton leitete die endgültige Zerschlagung Jugoslawiens ein


Am 21. Juli 2008 wurde in Belgrad, nunmehr ausschließlich Hauptstadt Serbiens und nicht mehr, wie noch zur Zeit der sogenannten bosnischen Bürgerkriege, sowohl Hauptstadt der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Serbien als auch des Gesamtstaates, der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien, Radovan Karadzic verhaftet. Die westliche Presse jubelte, und am allerlautesten jubelten jene Kriegsbeteiligten, denen ein profundes Eigeninteresse an der juristischen Aburteilung des dämonisierten Serbenführers sowie seines obersten Militärs, des früheren Generals der bosnisch-serbischen Armee, Ratko Mladic, unterstellt werden kann. Gegen Karadzic und Mladic war im Juli 1995, wenige Wochen "nach Srebrencia", Anklage wegen der ihnen zur Last gelegten Kriegführung in dem zu diesem Zeitpunkt bereits mehrjährigen Bürgerkrieg angekündigt worden. Am 18. November 1995 war vor dem eigens zur Aburteilung der serbisch-jugoslawischen Seite von den USA im Rahmen der UN ins Leben gerufenen Den Haager Tribunal offiziell Anklage wegen des in Srebrenica begangenen Völkermords gegen Karadzic und Mladic erhoben worden.

Spätestens seit 1991, als die Weichen in dem angeblichen Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina westlicherseits längst gestellt worden waren, galten "die Serben" als das Ur-Böse schlechthin. Ihnen wurde von der westlichen Propagandamaschinerie, die ein Feindbild projizieren und befüttern mußte, das schlußletztendlich für die NATO eine kriegsrechtfertigende Qualität erreichen sollte, eine Völkermordabsicht unterstellt und zugeschrieben, so daß spätestens im Sommer 1995 jeder Konsument der westlich dominierten Nachrichten- und (Des-)Informationspolitik zu wissen glaubte, daß "die Serben" in diesem Bürgerkrieg schreckliche Kriegsverbrechen begangen hätten und auch weiterhin begehen würden mit der Absicht, durch einen an den verfeindeten bosnischen Volksgruppen verübten Völkermord ein "Großserbien" zu errichten. Karadzic und Mladic standen, wie später auch der serbische bzw. jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, ganz vorne in der Riege der zu Balkanschlächtern erklärten serbischen Politiker bzw. Militärs.

Wer die Einseitigkeit dieser Bezichtigungen zum Anlaß nimmt, über die vorgeblichen und tatsächlichen Absichten und Interessen jener ausländischen Kräfte zu reflektieren, die sie lautstark erheben, ohne in gleicher Weise gegen den Präsidenten der bosnischen Muslime, Alija Izetbegovic, oder den kroatischen Präsidenten, Franjo Tudjman, vorzugehen, wird auf die Leuchtspur einer westlichen Interventionspolitik stoßen, die anfangs eine führende Rolle der Bundesrepublik Deutschland bezeugte, im fortschreitenden Verlauf des bosnischen Bürgerkriegs jedoch zunehmend die Handschrift der USA erkennen ließ. Im Sommer und Herbst 1995 sollte sich die Situation in dem von einem bereits über dreijährigen Bürgerkrieg zerrütteten Bosnien als ein ethnisch zu definierender Konflikt darstellen; denn fraglos hatten die drei größten Volksgruppen, die in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina einst friedlich und keineswegs in ethnisch "gereinigten" Territorien zusammengelebt hatten, gegeneinander schwerste Kriegsverbrechen begangen.

Der Schulterschluß der kroatischen Armee mit den bosnisch-muslimischen Streitkräften bedeutete wie auch der spätere Zusammenschluß der kroatischen und muslimischen Bevölkerungsanteile zur (kroatisch-muslimischen) Föderation von Bosnien-Herzegowina keineswegs, daß die Feindseligkeiten und haßerfüllten Kriegshandlungen inklusive der innerhalb dieses Bürgerkriegs von allen drei beteiligten Armeen begangenen Kriegsverbrechen tatsächlich ursächlich ethnisch bedingt gewesen wären. Dieses mutet zunächst wenig plausibel an, da ganz offensichtlich die (bosnischen) Serben mit den Kroaten und Muslimen im Krieg standen. Die nationalistische Karte, die soweit gezogen wurde, daß die Vorstellung serbischer Völkermordabsichten und -taten gegenüber der internationalen Öffentlichkeit durchgesetzt werden konnte, wurde so weitgehend und etwaige Ungereimtheiten erdrückend gezogen, daß niemand mehr fragte, ob es wirklich ein Zufall gewesen sein kann, daß die antiserbische Propaganda, die nicht nur auf die bosnischen Serben, sondern auch auf die Republik Serbien sowie (Rest-)Jugoslawien insgesamt abzielte, genau die politischen Kräfte Jugoslawiens diskredierte, die sich die Verteidigung des sozialistischen Vielvölkerstaates auf die Fahnen geschrieben hatten.

Dies muß nicht unbedingt für die bosnischen Serben unter Führung von Karadzic und Mladic gegolten haben. Gleichwohl stellten sie De-facto-Hindernisse für die von den führenden NATO-Staaten bereits beabsichtigte und aktiv eingefädelte Zerschlagung Jugoslawiens dar. Noch im März 1992 hatten die bosnischen Serben mit den Kroaten und Muslimen den Friedensvertrag von Lissabon unterzeichnet, der jedoch, da er der Anstachelung der mit scheinbar ethnisch begründeten Ressentiments aufgeladenen Konflikte zu einem Bürgerkrieg im Wege stand, von Präsident Izetbegovic auf Anraten der USA wieder aufgekündigt wurde. Nach der Abspaltung Sloweniens und Kroatiens sowie der bosnischen Unabhängigkeitserklärung, die keineswegs einem Beschluß aller in Bosnien lebenden Volksgruppen entsprungen war, von Jugoslawien wurden alle Bemühungen der bosnischen Serben, ihre Situation auf dem Verhandlungswege zu klären, vom Westen unterminiert.

Namentlich die Bundesrepublik Deutschland und die USA unterstützten die sezessionswilligen Volksgruppen mit Waffen. Sie ebneten dem ersten Krieg auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur den Weg, sie intrigierten ihn geradezu herbei. So wurde den bosnischen Muslimen in Aussicht gestellt, daß die NATO zu ihren Gunsten militärisch intervenieren würde, sofern sie sich den Verhandlungsangeboten der bosnischen Serben versperrten. Die sezessionswilligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien sowie die abspaltungswilligen bosnischen Volksgruppen der Kroaten und Muslime wurden vom Westen anerkannt bzw. unterstützt unter der Bedingung, daß sie "völkisch" agierten, sprich die antijugoslawische Zersetzungsarbeit als ethnische Minder- oder auch Mehrheitenprobleme und -konflikte darstellten, so daß "den Serben" keine eine andere Wahl blieb, als sich ihrerseits "als Serben" in Bosnien zu konstituieren.

Der entscheidende und nahezu zwingend in den Krieg führende Unterschied zwischen den sezessionswilligen bosnischen Volksgruppen und den Serben bestand darin, daß die Rückendeckung des Westens ersteren die vollständige Kontrolle über den Staatsapparat bescherte, während die serbische Bevölkerung von einem Tag auf den nächsten ohne staatlichen Schutz dastand und durch die Unabhängigkeitserklärung der einstigen Teilrepublik auch den Schutz verlor, der ihr wie allen Bürgern Jugoslawiens zuvor zugestanden hatte. Die Muslimische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) Izetbegovics hatte ein von den Serben boykottiertes Referendum über die "Unabhängigkeit" Bosniens durchgeführt, das eine Zweidrittelmehrheit für die Abspaltung ergeben hatte und von den bosnischen Serben, die eine eigene Versammlung abhielten, mit der Ausrufung der "Serbischen Republik Bosnien" (Republika Srpska - RS) und dem Aufbau einer eigenen Armee unter Mladics Kommando beantwortet wurde.

Damit nahmen die bosnischen Serben eine Entwicklung vorweg, die keineswegs in ihrem Interesse lag, sondern ihnen durch die "Ethnifizierung" des Konflikts seitens der sezessionswilligen Bewohner Bosniens aufgezwungen worden war. Während die muslimische SDA Izetbegovics auf der Abspaltung der Republik Bosnien von Jugoslawien insistierte, verteidigte die Serbische Demokratische Partei (SDS) unter Karadzic die Zugehörigkeit Bosniens zu Jugoslawien. Mit dem Vertrag von Dayton, der den Serben und der durch den Präsidenten der Republik Serbien, Slobodan Milosevic, in den vorherigen Verhandlungen repräsentierten jugoslawischen Seite aufgezwungen werden konnte, wurde nicht nur die Aufteilung Bosniens in zwei ethnisch definierte Entitäten - die (serbische) Republika Srpska und die (kroatisch-muslimische) Föderation von Bosnien-Herzegowina - sondern auch die Abspaltung Bosniens von Jugoslawien endgültig festgeschrieben.

Dies war keineswegs das Ergebnis ausländischer Vermittlungs- und Friedensbemühungen, wie es die pro-westliche und anti-jugoslawische Berichterstattung jener Zeit gern glauben gemacht hätte. Die eigentliche Vorgeschichte für den "Frieden" von Dayton, der eine Erzwingung der von den USA konzipierten Nachkriegsordnung darstellte, bestand in dem unmittelbaren Kriegsbeitritt der NATO, wozu die Serben schon lange zuvor zu den Alleinschuldigen erklärt worden waren. In diesem Zusammenhang kam, wie bereits mehrfach geschildert, den "Massakern von Srebrenica" eine Initialwirkung zu. Ganz losgelöst von der Frage, in welchem Umfang und in wessen weiterer Verantwortung Tötungshandlungen an den muslimischen Bewohnern der von Teilen der von General Mladic kommandierten bosnisch-serbischen Armee eingenommenen Stadt Srebrenica verübt worden waren, lieferten diese Toten die allem Anschein nach schon Jahre zuvor zwischen dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und der bosnisch-muslimischen Führung in Sarajewo verabredete Letztbegründung für die Bombardierung serbischer Stellungen durch die US-Streitkräfte.

Im Sommer 1995 ermöglichte dies der kroatischen Armee sowie den bosnisch-muslimischen Truppen in gemeinsam durchgeführten Operationen erhebliche Gebietsgewinne. Der von den bosnischen Serben kontrollierte Anteil konnte innerhalb weniger Wochen erheblich reduziert werden; die zuvor von Serben besiedelte Krajina-Republik, wie die von der serbischen Minderheit zwischen 1991 und 1995 in Kroatien gebildete und wie Srebrenica zur UN-Schutzzone erklärte Enklave genannt wurde, konnte durch die von den USA inoffiziell genehmigte Operation Storm im August 1995 ethnisch gesäubert werden, ohne daß Peter Galbraith, US-Botschafter in Kroatien zwischen 1993 und 1995, die gewaltsame Vertreibung von 200.000 Serben als Zeuge vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal in einem gegen kroatische Generäle durchgeführten Verfahren als "ethnische Säuberung" zu bezeichnen bereit gewesen wäre.

Die USA haben in der dem vermeintlichen "Frieden" von Dayton vorausgehenden Schlußphase des Krieges eine höchst aktive Rolle gespielt, denn nur dank des zweiwöchigen Bombardements auf serbische Stellungen durch die US-Luftwaffe konnten die kroatisch-muslimischen Bürgerkriegstruppen gegen die bosnisch-serbische Armee Gebietsgewinne verzeichnen, die ein Fünftel des gesamten Territoriums Bosnien-Herzegowinas ausmachten. In seiner Aussage hatte Galbraith durchaus eingeräumt, daß die kroatische Führung unter Präsident Tudjman ein "ethnisch reines Land" angestrebt hätte. Die aus einer solchen Absicht resultierenden Verbrechen der gewaltsamen Vertreibung schlugen jedoch in diesem wie in keinem anderen Fall in diesem vermeintlichen Bürgerkrieg für die US-Verbündeten mit negativen Folgen zu Buche.

Die ethnischen Verbrechen bis hin zum Völkermord wurden nach westlicher Lesart ausschließlich von serbischer Seite begangen, und da die NATO-Staaten in diesen Fragen aufgrund ihrer letztlich militärischen Vormachtstellung über die Deutungs- und Definitionshoheit auch in den medialen wie juristischen Begleitfronten dieses Krieges verfügten, würden die meisten Bewohner der NATO-Staaten, befragt nach dem Bosnischen Bürgerkrieg und dessen Schuldigen, wohl noch heute in der felsenfesten Überzeugung, in dieser Frage über gesicherte Kenntnisse zu verfügen, "die Serben" antworten. Als der zur Zeit der Bosnienkriege amtierende US-Präsident Bill Clinton im September 2003 nach Srebrenica kam, um vor 30.000 begeisterten Bewohnern ein den Massakeropfern gewidmetes Denkmal einzuweihen, erklärte er einmal mehr den früheren Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, sowie dessen Generalstabschef, Ratko Mladic, für verantwortlich: "Sie wollten Macht durch Völkermord."

Die Gebietsgewinne, die die von NATO-Staaten unterstützten Kriegsgegner der bosnischen Serben "nach Srebrenica" im Sommer 1995 machen konnten, wurden durch den Vertrag von Dayton im November desselben Jahres festgeschrieben. Dessen Zustandekommen besiegelte das Ende des bosnischen Bürgerkrieges, weshalb er von der vorherrschenden Geschichtsschreibung als "Friedensvertrag" bezeichnet wird. Srebrenica, eine muslimische Enklave inmitten des Gebiets, das nach US-amerikanischen Nachkriegsplänen zur Republika Srpska werden sollte und auch wurde, war in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein in der Geschichte dieses Bürgerkrieges, der aufgrund der von westlichen Staaten, ihren Regierungen und Geheimdiensten im Verbund mit internationalen Organisationen vollzogenen Beteiligungen eigentlich alles andere als ein Krieg der Bürger Jugoslawiens gewesen war. Die mit muslimischen Flüchtlingen überfüllte Stadt Srebrenica wurde der bosnisch-serbischen Armee im Juli 1995 kampflos übergeben, wobei nicht nur die bosnisch-muslimischen Truppen, die die Stadt zuvor auf Geheiß Izetbegovics verlassen hatten, sondern auch die UN keinen ernsthaften Versuch unternahmen, die Bewohner zu schützen.

Die UN-Verantwortlichen vor Ort, genauer gesagt der niederländische Colonel Thom Karremans, Kommandeur der UNPROFOR-Soldaten in Srebrenica, sah sich vor eine militärisch unlösbare Aufgabe gestellt, ohne zu begreifen oder wahrhaben zu wollen, daß das Scheitern seiner Mission von der UN- wie NATO-Führung nicht nur einkalkuliert, sondern beabsichtigt gewesen sein muß. "Wir saßen völlig in der Falle", sollte Karremans fünf Jahre später erklären, als sein Bild in der westlichen Presse längst "zum Synonym für Feigheit, Untätigkeit und Komplizenschaft mit Kriegsverbrechern", so die Süddeutsche Zeitung am 10. Juli 2000 [1], erklärt worden war. Dabei sind Karremans' Argumente nicht zu widerlegen, befehligte er doch gerade einmal 400 niederländische UN-Soldaten, die die Stadt mit ihren auf 40.000 muslimische Flüchtlinge geschätzten Bewohnern gegen mehrere tausend Soldaten der bosnisch-serbischen Armee verteidigen sollten, die die Stadt pausenlos unter Granatfeuer genommen hatten. "So konnte man die Gegend nicht verteidigen, da war bei unserer Ausrüstung militärisch nichts zu machen", so Karremans.

Niemand habe sich um das Schicksal der Muslime in der Enklave geschert, niemand um ihn und seine Männer, lautete die Gegenanklage des Colonels, dessen Lagebeschreibung - kaum noch Diesel, kaum noch Munition und keinerlei Unterstützung von außen - bis heute nicht widerlegt wurde. Er könne damit leben, was damals passiert sei, erklärte Karremans im Jahre 2000, doch er könne "nicht leben mit der Vorstellung, dass der Bevölkerung von Srebrenica und dem holländischen Bataillon nicht geholfen wurde von den Vereinten Nationen und von der Welt" [1]. Seine Wut blieb, was die von ihm adressierten Kriegsbeteiligten betraf, selbstverständlich wirkungslos, gerade weil die These, daß Srebrenica nicht nur an die Serben fallen, sondern auch zu einem Massakerort werden sollte, um eine Rechtfertigung für den direkten Kriegseintritt der US-Luftwaffe zu schaffen, überaus plausibel ist.

Ohne die Luftangriffe auf die serbischen Stellungen hätte dieser Krieg wohl kaum mit der Ergebnislage beendet werden können, die er nach drei Jahren, in denen unterschiedlichen Einschätzungen zufolge mehrere hunderttausend Menschen ums Leben gekommen waren, durch den Vertrag von Dayton zeitigte. In militärischer Hinsicht hätte die kroatisch-muslimische Allianz ohne die Luftangriffe ihrer westlichen Partner wohl kaum den Sieg über die bosnisch-serbische Armee erringen bzw. deren faktische Kapitulation erzwingen können. Dies lag unter anderem auch an dem Belagerungsring, den diese um die bosnische Hauptstadt gelegt hatte. Dieser Artilleriegürtel, der eine sichere Passage auch für die westlichen Verbündeten des dort residierenden bosnisch-muslimischen Präsidenten Izetbegovic unmöglich gemacht hatte, konnte nach 44 Monaten erst durch die Offensive "Uragan 95" im September 1995 durchbrochen werden, wobei es, wie in muslimischen Medien, wie beispielsweise dem Magazin "Slobodna Bosna" im September 2001 berichtet wurde, in von ausländischen Mudschaheddin, die auf Seiten der bosnisch-muslimischen Truppen in diesem Krieg mitkämpften, eingerichteten Lagern zu schweren Kriegsverbrechen an serbischen Gefangenen gekommen ist.

Doch an dieser Seite dieses furchtbaren Krieges inmitten Europas, in dessen Schlußphase auch die Bundesrepublik Deutschland ihre Friedensverpflichtung aufgab, zeigten die sogenannte internationale Gemeinschaft und die von ihr zur juristischen Begleitung dieses Krieges eingerichteten Gremien ein auffälliges und beredtes Desinteresse. Als letzter NATO-Staat hatte Deutschland am 30. Juni 1995 durch einen Beschluß des Bundestages den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr - im Bosnienkrieg - seit Bestehen der Republik ermöglicht, womit die letzte Hürde für den Kriegsbeitritt der NATO aufgrund des Einstimmigkeitsgrundsatzes des vermeintlichen Verteidigungsbündnisses gefallen war. Spätestens ab Juli 1995 - nicht zufällig fielen in diese Zeit dann auch die "Massaker von Srebrenica" - konnte dieser Krieg schwerlich noch als Bürgerkrieg bezeichnet werden. Gleichwohl zeigten sich die bosnischen Serben noch lange nicht kapitulationsbereit.

Ihr Artilleriegürtel um Sarajewo konnte zwar durchbrochen werden, doch die endgültige Kapitulation konnte erst auf dem Verhandlungs- oder vielmehr diplomatischen Bedrohungswege herbeigeführt werden. Die Regie bei diesen Verhandlungen, die im November 1995 schließlich im Dayton-Vertrag mündeten, führte auf Seiten der NATO der spätere US-Botschafter bei den Vereinten Nationen Richard Holbrooke. Nach der Festnahme Karadzics im Sommer vergangenen Jahres konnte sich der damalige Verhandlungsführer seines Triumphgefühls offensichtlich nicht erwehren. In einem von Holbrooke eigens verfaßten und in der Süddeutschen Zeitung am 25. Juli 2008 [2] veröffentlichten Text schilderte der US-Diplomat eine Begegnung, die seiner Darstellung zufolge zwischen ihm, dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic sowie Karadzic und Mladic am 13. September 1995 in einem Jagdhaus bei Belgrad stattgefunden haben soll.

Zu diesem Zeitpunkt, dem Höhepunkt des Bosnienkrieges, habe die "von den USA geführte NATO die Serben in die Defensive gebracht", rühmte Holbrooke die von ihm in diesem Krieg repräsentierte westliche Seite. Die drei Männer, mit denen Holbrooke und seine kleine Vermittlerkommission, die von sich behauptete, den Krieg beenden zu wollen, der "schon 300.000 Menschen das Leben gekostet hatte", an diesem Tag zusammentrafen, Milosevic, Karadzic und Mladic, waren laut Holbrooke "der Hauptgrund für diesen Krieg". Karadzic und Mladic, die zu diesem Zeitpunkt bereits als Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag angeklagt worden waren, während die Anklage gegen Milosevic aus kriegstaktischen Gründen erst inmitten des NATO-Krieges gegen Jugoslawien im Frühsommer 1999 erfolgte, hatten in der damaligen Bürgerkriegsphase bereits in Verhandlungen mit dem früheren US-Präsidenten James Carter gestanden. Auf ihn bzw. die mit Carter bereits getroffenen Vereinbarungen suchte Karadzic sich zu berufen, als ihm gewahr wurde, daß die von Holbrooke geleiteten Verhandlungen einen gänzlich anderen Verlauf nehmen sollten.

Holbrooke konfrontierte seine Verhandlungsgegner, wie in diesem Fall gesagt werden müßte, mit der Forderung, die Belagerung von Sarajewo sofort zu beenden, was nichts anderes bedeutete, als daß die ohnehin infolge der NATO-Bombardierungen in die Defensive gedrängten bosnischen Serben ihr letztes militärisches Druckmittel aufgeben sollten. Holbrooke machte in seinem anläßlich der Verhaftung Karadzics im vergangenen Jahr verfaßten Text keinen Hehl aus der offensichtlich mit dem damals amtierenden US-Präsidenten Bill Clinton abgestimmten harten Verhandlungsstrategie gegenüber Karadzic, Mladic und auch Milosevic [2]:

Unser Verhandlungsteam hatte sich entschlossen, die Strategie zu ändern und beschlossen, Karadzic und Mladic an den Rand zu drängen und Milosevic zu zwingen, als der führende Serbe der Region die Verantwortung für den Krieg und die Verhandlungen zu übernehmen, um diesen Krieg zu beenden. Milosevic wollte die beiden Männer zurück in die Diskussion bringen, wahrscheinlich, um sich selbst ein wenig von dem Druck zu befreien.

Wir hatten uns auf diesen Moment vorbereitet und uns verständigt, dass wir zwar niemals um ein Treffen mit Karadzic und Mladic bitten würden, es aber annähmen, falls Milosevic es anböte - aber nur ein einziges Mal und nur unter der eindeutigen Richtlinie, dass Milosevic für ihr Verhalten verantwortlich sein würde.

Aus diesen Worten geht die Strategie, die politische und militärische Führung der bosnischen Serben vollends ins diplomatische Aus zu drängen und Milosevic, den damaligen Präsidenten der Republik Serbien, in eine Zwangslage zu manövrieren, klar hervor. Richard Holbrooke, der Milosevic später für sein Verhalten in den Verhandlungen, die schließlich zum Dayton-Vertrag, der laut Holbrooke ohne Milosevic gar nicht zustandegekommen wäre, loben sollte, legte in dankenswerter Offenheit in seinem Text Zeugnis über die Drohungen ab, durch die die NATO-Staaten die Kapitulation der bosnischen Serben schließlich erzwangen. Nachdem Holbrooke zunächst Karadzics Reaktion auf die Forderung nach Aufgabe des Belagerungsrings um Sarajewo beschrieben hatte, schilderte er seine eigene, direkt an den bosnischen Serbenführer gerichtete Androhung eines verschärften Bombenkrieges:

Karadzic antworte aufgebracht, dass er den ehemaligen Präsidenten Carter anrufen werde, mit dem er in Kontakt stehe. Dann begann er, den Tisch zu verlassen. Es war das einzige Mal an diesem langen Abend, dass ich Karadzic direkt ansprach. Ich sagte ihm, dass wir ausschließlich für Präsident Bill Clinton arbeiteten und dass er Carter anrufen könne, wenn er das wünsche, aber, so sagte ich ihm weiter, wir würden dann gehen, und die Bombardements würden verschärft.

... und die Bombardements würden verschärft. So also werden "Friedensverhandlungen" á la NATO geführt. Aus Holbrookes Sicht endete dieser Tag im einem Belgrader Jagdhaus in einer einzigen Erfolgsstory:

Milosevic sagte etwas auf Serbisch zu Karadzic, der setzte sich wieder, und das Treffen konnte sich mit den ernsten Dingen beschäftigen. Nach zehn Stunden erreichten wir eine Vereinbarung, die Belagerung zu beenden, nach mehr als drei Kriegsjahren.

Am nächsten Tag konnten wir endlich den wieder eröffneten Landeplatz in Sarajewo anfliegen. Die unbeugsame Stadt erwachte schon wieder zu normalem Leben. Zwei Monate später endete der Krieg in Dayton, er brach nie wieder aus.

Sicherlich wird Milosevic geglaubt haben, durch ein Einlenken in dieser Frage nicht nur den Bürgerkrieg in Bosnien beenden, worum er sich in den zurückliegenden Jahren stets bemüht hatte, sondern auch den Fortbestand Jugoslawiens, und sei es in dem nach der Abspaltung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas bereits erheblich reduzierten Territorium, auf diese Weise bewirken zu können. Ein folgenschwerer und letztendlich für Milosevic selbst, der nach seinem Sturz sowie der unter Bruch der jugoslawischen Verfassung erfolgten Auslieferung am 11. März 2006 in seiner Den Haager Zelle leblos aufgefunden wurde, tödlicher Irrtum.

Die NATO-Staaten waren mit der politischen Landkarte, wie sie sich nach Abschluß des Dayton-Vertrages im November 1995 darstellte, keineswegs zufrieden. Sie nahmen einen weiteren Anlauf, um abermals mit Hilfe scheinbar ethnischer Konflikte, diesmal zwischen den Kosovo-Albanern in der südserbischen Provinz Kosovo und der Republik Serbien, im Jahre 1999 einen Krieg herbeizuführen, in dessen Folge die Bundesrepublik Jugoslawien endgültig zerschlagen werden konnte.

Anmerkungen

[1] Srebrenica, fünf Jahre nach dem Massaker: Das Trauma von Colonel Karremans, Reise rückwärts ohne Ziel, von Peter Münch, Süddeutsche Zeitung, 10.7.2000, S. 3

[2] Holbrooke über Karadzic. Das Gesicht des Bösen. Eine Außenansicht von Richard Holbrooke in einer Übersetzung von Tobias Matern, Süddeutsche Zeitung, 25.07.2008

(Fortsetzung folgt)

6. Mai 2009