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DILJA/070: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 9 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 9: Die Statthalter-Funktion Südafrikas am Beispiel der ehemals deutschen Kolonie "Südwestafrika": Namibia wird von den Westmächten an den Apartheidstaat weitergereicht

Die intensive Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Apartheidregime Südafrikas läßt sich nicht zuletzt angesichts der von der ANC-geführten Nach-Apartheidregierung veröffentlichten geheimdienstlichen Dokumente aus jener Zeit heute schwerlich noch in Abrede stellen. Längst ist das politische Bonn bzw. Berlin über diese aus der Sicht seiner Protagonisten läßlichen Sünden hinweg- und zur Tagesordnung übergegangen. Die Gutmenschen dieser Welt haben Begriffe und Rechtstitel wie Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechte inzwischen so vollständig okkupiert, internationalisiert und institutionalisiert, daß es nichts und niemanden mehr zu geben scheint, der diesbezügliche Vorwürfe an sie richten und sie dazu zwingen könnte, sich für ihre Taten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verantworten. Dieser Vereinnahmung wurde selbstverständlich auch die Geschichtsschreibung unterworfen, und so konnte die Bundesrepublik Deutschland 1999 den ihr wegen der NS-Verbrechen anhaftenden Makel endgültig abwerfen oder, besser noch, bei ihrer offiziellen Rückkehr in die erste Riege kriegführender Staaten in eine späte Nutzanwendung überführen. Mit einem "Nie wieder Auschwitz" auf den Lippen drängte nun auch die deutsche Bundeswehr in den NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, an dessen Völkerrechtswidrigkeit sich die Gilde der selbstmandatierten Gutmenschen nicht stören wollte, nahmen sie doch noch höhere polit-moralische Werte für sich in Anspruch - wer wollte da noch immer von einer "historischen Schuld" Deutschlands sprechen, zumal behauptetermaßen aus den Greueln des Zweiten Weltkrieges sowie des Naziterrors ausreichend Lehren gezogen worden waren?

Wenn schon an einer "Schuld" Deutschlands an den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 kein nennenswertes, öffentlich wahrnehmbares Interesse mehr bestand, galt dies umso mehr für die in noch früheren Jahren verübten Völkermord-Verbrechen deutscher Truppen. Und so jährte sich der an den Herero wie den Nama im heutigen Namibia vom damaligen deutschen Kaiserreich befohlene Völkermord im Jahre 2004, ohne daß je eine deutsche Regierung dafür die Verantwortung übernommen und sich - und sei es, um sich symbolisch von der "historischen Schuld" freizukaufen - zu Entschädigungszahlungen bereit erklärt hätte. Drei Jahre später, im Juni 2007, fand unter Anwesenheit des heutigen Repräsentanten der Herero, Häuptling Kuaima Riruakoe, im Bundestag eine Debatte um den von der Linkspartei vorgebrachten Antrag, den Völkermord an den Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" anzuerkennen und an die Nachfahren Entschädigungen zu zahlen, statt.

Der Antrag, für den sich die Linkspartei vorab vergeblich um eine von allen Parteien getragene Zustimmung bemüht hatte, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Gegenüber der Presse hatte Riruakoe erklärt, sein Volk sei nicht auf Rache aus, er wolle lediglich mit den Deutschen "über unsere kolonialen Erfahrungen sprechen". Der Herero-Häuptling machte allerdings auch deutlich, daß die Kolonialisierung für sein Volk nicht nur Geschichte sei; schließlich stünden auch 103 Jahre nach dem Vernichtungskrieg des deutschen Kaiserreichs gegen sein Volk viele Menschen noch immer ohne Land da. Im Bundestag versuchten einige Abgeordnete, den post-kolonialen Standpunkt der heutigen Bundesregierung gerade auch gegenüber den Herero bzw. Namibia schönzureden oder zu bagatellisieren.

So erinnerte der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen daran, daß der damalige deutsche Oberbefehlshaber, General von Trotha, verkündet hatte, die aufständischen Stämme "mit Strömen von Blut zu vernichten". Zugleich legte der Sozialdemokrat durch seine Wortwahl "aufständische Stämme" die historische Auslegung nahe, es habe damals eine Rebellion gegen eine irgendwie doch gerechtfertigte deutsche Kolonialherrschaft gegeben. Dabei waren die kaiserlichen Besatzungstruppen schon 1884 mit Gewalt in die Gebiete eingedrungen, die sie dann "Deutsch-Südwestafrika" nannten und die heute das Territorium Namibias ausmachen. Den Bewohnern wurde das Land geraubt. Sie wurden aufs schwerste drangsaliert und wirtschaftlich ausgebeutet und erhielten von den deutschen Besatzern keinerlei Rechte. Unter diesen Bedingungen griffen mehr und mehr Menschen zu den Waffen. Sie ließen bei ihren Angriffen gegen die deutschen Besatzer und "Siedler" Frauen und Kinder, aber auch Missionare, in aller Regel unbehelligt. Die kaiserlichen Truppen schürten dessenungeachtet das Bild meuchelmordender Afrikaner, um die Zustimmung im Reich zu dem sich abzeichnenden Kolonialkrieg in "Deutsch-Südwest" zu festigen und die Kriegskasse zu füllen.

Die deutschen Kolonialtruppen, auf 15.000 Soldaten aufgestockt, begannen einen systematischen Vernichtungskrieg gegen die Herero und später auch die Nama. Als besondere Grausamkeit ging die Schlacht am Waterberg vom 11. August 1904 in die Annalen dieses Krieges ein. Nachdem die Kaisertruppen die Kämpfer der Herero geschlagen hatten, wurden die Überlebenden, unter ihnen viele Frauen und Kinder, in die Omatheke-Wüste getrieben, wo sie, da ihnen der Zugang zu Wasserstellen systematisch verwehrt wurde, qualvoll verdursteten. Der bereits erwähnte General von Trotha hatte den ausdrücklichen Befehl erteilt, keine Gefangenen zu machen und auch Frauen und Kinder in die Wüste zu treiben. Rund 80 Prozent der damaligen Herero fielen dem Völkermord der Deutschen zum Opfer. Die Nama hingegen hatten sich zunächst nicht am Widerstand gegen die deutschen Truppen beteiligt und sich diesen sogar als Söldner angedient. Nach der Schlacht am Waterberg allerdings schlossen auch sie sich mehr und mehr dem Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht an, zumal viele deutsche "Siedler" unverblümt forderten, die Truppen sollten nach den Herero nun auch mit den Nama "aufräumen".

Die Nama bevorzugten im Unterschied zu den Herero, die sich offene Schlachten mit den gutausgerüsteten deutschen Soldaten geliefert hatten, eine Guerillataktik. Der Aufstand beider Völker wirkte sich für das Kaiserreich durchaus als geschäftsschädigend aus. Da der Krieg gegen rund eineinhalbtausend Bewaffnete die "Wirtschaft" in der Kolonie beeinträchtigte, wurde am 31. März 1907 der Kriegszustand kurzerhand für beendet erklärt. Dabei zeichnete sich eine aus Sicht der drangsalierten Völker des heutigen Namibias unheilvolle Zusammenarbeit der deutschen mit den britischen Kolonialisten ab. 1907 - zu jener Zeit stand die Kapkolonie im späteren Südafrika bereits unter britischer Herrschaft - beschloß das britische Oberkommando, den eigentlich verhaßten Deutschen zu Hilfe zu kommen. Sie lieferten aufständische Nama, die sich ihnen gestellt hatten bzw. auf britisch besetztes Territorium geflohen waren, an die deutschen Verfolger aus mit der Folge, daß nicht wenige der Ausgelieferten öffentlich hingerichtet wurden. Das beiderseitige Interesse an der Aufrechterhaltung der kolonialen Herrschaft überwog bei weitem die Differenzen, die sich zwischen den europäischen Großmächten im Vorfeld des Ersten Weltkrieges längst angebahnt hatten.

Dieser warf seine gewaltsamen Schatten voraus, machte er doch die Fortdauer der Inbesitznahme afrikanischen Landes, des darauf lebenden Viehs sowie die Verfügung über die menschlichen Bewohner der Kolonien umso unverzichtbarer. Am 26. Dezember 1905, als dem Kolonialkrieg der Deutschen bereits 55.000 bis 60.000 Herero, rund 10.000 Nama und mehrere tausend Angehörige weiterer Völker zum Opfer gefallen waren, wurde per kaiserlicher Verordnung verfügt, die an dem Aufstand gegen die Deutschen beteiligten Stämme ihres Landes und ihrer Viehherden vollständig zu berauben. Im Jahr 1907 verfügte die deutsche Kolonialverwaltung, es sei Afrikanern für alle Zeiten verboten, Land zu erwerben und Großvieh zu halten. Angesichts der heutigen Besitzverhältnisse in Namibia, wo 2000 Nachfahren deutscher Kolonialisten noch immer Großgrundbesitzer mit Farmen von einer Fläche von bis zu 100.000 Hektar sind, während die Nachfahren der Kolonialisierten nach wie vor landlos sind und in großer Armut leben müssen, drängt sich die Schlußfolgerung auf, daß die damalige Verordnung zwar formal außer Kraft gesetzt wurde, gleichwohl immer noch wirksam ist.

Als Namibia am 21. März 1990 unabhängig wurde - so spät wie kaum eine andere der Kolonien Afrikas, von denen viele schon in den 1960er Jahren sich selbst überlassen wurden bzw. sich ihre Unabhängigkeit erkämpfen konnten -, setzte die aus der Befreiungsorganisation SWAPO ("South West Africa's People Organization") erwachsene neue Regierung eine Landreform ganz vorn auf die Tagesordnung. Die SWAPO, die 1989 von einer Zwei-Drittel-Mehrheit in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt worden war, hatte in Aussicht gestellt, das Land der weißen Großgrundbesitzer an die Bevölkerung verteilen zu wollen. 1990 wurde die Landreform in Artikel 16 der Verfassung Namibias aufgenommen. Ein Jahr später wurde die Forderung nach einer Umsetzung dieser Reform von der Landkonferenz, in der alle Parteien, auch Gewerkschaften und Landeigentümer, vertreten waren, einstimmig angenommen. In einem 1995 eigens geschaffenen Landreformgesetz wurde geregelt, daß die Regierung unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen Land enteignen kann. Tatsächlich jedoch wurde das Freiwilligkeitsprinzip - "willing buyer, willing seller" - gewahrt mit der Folge, daß von den rund 6.500 bestehenden Großfarmen 2000 den Eigentümer wechselten - doch nur 400 von ihnen gingen in den Besitz schwarzer Namibier über.

Eine echte Landreform wurde immer und immer wieder behindert, erschwert und torpediert, und zwar durch Deutschland. 2004 nutzten sowohl das Auswärtige Amt als auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit all ihre Einflußmöglichkeiten, um eine Umverteilung des Bodens an schwarze Landlose zu be- und verhindern. Dabei verfügen in dem von rund zwei Millionen Menschen bewohnten Land rund 4.500 reiche Weiße, zumeist Nachfahren deutscher "Siedler", über die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. In kaum einem anderen Staat prallen die Gegensätze zwischen arm und reich so kraß aufeinander wie im Nachfolgestaat der ehemals deutschen Kolonie Südwestafrika. Um den zunehmenden Druck verzweifelter Menschen abzuschwächen, sah sich die Regierungspartei SWAPO im Mai 2004 veranlaßt, ein Dutzend weiße Farmer zum Verkauf ihres Landes aufzufordern und ihnen mit der Enteignung zu drohen.

Die bundesdeutsche Presse lief dagegen Amok und offenbarte in aller Offenheit den vom Kaiserreich sowie allen deutschen Nachfolgestaaten - mit Ausnahme der DDR, die den Befreiungskampf der SWAPO nach besten Kräften unterstützt hatte - niemals aufgegebenen Kolonialanspruch. Der Botschafter Namibias in Deutschland, Hanno Rumpf, protestierte heftig. Die Bundesregierung machte ungeniert Front gegen eine Landreform, mit der die schlimmsten Auswüchse des gerade von Deutschland zu verantwortenden Kolonialerbes hätten abgemildert werden können. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit erklärte, daß vorherige Zusagen über eine Unterstützung "für Landerwerb zur Bekämpfung der ländlichen Armut, für die Ausbildung landwirtschaftlicher Fachkräfte, für begleitende Maßnahmen bei der Landreform" zurückgenommen werden; die Bundesregierung wolle sich schließlich nicht zum "Erfüllungsgehilfen" für Enteignungen machen.

Erst im August 2005 fand in Namibia die erste sogenannte Enteignung einer Farm statt. Per Gerichtsbeschluß wurde gegen die deutschstämmige Besitzerin eines 4000 Hektar großen Geländes verfügt, daß ihr Land in Staatseigentum übergeht, wofür sie mit 3,7 Millionen Namibia-Dollar (rund 450.000 Euro) "entschädigt" wird. Bis zum Jahr 2010, so die damaligen Pläne der Regierung Namibias, sollen auf diese Weise rund 4,8 Millionen Hektar Land aus dem Besitz der Nachfahren deutscher "Siedler" erworben werden, um landlose Namibier dort ansiedeln zu können. Das ferne Berlin allerdings steht der Umsetzung dieser Pläne vehement entgegen. Seit Jahren "warnt" die Bundesregierung vor einer, in Namibia vielfach geforderten Beschleunigung der Landreform.

Als Druckmittel wurde von deutscher Seite die "Entwicklungshilfe" eingesetzt, die keineswegs dazu benutzt werden durfte, Land zur Umverteilung an Besitzlose aufzukaufen. Die deutsche Bundesregierung stellt Gelder zu Verfügung, so rund 5,12 Millionen Euro im Mai vergangenen Jahres, die für Infrastrukturmaßnahmen bestimmt wurden, die den deutschstämmigen Großgrundbesitzern zugutekommen. Als im November 2005 das Staatsoberhaupt Namibias, Präsident Hifikepunye Lucas Pohamba, als Gast in Berlin weilte, war er vom ehemaligen IWF-Präsidenten und heutigen Bundespräsidenten Horst Köhler ermahnt worden: "Wir hoffen sehr, daß Sie den bisher verfolgten Weg einer rechtsstaatlichen Landreform weitergehen werden." Der drohende Unterton war schwerlich zu überhören.

Im Juli 2006 ließ sich die SWAPO-Regierung schließlich von ihrem Vorhaben abbringen und bekundete, wie von Berlin verlangt, mit der Landreform in der bisherigen Weise fortfahren zu wollen. So erklärte die Informationsministerin Netumbo Nandi-Ndaitwah, die Regierung werde bei der Landreform weiterhin nach dem Freiwilligkeitsprinzip ("willing buyer, willing seller") verfahren, so daß die weißen, deutschstämmigen Großgrundbesitzer weder eine Enteignung noch einen Zwangsverkauf zu fürchten haben. Die Bundesregierung verfolgt in Namibia jedoch Interessen, die weit über den Besitzstandswahrungsschutz zugunsten der deutschstämmigen reichen Elite des Landes hinausgeht. So sagte sie bereits im Sommer vergangenen Jahres Gelder für den Ausbau des Hafens von Walvis Bay zu. Dies geschah im ureigensten militärischen Interesse Deutschlands, handelt es sich dabei doch um den einzigen Tiefseehafen an der Westküste des südlichen Afrika, der nicht nur von den dortigen Staaten zu Handelszwecken, sondern auch von der deutschen Kriegsmarine genutzt wird.

Es darf zudem angenommen werden, daß Berlin in militärischer, politischer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht nicht nur eigene Interessen verfolgt, sondern im Verbund einer post- oder neokolonialen Raubstruktur in Erscheinung tritt, in der sich die europäischen Kolonialstaaten nach der "Unabhängigkeit" der ehemaligen Kolonien konstituiert haben. Die Sonderrolle der Südafrikanischen Union bzw. der Republik Südafrika, wie der Apartheidstaat am Kap seit 1961 heißt, läßt sich am Beispiel Südwestafrikas bzw. Namibias unschwer nachzeichnen. Sie ging seit der Gründung der Südafrikanischen Union im Jahre 1910 als britisches Dominion mit einer Statthalterfunktion westlich-imperialistischer Interessen einher, die in der stillen Kumpanei des Westens mit dem international vermeintlich geächteten Apartheidregime der 1960er bis 80er Jahre ihren wohl deutlichsten Ausdruck fand.

Südafrika war und blieb im südlichen Afrika so etwas wie der militärische Vorposten des alten Europas, und da gingen auch die späteren Gegner des Ersten Weltkrieges miteinander d'accord. Die britischen Kolonialherren der Kapkolonie standen den Kaisertruppen bei der Niederschlagung der Aufständischen in der benachbarten "deutschen" Kolonie zunächst tatkräftig bei, was sie im Zuge des Ersten Weltkrieges jedoch nicht davon abhielt, den Deutschen "ihre Beute", sprich die Kolonie Südwestafrika, abspenstig zu machen. Unter der pro-britischen Südafrikanischen Partei, die von 1910 bis 1924 die Premierminister des Landes stellte - von 1910 bis 1919 Louis Botha und von 1919 bis 1924 J. C. Smuts -, trat die Südafrikanische Union in den Krieg gegen Deutschland ein mit dem Ergebnis, daß sie 1915 "Deutsch-Südwestafrika" unter ihre Kontrolle bringen konnte. Bei der nach dem Ersten Weltkrieg von den Siegermächten vorgenommenen Neuregelung der weltweiten Herrschafts- und Verfügungsverhältnisse, wie sie 1919 im Versailler Vertrag ihren Niederschlag fand, wurde das weltkriegsbedingte Ende "Deutsch-Südwestafrikas" besiegelt.

Selbstverständlich bedeutete dies nicht, daß die führenden imperialistischen Staaten einen der ihren - den Kriegsverlierer Deutschland - nun dazu hätten zwingen wollen, den in ihrer Kolonie lebenden Menschen zu einem Leben in Freiheit, Wohlstand und Selbstbestimmung zu verhelfen und insbesondere an die Opfer und Hinterbliebenen des an den Herero und Nama verübten Völkermordes umfangreiche Entschädigungen zu zahlen. Eine koloniale Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und so wurde nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit vom Völkerbund, dem Vorläufer der heutigen Vereinten Nationen, im Jahre 1920 verfügt, Südwestafrika "als Mandatsgebiet" an die Südafrikanische Union zu übergeben. Überflüssig zu erwähnen, daß auch hierbei über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg verfügt wurde, so als wären sie mitsamt des Landes, auf und von dem sie lebten, tatsächlich eine an ausländische Interessengruppen veräußerte Verfügungsmasse. Mit anderen Worten: Der Völkerbund wurde von den kolonialisierten Völkern des späteren Namibias niemals mandatiert, sie mitsamt ihres Landes an die quasi unter britischer Oberhoheit stehende Südafrikanische Union zu überantworten und somit indirekt ebenfalls der britischen Krone zu unterstellen.

Die Südafrikanische Union nahm die ihr übertragene Kolonialaufsicht über die ehemals deutsche Kolonie Südwestafrika bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wahr. Nun sollten abermals die weltweiten Herrschafts-, Besitz- und Verfügungsverhältnisse neu strukturiert werden. Diesmal sah die Elite der westlichen Staatenwelt in Gestalt der Vereinten Nationen vor, Südwestafrika unter Treuhandschaft der neugegründeten Weltorganisation zu nehmen. Die Südafrikanische Union allerdings weigerte sich, diesen Beschluß zu akzeptieren, und machte statt dessen aus Südwestafrika eine weitere eigene Provinz. Die Vereinten Nationen ließen die Südafrikanische Union gewähren, woraus die Schlußfolgerung abgeleitet werden kann, daß das Vorgehen Pretorias zumindest von den westlichen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates insgeheim akzeptiert wurde. Südafrika, wie sich die Union seit ihrem Ausscheiden aus dem von Britannien dominierten Commonwealth im Jahre 1961 nannte, nahm mehr und mehr die Rolle eines Enfant terrible ein, das für die westliche Welt die Schmutzarbeit erledigte, ohne daß diese sich allzu offen zu ihm hätte bekennen müssen.

Und zu dieser Schmutzarbeit gehörte es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, den in ganz Afrika aufbrechenden Unabhängigkeitsbestrebungen und Befreiungskämpfen Einhalt zu gebieten bzw. sie so zu kanalisieren, daß aus ihnen Staaten erwachsen, die in das westliche Gefüge fest eingebunden sind und keinen eigenständigen oder gar sozialistischen Entwicklungsweg einschlagen, in dessen Folge der Einfluß der Sowjetunion auf den Kontinent hätte entufern können. Für das heutige Namibia ergab sich aus dieser mit einer weltumspannenden Systemauseinandersetzung zu begründenden Lage die bizarre Situation, daß die Vereinten Nationen 1966 zwar seine Unabhängigkeit beschlossen, diesen Beschluß jedoch überhaupt nicht umsetzten. Und erst in diesem Jahr - viele afrikanische Staaten waren zu dieser Zeit bereits "unabhängig" geworden - hatten die Vereinten Nationen Südafrika das Mandat für Südwestafrika entzogen. Hätten sie dies nicht getan, wäre die Weltgemeinschaft, in der angeblich alle Staaten der Erde mit gleicher Stimme vertreten sind und in der die tatsächlichen Befugnisse doch ausschließlich in den Händen des aus den atomar bewaffneten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges bestehenden Weltsicherheitsrates liegen, in der sogenannten Dritten Welt als verlängerter Arm einer keineswegs beendeten Kolonialzeit identifiziert worden.

Die Vereinten Nationen hatten 1966 ebenfalls beschlossen, daß die ehemalige deutsche Kolonie nun Namibia heißen sollte, ohne der Frage nachzugehen, ob die Staatsgrenzen unter Berücksichtigung der Siedlungsgebiete der verschiedenen Völker nicht nach deren Willen korrigiert werden müßten. Doch nicht einmal zu einer Fortexistenz in den von den deutschen Eroberern einst gezogenen Grenzen sollte es 1966 für "Namibia" kommen, denn Südafrika weigerte sich rundheraus, die Entscheidungen der Vereinten Nationen anzuerkennen. Und wie 1920 im Verhältnis zwischen dem Völkerbund und der Südafrikanischen Union wiederholte sich dasselbe bitterböse Manöver, erwiesen sich doch die Vereinten Nationen scheinbar als außerstande, die eigenen Beschlüsse gegenüber Südafrika durchzusetzen. Namibia, wenn man es denn so nennen will, blieb unter südafrikanischer Besatzung.

Dem Kapstaat wurde von der westlichen Staatenwelt auch nachgesehen, daß er in weiteren Nachbarstaaten militärisch intervenierte. In den Jahren 1968/69 hatte Umkhonto we Sizwe, der bewaffnete Arm des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) in Südafrika, mit ZIPRA, der bewaffneten Organisation der von Joshua Nkomo in Simbabwe geführten Befreiungsorganisation ZAPU, gemeinsame militärische Operationen durchgeführt. Die südafrikanische Armee drang in Simbabwe ein, und als der erste südafrikanische Soldat im ehemaligen Rhodesien fiel, konnte vor der Weltöffentlichkeit nicht mehr verleugnet werden, daß der Apartheidstaat im südlichen Afrika Kriegseinsätze durchführt. Namibia wurde nicht nur entgegen der UN-Beschlußlage von Südafrika besetzt gehalten, ihm wurde zudem ein Apartheidregime aufgezwungen. Zu all dem stellte sich die westliche Welt blind, taub und stumm, und so formierte sich in Namibia die Unabhängigkeitsbewegung SWAPO, die sich ihren Verbündeten in Angola sowie dem ANC in Südafrika anschloß und gegen die südafrikanische Armee einen Guerillakampf führte. Das erste Gefecht dieses Unabhängigkeitskrieges fand am 26. August 1966 statt.

Da die südafrikanische Armee jedoch stillschweigend von ihren westlichen Verbündeten unterstützt und mit modernster Kriegstechnologie ausgestattet wurde, konnte sie ihrer militärischen Niederlage entgehen. Den westlichen Drahtziehern dieses bis 1989/90 auf afrikanischem Boden ausgetragenen Stellvertreterkrieges zwischen dem imperialistischen Westen und der die antikolonialen Kämpfe unterstützenden sozialistischen Staatenwelt blieb es somit unbenommen, sowohl für Namibia als auch für Südafrika einen "Übergang" einzufädeln, der zwar ein formales Ende des Apartheidregimes beinhaltete, tatsächlich jedoch eine fortgesetzte Durchsetzung westlicher Interessen durch die Regierungen dieser nun auch "unabhängig" gewordenen Staaten gewährleistete.

Am 21. März 1990 wird Namibia für unabhängig erklärt. Ein Jahr zuvor war die Eiserne Lady Britanniens, Premierministerin Margaret Thatcher, nach Windhoek gereist, um mit Südafrika und den Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit Namibias zu verhandeln. Während dieser Zeit tobten im Norden Namibias Kämpfe, die die südafrikanische Armee zu verantworten hatte. Im Jahre 2005 wurden hier unweit eines Lagers des südafrikanischen Militärs Massengräber mit Toten gefunden, bei denen es sich nach Angaben südafrikanischer und argentinischer Forensiker um SWAPO-Kämpfer gehandelt habe, die noch kurz vor der Unabhängigkeit im Kugelhagel südafrikanischer Soldaten gestorben waren. Auf der Basis des unter internationaler Vermittlung mit Südafrika geschlossenen "Befriedungsabkommens" waren im April 1989 mehrere Bataillone unbewaffneter SWAPO-Kämpfer von Angola aus nach Namibia gekommen und allem Anschein nach in eine für sie tödliche Falle gelaufen.

Unter den Opfern befanden sich Anhänger, jedoch keine Gegner des damaligen SWAPO-Oberkommandierenden und -gründers sowie späteren ersten Präsidenten Namibias, Samuel "Sam" Nujoma. Als er dieses Amt am 21. März 2005 an seinen Nachfolger und ehemaligen Kampfgefährten gegen die südafrikanische Besatzung, Hifekepunye Pohamba, abgab, erklärte er, daß Namibia von einem "Außenposten apartheidskolonialistischer Besatzung und Unterdrückung zu einer lebhaften demokratischen Gesellschaft" geworden sei. Wurde der SWAPO-Führung im Unabhängigkeitsjahr 1989 durch die Tötung unbewaffneter Kämpfer klargemacht, daß die ihnen in Aussicht gestellte "lebhafte Demokratie" nur eine von britischen bzw. westlichen Gnaden sein dürfe? Angesichts der Tatsache, daß auch über 17 Jahre nach der "Unabhängigkeit" die extremen Besitzunterschiede innerhalb der Bevölkerung des Landes noch immer so gut wie unangetastet geblieben sind, kann diese Frage nicht mit einem klaren Nein beantwortet werden.

(Fortsetzung folgt)

29. November 2007