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DILJA/069: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 8 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 8: Südafrika wird pro forma geächtet - aufgrund der klammheimlichen Zusammenarbeit gerade auch mit Deutschland kann sich das Apartheidregime in den 1980er Jahren an der Macht halten

In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts war den europäischen Kolonialmächten, die einst den von ihnen eroberten afrikanischen Kontinent unter sich aufgeteilt hatten, nichts anderes übriggeblieben, als "ihre Kolonien" - mehr oder minder zähneknirschend - in die Unabhängigkeit oder vielmehr Schuldknechtschaft zu entlassen. Die Befreiungsbewegungen des Kontinents, ob sie nun die von den sozialistischen Staaten angebotene Unterstützung in Anspruch nahmen oder nicht, hatten einen Zorn freigesetzt und eine Stärke entwickelt, die die ausländischen Raubritter zwar nicht zum vollständigen Abzug nötigten, ihnen gleichwohl eine Modifikation ihrer Herrschaftsmittel abverlangten. Die Freiheitsbestrebungen der nun entkolonialisierten jungen Staaten mußten, um ein noch größeres Desaster zu verhindern oder gar ganz Afrika an die "Roten" zu "verlieren", zumindest dem Anschein nach einigermaßen zufriedengestellt werden.

Die europäischen Kolonialmächte waren sich im Zuge dessen schnell handelseinig geworden in dem Punkt, die Republik Südafrika, die unter ihnen längst in den Rang einer "Demokratie" erhoben worden war, als eine solche zu erhalten, sprich auch fürderhin als eine Art Statthalterstaat westlicher Interessen zu verwenden. Die nach europäischem Vorbild zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten gepflegten parlamentarischen Bräuche standen nur der Minderheit weißhäutiger Menschen zur Verfügung. Nach Ansicht der westlichen Partner des Apartheidregimes stellte dies einen zu vernachlässigenden Makel dar; schließlich hätte bei der Gewährung eines allgemeinen Wahlrechts die Gefahr bestanden, Südafrika als Bastion europäisch-imperialistischer Interessen zu verlieren.

Hatte sich die Situation im Land selbst in den 1960er Jahren schon als schwierig erwiesen, weil die Widerstandsorganisationen der Anti-Apartheid-Bewegung durch schärfste repressive Maßnahmen zwar geschwächt, doch keineswegs mundtot gemacht werden konnten, stand das Regime in den 70er Jahren vor einer noch größeren Herausforderung. Nach anderthalb Jahrzehnten, in denen der ANC, in die Illegalität gezwungen, unter extremem Druck überlebt hatte, war in Südafrika eine Generation herangewachsen, die von Kindesbeinen an nichts anderes als ein System gewalttätigster politischer Verfolgung erlebt hatte und infolgedessen durch Lösungsversprechen gleich welcher Art schwer zu kompromittieren war. Die blutige Niederschlagung der 1976 von Schülern und Schülerinnen getragenen Soweto-Aufstände sollte sich längerfristig als ein politischer Boomerang für das Apartheidregime erweisen, weil immer mehr Menschen die Schlußfolgerung zogen, daß dieses System in seinem Kern zu bekämpfen und in keinem Punkt erhaltenswert sei.

Diese Radikalisierung ging mit einer allgemeinen Politisierung Hand in Hand - soll heißen, daß die Apartheidgegner jener Zeit sich mehrheitlich zugleich als Kommunisten oder Sozialisten verstanden bzw. nicht den geringsten Unterschied zwischen ihrer gegen das zutiefst rassistische Regime gerichteten Opposition und ihrer Identität als Linke machten. Als 1990 der ANC, kaum daß er sich wieder in der Legalität konstituieren konnte, im Auftrage Nelson Mandelas eine Untersuchung zu der Frage durchführte, wie groß denn der Einfluß von Kommunisten auf die Organisation sei, ergab sich folgendes Bild: Rund drei Viertel der ANC-Mitglieder, und zwar in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Parteiapparates, waren zugleich auch Mitglieder der Kommunistischen Partei. Vielfach waren gerade Kommunisten in bestimmte ANC-Ämter gewählt worden, weil sie als engagiert und vertrauenswürdig galten.

So darf angenommen werden, daß der ANC wie auch der Apartheidwiderstand generell schon in den 1960er, -70er und -80er Jahren von den westlichen postkolonialen Mächten als ein unkalkulierbares Risiko bewertet worden war, weil im Falle einer politischen Machtübernahme niemals hätte gewährleistet werden können, daß die Republik nicht einen wie auch immer gearteten "sozialistischen" Weg einschlagen würde. Dies galt es im Falle Südafrikas mehr noch als in Hinsicht auf die übrigen Staaten Afrikas mit aller Gewalt zu verhindern, gerade weil der Kapstaat eine mit den westlichen Kernstaaten vergleichbare wirtschaftspolitische Entwicklung im Zuge einer längst vollzogenen Industrialisierung hinter sich gebracht hatte. Diese hätte es ihm im Falle eines fundamentalen Politikwechsels ad hoc ermöglicht, im südlichen Afrika, wenn nicht gar in Hinsicht auf den gesamten Kontinent, die Rolle einer regionalen Schutzmacht einzunehmen, und zwar durchaus im Interesse der um ihre tatsächliche, das heißt nicht nur formale Unabhängigkeit ringenden ehemaligen Kolonien.

Von daher ist es nur folgerichtig, daß die früheren Kolonialmächte die Absicht hatten, die Republik Südafrika ungeachtet der allgemeinen "Entkolonialisierung" Afrikas als ihren Statthalterstaat, als eine "Demokratie der Weißen", zu erhalten. Mit einer solchen Position wurde der Demokratiebegriff im übrigen keineswegs "mißbraucht" oder "pervertiert". Im Gegenteil, dies stellte einen geradezu klassisch zu nennenden Anwendungsfall politischer Gewaltausübung dar, so man Bezug nimmt auf das antike Griechenland, das in der westlichen Welt bekanntlich als eine Quelle demokratischer Kultur gilt ungeachtet der Tatsache, daß nur die griechischen Bürger, nicht jedoch die Sklaven, auf deren Ausbeutung der Wohlstand Athens beruhte, das Wahlrecht und damit die Möglichkeit der politischen Teilhabe genossen.

Das Apartheidregime Südafrikas hatte es seinen mehr oder minder klammheimlich agierenden westlichen Partnern in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts jedoch zunehmend erschwert und schließlich gänzlich unmöglich gemacht, sich offen zu ihrer Partnerschaft mit Pretoria zu bekennen. Die führenden westlichen Staaten hätten ihre weltweit vorgetragene Botschaft, als die vermeintlichen Garanten von Frieden, Freiheit und Wohlstand eine allemal bessere Option gegenüber den sozialistischen Herausforderern zu bieten, nicht mehr an den Menschen bringen können, hätten sie in aller Öffentlichkeit ein Regime unterstützt, in dem die nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit von jeder politischen Teilhabe gewaltsam ferngehalten, politisch unterdrückt und wirtschaftlich ausgebeutet wird. Es wäre für den Westen und mit ihm auch für internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen politischer Selbstmord gewesen zu sagen: Selbstverständlich unterstützen wir das Apartheidregime, schließlich dient es doch unseren Interessen.

So wurde eine Doppelstrategie entwickelt, die unter diesen Voraussetzungen recht bizarre Züge annehmen mußte. Es war nämlich nicht etwa nur ein offenes, sondern im Grunde überhaupt kein Geheimnis, daß das Apartheidregime voll und ganz mit westlicher Militärtechnologie und modernsten Aufstandsbekämpfungssystemen ausgerüstet worden war. Hier machten sich die westlichen Regierungen ganz so, als gäbe es keine gesetzlichen Bestimmungen, die Waffenlieferungen in "Krisengebiete" untersagten, die kapitalistische Mär vom freien Handel zu nutze, und so wurde die politische Verantwortung - wenn überhaupt - an irgendwie ungreifbare Rüstungskonzerne und Waffenhändler delegiert, die es um des schnöden Mammons willen einfach nicht lassen konnten, derart "unmoralische" Geschäfte zu tätigen. Und wie um zu unterstreichen, daß - die Waffenlieferungen einmal außer acht gelassen - das Apartheidregime nicht am Tisch der Guten sitzen durfte, wurde Südafrika von allen sportlichen Großveranstaltungen ausgeschlossen. Kein westlicher Politiker, der etwas auf sich hielt, hätte sich beim Dinner mit einem Repräsentanten der Apartheid ablichten lassen.

Als die Vereinten Nationen am 4. November 1977 ein völkerrechtlich verbindliches Waffenembargo gegen Südafrika verhängten, führte dies keineswegs zur Beendigung der gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen dem Apartheidregime und deutschen Großkonzernen und -banken. Auch nach dem von der UN-Vollversammlung verhängten Embargo gewährten deutsche Geldinstitute - zu nennen sind hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit neben der Deutschen auch die Dresdner sowie die Commerzbank - dem dem bloßen Anschein nach geächteten Apartheidstaat noch über viele Jahre hinweg Kredite, die für dessen Überleben gewiß ebenso unverzichtbar waren wie die Rüstungslieferungen. Die Bundesrepublik Deutschland avancierte nach Verhängung des UN-Embargos zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Südafrikas, was bundesdeutsche Politiker mitnichten davon abhielt, in die internationale Empörung über das schreiende Unrecht inbrünstig miteinzustimmen. Umso reibungsloser liefen die Geschäfte deutscher Großkonzerne, wobei der Begriff "Geschäfte" noch einer gezielten Verharmlosung gleichkommt, weil er in diesem Zusammenhang suggeriert, die militärische Unterstützung des Regimes in Südafrika sei, womöglich an der jeweiligen Bundesregierung vorbei, ohne gezielte politische Absichten erfolgt.

Die Ausstattung des Polizei- und Militärapparates Südafrikas geht im wesentlichen auf deutsche Unternehmen zurück, was den Hamburger Friedensforscher Peter Lock schon im Jahre 1989 zu der nüchternen Feststellung veranlaßte: "Man muß leider konstatieren, daß Südafrikas Kriege auf deutschen Rädern rollen." Doch Friedensaktivisten wie auch Apartheidgegner stießen in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren auf taube Ohren, so sie den Versuch unternahmen, die embargoverletzende deutsch-südafrikanische Zusammenarbeit öffentlich zu machen. Als 1985 Apartheidgegner in München die Wehrkundetagung im Hotel "Vier Jahreszeiten" zum Anlaß nahmen, die Tagungsteilnehmer mit der heimlichen Militärhilfe Deutschlands für Südafrika zu konfrontieren, wurden sie aufs schärfste diffamiert. Als nach dem offiziellen Ende der Apartheid der ANC Dokumente über eben diese Zusammenarbeit freigab, waren die Lügen der damaligen Bundesregierung damit bestens dokumentiert.

Als direkte Unterstützer des Apartheidregimes hatten sich in den 80er Jahren aufgrund ihrer intensiven Geschäftsbeziehungen zu Südafrika deutsche Konzerne wie Daimler-Benz (später DaimlerChryler), Siemens, Mannesmann und VW einen Namen gemacht. Aus den später von der neuen Regierung Südafrikas veröffentlichten Unterlagen ging, nicht minder kompromittierend für die Bundesrepublik Deutschland, auch die intensive Kooperation der jeweiligen Auslandsgeheimdienste hervor. So haben südafrikanische Geheimdienstangehörige bundesdeutsche Privatfirmen wie das Münchner Flugzeugunternehmen Messerschmidt-Bölkow-Blohm (später EADS), Siemens und den Lastwagen-Hersteller Magirus-Deutz "besucht" - sicherlich zu dem Zweck, in allen Einzelheiten auszuarbeiten, wie das UN-Embargo am besten umgangen werden könne. Im Falle von Daimler-Benz ist bekannt, daß militärisches Gerät zu zivilen Gütern umdeklariert wurde. Die Kooperation des Konzerns ging sogar so weit, daß Tochterunternehmen vor Ort Reparatur- und Wartungsarbeiten durchführten.

Genauere Auskünfte darüber könnte, wenn er nur wollte, Jürgen Schrempp geben, der bis 2005 Vorstandsvorsitzender des DaimlerChrysler-Konzerns war. Zwischen 1974 und 1986 leitete er an maßgeblicher Stelle die Südafrika-Geschäfte von Daimler-Benz. Wie alle anderen deutschen Konzerne, die sogar zur Zeit des UN-Embargos mit dem Apartheidstaat kooperierten, verweigert auch der Daimler-Konzern jede kritische Aufarbeitung. 1997 führte die sogenannte Wahrheitskommission Südafrikas eine Spezialanhörung zur Rolle der Privatwirtschaft durch. DaimlerCrysler glänzte durch Abwesenheit. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß dem Konzern nicht nur eine Beteiligung dritten Grades, worunter das allgemeine Profitieren von der Rassendiskriminierung zu verstehen war, sondern eine Kooperation zweiten Grades vorzuwerfen sei. Damit waren Geschäftsbeziehungen gemeint, die unmittelbar zur Unterdrückung beitrugen und die Repression förderten. 1985 hatte sich Jürgen Schrempp noch weitaus redseliger gezeigt. Gegenüber dem "Leadership Magazine" hatte er in Hinsicht auf das Südafrika-Engagement des Konzerns offen heraus erklärt: "Wir haben sehr, sehr gute Geschäfte gemacht. Wir haben gute Gewinne erzielt." Das ist absolut glaubwürdig, denn unter den erschwerten Embargo-Bedingungen sind die Geschäfte mit den Partnern, die die Bestimmungen zu umschiffen gewillt sind, für diese umso einträglicher.

Das Apartheid-Südafrika kam sogar in den Genuß deutscher U-Boot-Technologie. Die Howaldtswerke/Deutsche Werft (HDW) in Kiel hatten sich schon in den 1960er Jahren den zweifelhaften Ruf erworben, nicht nur die Bundesmarine sowie die Marinen von NATO-Partnerstaaten mit U-Booten auszustatten, sondern auch Staaten der sogenannten Dritten Welt, die über ein pro-westliches, mehr oder minder diktatorisches Regime verfügten, zu beliefern. Der Typ 209 war das meistgebaute U-Boot der Nachkriegszeit, konnte jedoch nach Südafrika nicht direkt geliefert werden. Bundeskanzler Helmut Kohl - die sozialliberale Schmidt-Genscher-Regierung war 1982 durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zugunsten Kohls gestürzt worden - soll sich persönlich eingeschaltet haben, um den U-Boot-Deal mit Südafrika doch noch einzufädeln, und so gelangten schließlich Baupläne der HDW-Tochter IKL nach Kapstadt. Ausgerechnet Spezialisten der Kieler Werft nahmen Schlüsselpositionen auf südafrikanischen Werften ein. Als die bundesdeutsche Öffentlichkeit über dieses Blaupausen-Geschäft informiert wurde, geriet die damalige Bundesregierung durchaus ein wenig ins Wanken. Der damalige Bundeskanzler Kohl schien allerdings Unterstützer oder auch Hintermänner gehabt zu haben, die es ihm ermöglichten, diese Krise auszusitzen.

Der Tod des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Dr. Dr. Uwe Barschel, dessen hochwahrscheinliche Ermordung am 11. Oktober 1987 bis heute Gegenstand einer systematischen Vertuschung geblieben ist, könnte ebenfalls in diesem Kontext stehen. Nicht nur die Familie Barschel, auch Heinrich Wille, langjähriger Ermittler und Oberstaatsanwalt in Lübeck, ist von der Mordthese fest überzeugt. Als ein mögliches Motiv für einen solchen Auftragsmord wird vielfach angeführt, der für die Kieler Werft zuständige Ministerpräsident habe die Geschäfte mit dem Apartheidregime nicht nur nicht gutgeheißen, sondern beenden wollen. "Wenn ich auspacke, wackelt Bonn", soll der frühere Ministerpräsident Schleswig-Holsteins seiner Frau Freya Barschel zufolge kurz vor seinem Tod gesagt haben. Möglicherweise wollte er im Zuge der durch den Medienreferenten Pfeiffer ausgelösten Wahlkampfaffäre, durch die er kurz vor seinem Tod politisch schon schwer diskreditiert worden war, vor dem Untersuchungsausschuß des Kieler Landtages, zu dem er unterwegs war, als er in einem Genfer Hotel den Tod fand, "auspacken". Mit einer tatsächlichen Sachaufklärung ist im Fall Barschel auf unabsehbare Zeit jedoch nicht zu rechnen. Chefermittler Wille wurde nicht nur angehalten, seine Ermittlungen einzustellen; sein Vorgesetzter, Generalstaatsanwalt Erhard Rex, hat ihm erst vor wenigen Monaten untersagt, die Ermittlungsergebnisse in einem von Wille eigens zum Fall Barschel verfaßten Buch zu veröffentlichen.

Im Nach-Apartheid-Südafrika hingegen besteht inzwischen eine Gesetzgebung, die eine fortgesetzte lückenlose Verschleierung all dieser Zusammenhänge erschwert. So mußten im Jahre 2004 Akten aus dem Archiv des Militärischen Geheimdienstes (MI) Südafrikas aus der Zeit der Apartheid öffentlich gemacht werden. Unter Berufung auf diese, ihr vorliegenden Dokumente hatte die Frankfurter Rundschau am 28. September desselben Jahres über die nun belegte "enge Kooperation der Bundesrepublik mit dem Apartheid-Regime am Kap" berichtet. Chris Thierion, Generalmajor im Ruhestand und Vizechef des Militärischen Geheimdienstes Südafrikas zur Zeit der Apartheid, packte gegenüber der Frankfurter Rundschau aus. Die veröffentlichten Akten bestätigten, was auch Thierion erklärte, nämlich daß die Geheimdienste beider Staaten in den 1980er Jahren intensiv miteinander kooperiert hatten. Er sei bei den damaligen BND-Chefs Klaus Kinkel und Eberhard Blum "ein- und ausgegangen", so der ehemalige Geheimdienstler Südafrikas.

Im Kern sei es nach dem Embargo von 1977 darum gegangen, die Waffenkäufe als (zivile) "Projekte" zu klassifizieren. Allein 33 derartige Projekte wurden den MI-Akten zufolge mit "Wes-Duitsland" (der Bundesrepublik) abgewickelt. Sie hatten so sinnfällige Namen wie "Projekt Aubergine", "Projekt Trompete" oder "Projekt Kuchen". Auf solchen Wegen konnten aus der Bundesrepublik Nachtsichtgeräte, Radarsysteme, Panzertieflader und optische Geräte zu Aufklärungszwecken geordert werden. Thierion zufolge habe zwischen Südafrika und Deutschland eine "besondere Beziehung" bestanden. Wie den MI-Akten zu entnehmen ist, kam es in jener Zeit mehr oder minder regelmäßig zu Zusammentreffen zwischen südafrikanischen und bundesdeutschen Geheimdienstmitarbeitern. In den Unterlagen wurden sie als "Werksbesoeke" (Arbeitsbesuche), "Samesprekings" (Zusammenkünfte) oder "Inligtingskonferensies" (Geheimdienstkonferenzen) gekennzeichnet; sie fanden wahlweise auf deutschem oder auch auf südafrikanischem Boden statt.

Geheimdienstbeamte vom international geächteten Apartheidregime konnten sich in der Bundesrepublik nach Belieben und durchaus in großer Zahl tummeln. Faktisch waren sie gerngesehene Gäste und mehr noch Partner; sie besuchten die Hannover-Messe, nahmen an Seminaren der zum Umfeld der CSU zu zählenden Hanns-Seidel-Stiftung teil oder auch an Sommerkursen über "Nationale Sicherheit" an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Auch die körperliche Betätigung kam nicht zu kurz, so haben sich die Agenten vom Kapstaat mit NATO-Soldaten im Fallschirmspringen gemessen. Diese Kumpanei des Schreckens machte vor der direkten Denunziation südafrikanischer Oppositioneller nicht halt. Informationen, die aus den Reihen des ANC gewonnen werden konnten, wurden vom Bundesnachrichtendienst an Pretoria weitergegeben - mit möglicherweise tödlichen Folgen für die Betroffenen. Dem früheren Geheimdienstchefs des ANC, Ronnie Kasrils, zufolge hat sich die Bundesrepublik bei der "Infiltration der Befreiungsbewegungen" sehr engagiert.

Selbstverständlich war das "Apartheid" genannte Gewaltregime nicht Gegenstand der geheimdienstlichen Erörterungen. Die tatsächliche Freund-Feind-Konstellation war vollkommen unmißverständlich, galt doch der ANC Nelson Mandelas bei westlichen Geheimdiensten wie dem BND nach wie vor als "feindliche Organisation", zu dessen Bekämpfung der bundesdeutsche Auslandsgeheimdienst auch durch die Ausbildung südafrikanischer Agenten beitrug. Der BND war jedoch nicht nur daran interessiert, seinen südafrikanischen Partner im Kampf gegen den Apartheidwiderstand tatkräftig zu unterstützen. Das Hauptaugenmerk des deutschen Dienstes lag in der Informationsbeschaffung über das Vorgehen der Warschauer-Pakt-Staaten im südlichen Afrika. Da die südafrikanische Armee in die Bürgerkriege bzw. Befreiungskämpfe der Nachbarstaaten Namibia, Angola und Mozambique verwickelt war, konnte sie den bundesdeutschen Gästen Stippvisiten in Gebiete heißer Kriegführung bieten. Dabei interessierte sich der BND vornehmlich für die von den Südafrikanern beispielsweise im angolanischen Buschkrieg erbeuteten Waffensysteme ostdeutscher und sowjetischer Herkunft. Ausflüge in die brennenden Schwarzensiedlungen Südafrikas konnten die deutschen Geheimdienstler, bestens geschützt in speziellen Panzerwagen, ebenfalls unternehmen.

Kasrils, dem späteren Geheimdienstminister im Nach-Apartheid-Südafrika, zufolge, sind die freigegebenen MI-Akten nicht vollständig. Vor dem Machtwechsel von 1994 seien Informationen aus hochsensiblen Bereichen sorgfältig gelöscht worden. Damit meint Kasrils Dokumente über die deutsch-südafrikanische Zusammenarbeit bei der Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Manche hochrangigen Funktionäre des ANC, so etwa Tony Sedat, früherer ANC-Repräsentant in Bonn, sind fest davon überzeugt, daß die Bundesrepublik mit der Lieferung der Technologie zur Urananreicherung an Pretoria die Entwicklung einer südafrikanischen Atombombe überhaupt erst möglich gemacht hat. "Westdeutschland war eine der wichtigsten Stützen des Apartheid-Regimes", so das Fazit Sedats. Inwiefern, wenn überhaupt, in Südafrika nach dem formalen Ende der Apartheid tatsächlich ein "Machtwechsel" stattgefunden hat, wird in dieser Reihe noch Gegenstand einer kritischen Diskussion sein.

In der Bundesrepublik Deutschland hat mit Sicherheit kein solcher Wechsel stattgefunden, und so nimmt es nicht wunder, daß der Bundesnachrichtendienst, als die Frankfurter Rundschau ihn 2004 mit den neuen Akten konfrontierte und um eine Stellungnahme bat, diese verweigerte. Zur Begründung wurde angeführt, daß der Dienst bei Fragen zum "operativen Geschäft", wozu auch die Kontakte zu Partnerdiensten zu zählen seien, "grundsätzlich keine Stellungnahme" abgeben würde. Dies gelte, wie die Pressestelle des BND in Pullach ergänzend anfügte, "unabhängig davon, ob die Sachverhalte zutreffend sind oder nur vermutet werden". Keine Stellungnahme ist auch eine Stellungnahme, und genaugenommen kompromittierte der BND sich damit selbst, denn wenn er eine Anfrage, die sich auf die Zeit seiner Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Geheimdienst bezieht, mit dem Argument abzuwehren sucht, über Kontakte zu "Partnerdiensten" generell keine Auskünfte zu erteilen, hat er damit selbst klargestellt, wo und zu wem er wie steht.

(Fortsetzung folgt)

22. November 2007