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NEUZEIT/219: Schlösser auf Kredit - Historiker untersuchte steirische Finanzwirtschaft (idw)


Karl-Franzens-Universität Graz - 24.02.2011

Schlösser auf Kredit:
Historiker untersuchte steirische Finanzwirtschaft am Beginn der Neuzeit


Wenn vor über 400 Jahren der Adel Schlösser und Grundbesitz erwarb, floss kaum Bares. Stattdessen wurden Schuldscheine ausgestellt oder getauscht. Der Historiker Dr. Martin Khull-Kholwald hat in seiner Dissertation an der Uni Graz die steirische Finanzwirtschaft zwischen 1515 und 1635 untersucht und aufgezeigt, wie Kredite Investitionen ermöglichten und die Wirtschaft belebten. Gleichzeitig stellt die Arbeit eine Pionierleistung dar, da sie erstmals das Kreditwesen der frühen Neuzeit mitsamt seinen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft offenlegt. Die Forschungen, deren Ergebnisse auf andere Länder im damaligen Europa übertragbar sind, wurden von der Österreichischen Nationalbank gefördert.

Eingegrenzt hat der Wissenschafter seinen Untersuchungszeitraum mit dem Amtsantritt des Siegmund von Dietrichstein als Landeshauptmann der Steiermark 1515 und der Einführung der ersten funktionierenden Kapitalertragssteuer auf steirischem Boden, dem sogenannten "Interessegulden von 1635". Damals war es in Adelskreisen gang und gäbe, Immobilienkäufe über Schuldscheine abzuwickeln. "Die wichtigste verwendete Kredittechnik war der übertragbare Inhaberschuldschein", berichtet Martin Khull-Kholwald. Dieser konnte an dritte Personen weitergegeben werden, etwa im Zuge der Vererbung oder auch in der wechselseitigen Abrechnung von Guthaben gegen Schulden. Beim Erwerb einer Immobilie übernahm der Käufer oder die Käuferin in vielen Fällen die auf der Immobilie lastenden Schulden. Nur ein geringer Teil des Kaufpreises musste in Form einer Anzahlung in Münzen erstattet werden. Die Quellen sprechen hier vom sogenannten "Leihkauf", informiert der Historiker. "Charakteristisch für diese Form der Kreditwirtschaft war, dass sie in mehr oder weniger regionalen Netzwerken praktiziert wurde. Die Mitglieder kannten einander persönlich - eine Voraussetzung, die einer Bonitätsprüfung gleichkam", so Khull-Kholwald.

Das Schuldscheinwesen stand im Zusammenhang damit, dass sich zu wenig Hartgeld im Umlauf befand. "Im 17. Jahrhundert bewegte sich das Verhältnis von Kredit zu Münzen zwischen 11:1 und 37:1. Das heißt, auf einen Gulden in Münzen kamen 11 bis 37 Gulden in Form von Schuldscheinen", erklärt der Wissenschafter. In ganz Europa dürfte es ähnlich gewesen sein, wie Zahlen aus England nahelegen. Somit erfüllten die Schuldverschreibungen eine wichtige Rolle in der Vermehrung der Geldmenge - "als Bedingung für eine positive Wirtschaftsentwicklung", betont Khull-Kholwald, auch wenn das die Inflation begünstigte. Während es ab den 1590er-Jahren mit der Realwirtschaft rasant bergab ging - im Bereich landwirtschaftlicher Erzeugnisse ebenso wie am Steirischen Erzberg -, stiegen die Immobilienpreise bei kontinuierlicher Inflation in Schwindel erregende Höhen. Im Steiermärkischen Landesarchiv stieß Khull-Kholwald unter anderem auf die Herrschaft Lankowitz nahe Köflach: Auf ihr lastete 1500 eine Pfandsumme von 2.000 Gulden. 78 Jahre später konnte die freiherrliche Familie Herberstein die Pfandherrschaft um 20.327 Gulden in Eigenbesitz umwandeln. 1634 wurde die Immobilie um 50.000 Gulden, nach Abzug einer auf ihr lastenden Stiftung im Wert von 29.000 Gulden, wieder verkauft. "Die steigenden Preise führten dazu, dass immer größere Summen in Schuldverschreibungen verbrieft und immer mehr Kreditverbindlichkeiten eingegangen wurden", so der Historiker.

Übrigens: Geldgeschäfte waren in der Steiermark der frühen Neuzeit keineswegs nur Männersache. "Anhand der Einführung des Interesseguldens von 1635 konnte festgestellt werden, dass 14 Prozent des Steueraufkommens von weiblichen Gültbesitzerinnen aufgebracht wurden. Das waren Eigentümerinnen von Liegenschaften, die der Gültsteuer unterworfen waren, einer Kombination aus Ertrags- und Grundsteuer", erklärt Khull-Kholwald. Weitere zwei Prozent kamen von Frauenklöstern. Männliche Gültbesitzer leisteten 60 Prozent des Steueraufkommens.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Karl-Franzens-Universität Graz, Mag. Gudrun Pichler, 24.02.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011