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NEUZEIT/216: Bodenreform und Zwangskollektivierung in Ostdeutschland (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Nicht nur ein Frühling gegen die Bauern
Bodenreform und Zwangskollektivierung in Ostdeutschland zerstörten systematisch bäuerliche Landwirtschaft

Von Claudia Schievelbein


Der "Sozialistische Frühling auf dem Lande" jährt sich dieses Jahr zum 50. Mal in den ostdeutschen Bundesländern. Was so idyllisch klingt, ist einer der Momente in der kurzen Geschichte der DDR, in der der herrschende Sozialismus seine hässlichste Fratze zeigte. Als im April 1960 SED-Parteichef Walter Ulbricht die "Vollkollektivierung" in der ostdeutschen Landwirtschaft verkündete, war dem eine beispiellose Welle der Repression durch Stasi, Volkspolizei und Agitatoren vorangegangen. Durch Gewalt, deren Androhung, Einschüchterungen und Anprangerungen waren innerhalb weniger Monate die Hälfte der bis dahin in der jungen DDR noch selbstständig wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe in vermeintlich genossenschaftliche Strukturen gezwungen worden und die freien Bauern und Bäuerinnen zu Landarbeitern und Landarbeiterinnen degradiert. Von 1948 bis 1959 wurde die Kollektivierung noch meist durch freiwillige Maßnahmen vorangetrieben, es waren im Sommer 59 aber dadurch eben auch nur 45 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft überführt. In einer Direktive Stalins an Walter Ulbricht wurde nun die Zwangskollektivierung angemahnt und entsprechend umgesetzt. Zwar blieben die terroristischen Auswüchse wie Erschießungen, die während der Zwangskollektivierung in der Sowjetunion und China an der Tagesordnung waren, aus, tausende Bauern und Bäuerinnen wählten aber für sich den Weg in den Freitod oder flüchteten in den Westen. Der kommunistische Grundsatz der Vernichtung des freien Bauernstandes wurde damit erfolgreich umgesetzt. Karl Marx sah im Bauernstand eine zu bekämpfende Klasse, weil sie im Gegensatz zum Proletariat Besitzer ihrer "Produktionsmittel" und oft auch des von ihnen bewirtschafteten Bodens sind.


Strategie gegen Bauern

Nicht täuschen lassen darf man sich von der der Zwangskollektivierung vorangegangenen Bodenreform, die auf den ersten Blick wie eine Zerschlagung großbäuerlicher Strukturen zu Gunsten vieler kleiner landwirtschaftlicher Höfe wirkt. In Wirklichkeit gehörte die 1945 im damaligen Gebiet der Sowjetzone durchgeführte Enteignung aller Bauern mit mehr als 100 ha Land zum selben Plan wie die spätere Rückführung der dadurch entstandenen bäuerlichen Betriebe in große Einheiten durch die Zwangskollektivierung. Bodenreform und Zwangskollektivierung gehören zusammen zur systematischen Auslöschung freier bäuerlicher Strukturen in kommunistischen Systemen, denn nur durch die Bodenreform ließ sich zunächst das traditionelle - feste Dorfstrukturen stützende - landwirtschaftliche System in weitaus fragilere kleinbäuerliche Gebilde umwandeln. Hinzu kam, dass man hoffte, mit der Landverteilung die weitere Abwanderung vieler Flüchtlinge aus der Sowjetzone in den Westen zu verhindern. Durch die geringe Größe vieler neubäuerlicher Betriebe war deren wirtschaftliche Situation von Anfang an nicht einfach und sie wurde durch die Bildung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften als Konkurrenz zunehmend schwieriger. So "erleichterte" es manchen Neubauern, der jungen LPG beizutreten, um konkret seine wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die große Mehrheit der Bauern und Bäuerinnen wollte allerdings nicht die Selbstständigkeit mit der Tätigkeit als abhängig Beschäftigter oder Beschäftigte in der LPG tauschen.


Bis heute

Die Auswirkungen dieses nun unter Zwang stattfindenden Umwandlungsprozesses reichen bis in die Gegenwart. Zunächst begünstigten die umfangreiche Abwanderung von Bauern und Bäuerinnen in den Westen sowie die Nahrungsmittelengpässe durch die Produktionsschwierigkeiten der neuen Großbetriebe den Mauerbau. Nach dem Ende der DDR blieben Strukturen auf dem Land zurück, die die "Bildung von Zivilgesellschaft weitgehend nicht stattfinden ließen", sagt Jörg Gehrke, AbL-Bauer in Ostdeutschland, der sich seit vielen Jahren mit der Aufarbeitung der Vorgänge auseinandersetzt. Auch Michael Beleites, Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, spricht in einem Interview davon, dass durch Bodenreform und Zwangskollektivierung eine "tiefgreifende Entfremdung der einzelnen Bauern von ihrer Scholle stattgefunden" habe. Er kritisiert gleichzeitig, dass durch die Nachwende-Agrarpolitik die sozialistischen Strukturen festgeschrieben wurden. Ostdeutsche Agrarpolitiker wie auch der Bauernverband betrieben und betreiben ausschließlich Interessenspolitik für die LPG-Nachfolgebetriebe. Hier spielen viele gut funktionierende alte Seilschaften eine Rolle, die es immer wieder erfolgreich vereiteln, das Thema öffentlich aufzuarbeiten. Jüngstes Beispiel ist in Brandenburg der Versuch mehrerer Politiker, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu verhindern, der sich mit den Stasiaktivitäten im Bereich der Landwirtschaft auseinandersetzen sollte. Aber auch Unwissenheit über die Zusammenhänge in der Geschichte und ihre Auswirkungen in der Gegenwart spielen eine große Rolle in der Frage der öffentlichen Aufarbeitung. Eine gemeinsame Fachtagung der AbL, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR soll nun einen Beitrag dazu leisten, dass sich dies ändert. Dort wird auch die Frage gestellt werden, wie eine zukünftig gerechtere Agrarpolitik für Ostdeutschland aussehen sollte.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2011