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NEUZEIT/171: Bankencrash und Brüningsche Notverordnungen - Teil 2 (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 43 vom 24. Oktober 2008
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Marxistische Theorie und Geschichte
Bankencrash und Brüningsche Notverordnungen
Vom Konjunkturverfall zur Krise (Teil 2)

Von Eberhard Czichon


Einen Monat später, am 11.5.1931, veröffentlichte die Österreichische Creditanstalt in Wien ihren Jahresabschluss für 1930; danach stand ihrem Eigenkapital von 145 Million Schilling ein Verlust von 140 Million Schilling gegenüber. Die Creditanstalt war die renommierteste Privatbank in Wien und eng verbunden mit Louis Rothschild. Sie kontrollierte umfangreiche Industriekonzerne Österreichs und unterhielt enge Beziehungen zu den Berliner Großbanken, vor allem zur Deutschen Bank.

Das Projekt der Zollunion zwischen Deutschland und Österreich war bereits 1914 eines der gegen Frankreich gerichteten deutschen Kriegsziele geworden, und Arthur von Gwinner, der sich für diese Politik exponiert hatte, saß noch immer dem Aufsichtsrat seiner Bank vor. Dieser Zusammenhang irritierte die Haute Finance und die französische Regierung. Als das Kabinett in Wien zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Österreichischen Nationalbank in Frankreich um einen Refinanzierungskredit nachsuchte, forderte Paris von Wien ultimativ den Verzicht auf die Zollunion mit Deutschland als Vorbedingung für jede Hilfe. Auch eine Rettungsaktion der Rothschild-Gruppe für die Creditanstalt wurde blockiert. Nur Montagu Norman, Präsident der Bank von England, widersetzte sich diesem Boykott und räumte der Österreichischen Nationalbank einen Kredit von 150 Million Schilling ein, damit sie der Creditanstalt helfen konnte. Clement Moret, der Gouverneur der Banque de France, reagierte umgehend und die Haute Finance in Paris verkaufte im Gegenzug große Pfund-Bestände an den internationalen Börsen und attackierte so den Kurs der englischen Währung.

Ab Mai 1931 begann auch in Berlin eine dramatisch zunehmende Kündigung kurzfristiger Anleihen bei der Reichsbank, die innerhalb kurzer Zeit einen Verlust von über 1 Milliarde RM in Gold und Devisen erlitt. Der Abfluss betraf die Bestände der Privat-, vor allem der Großbanken, und er gefährdete zunehmend die international vereinbarte Mindest-Notendeckung an Gold und Devisen der Reichsbank. Im Juni verloren - selbst nach vorsichtigen Angaben - die DeDi-Bank und die Commerzbank jeweils 8 Prozent, die Dresdner Bank 11 Prozent und die Danatbank 17 Prozent ihrer Kreditoren ohne eine wirksame Debitorenentlastung zu erreichen. Insgesamt waren das bei den Großbanken 127 Millionen RM, davon 45 Millionen allein bei der Danatbank, die lediglich über ein Aktienkapital von 60 Millionen RM verfügte, von dem sie außerdem auch noch 28 Millionen zur eigenen Kursstützung aufgenommen hatte. Die Reichsbank verfügte im Mai 1931 bei einem Reichsbanknoten-Umlauf von 4 Milliarden RM über eine Gold- und Devisen-Deckung von 2,556 Milliarden RM, die infolge der Kreditrücknahmen in den ersten beiden Juni-Wochen mit weiteren 1,4 Milliarden RM belastet wurde. In der New Yorker Börse wurden deutsche Werte selbst dann abgestoßen, wenn sie als erstklassig gesichert galten. Die Danatbank erlitt die größten Verluste, die DeDi-Bank lag mit ihren Verlustraten hinter der Dresdner Bank.

Der Zusammenbruch der Rudolf Karstadt AG und der Norddeutschen Versicherungsgesellschaft und die Illiquidität des mit der DeDi-Bank liierten Borsig-Konzerns verdeutlichten, dass jeder Versuch, die Katastrophenpolitik zur Erzwingung von Zugeständnissen in der Reparationsfrage fortzusetzen, ebenso wie 1923 mit einer Selbstzerstörung von Kapital enden würde. Doch keiner in den Machtzirkeln der Finanzoligarchie nahm die Signale zur Kenntnis. Die Hoffnungen auf positive Auswirkungen des mit den USA ausgehandelten Moratoriums, die Reparationszahlungen um ein Jahr auszusetzen, waren offenbar sehr hoch, zumal auf internem diplomatischem Weg auch angedeutet worden war, dass die Reichsregierung bereit sei, die Zollunion mit Österreich aufzugeben. Doch bereits die bisherige Katastrophenpolitik zeigte irreparable Folgen.


Die Danatbank geht trotz "Reichsgarantie" pleite

Als die Reichsregierung trotz des Hoover-Moratoriums "Krisensteuern" notverordnete, konnte sie damit die "Unzulänglichkeiten der inneren Kapitalbildung" nicht mehr ändern. Die Wirkungslosigkeit dieser Notverordnung ließ vielmehr eine erreichte Tiefe der Finanzkrise erkennen, die mit gewöhnlichen staatsmonopolistischen Maßnahmen nicht mehr aufzufangen war" (W. Ruge: Deutschland 1917-1933. Berlin 1967. S. 363 ff.). Damit aber entglitt dem Reichskabinett jede weitere Steuerung der Finanzlage, zumal Hans Luther als Reichsbankpräsident seinerseits eine Unterschreitung der Gold- und Devisendeckung der Reichsmark grundsätzlich ablehnte. Diese Deckungsgrenze erreichte die Reichsbank spätestens am 7.7.1931. Am folgenden Tag musste die Zahlungsunfähigkeit der Danatbank zugegeben werden. Sie verfügte zwar bei der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei in Bremen (Nordwolle-Konzern) bei einem eigenen Aktienkapital von 60 Millionen RM über Forderungen von 100 Millionen RM, doch die Nordwolle war pleite, der Konzern hatte bei einem Aktienkapital von 97 Millionen RM Schulden von 163 Millionen RM, die aus Spekulationsgeschäften entstanden waren. Jacob Goldschmidt, arg in Not geraten, schlug nunmehr in aller Form der DeDi-Bank eine Fusion mit der Danat vor. Doch die Manager in der Mauerstraße lehnten cool ab. Ihr Argument mag unter den konkreten Umständen bankpolitisch überzeugen - die Fusion eines insolventen Geldhauses hätte die DeDi-Bank nur finanziell weiter belastet. In anderen Fällen war der Bankvorstand allerdings nicht so "ängstlich" gewesen. Es ist daher anzunehmen, dass auch Konkurrenzüberlegungen zu dieser Entscheidung führten. Dennoch stellte die DeDi-Bank der Danat für 30 Millionen RM Wechsel zur Rediskontierung zur Verfügung, und Wassermann regte an, dass es "gesünder" wäre, die Danat- mit der Dresdner Bank zu fusionieren, obgleich ihm schon zu dieser Zeit sicher die Insolvenz auch der Dresdner-Bank bekannt gewesen sein dürfte.

Heinrich Brüning will jedenfalls gehört haben, dass man sich bei der DeDi-Bank im kleinsten Kreise schon auf eine Siegesfeier über Jacob Goldschmidt vorbereitete. Des Kanzlers Empörung ist insofern verständlich, als er angesichts der eskalierenden Krisensituation von den Bankern offensichtlich mehr "Klassensolidarität" erwartet hatte.

Und so setzte sich trotz aller Bereitschaft der Reichsregierung, gemeinsam mit Bank- und Konzernvertretern eine Lösung der zunächst völlig entglittenen Situation zu finden, das Wolfsgesetz der Konkurrenz durch. Mysteriöse Meldungen in der Schweizer Presse in den folgenden Tagen über die Insolvenz der Danat und Leerverkäufe von Aktienpaketen der Danatbank, die von der DeDi-Bank inszeniert gewesen sein sollen, machen deutlich, mit welchen Bandagen Großbanken untereinander kämpfen. Während Minister und Bankiers am 12.7.1931 zusammensaßen, um die Zahlungsunfähigkeit der Danatbank abzufangen, gab Oscar Wassermann, der ohnehin für eine umgehende Devisenbewirtschaftung eingetreten war, "voreilig" auch noch die Insolvenz der Dresdner Bank bekannt, worauf sich das ganze staatsmonopolistische "Kartell" schnellstens auf eine Reichsgarantie für die Danat per Notverordnung einigte.

Am folgenden Tag, also am 13.7.1931, schloss die Danatbank ihre Schalter. Trotz der Reichsgarantie brach ein Run der Bankkunden auf nahezu alle Geldinstitute los, die sich in wenigen Stunden auch noch in Reichsmark als zahlungsunfähig erwiesen. Selbst die Sparkassen zahlten am Mittag nur noch höchstens 100 RM auf jedes Zahlungsbegehren aus. Als dann schließlich noch der Reichsbankpräsident Hans Luther mitteilte, dass seine Verhandlungen in Basel bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich gescheitert waren, einen Rediskontkredit für die Reichsbank zu erhalten, beschloss das eilig zusammengetretene Reichskabinett in Übereinstimmung mit den Vertretern der Großbanken, zunächst die nächsten beiden Tage, den 14. und 15.7.1931, als Bankfeiertage notzuverordnen, die Börse bis zum Wochenende zu schließen und eine Devisenbewirtschaftung vorzubereiten. Die direkte und unmittelbare Folge dieser Rettungsaktion war ein Stopp für alle Lohn- und Gehaltszahlungen, aber auch eine panikartige und verstärkt weitergehende Kreditkündigung des Auslandes. Georg Solmssen verlangte als Sprecher des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes von Heinrich Brüning nunmehr ultimativ den Rücktritt des Präsidenten der Reichsbank, weil er nicht bereit sei, der Danatbank mit einem Rediskontkredit wirksam zu helfen. Wieweit dieses Auftreten demagogisch war und wieweit die DeDi-Bank an der Ausschaltung der Konkurrenzbank selbst aktiv mitgewirkt hatte, sei dahingestellt. Am 14.7. war Henry Nathan seitens der Dresdner Bank gezwungen, Brüning die Zahlungsunfähigkeit nunmehr auch seines Instituts mitzuteilen. Dem Bankhaus J .P. Schrooer & Co. in Bremen ging es nicht besser.


Wirtschaft fordert Hilfe aus Steuermitteln

Was nun folgte, war das Gegenteil der "Trennungslinie", die Georg Solmssen, noch am 27. Juni 1931 auf der Notstandstagung der Centralverbandes des deutschen Bank- und Bankiersgewerbes glaubte fordern zu müssen: "Weder darf die Wirtschaft Politik treiben, noch die Politik Wirtschaft". Nun aber suchte "die Wirtschaft" ganz profan politische Hilfen, nunmehr rangen die Konkurrenten und das Reichskabinett um einen Konsens und suchten einen Ausweg aus der von ihnen mitverschuldeten Krise. Die maroden Banken erwarteten vom Kabinett Hilfe aus Steuermitteln. Allein die Schrooer-Bank verschlang bis 10.8.1931 insgesamt 68 Millionen RM Stützungsmittel. Die Dresdner Bank kam unter Treuhandschaft des Reiches, das dafür ihre Schulden übernahm. Treuhänder wurde Carl Bergmann, ehemals stellvertretendes Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Brüning bildete nun einen "Sachverständigenrat", der zusammen mit dem Kabinett Schritte zur Überwindung der Finanz- und Bankenkrise finden sollte. In diesem "Rat" saßen neben Carl Bergmann auch Hermann Schmitz von der IG-Farben, Markus Wallenberg (Stockholms Euskilda Bank) und Karl Melchior, Teilhaber des Bankhauses M. M. Warburg & Co. Hamburg.

Und so ergingen weitere Reichsgarantien zur Stützung u. a. auch für die Deutsche Orientbank und für die Deutsche Überseeische Bank, die operative Auslandstochter der DeDi-Bank. Während die Arbeitslosen hungerten, flossen Steuermillionen in die bankrotten Geldhäuser. Das "Reich" stellte für die von den Sachverständigen als notwendig erachtete Rekonstruktion der Dresdner Bank allein 300 Millionen RM in Form von Vorzugsaktien zur Verfügung - an eine Verstaatlichung dieser heruntergewirtschafteten und vollends bankrotten Finanz-Etablissements wurde nicht der Anflug eines Gedankens verschwendet. Und so blieben alle ausgehandelten Rettungskonzepte staatsmonopolistische Vorlagen, in denen mit Steuergeldern die spätere Reprivatisierung bezahlt wurde.

Auch die zahlungsfähigen Ruhrkonzerne, wie Friedrich Flick, Gustav Krupp, Alfred Vögler und Paul Silverberg (er repräsentierte die DeDi-Bank-Interessen), profitierten am Steuerboom. Sie übernahmen ihre eigenen Aktien, die sich im Besitz der Danat befanden und brauchten sie nicht einmal zu bezahlen. Das tat für sie der Reichsfinanzminister, indem er den hilfreichen Konzernbossen das Geld dafür in Schatzanweisungen vorfinanzierte und zugleich auch für die Bankschulden die Garantie aufrecht hielt. Und die Akzept- und Garantiebank sicherte - dazu war sie nun einmal gegründet worden - der Danat wie der Dresdner Bank die Zahlungsfähigkeit durch langfristige Kredite - so hilft man sich eben gegenseitig. Ernst Trendelenburgs sarkastische Bemerkung, dass sich das kapitalistische System nur halten lasse, wenn man es vor den Kapitalisten schütze, lässt eine tiefere Einsicht eines Staatssekretärs in wirtschaftspolitische Zusammenhänge erkennen.

Was den misswirtschaftlichen Konzernen und Banken noch fehlte, waren eine langfristige Auslandsanleihe und die Zustimmung ihrer Rivalen zu einer Stornierung der Reparationszahlungen - Zugeständnisse, die diesen um so leichter fallen mussten, als sie ihr Ziel erreicht hatten: Die wieder drohende Gefahr einer Kapitalexpansion der deutschen Großkonzerne und Monopolbanken war gebannt und schien unter Kontrolle (...)


Eberhard Czichon arbeitete an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Die erste Fassung seines Buches "Die Bank und die Macht. Hermann Josef Abs, die Deutsche Bank und die Politik" erschien 1970.

Nachfolgeband:
Eberhard Czichon, Deutsche Bank - Macht - Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik.
Broschur, 323 Seiten, EUR 18,50 [D]
ISBN: 978-3-89438-219-3
Köln 2001, PapyRossa Verlag


Glossar:

DeDi-Bank: Im Oktober 1929 schloss sich die Deutsche Bank mit der traditionsreichen Direction der Disconto-Gesellschaft zur DeDi-Bank zusammen.

Danat-Bank: Darmstädter- und Nationalbank

Baisse: Phase anhaltender starker Kursrückgänge an der Börse.

Hausse: Nachhaltiger Anstieg der Wertpapierkurse einzelner Marktbereiche oder des Gesamtmarktes über einen mittleren bis längeren Zeitraum.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 des Artikels finden Sie im Schattenblick unter
www.schattenblick.de -> Infopool -> Geisteswissenschaften -> Geschichte
NEUZEIT/169: Bankencrash und Brüningsche Notverordnungen - Teil 1 (UZ)


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 40. Jahrgang, Nr. 43,
24. Oktober 2008, Seite 15
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2008