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NEUZEIT/157: Italien - Zum Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 19. Juli 2008

Proalliierter Faschismus

Nach Mussolinis Absetzung vor 65 Jahren wollen Monarchie,
Militär und Klerus einen reaktionären Staat gründen -
Antifaschisten verhindern das

Von Gerhard Feldbauer


Am 25. Juli 1943 stürzt eine Palastrevolte Mussolini. Vittorio Emanuele III., dessen Monarchie Mussolini zum Dank für die Schützenhilfe bei seinem Machtantritt 1922 nicht angetastet hatte, läßt den Diktator verhaften. Er übernimmt den Oberbefehl über die Armee und beauftragt Marschall Pietro Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung, die mit den Alliierten einen Waffenstillstand schließt. Italien scheidet aus dem Krieg aus. Am 13. Oktober folgt die Kriegserklärung an Hitlerdeutschland und der Übertritt zur Antihitlerkoalition. Nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands am 8. September okkupiert die Wehrmacht Nord- und Mittelitalien.


Stalingrad leitete Krise ein

Äußere Triebkraft war vor allem das Scheitern der deutschen Aggressionspläne, das sich im Sieg der Sowjetarmee bei Stalingrad zeigte. Bis auf wenige tausend Mann wurde dort auch die 230000 Soldaten zählende »Armata Italiana in Russia« rücksichtslos verheizt. Ein Bericht des italienischen Generalstabs besagt, daß die Deutschen den Italienern während des schrecklichen Rückzugs in der verschneiten Donezsteppe »stets jegliche Hilfe versagten, sich aller verfügbaren Kraftfahrzeuge bemächtigten, unsere Verwundeten ohne Transportmittel, ohne Nahrungsmittel und ohne erforderliche Versorgung zurückließen«. Als der Bericht in Italien bekannt wurde, trug das zur wachsenden Antikriegsstimmung bei.

Die Erfolge der Sowjetarmee begünstigten die Siege der angloamerikanischen Truppen in Nordafrika (siehe junge Welt-Thema v. 23.10.2007). Als nach der Landung der Alliierten am 9. Juli auf Sizilien sich die italienischen Verbände ergaben, brach die Krise des italienischen Faschismus offen aus (siehe junge Welt-Thema v. 29.5.2008). Zugleich begannen die Alliierten massive Bombenangriffe auf Turin, Mailand und Genua, die auf keine Luftabwehr stießen. Die Antikriegsaktionen, die im März 1943 mit 10000 streikenden Arbeitern in der Rüstungsmetropole Turin begannen, weiteten sich aus.

Maßgebliche innere Bedingung war, daß die führenden antifaschistischen Kräfte mit der Italienischen Kommunistischen Partei (IKP) an der Spitze sich zum Sturz der Diktatur formierten. Die IKP hatte mit den Sozialisten 1934 ein Aktionseinheitsabkommen geschlossen, auf dessen Basis ein breites nationales antifaschistisches Bündnis entstand. Im September 1941 hatten Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle ein »Komitee gegen den Krieg« gebildet. Im Herbst 1942 kam ein »Komitee der nationalen Front« zustande. Die Antikriegsstreiks ließen die wachsende Rolle der Arbeiterklasse sichtbar werden.

Das Ende des Mythos von der »Unbesiegbarkeit« der Hitlerwehrmacht führte unter den Trägern der faschistischen Diktatur zu der Erkenntnis, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Angesichts der auswegslosen Kriegslage und des anwachsenden Volkswiderstandes beschlossen sie, sich Mussolinis zu entledigen.

Nachdem die USA, Großbritannien und der Vatikan Zustimmung signalisiert hatten, setzte der faschistische Großrat am 24./25. Juli seinen »Duce« ab. Die Sitzung leitete der Schwiegersohn Mussolinis, der im Februar 1943 als Außenminister abgesetzte Graf Galeazzo Ciano. Zur militärischen Absicherung ließ der an der Revolte beteiligte Chef des Generalstabs, Vittorio Ambrosio, eine Heeresdivision vor den Toren der Hauptstadt Stellung beziehen. Der Großrat stimmte mit 19 Ja-, sieben Gegenstimmen und einer Enthaltung für die Absetzung Mussolinis als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und seinen Rücktritt als Ministerpräsident.

Am 25. Juli um 17 Uhr empfing der König Mussolini und autorisierte diese Entscheidungen. Der »Duce« - er plante, den König aus dem Weg zu räumen - fügte sich. Vor dem Quirinal bat ihn ein Hauptmann der Carabinieri unter dem Vorwand der besseren Sicherung seines Schutzes bei möglichen Unruhen, in einen Krankenwagen zu steigen. Damit war der Diktator verhaftet. Er wurde auf den nordöstlich von Rom liegenden Gran Sasso in den Abruzzen gebracht.

Seitens der faschistischen Partei und ihrer Gliederungen regte sich keinerlei Widerstand. Der Sturz des »Duce« wurde von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. In einigen Großstädten des Nordens wurden faschistische Parteisitze und Zeitungsredaktionen, in Turin das deutsche Konsulat gestürmt. Zahlreiche faschistische Parteigrößen flohen nach Deutschland. Unüberhörbar wurde gefordert, die politischen Gefangenen freizulassen. Davon suchte Badoglio zunächst, Kommunisten und Anarchisten auszuschließen. Erst als Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialisten dagegen einen Generalstreik ankündigten, hob er die Beschränkungen auf.

Die Verschwörer wollten die faschistische Diktatur in eine autoritär-reaktionäre, auf Monarchie, Militär und den Klerus gestützte umwandeln. Die US-Zeitschrift Life schrieb, daß es darum ging, »sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, daß System aber zu erhalten«, kurz gesagt, »einen Wandel vom prodeutschen zum proalliierten Faschismus« herbeizuführen.


Gegen Nazideutschland

Die antifaschistischen Kräfte durchkreuzten diese Pläne. Am 9. September 1943 bildeten auf Initiative der IKP die Oppositionsparteien (Kommunisten, Sozialisten, radikaldemokratische Aktionspartei, Christdemokraten und Liberale) das »Komitee der Nationalen Befreiung«, das alle Italiener zum Kampf gegen die deutschen Okkupanten aufrief. Über 200000 Soldaten und Offiziere leisteten der Hitlerwehrmacht Widerstand, erste Partisaneneinheiten entstanden. Unter der deutschen Besatzung wurde das Marionettenregime der Repubblica Sociale Italiana installiert, an dessen Spitze der vom Gran Sasso geholte Mussolini de facto die unterwürfige Rolle eines Gauleiters Hitlers spielte. Im April 1944 traten die Parteien des Befreiungskomitees in die Regierung Badoglios ein, in der sie nach der Einnahme Roms durch alliierte Truppen am 4. Juni 1944 den Premier zum Rücktritt zwangen. Unter dem Liberalen Ivanhoe Bonomi als neuem Ministerpräsidenten nahm die Regierung den Charakter einer »Regierung der nationalen Einheit« an.

Trotz der verfolgten reaktionären Ziele leisteten die Verschwörer als Vertreter realistisch denkender Kreise der Bourgeoisie objektiv einen Beitrag zum Sieg über den Faschismus. Sie setzten dabei auch ihr Leben aufs Spiel. Ein von Hitler geplantes Kommandounternehmen zur Liquidierung der Badoglio-Regierung scheiterte in letzter Minute. Mussolinis Schwiegersohn Graf Ciano wurde am 11. Januar 1944 hingerichtet. Die Tochter des Königs, Marfalda von Savoyen, ließ Hitler ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppen, wo sie ums Leben kam. Tausende der auf Befehl des Königs der Hitlerwehrmacht Widerstand leistenden Soldaten und Offiziere wurden nach dem Ende der Kämpfe ermordet. Als sich über 600000 nach Deutschland in Gefangenschaft verbrachte Soldaten weigerten, in der Salò-Republik an der Seite der Wehrmacht weiterzukämpfen, wurden 30000 von ihnen umgebracht und über 60000 in Konzentrationslager verschleppt. Marschall Badoglio - eine widersprüchliche Persönlichkeit Marschall Pietro Badoglio, eine Schlüsselfigur der Palastrevolte, war ein rücksichtsloser Vertreter der Expansionspolitik Mussolinis. In der Kyrenaika befahl er 1930 zur Niederschlagung des Widerstands, die Rebellen »weit von der unterworfenen Bevölkerung (zu) trennen«, auch »wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zu Grunde gehen müßte«. Während der Eroberung Äthiopiens 1935/36 setzte er auf Befehl Mussolinis das Giftgas Yperit ein, durch das zahlreiche der 275000 Opfer des Feldzuges getötet wurden.

1940 erkannte er jedoch die Grenzen der militärischen Möglichkeiten Italiens und sprach sich gegen den von Mussolini dann am 10. Juni erklärten Kriegseintritt aus. Im Dezember trat er als Generalstabschef zurück. Während Feldmarschall Friedrich Paulus noch die Befehle Hitlers zur Eroberung Stalingrads befolgte, traf Badoglio bereits im November 1942 in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen der Eisen- und Stahlbranche, Enrico Falck, mit Großindustriellen und Spitzen der faschistischen Partei zusammen, um ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg zu erörtern. Als in Deutschland Thyssen, Krupp, die Herren der IG Farben und andere Hitlers Heere weiter gen Osten trieben, beförderten in Italien der Gummikönig Pirelli, der Präsident des größten Bergbau- und Chemiekonzerns Montedison, Guido Donegani, und der Finanzgewaltige Giuseppe Volpi von der Banca Comerciale den Bruch mit der Achse.


Quellen: I Giorni della Storia. Cronaca quotidiana. Novara 1997

Von unserem Autor erschien im Juli 2008 "Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute".
Papyrossa Verlag, Köln. Etwa 360 Seiten, brosch., Euro 19,90, ISBN 978-3-89438-386-2


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Quelle:
junge Welt vom 19.07.2008
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2008