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MEMORIAL/252: Friedrich Barbarossa - Kaiser am Beginn eines historischen Umbruchs (Gerhard Feldbauer)


Friedrich Barbarossa - Kaiser am Beginn eines historischen Umbruchs

von Gerhard Feldbauer, 30. Dezember 2022



Public domain, via Wikimedia Commons

Friedrich Barbarossa mit seinen Söhnen König Heinrich und Herzog Friedrich - Miniatur aus der Welfenchronik (Kloster Weingarten, 1179-1191, heute Landesbibliothek Fulda)
Abbildung: Public domain, via Wikimedia Commons

Kaum ein mittelalterlicher Kaiser erfreut sich solcher Bekanntheit wie Friedrich I., genannt "Barbarossa". Irgendwann im Verlauf dieses Jahres war sein 900. Geburtstag, wenngleich weder sein genaues Geburtsdatum noch der Geburtsort bekannt sind. Dem Gedenken tat das keinen Abbruch. Es erschienen die üblichen Münzen, Sonderbriefmarken etc. Deutschlandweit gefeiert wurde auch - im Kyffhäuserkreis im nördlichen Thüringen etwa, wo der Kaiser der Sage nach in einem Berg ruht, bis das Reich wiederkehrt. In der Hochschul- und Landesbibliothek Fulda (HLB) erinnert ein von den Besuchern bewundertes Kleinod an ihn: Ein Weingartener Manuskript der Welfenchronik ("Historia Welforum") aus dem 12. Jahrhundert mit einer Miniaturdarstellung des Kaisers und seiner Söhne. Darin zu lesen: "In medio prolis residet pater imperialis." Dies lässt sich übersetzen mit: "Inmitten seiner Nachkommen thront der kaiserliche Vater."

Mit der Krönung Friedrich I. (1122-1190) am 18. Juni 1155 durch Hadrian IV. (1100-1159, Papst seit 1154) trat eine der schillerndsten, aber auch widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Geschichte des Mittelalters als Imperator an die Spitze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Während seiner 38jährigen Regierungszeit setzte eine Epoche historischen Umbruchs ein, der Beginn des mehrere Jahrhunderte währenden Übergangs von der Feudalzeit zur bürgerlichen Gesellschaft. [1]

Drei Jahre vorher war der Schwabenherzog am 9. März kaum 30jährig zum deutschen König erhoben worden. In Italien, auf das sich das Hauptaugenmerk seiner Politik richtete, wurde der Staufer nach der Farbe seines Barthaares Barbarossa (Rotbart) genannt. Er war ein entschiedener Gegner des weltlichen Machtanspruchs der Kurie. Er proklamierte "die Unabhängigkeit des Kaisertums von der Kirche, wenn er erklärte, dass er die Krone des Reiches allein der Gnade Gottes und der freien Wahl der Fürsten verdanke". Gegenüber den Fürsten machte er gleichzeitig das "dominium mundi" der "kaiserlichen Oberherrschaft" geltend. [2] Nur widerwillig gab Hadrian ihm den päpstlichen Segen. Unmittelbar nach der Krönung verwickelte er ihn hinterlistig in die Ermordung Arnold von Brescias (um 1100-1155) [3], welcher, der Herrschaft des Papstes entgegentretend, eine "Römische Republik" ausgerufen hatte. Das blutige Omen belastete das Streben des neuen Kaisers nach einer Verständigung mit dem aufsteigenden italienischen Bürgertum.

Zu den Widersprüchen dieser Epoche gehörte, dass die städtischen Bürger entscheidend auf die sozialökonomische Entwicklung einwirkten, damit aber auch die Blüte des Rittertums herbeiführten. Unter Friedrich I. bestimmten "neue Elemente neben der christlichen, vorwiegend von Klöstern aus geschaffenen, getragenen und verbreiteten Kultur - weltoffenere, sinnenfrohe, Schönheit schaffende und genießende Kräfte, deren Anregung und Bereicherung nicht im abendländischen Alltag sich erschöpfende, sondern bis in die religiöse Gedankenwelt, in die Problematik der Toleranz hineinreichten", den Geschichtsprozess. [4]

Die Dichtkunst gedieh. Es entstanden erste Universitäten. Sprache, Literatur und Wissenschaften erlebten einen nie gekannten Aufschwung. Das Nibelungenlied erhielt seine endgültige Form. Die großen Epiker Walther von der Vogelweide (die politischen Lieder), Wolfram von Eschenbach (Parzival), Hartmann von Aue (Der arme Heinrich) und Gottfried von Straßburg (Tristan und Isolde) ergriffen bewusst Partei in den politischen Streitfragen, indem sie gegen die feudale kirchlich-religiöse Auffassung des Daseins Werke schufen, die nicht nur ihre Zeitgenossen beeinflussten, sondern alle nachfolgende deutschsprachige Literatur und so frühe Grundlagen für den langwierigen Weg der Formierung der Nation legten.

Barbarossa trat nicht nur dem Anspruch der Päpste auf die weltliche Herrschaft entgegen, den er aufhalten und partiell zurückdrängen konnte, sondern auch dem abendländischen Expansionsdrang Kaiser Manuel I. von Byzanz, dem er "auf italienischem Boden keine territorialen Konzessionen" machte. Gemessen an feudalstaatlichen Kriterien gewann das 843 aus der Teilung von Verdun hervorgegangene deutsch-römische Reich unter ihm an Macht und Ansehen. Er unterwarf den polnischen Staat seiner Lehnshoheit und nahm die Huldigung der Könige von Böhmen (das Teil des Reiches war) sowie Dänemarks und Englands entgegen. Von seinem strategischen Weitblick zeugte, dass er der Versuchung widerstand, die Expansion nach Osten voranzutreiben und sich stattdessen auf Italien konzentrierte. In dem Mittelmeerland, auf das sich sowohl die Gelüste von Byzanz als auch der sizilianischen Normannen richteten, sah er ein Kernstück seines Imperiums.

An die Grenzen seiner Macht stieß Barbarossa in der Auseinandersetzung mit dem von Mailand geführten Lombardischen Städtebund, einem Vorläufer der künftigen kapitalistischen Gesellschaftsformation. Das "kaiserfeindliche Mailand" stand an der Spitze einer "Gruppe von erstarkten, selbstbewussten, wirtschaftlich blühenden Städten", die sich "von der geistlichen Herrschaft befreit und eigene Stadtregierungen gebildet, auch viele Reichsrechte und -güter in Besitz genommen" hatten. [5] Seine Absicht, die ökonomische Basis der Lombardei zur Stärkung der von ihm angestrebten deutschen Zentralgewalt zu nutzen, stieß auf hartnäckigen Widerstand, da das Bürgertum dort auf seine wirtschaftliche und politische Selbstständigkeit pochte. Über viele Jahre herrschten kriegerische Auseinandersetzungen vor, in denen die Kaiserlichen mit Augenausstechen, Kopf- und Hände-Abschlagen sowie Folterungen von Gefangenen und Brandschatzungen der eingenommenen Städte wüteten, aber auch die lombardischen Befehlshaber, die oft aus dem Adel kamen, mit gleicher Münze heimzahlten.


Foto: Giovanni Dall'Orto, Attribution, via Wikimedia Commons

Relief, das die Rückkehr der Mailänder Bevölkerung nach der Zerstörung Mailands durch Barbarossas Truppen von 1167 zeigt
Foto: Giovanni Dall'Orto, Attribution, via Wikimedia Commons

Im Kampf gegen Barbarossa verbündeten sich die Lombarden mit dem Feind jeden Fortschritts, Alexander III. (um 1100 -1181, Papst seit 1159). Der von der Antikaiserpartei gewählte Pontifex hatte Friedrich 1160 mit dem Bann belegt. Im Mai 1176 kam es bei Legnano nahe Mailand zur Schlacht zwischen Barbarossas Heer und den Mailändern. Die Ritter, die sofort angriffen, schlugen die lombardischen Reiter nach einem "wilden Kampf", wie es die Chroniken berichten, in die Flucht. Rotbart wähnte sich bereits als Sieger und preschte mit seinen Mannen zum Carrogio, dem Fahnenwagen der Mailänder, vor. Dort trafen sie völlig überrascht auf das Fußvolk, das sie mit eingelegten Lanzen und vorgehaltenen Schilden in geschlossener Formation erwartete. Nun begann erst die eigentliche Schlacht, die sich über mehrere Stunden hinzog. Als der kaiserliche Bannerträger fiel und auch Barbarossa vom Pferd stürzte, flohen die Ritter vom Schlachtfeld. Der Erzbischof Philipp von Köln, Herzöge und Grafen gerieten in Gefangenschaft. Friedrich entging nur knapp demselben Schicksal.

Das herausragende militärische Ereignis bestand darin, dass erstmals ein Ritterheer vom verachteten städtischen Fußvolk besiegt wurde. Die gesellschaftliche Bedeutung bestand darin, dass die Feudalordnung auf dem Höhepunkt ihrer Macht die erste Niederlage erlitt, zugefügt von der gerade die Bühne der Geschichte betretenden und sie, wenn auch erst Jahrhunderte später, ablösenden bürgerlichen Klasse, dem Träger der kommenden neuen Gesellschaftsformation, die im Schoße der alten heranreifte. Fortan wirkte es als "die Klasse, in der die Fortentwicklung der Produktion und des Verkehrs, der Bildung, der sozialen und politischen Institutionen sich verkörpert fand" (Friedrich Engels) [6], entscheidend auf die sozialökonomische Entwicklung ein. Die weitgehend unabhängigen Städte wurden als "Glanzpunkt des Mittelalters" (Marx) innerhalb der Feudalgesellschaft zum vorwärtsweisenden Element des Geschichtsprozesses. Die Kaufleute werden "die ersten Träger weltlicher Kultur in der Zeit des Feudalismus". [7] Die von ihnen hervorgebrachten Ware-Geld-Beziehungen drängen die bis dahin vorherrschende Naturalwirtschaft zurück.

Die Auseinandersetzungen endeten mit Kompromissen - dem Verständigungsfrieden 1177 mit dem Papst und 1183 mit dem Lombarden-Bund. Friedrich erkannte die Selbstverwaltung der italienischen Städte an, diese ihrerseits die kaiserliche Oberhoheit. Mit der Kurie herrschte ein Patt. Durch die Zusicherung der Anwartschaft seines Sohnes Heinrich VI. auf den normannischen Königsthron in Sizilien konnte sich Friedrich jedoch 1186 ein Übergewicht über das Papsttum sichern. Insgesamt hinterließ er bei seinem Tode das von der Nordsee bis Mittelitalien ausgedehnte Reich wesentlich gefestigter, als er es vorgefunden hatte. Als Führer des dritten Kreuzzuges fand er am 10. Juni 1190 in Kleinasien, unweit Seleukia in den Fluten des Saleph (türkisch Göksu), einen ganz unkriegerischen Tod. In der Mittagshitze, als er sich bei einem Bad erfrischen wollte, erlitt er in den kalten Wassern des in den kilikischen Bergen entspringenden Flusses einen Herzschlag. Der Kreuzzug wurde abgebrochen.

Es war das Ende eines feudalen Herrschers, der eine herausragende Persönlichkeit sowohl der deutschen als auch der europäischen Geschichte des 12. Jahrhunderts und noch darüber hinaus darstellt. Ihn mit allem Reaktionären in der deutschen Geschichte gleichzusetzen, was durch die Identifizierung militaristischer Kriegervereine seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der Kyffhäuserlegende und durch den Missbrauch seines Namens für die Aggression Hitlerdeutschlands gegen die UdSSR befördert wurde, geht an der historischen Realität vorbei. Ebenso abwegig sind seine Idealisierung und Heroisierung, die seit dem 19. Jahrhundert das Geschichtsbild vom Kaiser Rotbart, von der alten deutschen Kaiserherrlichkeit sowie von deutscher Macht und Einheit prägten.


Anmerkungen:

[1] Masche, Erich: Kaiser Friedrich I. In: Die großen Deutschen, Prisma-Verlag, Gütersloh, Bd I, S. 70 bis 87.

[2] Treue, Wilhelm: Deutsche Geschichte, Bd. 1 (der zweibändigen Ausgabe), Von den Germanen bis zu Napoleon, Augsburg 1990, S. 166.

[3] Priester, Prediger und Stiftspropst in Brescia, trat als Kirchenreformator für eine einfache Lebensweise der Priester ein, forderte einen Verzicht der Kirche auf weltliche Machtansprüche, begründete in Rom eine kommunale Bewegung.

[4] Treue, S. 158.

[5] Ebd., S. 161 f.

[6] "Über den Verfalls des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie", In: Bd. 21, MEW, Dietz Verlag Berlin/DDR 1962, S. 393-401.

[7] Kuczynski, Jürgen: Asche für Phönix, Köln 2019, S. 38.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 13. Januar 2023

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