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MEMORIAL/230: Italiens Monarchie 1946 per Referendum gestürzt - letzter Sieg der Resistenza (Gerhard Feldbauer)


Kampf um die Republik

Am 2. Juni 1946 wurde in einem Referendum die italienische Monarchie gestürzt
Es war der letzte Sieg der Resistenza

von Gerhard Feldbauer, 8. Juni 2021



Abbildung: Furfur, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

Ergebnis des Referendums vom 2. Juni 1946 über die Abschaffung der Monarchie und die Einführung der Republik - rot: Mehrheit für Republikaner, blau: Mehrheit für Monarchisten
Abbildung: Furfur, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0], via Wikimedia Commons

In einem Referendum zur Staatsform stimmten am 2. Juni 1946 die zu den Zielen der Resistenza, dem antifaschistischen nationalen Befreiungskrieg, stehenden Kräfte mit 12.717.923 Stimmen (54,3 Prozent) für die Republik und beseitigten die Monarchie, die seit der Machtergreifung Mussolinis 1922 bis zu dessen Sturz im Juli 1943 eine entscheidende Basis der faschistischen Diktatur gewesen war. Bei den gleichzeitig anberaumten Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung erreichten die führende großbürgerliche Democrazia Cristiana (DC) 35,2, die Sozialistische Partei (PSI) 20,7 und die Kommunistische Partei (PCI) 18,9 Prozent. Die bereits im August 1945 mit Hilfe der US-amerikanischen Besatzungsmacht entstandene und zur Wahl zugelassene faschistische Sammlungsbewegung "Uomo Qualunque" (Jedermann) kam auf 5,3 Prozent.

Seit dem Sieg über das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht und die Mussolini-Faschisten Ende April 1945 gab es zwischen den von Kommunisten und Sozialisten angeführten antifaschistischen Kräften und der Reaktion mit wechselnden Erfolgen scharfe Auseinandersetzungen um eine antifaschistische demokratische Nachkriegsordnung, in der es darum ging, die politischen und sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus zu beseitigen. Entscheidender Faktor der Klassenkämpfe war der PCI, der aus dem antifaschistischen Widerstand als die politisch einflussreichste Kraft hervorging, was sich vor allem aus seiner Rolle im bewaffneten Kampf und seinen Positionen in der Partisanenarmee ergab. Mit 2,2 Millionen Mitgliedern war er auch die zahlenmäßig stärkste Partei. Mit dem PSI, mit dem er seit 1934 durch Aktionseinheitsabkommen verbunden war, stimmte er in diesen Fragen grundsätzlich überein.


Porträt - Foto: Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Palmiro Togliatti
Foto: Unknown photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti trat dafür ein, die antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen auf parlamentarischem Weg durchzusetzen. Kommunisten und Sozialisten stellten keine sozialistischen Forderungen als Tagesaufgabe, forderten jedoch, das Eigentum des Großkapitals und der Großagrarier durch Nationalisierungen und eine Agrarreform zu beschneiden. Unterstützt von der US-amerikanischen Besatzungsmacht lehnten die führenden Kapitalkreise und das Königshaus die Forderungen der Arbeiterparteien ab. Bereits im Mai 1945 kam die Allied Military Government for Occupied Territories (AMGOT) den Forderungen der Rechten in der DC und der Liberalen nach und entwaffnete alle Partisanenverbände. Damit wurde den örtlichen und regionalen Befreiungskomitees, welche in Norditalien die faktischen Machtorgane bildeten und demokratische Reformen eingeleitet hatten, ihre wichtigste Stütze genommen. Ein Kongress der regionalen CLN des Nordens hatte gefordert, dass sich die Regierung bis zur Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung bei der Ausübung gesetzgeberischer Gewalt auf das Befreiungskomitee stützen müsse. Die AMGOT setzte die Auflösung der Fabrikräte, die in vielen von den Unternehmern verlassenen Betrieben gebildet worden waren, durch und half, faschistische Industrielle vor der Festnahme durch CLN-Organe in Sicherheit zu bringen. Darunter befand sich auch Vittorio Valletta, unter Mussolini Generaldirektor des Rüstungskonzerns FIAT, der als Kriegsverbrecher auf der Liste des CLN stand.

Im Juni 1945 löste die AMGOT das "Hohe Kommissariat zur Verfolgung der Regimeverbrecher" auf und setzte eine so genannte Amnestie der "nationalen Versöhnung" durch, mit der die, wenn auch begrenzten, Säuberungen im öffentlichen Dienst ein überstürztes Ende fanden. Von etwa 20.000 bis 30.000 von ordentlichen Gerichten durchgeführten oder eingeleiteten Verfahren wurden die meisten eingestellt, über 11.000 bereits ergangene Urteile aufgehoben oder Begnadigungen gewährt. Zu den Freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten 10. Torpedoboot-Flotille, Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes als Kriegsverbrecher verurteilt worden war. Dabei hatte der diesbezügliche Erlass festgelegt, dass Faschisten, die "wichtige öffentliche, politische oder militärische Führungsfunktionen" innegehabt hatten, von der Amnestie auszuschließen waren. Nach den Prozessakten jener Jahre, schrieb der kommunistische Jurist und Verfolgte des Faschismus Alberto Malagugini, "hat jedoch kein Faschist je wichtige politische oder öffentliche Funktionen ausgeübt, selbst die Minister der Sozialen Republik nicht." [1]


Porträt - Foto: dati.camera.it, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0], via Wikimedia Commons

Alberto Malagugini
Foto: dati.camera.it, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0], via Wikimedia Commons

Danach gelang es den Linken am 21. Juni mit der Berufung des Vorsitzenden der kleinbürgerlichen, radikal-demokratischen Aktionspartei, Ferrucio Parri, zum Ministerpräsidenten an Stelle des zum Rücktritt gezwungenen Liberalen Bonomi, den weiteren Vormarsch der Reaktion vorerst zu stoppen. Es war ein Kompromiss, denn sowohl Kommunisten und Sozialisten hatten für den PSI-Vorsitzenden Pietro Nenni und die DC für ihren Chef Alcide De Gasperi keine Mehrheit gefunden.

Luigi Longo, nach Togliatti der zweite Mann in der PCI-Führung, suchte die Basis der Partei, die starke Bastionen in den Betrieben von Mailand, in Turin (Sitz der FIAT-Zentrale) und der Hafenstadt Genua hatte, für den revolutionären Vormarsch zu mobilisieren und forderte, gegen "die Magnaten der Industrie, der Finanz und des Großgrundbesitzes" vorzugehen und "gegen die Reaktion" zu marschieren, die sich um die Monarchie sammelt. In den USA holte man zum konterrevolutionären Gegenschlag aus. Anfang November forderte der Präsident der Bank of America, der Italoamerikaner Amadeo Giannini, in Rom Parris Sturz, andernfalls Italien keine weiteren "Finanzhilfen" erhalten werde. DC und Liberale folgten der Order und provozierten eine Regierungskrise. Sie setzten Parris Rücktritt und am 6. Dezember die Berufung von Alcide De Gasperi durch. PCI und PSI verblieben in der Regierung mit dem Ziel, den rechten Vormarsch aufzuhalten und antifaschistische Grundsätze der Resistenza zu verteidigen.

Zum nächsten Feld der Klassenkämpfe wurden am 10. März 1946 die Kommunalwahlen in 5.722 von insgesamt 7.294 Städten und Gemeinden, die die ersten nach Kriegsende waren und einen nationalen Querschnitt darstellten. Die Hoffnung der großbürgerlichen und rechten Kreise, mit dem Wahlgang den Einfluss der Linken entscheidend zurückzudrängen, erfüllte sich nur begrenzt. Die DC erreichte etwa 50 Prozent der Stimmen, während PCI und PSI auf 40 Prozent kamen. Die DC verfügte nach den Wahlen in 2.534 Kommunen, PCI und PSI in 2.289 über eine parlamentarische Mehrheit. In etwas weniger als einem Drittel (28 von 93) der Provinzhauptstädte stellten die PCI oder PSI den Bürgermeister, darunter in Genua, Turin, Bologna und Florenz.

Nun wurde die Entscheidung über die Staatsform zum Höhepunkt der Auseinandersetzungen über die Nachkriegsordnung. Nach der Vereinbarung der antifaschistischen Einheitsregierung vom Juni 1944 sollte darüber die Verfassungsgebende Versammlung entscheiden. De Gasperi versuchte zunächst, die Wahlen zur Konstituente hinausschieben, damit die konservativen und reaktionären Kräfte wieder festen Fuß fassen konnten, um dann eine Abstimmung über die Monarchie scheitern zu lassen. Als das fehlschlug, setzte er darüber für den 2. Juni ein Referendum und gleichzeitig Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung an. Gegen das Referendum begannen die Monarchisten, unterstützt von Faschisten und Papst Pius XII., eine wütende Hetze. Mit der Ausrufung des Prinzregenten zum König Umberto II. am 9. Mai wurde das ebenfalls 1944 geschlossene Abkommen über dessen Statthalterschaft (siehe Keller) gebrochen. Kommunisten und Sozialisten orientierten auf das Referendum, während die DC diese Frage offen ließ und sich darauf konzentrierte, die meisten Sitze in der Konstituente zu erringen. Die Liberalen sprachen sich für die Beibehaltung der Monarchie als auch vorfaschistischer Staatsstrukturen aus. Wahlanalysen belegten, dass sich unter den 10.719.284 Wähler (das waren 45,7 Prozent), die für die Monarchie gestimmt hatten, ein Großteil Anhänger der DC befanden.

Umberto weigerte sich, die Niederlage anzuerkennen. Monarchisten und Faschisten entfesselten vor allem im Süden, wo unter den zum Teil noch halbfeudalen Verhältnissen und des kaum von Faschisten gesäuberten Staatsapparates eine Mehrheit für das Königshaus gestimmt hatte, blutige Auseinandersetzungen, um wegen angeblicher "Unregelmäßigkeiten" eine Annullierung der Referendumsergebnisse durchzusetzen. Als Kommunisten und Sozialisten Massendemonstrationen für die Republik organisierten, floh Umberto ins faschistische Spanien, von wo aus er weiter gegen die Republik hetzte. Als die Königsfamilie und ihre Anhänger bei ihrer feindseligen Haltung gegenüber der Republik blieben, wurden sie des Landes verwiesen und in der Verfassung für die männlichen Savoyer ein Rückkehrverbot festgeschrieben. Im Bündnis mit den Faschisten gehörten die Monarchisten weiterhin zur äußersten Reaktion und zu den Feinden der verfassungsmäßigen Ordnung.

Die Verfassungsgebende Versammlung trat am 25. Juni 1946 zu ihrer ersten Sitzung zusammen, um die Verfassung der Republik auszuarbeiten.


Quelle: I Giorni della Storia d'Italia. Dal Risorgimento a oggi. Cronaca quotidiana da 1815. Novarra 1997, S. 510-525.


Anmerkung:
[1] Italia 2945-1975, Mailand 1975, S. 427.


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Das Abkommen über die Statthalterschaft

Im April 1944 hatten IKP und ISP mit den bürgerlichen Oppositionsparteien eine antifaschistische Einheitsregierung gebildet, an deren Spitze zunächst der an der Palastrevolte, die im Juli 1943 den "Duce" gestürzt hatte, beteiligte Marschall Pietro Badoglio stand. Im Rahmen der Ausprägung des antifaschistischen Charakters der Regierung wurde Badoglio im Juni 1944 vom Nationalen Befreiungskomitee (CLN) zum Rücktritt gezwungen und an seiner Stelle der Liberale Ivanoe Bonomi berufen. Über die Beseitigung der Monarchie, die über zwei Jahrzehnte eine entscheidende Stütze der faschistischen Diktatur gewesen war, kam es zu keiner Einigung. Als Kompromiss wurde das sogenannte Statthalter-Abkommen geschlossen, das besagte, dass König Vittorio Emanuele III. seinen Rücktritt erklärte und Kronprinz Umberto als Statthalter die Monarchie vertrat. Ihm wurden jedoch nicht die Rechte des Staatsoberhauptes zuerkannt. So wurde Bonomi nicht von ihm, sondern vom CLN ernannt. Über die Staatsform sollte nach Kriegsende eine Verfassunggebende Versammlung entscheiden.
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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 22. Juni 2021

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