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MEMORIAL/221: Vietnam - Sieg der Nationalen Befreiungsrevolution im August 1945 (Gerhard Feldbauer)


Im August 1945 siegte in Vietnam die Nationale Befreiungsrevolution und Ho Chi Minh rief am 2. September die Demokratische Republik Vietnam aus

Bis heute gültige Lehren und Erfahrungen

Von Gerhard Feldbauer, 18. August 2020


Vor einem Dreivierteljahrhundert siegte in Vietnam im August 1945 die nationale Befreiungsrevolution und am 2. September rief Ho Chi Minh die Demokratische Republik Vietnam (DRV) aus. Werfen wir einen Blick auf die Ereignisse, die Meilensteine der Geschichte sind. Nicht zuletzt deswegen, weil der nationale Befreiungskampf Vietnams bis in die Gegenwart sowohl national als auch international wegweisende Lehren und Erfahrungen vermittelt, und das auch unter dem Gesichtspunkt der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus auf die konkreten Entwicklungsbedingungen des Landes.

Wir leben derzeit in einer Etappe der Ebbe des revolutionären Kampfes, in der uns Vietnams Beispiel zeigt, dass der Weg zu einer neuen, von Ausbeutung freien Gesellschaft auch über Niederlagen zum Sieg führt.


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Aus der Befreiungsgeschichte Vietnams wie auch weltweiter antikolonialer Kämpfe nicht wegzudenken - Ho Chi Minh, hier in einer Aufnahme von 1946
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Der Sieg der Augustrevolution setzte der ein Jahrhundert vorher über Vietnam errichteten französische Kolonialherrschaft ein Ende und stellte mit der Gründung der DRV die staatliche Unabhängigkeit wieder her. Mit der Augustrevolution siegte zum ersten Mal in einem kolonial unterjochten Land die nationale Befreiungsrevolution unter Führung der Arbeiterklasse mit ihrer kommunistischen Partei an der Spitze. Diese Partei hatte es verstanden, im Kampf gegen das Kolonialregime und für die nationale Befreiung in Gestalt der legendären Viet Minh ein im wahrsten Sinne des Wortes breites nationales Bündnis zu schaffen, das bis zu Kräften der nationalen Bourgeoisie reichte und selbst Angehörige der Notabeln und Mandarine, also des niederen und höheren Feudaladels, einschloss. Diese Revolution verwirklichte Schritt für Schritt die soziale Befreiung in der einzig möglichen Form, der des Übergangs zur sozialen Umwälzung, die bis heute sozialistische Revolution genannt wird. [1]

Diese Revolution verstand sich zu verteidigen, was hieß, dass sie den Versuch des französischen Imperialismus, Vietnam erneut seinem Kolonialjoch zu unterwerfen, im neuen achtjährigen Befreiungskampf (1946-1954) erfolgreich abwehrte. Grundlagen dafür wurden von Beginn der kolonialen Unterjochung an mit dem Widerstand des Volkes dagegen und zuletzt in den revolutionären Massenkämpfen 1930/31 gelegt. In diesen Kämpfen, an deren Spitze sich die Arbeiter mit der kommunistischen Partei stellten, entstanden Sowjets als revolutionär-demokratische Machtorgane der Arbeiter und Bauern und zu ihrer Verteidigung Rote Garden.

Als die USA 1956 die Nachfolge Frankreichs antraten und über Vietnam ihre neokoloniale Herrschaft errichten wollten, brachte die DRV der größten westlichen Militärmacht, zuletzt 1975 in der Schlacht um Saigon, eine noch vernichtendere Niederlage bei.

Von Anfang an übte die vietnamesische Revolution einen entscheidenden Einfluss auf den nationalen Befreiungskampf in Asien, Afrika und Lateinamerika aus. Diese Revolution bewirkte den weltweiten Beginn des Zerfalls des alten imperialistischen Kolonialsystems. Davon zeugte 1960 das "Afrikanische Jahr", in dem 17 Länder ihre Unabhängigkeit errangen. Dass sich an der ökonomischen Abhängigkeit vom Imperialismus wenig änderte, unterstreicht ein weiteres Mal die Erfahrungen Vietnams bei der sozialen Befreiung. Sie trugen mit dazu bei, dass sich danach in Afrika - so in Angola, Moçambique, Äthiopien und der Volksrepublik Kongo (Hauptstadt Brazzaville) - unter dem Einfluss des osteuropäischen Sozialismus, aber auch dem Kubas, in den 1970/80er Jahren revolutionär-demokratische Parteien formierten, die eine sozialistische Orientierung als Ziel ihrer sozialen Befreiung verkündeten. Mit der sozialistischen Niederlage 1989/90 verloren diese Parteien ihren Rückhalt, der politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung eingeschlossen hatte, und gingen auf sozialdemokratische Positionen über, wenn sie nicht überhaupt nach rechts abdrifteten.

Dass dieser von Kuba und Vietnam ausgehende Einfluss des Sozialismus auch nach dessen Niederlage in Osteuropa anhält, bezeugen die revolutionären Prozesse beispielsweise in Venezuela und in Bolivien. In letzterem lateinamerikanischen Land verfolgte auch Juan Evo Morales, der vom Januar 2006 bis zu seinem von der Konterrevolution inszenierten Fall am 10. November 2019 Präsident Boliviens war, mit der Partei Movimiento al Socialismo (MAS) und der Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern eine sozialistische Orientierung. Sein Sturz durch die Reaktion gelang, weil er versäumt hatte, sowohl die Lösung der Machtfrage (wer wen) anzugehen als auch die Revolution zu bewaffnen. Unter diesen Gesichtspunkten sind die Erfahrungen Vietnams von besonders aktueller Bedeutung.

1976 beschlossen die DRV und die im Befreiungskampf gebildete Republik Südvietnam (RSV) auf dem Weg der Wahl einer Nationalversammlung die Wiedervereinigung und als Bekenntnis des gemeinsamen Weges zum Sozialismus die Staatsbezeichnung Sozialistische Republik Vietnam (SRV). Damit wurde der Konterrevolution im Süden die staatliche Basis entzogen, was eine entscheidende Grundlage dafür wurde, dass die KPV die Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 überstand. Hoffnungen ihrer Gegner, die Partei werde den Weg osteuropäischer kommunistischer und Arbeiterparteien gehen und den Pfad der Sozialdemokratie einschlagen, erwiesen sich als Trugschluss. Die Partei Ho Chi Minhs und seiner Nachfolger hat sich nicht gewendet. Sie zählt heute 3,6 Millionen Mitglieder. 60 Prozent davon sind Jugendliche. Unter ihrer Führung beschreitet Vietnam weiter seinen sozialistischen Weg und steigt als einstiges Agrarland zu einer modernen Industrienation auf. Mit jährlichen Wachstumsraten von sechs bis acht Prozent ist die Wirtschaft Vietnams die stärkste im gesamten südostasiatischen Raum.


Der "Vater" der Revolution

Die siegreiche vietnamesische Befreiungsrevolution ist untrennbar mit Ho Chi Minh verbunden, den man den "Vater" dieser Revolution nennt. Mit seinen reichen internationalen Erfahrungen - er gehörte als Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs zu den Delegierten, die 1920 auf dem Parteitag in Tours die PCF gründeten, als Experte der Kommunistischen Internationalen für Kolonialfragen bereiste er viele Länder, er war Leiter ihrer Südostasien-Sektion - erkannte er die Kernfrage des nationalen Befreiungskampfes, die Bildung einer führenden Kraft in Gestalt einer kommunistischen Partei, deren Vorbereitung er 1925 in Kanton mit einem Zirkel von 20 Teilnehmern begann. Bei der Parteigründung am 3. Februar 1930 waren es dann 1.828 Mitglieder, deren Delegierte ihn zum Vorsitzenden wählten.

In seiner Schrift "Der revolutionäre Weg", die 1926 erschien, skizzierte Ho Chi Minh die Notwendigkeit, eine solche Partei zu gründen.


Foto: Agence de presse Meurisse [Public domain], via Wikimedia Commons

Überzeugt von der Notwendigkeit kommunistischer Parteien in nationalen Befreiungskämpfen - Nguyen Ai-Quoc, der spätere Ho Chi Minh, 1921 in Marseille bei einem Kongreß französischer Kommunisten
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Führende Rolle der Kommunistischen Partei

Die Kommunistische Partei Vietnams wurde zur Basis dafür, daß in Vietnam in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die Arbeiterklasse mit ihr an der Spitze zur führenden Kraft der nationalen Befreiungsrevolution wurde.

In den Befreiungskämpfen dieser Zeit spielte der militärische Faktor eine entscheidende Rolle. [2] Vorausschauend delegierte Ho Chi Minh Genossen zum Studium nach Moskau an die Militärakademie der Roten Armee und auch an die militärische Lehranstalt Huang Pu bei Kanton, an der sowjetische Militärs Offiziere der Volksbefreiungsarmee Chinas als auch der Truppen Tschiang Kai Scheks in der Periode der Einheitsfront zwischen der KP China und der Kuomintang ausbildeten. Ho Chi Minh belegte in Moskau auch selbst militärische Vorlesungen.

Die Absolventen formierten 1930/31 die 30.000 Kämpfer zählenden Roten Garden zur Verteidigung der während eines Bauernaufstandes in Zentralvietnam entstandenen Sowjets als Vietnamesische Räte. Unter Bezug auf vietnamesische Quellen sprach die "Humanité" am 17. September 1931 sogar von 40.000 bewaffneten Aufständischen. [3] Die französische "L'Opinion publique" schrieb am 12. Dezember 1930: "In den beiden Provinzen Zentralvietnams handelt es sich längst nicht mehr um einen einfachen Putsch oder Gewaltstreich, sondern um eine tatsächliche Revolution. Die Leute dort handeln derart umfassend, dass die beiden Provinzen die Sowjetmacht errichtet haben. Es scheint, dass unsere Macht dort nicht mehr existiert."

Obwohl es kaum Chancen für einen Sieg der Erhebung gab, stellte sich die KPV an die Seite der Bauern und übernahm an der Spitze der Arbeiter die Führung. Das Zentralkomitee der Partei beschloss, dass die gesamte Partei nun, da es sich "um vollendete Tatsachen" handelt, unverzüglich die Führung übernehmen und die Sowjetmacht mit aller Kraft festigen und verteidigen muss. Unter Vorsitz von Ho Chi Minh fasste das ZK im Oktober 1930 entsprechende Beschlüsse und ernannte das ZK-Mitglied Nguyen Phong Sac zu seinem Beauftragten im Aufstandsgebiet. [4] Die Partei hob hervor, dass die Machtergreifung in Nghe Tinh zur Grundlage für die politisch-ideologische Erziehung der Werktätigen werden müsse, besonders dahingehend, dass die Machtfrage eine Grundfrage der nationalen Befreiungsrevolution ist. [5]

Die Partei folgte den von Marx, Engels und Lenin vermittelten Lehren, die unter Berücksichtigung der konkreten historischen Bedingungen besagten, "dass es Augenblicke in der Geschichte gibt, wo ein verzweifelter Kampf der Massen sogar für eine aussichtslose Sache notwendig ist um der weiteren Erziehung dieser Massen und ihrer Vorbereitung zum nächsten Kampf willen". [6] Für die Situation in Nghe Tinh im Herbst 1930 traf prinzipiell zu, was Lenin bei der Würdigung der konsequenten Haltung von Marx gegenüber dem himmelstürmenden Proletariat der Pariser Kommune sagte: "Eine Niederlage der revolutionären Aktion in dieser Situation, wie in vielen anderen, war vom Standpunkt des Marx'schen dialektischen Materialismus für den ganzen Gang und Ausgang des proletarischen Kampfes ein kleineres Übel als ein Verzicht auf die einmal eingenommene Position, als eine Kapitulation ohne Kampf: eine solche Kapitulation hätte das Proletariat demoralisiert, seine Kampffähigkeit untergraben." [7]

Über ein Jahr verteidigte sich diese Arbeiter- und Bauernmacht gegen eine Übermacht von 100.000 Kolonialsoldaten, die Zehntausende von ihnen umbrachten. [8] Schwere Verluste erlitt die Kommunistische Partei. Am Ende der zweiten Plenartagung ihres Zentralkomitees, die im März in Saigon stattfand, wurde nahezu die gesamte Parteiführung verhaftet. [9] Auch in Nghe Tinh fielen die meisten führenden Funktionäre der Partei und der Sowjets dem Terror zum Opfer, darunter am 3. Mai 1931 der Führer der Sowjetbewegung, ZK-Mitglied Nguyen Phong Sac.


Das Vorspiel der Augustrevolution

Trotz ihrer Niederlage wurden die vietnamesischen Räte, wie Ho Chi Minh später einschätzte, zum "Vorspiel der Augustrevolution" 1945 und schmiedeten das Bündnis der Arbeiter mit den werktätigen Bauern. Hätte die Partei die Bauern 1930 im Stich gelassen, wären sie ihr in der Augustrevolution niemals gefolgt, analysierte Ho Chi Minh.

Die Massenkämpfe von 1930/31 spiegelten in der bis dahin sichtbarsten Weise den Einfluss der Sozialistischen Oktoberrevolution und der von ihr eingeleiteten Epoche wider, in der, wie Lenin formulierte, "die Völker des Ostens erwachen, um praktisch zu handeln und damit jedes Volk das Schicksal der ganzen Menschheit mitbestimmt". [10] Charakteristisch für Vietnam wurde seitdem - und zwar stärker, als das zu dieser Zeit bei den meisten Befreiungsbewegungen der kolonial unterdrückten Länder der Fall war -, dass deren Kampf entscheidend von der Entwicklung der revolutionären Kampfpartei der Arbeiterklasse bestimmt wurde. Von ihrer Fähigkeit, dazu eine wissenschaftliche Strategie und Taktik auszuarbeiten und diese richtig anzuwenden, hing von nun an entscheidend der Erfolg dieser Revolution ab. [11] Diese Faktoren bewirkten ferner, dass in Vietnam offener und früher als in anderen kolonial unterdrückten Ländern die Grundfragen des sozialen und nationalen Befreiungskampfes in ihrer Dialektik hervortraten.

Das Bündnis wurde zur Basis für eine breite antiimperialistische Einheitsfront. Bereits auf ihrem Plenum im Oktober 1930 beschloß die KPV ein Statut für eine "Antiimperialistische Einheitsfront".

Zu Beginn des Jahres 1941 hatten die Hitlerhorden fast ganz Europa unterjocht. Japan, der faschistische Achsenpartner im Fernen Osten, war in weite Gebiete Asiens eingefallen. Als Tokio im Frühjahr 1940 Vietnam überfiel, leisteten die französischen Kolonialtruppen kaum Widerstand. Der von den Vichy-Behörden [12] eingesetzte Gouverneur, Admiral Jean Decoux, überließ Japan Indochina mit allen französischen Luftwaffen- und Marinestützpunkten als Aufmarschbasis zur Fortsetzung der Aggressionen in Südostasien. Ende 1941 stand das Gros der 15. japanischen Armee in Indochina. Thailand und Burma befanden sich im Operationsbereich der japanischen Landstreitkräfte, die landgestützten Bomberverbände konnten ihren Aktionsradius bis nach Malaysia und Singapur ausdehnen. Als Gegenleistung ließ die japanische Besatzungsmacht die französische Kolonialverwaltung unter ihrer Oberhoheit formal weiter amtieren.


Die Gründung der Viet Minh

Das war die Situation, in der Ho Chi Minh am 6. Februar 1941 in der nordvietnamesischen Provinz Cao Bang eintraf, um die Leitung des Befreiungskampfes zu übernehmen. Das historische Ereignis zeugte von seiner unerschütterlichen Überzeugung, dass der deutsche Faschismus und japanische Militarismus scheitern werden.

Ho Chi Minh bereiste die nördliche Bergregion, um sich ein Bild von der Situation in den revolutionären Basen und ihrer Verbindung zur Bevölkerung zu verschaffen. Erst danach fand im Mai das 8. Plenum des Zentralkomitees der Partei statt, das die erste Etappe der Revolution als national-demokratische Umwälzung einschätzte. Als unmittelbare Aufgabe formulierte es die Befreiung Vietnams vom doppelten Joch des französischen und japanischen Imperialismus. Es betonte, dass dieses Ziel nur mit der Mehrheit des Volkes erreicht werden kann und schlug vor, eine breite nationale Einheitsfront zu bilden. Sie entstand am 19. Mai mit Vertretern der verschiedenen Volksschichten in Gestalt der Vietnam Doc Lap Dong Minh, der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams. Die Einheitsfront, der etwa 50 Parteien und Organisationen beitraten, ging unter dem legendären Namen Viet Minh in die Geschichte ein.

Mit der Viet Minh entstand jene Kraft, die in den nächsten drei Jahren breite Kreise der Bevölkerung - Arbeiter und Bauern, Vertreter der Intelligenz, der verschiedenen Schichten des Kleinbürgertums und der nationalen Bourgeoisie sowie der nationalen Minderheiten als auch vietnamesische Soldaten aus der französischen Kolonialarmee - für die nationale Erhebung vereinte. Gleichzeitig organisiert die Viet Minh bewaffnete Volkskräfte und schaffte, vor allem in den nördlichen Bergregionen, Partisanenstützpunkte.


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Der Weggefährte Ho Chi Minhs und spätere Verteidigungsminister Vo Nguyen Giap
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Die Volksarmee entsteht

Am 22. Dezember 1944 wird in den Wäldern von Cao Bang eine 34 Mann zählende bewaffnete Einheit aufgestellt. Ihr offizieller Name lautet "Brigade bewaffneter Propaganda für die Befreiung Vietnams". "Sie soll die Keimzelle unserer künftigen Volksarmee werden", sagt Ho Chi Minh zu den Männern. Ihr Kommandeur wird der 31jährige Lehrer Vo Nguyen Giap, der spätere Verteidigungsminister der DRV. Der Schöpfer der vietnamesischen Volksarmee wird in den nächsten Jahrzehnten als der legendäre Schlachtenlenker und Organisator unzähliger Siege über die französischen Kolonialisten und die ihnen folgenden amerikanischen Aggressoren bekannt. "Vielseitig sind eure Aufgaben", sagt Ho den Gründersoldaten der Volksarmee. "Nicht nur die Waffe müsst ihr führen können. Was nützt sie euch, wenn die Bauern nicht hinter euch stehen. Geht in ihre Hütten, überzeugt sie, dass die Stunde gekommen ist, die Heimaterde zu befreien. Seid nicht ungeduldig, wenn man euch nicht bereits am ersten Abend zustimmt."

Angesichts der ersten erfolgreichen Partisanenaktionen warnt Ho Chi Minh ebenso vor einem verfrühten Losschlagen im Landesmaßstab, das den Sieg in Frage stellen könnte. "Wenn ihr angreift, dann nur, um den Sieg zu erringen." Ho agitiert nicht nur, er geht mit Giap und den Soldaten der Propagandaabteilung selbst in die Pfahlbauten der Bergstämme, in die Hütten der Reisbauern und trifft sich mit Arbeitern aus den Fabriken. Sie diskutieren mit ihnen, klären über ihre Ziele auf, überzeugen. In den folgenden Monaten strömen ihnen Zehntausende Kämpfer zu.

Um den vietnamesischen Befreiungskampf zu unterminieren, inszeniert das japanische Militärkommando in Hanoi am 9. März 1945 einen Staatsstreich. Es beseitigt die französische Kolonialverwaltung und proklamiert mit dem vietnamesischen Kaiser Bao Dai einen "unabhängigen" vietnamesischen Staat. Die Viet Minh ruft daraufhin zum Befreiungskampf gegen die japanischen Aggressoren auf. Im Norden werden in sieben Provinzen die japanischen Besatzungstruppen vertrieben. Nur die Städte befinden sich noch in ihrer Hand. Während die Befreiungsfront im Rahmen des Kampfes der Anti-Hitlerkoalition einen aktiven Beitrag zur Zerschlagung des japanischen Militarismus leistet, arbeiten die Vichyhörigen Kolonialbehörden, die ihre Positionen durch die Befreiungsbewegung bedroht sehen, weiter mit den Okkupanten zusammen.


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1. Oktober 1945 - Marinesoldaten der sowjetischen Pazifikflotte in Port Arthur
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Die Fernost-Offensive der Sowjetarme

Aufmerksam verfolgt die Viet Minh die Kampfhandlungen der UdSSR gegen Japan, in denen sie eine wichtige außenpolitische Bedingung ihres eigenen Erfolgs sieht. Drei Monate nach der Zerschlagung Hitlerdeutschlands beginnen am 9. August 1945 drei sowjetische Frontgruppen im Fernen Osten, unterstützt durch starke Fliegerkräfte und Operationen der Roten Pazifikflotte, eine gewaltige Offensive gegen Japan, in deren Verlauf die 1,2 Millionen Mann starke Kwantungarmee zerschlagen wird. Die sowjetischen Truppen besetzen die Mandschurei, befreien Nordkorea und schaffen entscheidende Voraussetzungen für den erfolgreichen Verlauf der Befreiungsbewegung in China, in Korea sowie in weiteren asiatischen Ländern, darunter auch Vietnam.

Vier Tage nach Beginn dieser Offensive tritt am 13. August in Tan Tao, im nördlichen Viet Bac-Gebiet, die Führung der Viet Minh zusammen, um die Situation einzuschätzen. Die Volksarmee hatte inzwischen im Norden eine zusammenhängende befreite Zone geschaffen. Ihre Vorausabteilungen standen 60 km vor Hanoi. Der Zusammenbruch des japanischen Militarismus war, obwohl er in Indochina noch eine 200.000 Mann starke Armee stehen hatte, nur noch eine Frage von Tagen.

Die Stunde des Handelns war gekommen. Die Viet Minh rief die Volksarmee und die Bevölkerung zum bewaffneten Aufstand gegen die japanischen Okkupanten und die französischen Kolonialisten auf. Vom Cao Bang-Pass im Norden bis zum Kap Ca Mau im Süden stießen die Einheiten der Volksarmee in wenigen Tagen in alle Landesteile vor. Am 16. August stand die Volksarmee vor Hanoi, am 19. August war die Hauptstadt völlig in den Händen der Aufständischen. Die Hafenstadt Haiphong und die Textilarbeiterstadt Nam Dinh südlich von Hanoi waren bereits am Vortag gefallen. Am 23. August wehte die rote Fahne mit dem gelben Stern über der alten Kaiserstadt Hue. Am 25. August dankte Bao Dai, der letzte Kaiser der Gia Long-Dynastie, ab und übergab einen Tag später in der Zitadelle der Stadt die Macht an die Vertreter des Nationalen Befreiungskomitees. Die vietnamesische Augustrevolution hatte gesiegt.


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Hanoi, 19. August 1945 - die Aufstandsbewegung befreit die Hauptstadt Vietnams
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Ho Chi Minh proklamiert die Demokratische Republik Vietnam

Noch während der Aufstand in vollem Gange war, trat am 16. August ein von der Viet Minh einberufener nationaler Kongress zusammen. Er fasste den historischen Beschluss, die Macht zu übernehmen, bestätigte das innen- und außenpolitische Programm der Viet Minh und bildete das Nationalkomitee zur revolutionären provisorischen Regierung um. Am 2. September proklamierte Ho Chi Minh auf dem Ba Dinh-Platz in Hanoi vor dem ehemaligen Gouverneurspalast vor einer halben Million Einwohnern die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam. Seine Worte glichen fast denen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776: "Alle Menschen sind gleich erschaffen. Von ihrem Schöpfer wurden sie mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet, darunter dem Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glück." Nach über einem halben Jahrhundert Kolonialherrschaft hatte Vietnam seine nationale Unabhängigkeit wieder errungen. Die Unabhängigkeitserklärung endete mit folgenden Worten: "Das vietnamesische Volk ist entschlossen, all seine geistigen und materiellen Kräfte aufzubieten, Leben und Besitz zu opfern, um sein Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit zu behaupten."

In diesen Augusttagen 1945 siegte in Vietnam zum ersten Mal in einem kolonial-feudalen Land die nationale Befreiungsrevolution unter Führung der Arbeiterklasse mit der KP an der Spitze. Diese Revolution leitete gleichzeitig den Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems ein.


Zum Thema erschien vom Autor in der Reihe "Konsequent" der DKP Berlin, Heft 2 /2020, die Schrift "Vor 75 Jahren siegte in Vietnam die Augustrevolution. Ho Chi Minh rief am 2. September 1945 die Demokratische Republik Vietnam aus".


Fußnoten:

[1] Jürgen Kuczynski betont, dass "nur eine sozialistische Lösung der sozialen Frage in unserer Epoche existiert", die, wenn möglicherweise auch unter einem anderen Namen, "den Sieg davontragen" wird. Darauf zielte auch der Titel seines Buches "Asche für Phönix", der der Gewissheit Ausdruck gibt, dass der Sozialismus "aus seiner Asche hervorsteigen wird". Siehe Jürgen Kuczynski: Asche für Phönix oder: Vom Zickzack der Geschichte. Aufstieg, Untergang und Wiederkehr neuer Gesellschaftsordnungen. Papyrossa, Köln 2019.

[2] Was nicht heißen soll, ihn in der Gegenwart, zum Beispiel in Lateinamerika, zu negieren.

[3] Der Autor konnte während seiner Arbeit als Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN der DDR in der DRV (1967-1970) in Nghe Tinh mit Teilnehmern, darunter Kämpfern in den Roten Garden, sprechen.

[4] Mitteilung des ZK der KPV an das Gebietskomitee von Zentralvietnam. In: Die Sowjets von Nghe Tinh. Hg. Kommission zum Studium der Parteigeschichte beim ZK der PWV (so nannte sich die Partei seit 1951), Hanoi 1960 (Vietn.), S. 52.

[5] Ebenda.

[6] Lenin, Bd. 12, Berlin/DDR 1959, S. 103.

[7] Bd. 21, Berlin/DDR 1960, S. 67 f.

[8] "Humanité", 11. Juli 1931.

[9] Ho Chi Minh hatte sich zur Sektion der KPV nach Hongkong begeben und entkam so der Verhaftung. Dort wurde er von den britischen Behörden verhaftet, konnte aber fliehen.

[10] Werke, Bd. 30, Berlin/DDR 1961, S. 145.

[11] Diese Gedanken sind auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung nach der Niederlage des Sozialismus 1989/90 in Europa zu sehen, nach der die KPV alle konterrevolutionären Versuche, sie auf einen sozialdemokratischen Kurs zu zwingen, abwehrte und erfolgreich ihren sozialistischen Weg fortsetzte.

[12] Klerikalfaschistisches Marionettenregime, das nach der Kapitulation Frankreichs 1940 unter General Philippe Pétain mit Sitz in Vichy mit Hitlerdeutschland kollaborierte. Pétain wurde 1945 in Frankreich deswegen zum Tode verurteilt, von De Gaulle zu lebenslanger Haft begnadigt.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2020

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