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MEMORIAL/162: Februar 1947 - Friedensvertrag mit Italien (Gerhard Feldbauer)


Im Friedensvertrag 1947 mit Italien lehnten die USA ein Verbot von Nachfolgeorganisationen der Mussolini-Partei ab

Damit wurde die von ihrer Militärregierung zugelassene Wiedergründung der Partei des "Duce" sanktioniert

von Gerhard Feldbauer, 8. Februar 2017


Am 7. Februar 1947 unterzeichnete die italienische Regierung unter Ministerpräsident Alcide De Gasperi (Democrazia Cristiana - DC) den während der Friedensverhandlungen der Siegermächte - UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich mit Italien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Finnland - vom 29. Juli bis 15. Oktober 1946 in Paris ausgehandelten Friedenvertrag. In den italienischen Medien fand das, soweit mir bekannt, keine erinnernde Erwähnung. Wahrscheinlich deshalb, weil eine Beachtung bis in die Gegenwart hätte führen können bzw. müssen, in der die Auseinandersetzung mit faschistischen Parteien und Organisationen, die ihren Ursprung in der Nachkriegsentwicklung haben, noch immer einen wichtigen Bezugspunkt bildet. Denn in besagtem Friedensvertrag lehnten die USA die von der UdSSR für Italien geforderte Klausel ab, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen.

Geschlossene Verträge wurden Makulatur

Das stellte einen Bruch mit der Moskauer "Erklärung über Italien" der Außenminister der UdSSR, der USA und Großbritanniens vom 30. Oktober 1943 dar, die festgehalten hatte, dass die gemeinsame Politik der Verbündeten in Italien "zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Errichtung eines demokratischen Regimes führen muss". Das verstieß ebenso gegen die auf der Krimkonferenz (4. bis 11. Februar 1945 bei Jalta) von den Regierungschefs der UdSSR, der USA und Großbritanniens verabschiedete Erklärung "Einigkeit im Frieden wie im Kriege", die festgelegt hatte, in Europa "die letzten Spuren des Nationalsozialismus und Faschismus zu beseitigen". Für heute drängt sich der Schluss auf, dass für die USA schon in dieser Zeit, um nicht auf frühere Ereignisse zurückzugehen, geschlossene Verträge und Abkommen, wenn sie ihren Weltherrschaftsbestrebungen entgegenstanden, schon immer Makulatur waren.

Der Friedensvertrag entzog Italien seine Kolonien in Afrika. Für Somalia erhielt es bis 1960 die UNO-Treuhandverwaltung. Es musste Grenzkorrekturen zugunsten Frankreichs zustimmen, den Dodekanes an Griechenland zurückgeben, Istrien, die Adriainseln und Fiume an Jugoslawien, das Gebiet von Triest als Freistaat und die Unabhängigkeit Äthiopiens und Albaniens anerkennen. Es hatte Reparationen von 360 Millionen US-Dollar (nach dem Stand von 1938) zu zahlen, davon an Jugoslawien 125, Griechenland 105, die UdSSR 100, Äthiopien 25 und Albanien 5 Millionen.

Gegen Kommunisten und Sozialisten setzten die USA auf die Mussolini-Faschisten

Die Friedensverhandlungen hatten im Vorfeld des Kalten Krieges stattgefunden, den US-Präsident Harry Truman mit seiner berüchtigten Doktrin der "Eindämmung des Kommunismus" (Containment) am 12. März 1947 einläutete. Er erklärte die USA "zum mächtigsten Land der Welt" und ihr Recht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten, die - tatsächlich oder angeblich - unter kommunistischem Einfluss stünden. Dazu bezogen die USA in Italien unmittelbar nach Kriegsende die Mussolini-Faschisten zur Niederhaltung der Kommunisten und Sozialisten und der Verhinderung einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung auf antiimperialistischen Grundlagen ein. Im Juni 1945 löste die Allied Military Government of Occupied Territory (Amgot) das "Hohe Kommissariat zur Verfolgung der Regimeverbrecher" auf und setzte eine sogenannte Amnestie der "nationalen Versöhnung" durch. Die Säuberungen im öffentlichen Dienst wurden eingestellt. Das betraf die meisten der etwa 20.000 bis 30.000 durchgeführten oder eingeleiteten Verfahren. Über 11.000 ergangene Urteile wurden aufgehoben oder Begnadigungen gewährt. Zu den Freigelassenen gehörte der Chef der berüchtigten 10. Torpedoboot-Flottille, Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes als Kriegsverbrecher verurteilt, auf Geheiß der Amgot aber begnadigt worden war.

Im August 1945 konnten frühere Parteigänger des "Duce" eine Sammlungsbewegung Uomo Qualunque (Jedermann) gründen, die im Juni 1946 am Referendum über die Staatsform (Monarchie oder Republik) und an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung teilnahm und mit 5,3 Prozent Stimmen 30 Sitze belegte. Auf Betreiben des Präsidenten der Bank of America, Amadeo Giannini, zogen die Liberalen und die Democrazia Cristiana (DC) im Dezember 1945 ihre Minister aus der 1944 im Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland gebildeten antifaschistischen Einheits-Regierung zurück und zwangen den Vorsitzenden der kleinbürgerlichen radikal-demokratischen Aktionspartei, Ferrucio Parri, zum Rücktritt. Danach setzte die DC Alcide De Gasperi als Premier durch. Das machte den Weg frei, dass im Dezember 1946 die Mussolini-Faschisten mit dem Staatssekretär des "Duce", Giorgio Almirante, als Nationalsekretär und dem erwähnten Borghese als Präsident ihre Partei unter dem Namen "Movimento Sociale Italiano" (MSI) wiedergründen konnten. Almirante hatte noch kurz vor Kriegsschluss einen Genickschussbefehl gegen Partisanen erlassen. De Gasperi ließ die Mussolini-Faschisten gewähren.

Die Partei Mussolinis wieder gegründet

Das MSI erklärte das faschistische Parteiprogramm von 1919 und das unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht im Herbst 1943 verkündete sogenannte "Manifest von Verona" zur Grundlage ihres politischen Wirkens. Mit dem MSI wurde die Partei des "Duce" wiedergegründet, obwohl die Verfassungsgebende Versammlung in einer Übergangsbestimmung festgelegt hatte, dass "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt", "mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft" wird.

Dem MSI strömten sofort Zehntausende Mussolini-Anhänger zu. 1947 war es in fast allen Regionen organisiert und verfügte über etwa 30 größere Organisationen mit weiteren Zehntausenden Mitgliedern. Zu einer Domäne des MSI wurden die verschiedenen militaristischen Traditionsverbände, die auf Initiative der USA nach dem NATO-Beitritt 1949 entstanden. Ähnlich wie in Deutschland bei den Hitlermilitärs ging es dem Pentagon auch in Italien darum, die militärischen Erfahrungen der Offiziere des "Duce" für die NATO zu sichern. Über diese Verbände erweiterte das MSI seine politische Basis und vertiefte die Kontakte zu den eigenen Militärs sowie zu denen der USA und der NATO. 1976 zählten sie etwa 720.000 ehemalige Angehörige der Mussoliniarmee, der Partei der "Duce" und anderer Organisationen aus der Zeit der faschistischen Herrschaft. In den 60er Jahren stieg das MSI auf rund 300.000 Mitglieder an. Nach seinem Zusammenschluss mit der Monarchistischen Partei 1972 betrug die Zahl 400.000. Bei den Wahlen erreichte es im gleichen Jahr 8,7 Prozent Stimmen im Parlament und wurde im Senat mit 9,2 Prozent viertstärkste Partei.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2017

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