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MEMORIAL/131: Zum Jahrestag des Sturzes Mussolinis im Juli 1943 (Gerhard Feldbauer)


Zum Jahrestag des Sturzes Mussolinis im Juli 1943

Italiens Antifaschisten warnen vor Versuchen, in der Krise ein autoritäres Regime zu errichten

Von Gerhard Feldbauer, 28.07.2015


Das antifaschistische Italien - Kommunisten, Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD), die Linkspartei SEL und der Partisanenverband ANPI - erinnerten auch dieses Jahr an den Sturz des faschistischen Diktators Benito Mussolini am 26. Juli 1943 in einer Palastrevolte, die zum Ausscheiden aus der faschistischen Achse mit Berlin und mit der Kriegserklärung an Hitlerdeutschland zum Übertritt auf die Seite der Antihitlerkoalition führte. Die kommunistische Zeitung Contrepiano nannte das Ereignis "einen entscheidenden Tag in der Geschichte", an den man sich erinnern sollte, weil es in der gegenwärtigen krisenhaften Entwicklung gefährliche Versuche "einer Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung und der Errichtung autoritärer Regimes" gebe. Das richtet sich gezielt, gegen die einige Tage vorher von der linksliberalen Repubblica enthüllten Versuche des faschistoiden Ex-Premiers Berlusconi, der in Neapel nach einer Verurteilung in erster Instanz zu drei Jahren Haft in einem Bestechungsprozess gedroht hatte, bei einer Verhaftung werde er mit seiner rechtsextremen Forza Italia (FI) "eine Revolution" beginnen. Der Richterspruch besagt, dass der Medientyccon einen Senator mit drei Millionen Euro bestochen hat, seine Partei beim Sturz der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis 2008 zu unterstützen. Die Erinnerung an den Sturz des "Duce" bezieht sich auch darauf, dass es unter den drei Regierungen Berlusconi, mit Unterbrechungen zwischen 1996 und 2011, massive Versuche gab, die Verbrechen unter dem Faschismus nicht nur zu leugnen, sonderm den Diktator auch noch "gute Taten" zu bescheinigen und ihn als "größten Staatsmann des Jahrhunderts" zu feiern. Berlusconi selbst bekundete seine Bewunderung für Hitler für dessen "heldenhaften Versuch, Europa vor dem sowjetischen Imperialismus zu retten".

Zu den Palastverschwörern, die 1943 den "Duce" stürzten, gehörten führende Industrielle und hohe Militärs mit dem Marschall Pietro Badoglio an der Spitze, den König Vittorio Emanuel III. der sich ihnen anschloss, anschließend mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragte. Diese Kreise erkannten nach der Niederlage der Wehrmacht 1942/43 bei Stalingrad, dass Hitlerdeutschland den Krieg nicht mehr gewinnen konnte und wollten sich nicht in die Niederlage hineinziehen lassen. Der von Mussolini abgesetzte Außenminister Graf Galeazzo Ciano nahm Verbindungen zu den Alliierten auf, um ein Ausscheiden Italiens aus dem Kriege zu sondieren. Entscheidende Triebkraft ihres Handelns aber war mehr noch, dass die starke antifaschistische Bewegung mit Kommunisten und Sozialisten an der Spitze das faschistische Regime stürzen und eine Volksregierung errichten könnte. Der linke Politologe und Antifaschist Franco Astengo hob diesen Einfluss hervor, der vor allem mit den im März 1943 beginnenden Antikriegsstreiks sichtbar wurde. Diese Ausstände begannen am 5. März in Turin, Sitz des größten Kriegsproduzenten Fiat, und griffen auf Mailand und weitere norditalienische Städte über. Als dann mit der Landung der Alliierten am 9. Juli auf Sizilien die Krise des Faschismus offen ausbrach, und den Faschisten "das Wasser bis zum Hals stand", wie Contrepiano schreibt, schritten die Palastverschwörer zur Tat. Zur Täuschung Hitlers versicherte Badoglio, Italien setze den Krieg fort. Insgeheim entsandte er jedoch General Giuseppe Castellano nach Lissabon zu Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Anglo-amerikanischen Oberkommando. Als die Hitlerwehrmacht nach Bekanntgabe des Waffenstillstandes am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien besetzte, leisteten die Volksmassen den entscheidenden Beitrag zum Sieg über den deutschen Faschismus und seine verblieben Vasallen in Italien. Auf Initiative der Italienischen Kommunistischen Partei IKP entstand in einem "der schwierigsten Augenblicke der Geschichte", so Astengo, ein Nationales Befreiungskomitee, das zum antifaschistischen Befreiungskrieg aufrief. Eine Partisanenarmee mit über 250.000 Kämpfern und weitere örtliche Verbände von über 200.000 Mann entstanden, die im April 1945 noch vor dem Einrücken der alliierten Truppen fast ganz Norditalien befreiten. Im Ergebnis dieses Kampfes wurde, wie Contrepiano betont, "die Republik und die Verfassung geboren", die heute zu verteidigen sind.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2015

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