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MEMORIAL/122: Vor 35 Jahren fiel Erzbischof Romero einem Mordanschlag zum Opfer (Gerhard Feldbauer)


Bei der Totenmesse umgebracht

Vor 35 Jahren fiel der Erzbischof Romero von San Salvador einem Mordanschlag faschistischer Todesschwadronen zum Opfer

von Gerhard Feldbauer, 22. März 2015


Am 24. März 1980 zerriss in der hereinbrechenden Abenddämmerung ein Schuss die feierliche Stille in der kleinen Kapelle des Krankenhauses "Zur göttlichen Dämmerung" in San Salvador. Er traf den Erzbischof Oscar Arnulfo Romero y Galdámez, der gerade eine Totenmesse las. Blutüberströmt brach der Geistliche zusammen. Der Mörder konnte entkommen. Er gehörte einer faschistischen Bande der Todesschwadron "Excuadron de la Muerte" an, die im Komplott mit den gleichgesinnten Machthabern handelte.


Ein engagierter Befreiungstheologe

Der Erzbischof war ein engagierter Vertreter der Theologie der Befreiung, die sich in Lateinamerika, wo knapp die Hälfte der Katholiken der Welt lebt, seit der zweiten Konferenz des dortigen Episkopats 1969 in Medelin (Kolumbien) auf dem Kontinent machtvoll ausbreitete. Entscheidende Impulse erhielt diese Strömung von den nationalen Befreiungskämpfen auf dem Kontinent, besonders durch deren Erfolge in Kuba und Nikaragua, aber auch von dem unter dem Sozialisten Salvatore Allende in Chile unternommenen Versuch einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft. Die Befreiungstheologen sahen ihr Handeln auf der Basis der von Papst Johannes XXIII. verfolgten Kirchenpolitik und des von ihm einberufenen Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Beschlüsse. Sie gingen direkt von solchen Verkündungen aus, die lauteten, dass Christus sein Werk der Erlösung "in Armut und Verfolgung" vollbrachte und so auch die Kirche berufen sei, den gleichen Weg einzuschlagen. Nicht wenige lateinamerikanische Bischöfe standen als ihre Anhänger mehr oder weniger offen an der Seite der kämpfenden Völker und verkündeten angesichts des unerträglichen Elends und des Hungers, dass das Reich Gottes nicht erst im Jenseits beginnen könne.


Er unterstützte Farabundo Marti

Romero sagte dazu, "die Texte von Amos und Jesaja sind keine fernen Stücke aus vergangenen Jahrhunderten, die wir täglich in der Messe lesen. Es ist die Wirklichkeit, wie wir sie täglich von Neuem erleben". Diese Wirklichkeit charakterisierte er so: "Es gibt welche unter uns, die Haus um Haus zusammentragen und Feld um Feld sich aneignen, bis sie allein das Land besitzen." Romero ging jedoch weiter als mancher der Befreiungstheologen. +Er verurteilte nicht nur den Terror der Todesschwadronen, sondern half auch den Kämpfern der Befreiungsfront "Farabundo Marti" (FMNL), gewährte ihnen Unterschlupf, versorgte sie mit Medikamenten und Nahrungsmitteln. Öffentlich erklärte er, dass es nicht gegen Gottes Gebot verstoße, sich auch mit den Mitteln der Gewalt gegen Repression zur Wehr zu setzen. Er trat dem Antikommunismus, der unter den Katholiken verbreitet wurde, in seinen Predigten entgegen und rief zur Einheit des Volkes auf.


Soldat seines Volkes

Während einer seiner Predigten hatten Offiziere und Soldaten der Guardia Nacional auf den Bänken der Kirche Platz genommen, um ihn einzuschüchtern. Unerschrocken wies Romero auf sie und sagte: "Die sind gekommen, um zu hören, ob ich subversiv bin. Doch wenn ich subversiv sein soll, weil ich mich für Euch Arme und Unterdrückte einsetze, dann war schon Jesus subversiv, dann waren auch Lukas, Johannes und Jesaja subversiv." In einer anderen Predigt sagte er zum Gedenken an Opfer des Terrors: "Ich habe mich für sie, die keine Stimme mehr haben, an Gott gewandt. Aber die Wunden der Lebenden lassen sich nicht mit Gebeten heilen. Ich gebe mich mit Leib und Seele meiner apostolischen Tätigkeit hin, aber ich muss immer wieder feststellen, dass Hunger und Durst nicht mit seelischem Trost zu stillen sind. Das ist es, was mich zum Soldaten meines Volkes gemacht hat." Solche Bekenntnisse trugen dem Erzbischof den Vorwurf ein, er sei Marxist, wogegen er sich stets verwahrte. Die einfachen Menschen nannten ihn "Anwalt der Armen" und "Stimme der Stimmlosen".


Widersacher des polnischen Papstes

Der streitbare Kirchenführer gewann zunehmenden Einfluss in der katholischen Bewegung ganz Lateinamerikas. Besonders deutlich wurde das im Januar 1979 auf der III. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla (Mexiko), an welcher der polnische Papst Karol Wojtyla alias Johannes Paul II., ein erbitterter Gegner der Befreiungstheologie, teilnahm. Gestützt auf die in- und ausländische Reaktion und eine beträchtliche Zahl konservativer Kleriker versuchte der Papst, die progressiven Positionen der Befreiungstheologie zu zerschlagen. Er konnte zwar eine Absage an den "politischen Aktivismus" der Kirche durchsetzen, aber nicht verhindern, dass im Abschlussdokument "der wachsende Abstand zwischen Reichen und Armen als ein Skandal und Widerspruch zum Christsein" angeklagt wurde. Die Armut wurde als "Produkt von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen, die einen solchen Armutsstatus erzeugen", bezeichnet. Dazu wurde ausdrücklich die Pflicht der Gläubigen betont, "zur Errichtung einer gerechteren, freieren und friedlicheren Gesellschaft beizutragen". Romero enthüllte auf der Konferenz aber auch den Terror der faschistischen Banden in seinem Land, dem auch mehrere Priester zum Opfer gefallen waren. "Basta Ya" hatte er ein dazu vorgelegtes Dokument überschrieben. Besonders beunruhigend für die Kräfte der weltlichen und klerikalen Reaktion war, dass sich 50 Kardinäle und Bischöfe mit Romero und dem Kampf seines Volkes solidarisierten.


Von der CIA gelenkte Mordhetze

Nach Puebla begann eine wütende Hetzkampagne gegen die Befreiungstheologen. Es wurde zum Mord an Romero aufgerufen. Die von der CIA gelenkten Todesschwadronen drohten öffentlich mit der "Hinrichtung des Erzbischofs", der persönlich Morddrohungen erhielt. Der Rundfunksender der Diözese wurde gesprengt, in der Kathedrale Bomben gelegt. Das Vorgehen der Reaktion wurde begünstigt durch die Regierung in Washington, die zu dieser Zeit ihre Finanzhilfe für die Junta in El Salvador verstärkte. In einem Brief an Präsident Carter mahnte der Erzbischof, diese Politik der USA werde "die Unterdrückung verschärfen, statt größere Gerechtigkeit und Frieden zu bringen." Unmissverständlich erklärte er: "Was Sie vorhaben, wird zu einem großen Blutbad in diesem leidenden Land führen."

Am 23. März 1980 verlas Romero in seiner Sonntagspredigt die Namen von 110 Ermordeten, die in nur einer Woche Opfer des Terrors geworden waren. Er wandte sich an die anwesenden Soldaten und forderte sie auf, nicht länger solche Mordbefehle auszuführen. Die Armeeführung bezichtigte ihn schon kurz nach dem Gottesdienst der "Aufhetzung zur Rebellion". Am nächsten Tag trafen den Geistlichen die Kugeln der Mörder.


Wojtyla und Ratzinger verhinderten kirchliche Ehrung

Johannes Paul II. nannte das Verbrechen "eine kirchenschänderische Mordtat". Kein Wort fiel, das Wirken des Erzbischofs für die Gedemütigten und Rechtlosen zu würdigen.

1990 beantragte die Diözese von San Salvador, ihren ermordeten Erzbischof als Märtyrer anzuerkennen. Von Karol Wojtyla wie seinem Nachfolger Josef Ratzinger wurde der Antrag ignoriert und verschwand in der Versenkung. Erst Papst Franziskus ordnete Anfang Januar 2015 an, das Verfahren wieder aufzunehmen, das als Vorstufe der Seligsprechung gilt.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2015

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