Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

MEMORIAL/107: Die Formierung einer Gladio-Division in Italien (Gerhard Feldbauer)


Die Formierung einer Gladio-Division in Italien

Vor 50 Jahren wollte die geheime CIA-Truppe die Mitte Links-Regierung Aldo Moros liquidieren

von Gerhard Feldbauer, 21. Juni 2014



Angeblich war die geheime NATO-Armee Gladio aufgestellt worden, um im Falle einer sowjetischen Invasion dann im besetzten Gebiet stay behind, so die globale Bezeichnung, hinter den Linien Widerstandsaktionen durchzuführen. Als Gladio am 23. Oktober 1990 in Italien aufgedeckt wurde, kam, wie die Geheimdienstexperten Giovanni Bellu und Giuseppe D'Avanzo in ihrem aufsehenerregenden Buch "I Giorni di Gladio" (Die Tage von Gladio) schrieben, ans Licht, dass die Truppe bereits seit ihrer Gründung Anfang der 1960er Jahre "gegen potenzielle Komplizen" eingesetzt wurde. Führende Militärs packten aus und wollten es wohl auch den Amerikanern heimzahlen, die in der Geheimarmee das Sagen hatten, dem sie sich unterordnen mussten. General Edgardo Sogno, langjähriges Mitglied des Gladio-Stabes, wurde in Rai due gefragt: "Was hätten Sie getan, wenn die kommunistische Partei mit legalen Mitteln an die Macht gekommen wäre?". "Dann hätten wir den Bürgerkrieg entfesselt", lautete die Antwort.


Alle auffindbaren Kommunisten umbringen

General Gerhardo Serravalle, von 1971 bis 1974 Gladio-Kommandeur, erklärte, dass in der Truppe immer die Meinung vorherrschte: "Wenn die Russen kommen, erhalten die bestimmt Hilfe von unseren Kommunisten. Warum sollen wir warten, bis die Invasion da ist. Bringen wir die Sache doch gleich hier in Ordnung." Der General weiter: bei einem Gladio-Manöver wollten die Teilnehmer allen Ernstes übungshalber "gleich mal alle auffindbaren Kommunisten umbringen." Vor der Gladio-Kommission des Parlaments sagten Offiziere aus, dass Gladio "zu verdeckten Operationen" eingesetzt wurde, "die das Ziel hatten, die italienischen Kommunisten um jeden Preis von der Regierung fernzuhalten." Als der Führer der Democrazia Cristiana (DC), Aldo Moro, dann ein Regierungsabkommen mit IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer schloss, wurde er zur "Zielperson" und am 9. Mai 1978 in einem von der CIA inszenierten Mordkomplott, in das die von Agenten manipulierten "Roten Brigaden" einbezogen wurden, liquidiert. Bei der Aufdeckung der Gladio-Verbrechen wurde auch enthüllt, dass der DC-Führer zumindest zeitweise in einem Gladio-Stützpunkt bei Rom gefangen gehalten wurde.


Apertura a Sinistra

Moro war, seit er 1949 gegen den NATO-Beitritt Italiens auftrat, ein entschiedener Gegner der USA-Einmischung und schon 1963/64 Zielperson der ersten großen Gladio-Operation. Im Ergebnis des nach dem Beitritt zur NATO 1949 eingeschlagenen pro-atlantischen Kurses erlitt die DC schwere Wählerverluste. Von 48,5 Prozent bei den Parlamentswahlen 1948 sank sie bis zum April 1963 auf 38,3 Prozent und brachte damit keine Regierungsmehrheit mehr zustande. Der erstmals mit der Regierungsbildung beauftragte Moro brach mit dem Rechtskurs, begann seine Apertura a Sinistra (Öffnung nach links) und nahm die 1947 auf Geheiß der USA zusammen mit den Kommunisten aus dem Kabinett verjagten Sozialisten wieder in die Regierung auf. Auf die Einbeziehung der Kommunisten (IKP), verzichtete Moro zunächst, nachdem sein Freund, der Präsident des staatlichen Energiekonzerns ENI, Enrico Mattei, der die Kommunisten in "kraftvolle soziale und ökonomische Reformen" einbeziehen wollte, deswegen im Oktober 1962 einem Anschlag auf sein Privat-Flugzeug zum Opfer gefallen war. Nach der Aufdeckung von Gladio wurde bekannt, dass ein Offizier der CIA-Truppe vor dem Start das Triebwerk der Maschine manipulierte.


Pentagon und CIA wollten mit faschistischem Staatsstreich antworten

Als Moro am 5. Dezember 1963 seine erste Centro Sinistra (Linkes Zentrum) getaufte Regierung mit den Sozialisten bildete, wollten Pentagon und CIA darauf mit einem faschistischen Staatsstreich antworten. Der USA-Botschafter in Rom, Frederick Reinhardt, bildete einen Krisenstab, der "die Linie des Eingreifens" beriet. Die militärische Leitung vor Ort übernahm der Militärattaché, Oberst Vernon Walter, der Italien bereits aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, während der er Adjutant bei General Mark Clark war, kannte. Wie der Publizist Roberto Faenza in seinem Buch "Il Malaffare" (Mailand 1976) schrieb, forderte Walters, dass "die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müssten".


Journalisten auf den Gehaltslisten der CIA

Washington wollte jedoch das Problem zunächst mit einem Colpo di Stato aus der Welt schaffen. Mit der Vorbereitung der Operation beauftragte die CIA den Chef des militärischen Geheimdienstes SIFAR, General Giovanni De Lorenzo, einen Monarchisten und faschistisch orientierten Militär, der später auch offiziell der faschistischen Mussolininachfolgepartei Movimento Sociale Italiano (MSI) beitrat. Er übernahm das Kommando über das Carabinieri-Korps, mit dem er zusammen mit Faschisten und Gladio-Einheiten den Putsch durchführen sollte.

De Lorenzos rechte Hand, der SIFAR-Oberst Renzo Rocca, fabrizierte für führende Politiker, die einer "harten Unterdrückungspolitik" gegenüber den Linken Vorbehalte hegten, Berichte, die "ein so schweres Bild vor Augen führten, dass jede Gewaltaktion rechtfertigen konnte". Er erfand Informationen über "gefährliche Aktivitäten" der IKP, darunter über eine "Sitzung der kommunistischen Führer", auf welcher "der Krieg gegen die Regierung", die Vorbereitung der "Revolution und die Machtübernahme in den Regionen und im ganzen Land" beraten worden sei. Details aus solchen "Berichten" wurden an verschiedene Zeitungen lanciert, in denen von der CIA bezahlte Redakteure sie unterbrachten.


157.000 "Verdächtige" auf "schwarzen Listen"

Nach Weisungen von Walters ließ De Lorenzo "schwarze Listen" von "verdächtigen" Funktionären der linken Parteien, Gewerkschaftsführern, Antifaschisten und Politikern bürgerlicher Parteien anlegen. Unter der unglaublichen Zahl von 157.000 Personen befanden sich der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Giuseppe Saragat (im Dezember 1964 zum Staatspräsidenten gewählt), Minister und hohe Regierungsbeamte, als "unzuverlässig" eingestufte Offiziere. Die Personen sollten bei Auslösung des Staatstreiches verhaftet und auf zwei Sardinien vorgelagerten Inseln in Konzentrationslager gesperrt, manche, wie die Geheimdienst-Experten Antonio und Gianni Cipriano in "Sovranita limitata. Storia dell' Eversione atlantica in Italia" (Rom 1991) darlegten, nach dem in den Gladio-Einheiten herrschenden faschistischen Geist auch gleich umgebracht werden.


Einweisung in Washington

Der rechte Christdemokrat, Staatspräsident Antonio Segni, stimmte zu, "eine Söldnertruppe für künftige Umsturzaktionen" bereitzustellen, bei der es sich um die bereits im Aufbau befindliche Gladio-Division handelte, deren Existenz geheim gehalten und erst 1990 aufgedeckt wurde. Den Aufbau übernahm Oberst Rocca, der dazu in Washington entsprechend eingewiesen wurde. Nach Rom zurückgekehrt übergab ihm der Chef der CIA-Station, William Harvey, aus seinem Archiv eine Liste von 2000 Mann aus faschistischen paramilitärischen Formationen als Grundstock für die Aufstellung einer Gladio-Division. Die gesamte Finanzierung übernahm die CIA.

Moro verfügte über Kontakte zu Personen aus Militärkreisen, die mit dem verfassungswidrigen Aufbau der Gladio-Division nicht einverstanden waren. Darauf war es zurückzuführen, dass am 24. Juni 1964 erste Andeutungen in Zeitungen auftauchten, worauf die CIA die geplante Operation abblies. Wie Bellu/D'Avanzo berichteten, waren in die Vorbereitung des geplanten Gladio-Putsches zahlreiche hochrangige Militärs und Geheimdienstleute einbezogen. 1966 musste sich eine Parlamentskommission mit den Ereignissen befassen. Während der Untersuchung fanden mehrere Mitwisser, von denen man befürchtete, sie könnten aussagen, den Tod, darunter Oberst Rocca, die Carabinieri-Generäle Giorgio Manes und Carlo Ciglieri. Die Machenschaften von Gladio kamen so nicht ans Licht.


Wer war the lone Wolf?

Von welchem Kaliber war der Mann, der eine Schüsselfigur beim Aufbau von Gladio war, der die Regierung des linken Christdemokraten Aldo Moro mit den Sozialisten mit einem faschistischen Militärputsch liquidieren wollte, bei dem unliebsame Politiker in Konzentrationslager gesperrt und manche auch gleich umgebracht werden sollten? Vernon Anthony Walters ging nach seinem Einsatz in Rom zum NATO-Kommando in Paris, dann in den Stab von Präsident Truman. Unter seiner Regie wurde der Centauro-Plan erarbeitet, nach dem auch der Sturz des sozialistischen Präsidenten Chiles, Salvatore Allende, inszeniert wurde. Unter Präsident Richard Nixon avancierte er im Generalsrang zum stellvertretenden CIA-Direktor. Er kannte Watergate und war bei den Pariser Verhandlungen zur Beendigung des Vietnam-Krieges, den er in seinen Memoiren "Silent Mission" (München 1990) einen "der nobelsten und selbstlosesten Kriege" nannte, dabei. Der The lone Wolf genannte Chefagent beendete seine Geheimdienstkarriere im Diplomatenanzug 1989-92 in Bonn, wo er als Botschafter das Kommando übernahm, um wie er formulierte, "die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt", oder anderes ausgedrückt, "dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen".

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2014