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MEMORIAL/068: Italien 1993 - Sozialistenführer Craxi stürzt über Korruptionsaffären (Gerhard Feldbauer)


Vor 20 Jahren stürzte der italienische Sozialistenführer Bettino Craxi über seine Korruptionsaffären

Seine Karriere hatte die faschistische Putschloge Propaganda due (P 2) gesteuert und finanziert

Er sollte ein neuer Mussolini werden

von Gerhard Feldbauer, Februar 2013



1991 begann die Gruppe der Mailänder Staatsanwälte Mani pulite (saubere Hände) unter dem Untersuchungsrichter Antonio di Pietro einen Milliarden Dollar umfassenden Korruptionssumpf aufzudecken. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete die Summe von jährlich zehn Mrd. Dollar gezahlter Schmiergelder. Die Ermittlungen erfassten etwa 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, ehemalige und im Amt befindliche Minister, in den Abruzzen die gesamte Landesregierung, unzählige Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte.

Als herausragendste Figur dieses Sumpfes wurde der langjährige Vorsitzende der Sozialistischen Partei (ISP), Bettino Craxi, bekannt. Der mit allen Wassern gewaschene Parteichef glaubte, die Sache, wie schon oft praktiziert, abwürgen zu können. Er bezichtigte die Untersuchungsrichter des "ungesetzlichen Vorgehens" und drohte in seinem bekannten Gangsterjargon, ihnen "die Eier zu quetschen". Das Lachen verging ihm, als ihn am 25. Januar 1993 die Eröffnung mehrerer Ermittlungsverfahren mitgeteilt wurde. Bereits am 11. Februar musste Craxi als Parteivorsitzender zurücktreten.


Die "Midas-Verschwörung"

Craxi, der von seinen Opponenten schon mal als glatzköpfiger Gangster bezeichnet wurde, hatte eine schillernde Karriere hinter sich. Seit 1972 stellvertretender Sekretär der ISP, stieg er im Juli 1976 mit der Wahl zum Parteichef in die große Politik ein. Der von ihm inszenierte Coup ging in die Geschichte als "Midas-Verschwörung" ein, so genannt nach dem luxuriösen Hotel Midas in Rom, in dem die Tagung des Zentralkomitees stattfand, auf welcher der fast 70-jährige Francesco De Martino von der "Mailänder Bande", wie der Clan Craxis hieß, gestürzt wurde. Im November folgte Craxis Wahl zum Vize der Sozialistischen Internationale, in der er bald zu den engen Freunden Willy Brandts gehörte.

De Martino, seit 1968 Nachfolger Pietro Nennis, hatte in der Partei einen zwar gemäßigten, aber doch noch links orientierten Kurs vertreten. Zur IKP, mit der die ISP bis 1956 durch ein 1934 im antifaschistischen Widerstand geschlossenes Aktionseinheitsabkommen verbunden war, wurden weiterhin gute Parteibeziehungen unterhalten. Damit war unter Craxi Schluss. Die ISP wurde binnen kurzem auf eine durchgehend stramme, wenn auch zunächst noch demagogisch links getarnte, antikommunistische rechte Linie gebracht. Entschieden trat die ISP nun der von dem Vorsitzenden der Democrazia Cristiana, Aldo Moro, verfolgten Linie, auch die IKP in die Regierung einzubeziehen, entgegen. In den Mittelpunkt seiner "neuer Reformismus" genannten Politik stellte Craxi Schlagworte wie Regierbarkeit, Kompetenz, Effizienz und Modernisierung. Das 1978 angenommene neue Parteiprogramm bekannte sich eindeutig zum kapitalistischen System. Als Sekretär musste sich Craxi zwar alle zwei Jahre der Wiederwahl auf einem Parteitag stellen, war aber zwischen den Kongressen mit einer Machtfülle ausgestattet, die weder Zentralkomitee noch Direktion einschränken konnten. 1981 trat an Stelle der aus den revolutionären sozialistischen Zeiten stammenden Benennung der Führung als Zentralkomitee die aus der Sozialdemokratie bekannte Bezeichnung Parteivorstand. Abgeschafft wurde ebenso die Unterstellung der Parlamentsfraktionen unter die Parteidisziplin. Diese konnte im Gegenteil völlig unabhängig agieren.


Bekenntnis zu Mussolini

Bei den Enthüllungen der Mani pulite kam die entscheidende Rolle der Putschistenloge Propaganda due (P 2) für die Karriere Craxis ans Licht. Die Geheimloge wurde Anfang der 1970er Jahre von dem Altfaschisten Licio Gelli, in Mussolinis Sozialrepublik SS-Offizier und Geheimdienstagent, in Zusammenarbeit mit der CIA, der NATO-Truppe Gladio und den MSI-Faschisten gebildet und wollte in verdeckten Formen ein faschistisches Regime an die Macht bringen. An dessen Spitze sollte als neuer "Duce" nach dem Vorbild Mussolinis, der ja auch ein Renegat aus der Sozialistischen Partei war, Craxi treten. Craxi selbst hat, gegenüber dem "Spiegel" (Nr. 52/1996), ein durchgehend positives Bekenntnis zu Mussolini abgelegt, der für ihn "auch ein Progressiver bis zum Ende seines Lebens" war. Gelli nahm Craxi zusammen mit Silvio Berlusconi in das so genannte "Dreigestirn" der P 2 auf. Nach dem Ausfall Craxis wurde dann 1994 Berlusconi an die Regierung verholfen.


Riesige Geldsummen von der P 2

Die Publizisten Giovanni Rugeri und Mario Guarino haben in ihrem Buch "Berlusconi. Showmaster der Macht (Gatza, Berlin 1994) beweiskräftig nachgewiesen, dass die Rolle der P 2 für Craxis Karriere entscheidend war. Das zeigte sich an den riesigen Geldsummen, die sie "der Partei zukommen ließ, aber auch an der Existenz von Schweizer Nummernkonten, auf denen die durch Korruption erwirtschafteten Gelder gelagert wurden". Als die P 2 1981 aufgedeckt wurde, stellte Craxi sich schützend vor sie, nannte die Fahndung nach Logenmitgliedern im Parlament "eine Kampagne, die an eine Hexenjagd erinnert" und warf der Staatsanwaltschaft "Gesetzesmissbrauch" vor.

Zu dieser Zeit war die Mitgliedschaft Craxis in der P 2 noch nicht bekannt. Sie kam erst bei den Enthüllungen der Mani pulite ans Licht. U. a. hatte der ISP-Chef der von der P 2 beherrschten Ambrosiano-Bank immense Kredite von staatlichen Konzernen vermittelt, wofür er Tangenten (Anteile) von Dutzenden Millionen Dollar kassierte. Als die Ambrosiano nach der Aufdeckung der P 2 Bankrott ging, waren aus ihren Kassen u. a. über 700 Millionen Dollar spurlos verschwunden. Sie lagerten, wie die Ermittlungen verdeutlichten, auf Nummernkonten der P 2 in der Schweiz. P 2-Chef Gelli wurde später in der Eidgenossenschaft verhaftet, als er von einem dieser Nummernkonten Gelder abheben wollte.

Im August 1983 übernahm der ISP-Chef die Geschäfte des Ministerpräsidenten. Den Weg in den Palazzo (Sitz des Regierungschefs) ebnete ihm Logenfreund Berlusconi, der Craxi und der P 2 sein Emporkommen zum reichsten Kapitalisten des Landes, darunter vor allem zum einflussreichsten Medienbeherrscher, verdankte. Berlusconis Medien-Imperium, das ungeahnten Masseneinfluss verschaffte, warb für die ISP zu den Parlamentswahlen mit dem Slogan "Craxi for President".


Als Premier Berlusconis Medienimperium abgesichert

Obwohl die ISP mit 11,4 Prozent als drittstärkste Partei nach den Spielregeln der Verfassung eigentlich keinen Anspruch hatte, schaffte es Craxi dank der Werbung in Berlusconis Fernsehsendern, den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Nach seinem Amtsantritt revanchierte er sich bei Berlusconi, indem er Forderungen nach einer gesetzlichen Beschränkung von dessen Fernsehmonopol abschmetterte und dies per Regierungsdekret absicherte.

Die bis 1987 dauernde Regierungszeit Craxis wurde von einer unternehmerfreundlichen Politik gekennzeichnet, die bis dahin noch nicht einmal die Christdemokraten gewagt hatten. Geschickt nutzte Craxi die zunehmende Sozialdemokratisierung der IKP für eine Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften, deren Einheitspolitik er faktisch zum Erliegen und sie so auf eine Sozialpakt-Linie brachte.


Zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt

In den gegen Craxi eröffneten Ermittlungen ging es um Korruption, Hehlerei, Bestechung, illegale Parteienfinanzierung, Führung schwarzer Konten und diverse anderer Vergehen, denen entsprechende Anklagen folgten. In einem Verfahren wurde er überführt, 200 Millionen DM Schmiergelder kassiert, in einem anderen Fall, 600 Millionen Dollar auf geheimen Konten im Ausland angelegt zu haben. Sein Parteifreund Silvano Larini sagte aus, für ihn in der Schweiz ein Nummernkonto eingerichtet und darauf die eingesammelten Schmiergelder eingezahlt zu haben. Zwischen 1994 und 1996 verhängten die Gerichte gegen Craxi in erster Instanz insgesamt 26 Jahre Gefangnis. Da man ausgerechnet Craxi die Untersuchungshaft erspart hatte, konnte dieser noch vor dem ersten Urteil ins Ausland fliehen. Tunesien, wo er sich niederließ und Dutzende seiner Schmiergeld-Millionen investiert haben soll, verweigerte seine Auslieferung. Dort verstarb er Anfang Januar 2000 in dem mondänen Badeort Hammamet. Vom "Spiegel" (Nr. 52/1999) nach seiner Haltung zur Korruption befragt, hinterließ er das Bekenntnis: "Alle haben das getan, alle haben davon gewusst".


Das Ende der Sozialistischen Partei

Die ISP hatte bereits vor dem Schmiergeldskandal ihren Charakter als sozialistische Partei verloren. In dem auf dem Parteitag 1991 angenommenen Programm hatte Craxi die Vokabel "sozialistisch" streichen lassen. Die eingeleiteten Korruptionsprozesse läuteten für die Partei, die 1992 ihren 100. Jahrestag feiern wollte, das Todesjahr ein. Von 580.000 Mitgliedern in den 1980er Jahren, sank sie 1993 auf Hunderttausend ab. Bei den Parlamentswahlen 1994 fiel die Partei, die im Frühjahr 1992 noch auf 13,6 Prozent gekommen war, auf 2,2 Prozent ab.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2013