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LÄNDER/127: Sachsen - Johann August Ernest und Johann Friedrich Hirt (LTK)


Landtags Kurier Freistaat Sachsen 7/07
Parlamentsgeschichte

Johann August Ernest und Johann Friedrich Hirt
Sächsische Landstände am Ende der Frühen Neuzeit

Von Josef Matzerath


Über die frühneuzeitlichen Ständeversammlungen Sachsens haben Historiker seit dem 19. Jahrhundert eine Anzahl von Studien vorgelegt. Sämtliche Arbeiten erfassen die Rolle der Landtage allerdings als Gesamtheit oder rapportieren Konflikte zwischen den Gremien der sächsischen Landesversammlungen. Die Mitglieder dieser Parlamente, die Akteure auf den Ständeversammlungen, sind bislang wenig beachtet worden. Ihre Biographien stellen aber einen wichtigen Hintergrund für das Verständnis der vormodernen Landtage dar. Der "Landtagskurier Freistaat Sachsen" wird deshalb in der Rubrik "Parlamentsgeschichte" mehrere Personen aus den Gremien der Prälaten, Grafen und Herren, der Ritterschaft und der Städte porträtieren, um ein Spektrum der Landstände aufzuzeigen. Die gewählten Beispiele entstammen der Spätzeit der Ständeversammlung zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges im Jahre 1763 und der ersten konstitutionellen Verfassung Sachsens im Jahre 1831.


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Johann August Ernesti

In Tennstedt, das bis zum Jahre 1815 zum Thüringischen Kreis des Kurfürstentums bzw. Königreiches Sachsen gehörte, wurde Johann August Ernesti am 4. August 1707 geboren. Sein Vater Johann Christoph Ernesti war Superintendent in Tennstedt. Zwei Brüder von Johann August Ernesti wurden ebenfalls thüringische Superintendenten. Er selbst erhielt in seinem Elternhaus zunächst durch einen Hauslehrer den Elementarunterricht. Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1722 besuchte er für drei Jahre die sächsische Fürstenschule in Schulpforta. Im Jahre 1726 bezog er die Universität Wittenberg, wechselte aber nach drei Semestern nach Leipzig. Noch während seines Studiums übernahm er im Hause des Leipziger Ratsherrn und späteren Bürgermeisters Christian Ludwig Stieglitz den Unterricht von dessen Kindern. Durch die Förderung dieses einflussreichen Mannes erhielt Ernesti im Jahre 1731 die Stelle des Konrektors an der Thomasschule. Da deren Rektor drei Jahre später einem Ruf an die Universität Göttingen folgte, avancierte Ernesti - erst 27-jährig - zum Rektor der Leipziger Thomasschule. In dieser Funktion blieb er bis zum Jahre 1756 und war somit auch der Vorgesetzte von Johann Sebastian Bach bis zu dessen Tod im Jahre 1750. Ernesti sah in der Kirchenmusik eine Beeinträchtigung der altsprachlichen Studien seiner Zöglinge.

Seit dem Jahre 1742 übernahm Ernesti zusätzlich zu seinen Verpflichtungen als Schulleiter auch eine außerordentliche Professur für Beredsamkeit an der Universität Leipzig. Zwei Jahre später heiratete er mit 37 Jahren in Weißenfels Rahel Friederike Amalie Dathe, die 19-jährige Tochter des sachsen-weißenfelsischen Rats und Amtmanns Georg Wilhelm Dathe. Die Ehefrau gebar im darauffolgenden Jahr eine Tochter, verstarb aber kurz nach der Entbindung. Seither lebte Ernesti unverheiratet mit seinem einzigen Kind. Er etablierte sich im akademischen Betrieb und machte ab 1756 auch hier Karriere. Als er einen Ruf nach Göttingen erhielt, gestand man ihm in Leipzig, um ihn zu halten, ein Ordinariat zu. Drei Jahre später räumte ihm auch die theologische Fakultät neben seiner Rhetorikprofessur einen Lehrstuhl ein.

Ernesti vertrat die Universität Leipzig in den Jahren 1766 und 1775/76 auf den Landtagen. Zu Beginn seiner ersten Teilnahme an einer Ständeversammlung war er daher 58 Jahre alt. Er reiste jeweils gemeinsam mit einem weiteren Professor und dem akademischen Syndikus zur Ständeversammlung. Im Oktober 1775 führten ihn die Landtagsakten als "P[rofessor] P[ublicus] O[rdinarius] Theologie und Canon[icus] vom Stifte Zeitz". Als Domherr gehörte er in den Jahren 1775 und 1776 dem Domstift in Naumburg-Zeitz an. Von 1777 bis 1781 verzeichnen ihn die sächsischen Staatshandbücher in derselben Funktion im Domstift Meißen. Beide Positionen brachten in erster Linie zusätzliche Einnahmen für den Leipziger Professor.

Neben seinen Vorlesungen zu griechischen und lateinischen Autoren bot Ernesti an der Universität zu Beginn seiner Lehrtätigkeit lateinische Stilübungen und Vorträge über Rhetorik. Später las er vorwiegend über Hermeneutik und Exegese des Neuen Testaments, aber auch zur Kirchengeschichte, Dogmatik oder Liturgiewissenschaft. Daneben publizierte er in einem beeindruckenden Umfang. Ein Schulbuch mit dem Titel "Initia doctrinae solidioris" erlebte zwischen 1736 und 1783 sieben Auflagen. Es enthält Lehreinheiten über Arithmetik und Geometrie, bietet einen Einstieg in die Philosophie auf der Grundlage des Systems von Christian Wolff. Im Jahre 1769 legte Ernesti eine "Erneuerte Schulordnung" für Schulpforta vor, die in einer überarbeiteten Fassung 1773 als Territorialschulordnung für ganz Kursachsen Verbindlichkeit erhielt. Ebenfalls für Schul- und Studienzwecke edierte Ernesti eine große Zahl von antiken griechischen und lateinischen Schriftstellern. Er veröffentlichte u. a. Xenophons "Memorabilia" (1737), Cicero (1737-1739), Sueton (1748), Tacitus (1752), Aristophanes' "Wolken" (1754), Homer (1759-1764), Kallimachos (1761) und Polybius (1764).

Zudem verfasste Ernesti zahlreiche und teils einträgliche Schriften, beispielsweise für festliche Gelegenheiten. Als Theologe gab er in den Jahren von 1760 bis 1769 und von 1773 bis 1779 insgesamt 14 Bände der Zeitschrift "Neue theologische Bibliothek" bzw. "Neueste theologische Bibliothek" heraus, deren Beiträge er zum größten Teil selbst verfasste. Wissenschaftlichen Erfolg hatte Ernesti vor allem mit seiner Schrift "Institutio interpretis Novi Testamenti", die erstmals im Jahre 1761 in Leipzig erschien. Denn er legte das Neue Testament philologisch-historisch aus. Mit seiner hermeneutischen Methode wandte er sich gegen mystisch spekulative Bibelauslegungen. Allerdings sprach Ernesti den in der Bibel beschriebenen Wundern historische Faktizität zu und akzeptierte damit trotz seiner Einwände gegen die göttliche Inspiration auch der neutestamentalischen Texte dennoch Berichte, die alltägliche menschliche Erfahrung übersteigen, als glaubwürdig tradierte Tatsachen. Deshalb galt und gilt er den Bibelexegeten, die seit dem beginnenden 19. Jahrhundert in der Nachfolge von David Friedrich Strauß und der Tübinger Theologischen Schule stehen, lediglich als Vorläufer eines historisch-kritischen Schriftverständnisses. Im Laufe seines Lebens brachte Ernesti nicht allein eine umfangreiche und wertvolle Bibliothek zusammen, sondern erwarb etwa auch im Jahre 1767 das Rittergut Kahnsdorf im Amt Borna. Er starb am 11. September 1781 in Leipzig.


Johann Friedrich Hirt

Mit 62 Jahren besuchte der evangelische Theologe und Orientalist Johann Friedrich Hirt zum ersten Mal die kursächsische Ständeversammlung. Im Jahre 1781 kam er als Delegierter der Universität Wittenberg gemeinsam mit seinen Kollegen, dem Mathematiker Johann Jacob Ebert und dem Theologen Ernst Friedrich Wernsdorf, nach Dresden zum Landtag.

Hirt wurde am 14. August 1719 im sachsen-weimarischen Apolda geboren. Nachdem er zu Hause den Elementarunterricht erhalten hatte, besuchte er ab dem Jahre 1734 das Gymnasium in Weimar. Der 15-Jährige blieb vier Jahre auf dieser Schule und wechselte anschließend auf die Universität Jena. Dort studierte er Theologie, widmete sich aber auch philosophischen und philologischen Studien. In dieser Zeit eignete er sich besondere Kenntnisse im Hebräischen und Arabischen an. Mit 25 Jahren schloss Hirt seine Universitätsausbildung ab. Er verließ Jena aber nur für kurze Zeit und erlangte im Jahre 1745 eine Lehrerlaubnis als Adjunkt der philosophischen Fakultät. Aus dieser Stellung als Assistent wechselte er drei Jahre später an das Gymnasium nach Weimar, um dort Konrektor zu werden. Ein Jahrzehnt später, im Jahre 1758, kehrte er als außerordentlicher Professor der Philosophie nach Jena zurück und erhielt auch die theologische Doktorwürde. Seine akademische Laufbahn wurde aber erneut unterbrochen. Denn 1761 ließ sich Hirt zum Superintendenten, Oberpfarrer und sachsen-weimarischen Konsistorialrat ernennen. Nachdem er acht Jahre lang in dieser Funktion der Landeskirche gedient hatte, wurde er im Jahre 1769 Professor der Theologie in Weimar. Von dort aus erhielt er sechs Jahre später einen Ruf an die kursächsische Universität Wittenberg. Hirt war daher noch nicht sehr lange in Diensten des Dresdner Kurfürsten, als er die Universität Wittenberg auf dem Landtag von 1781 vertrat. In Wittenberg nahm er neben seiner theologischen Professur den Beisitz des dortigen kursächsischen Konsistoriums wahr und fungierte als Prediger der Stadtkirche.

Seit dem Jahre 1533, als Johannes Bugenhagen die Aufgabe übernahm, in der Wittenberger Stadtkirche - der Predigtkirche Martin Luthers - den Gottesdienst zu versehen, waren die Pfarrer dieser Kirche zugleich Generalsuperintendenten des sächsischen Kurkreises. Dieses Amt war weiterhin mit dem ersten theologischen Lehrstuhl der Universität Wittenberg verbunden. Hirt nahm daher eine der traditionsreichsten Positionen ein, die die protestantische Kirche seiner Zeit zu vergeben hatte. Die Landtagsakten in Dresden würdigten diese Stellung mit dem Eintrag: "Theologiae Professor prim[us] Consistorii eccles[iastici] Assessor, Pastor akadem[icus] St. Mariae, Circuli Elect[orialis] Sax[onicae] Superintendens Generalis".

Hirts Stellung in Wittenberg blieb wie zuvor in Sachsen-Weimar unterteilt in rein akademische Aufgaben und Verpflichtungen in der Verwaltung der Landeskirche. Wissenschaftlich widmete sich Hirt sprachlichen und exegetischen Problemen vor allem der hebräischen Teile der Bibel. Er verschied am 29. Juli 1783 in Wittenberg.


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Quelle:
Landtags-Kurier Freistaat Sachsen 7/2007, Seite 22-23
Herausgeber: Sächsischer Landtag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2008