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LÄNDER/120: 50 Jahre Saarland (Campus - Universität des Saarlandes)


campus 1/2007 - Universität des Saarlandes, 37. Jahrgang

50 Jahre Saarland
Eine historische Bilanz der Saarjahre

Von Rainer Hudemann


Saarland, schön dass du da bist

Vor 50 Jahren, am 1. Januar 1957, erfolgte der politische Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik: Anlass, landauf landab das 50-jährige Bestehen des Bundeslandes Saarland zu feiern (Höhepunkt wird ein buntes Fest in der Landeshauptstadt vom 17. bis 20. August unter Beteiligung auch der UdS sein). Die Vorgeschichte des jüngsten "alten" Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland sei an dieser Stelle noch einmal vergegenwärtigt: Nach dem Zweiten Weltkrieg begann unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (1947 bis 1955) und dem Repräsentanten der Französischen Republik Gilbert Grandval der "Sonderweg" des politisch teilautonomen und durch Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich verbundenen Saarlandes. Im Rahmen der Pariser Verträge vereinbarten der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Regierungschef Pierre Mendès France im Oktober 1954 ein "europäisches Statut", das jedoch die Bevölkerung des Saarlandes nach einem leidenschaftlichen Abstimmungskampf am 23. Oktober 1955 mit 67,7 Prozent der Stimmen ablehnte. Erst der Luxemburger Vertrag zwischen Bonn und Paris ebnete am 27. Oktober 1956 den Weg zur Lösung der Saarfrage. Dementsprechend erklärte der Landtag des Saarlandes in seiner Sitzung vom 13./14. Dezember 1956 den "Beitritt des Saarlandes gemäß Artikel 23 Grundgesetz". Ein Festakt im Saarbrücker Staatstheater mit Bundeskanzler Adenauer und Ministerpräsident Dr. Hubert Ney markierte am Neujahrstag 1957 den politischen Beitritt. Zur Ablösung des französischen Frankens durch die Deutsche Mark und damit auch zur wirtschaftlichen Rückgliederung kam es gemäß vertraglich vereinbarter "Übergangszeit" allerdings erst am "Tag X", dem 6. Juli 1959.

Wie ist aus historischer Sicht der 1. Januar 1957 einzuordnen, wie sieht die historische Bilanz der so genannten Saarjahre (1945 bis 1955) im deutsch-französischen Spannungsfeld aus, und welche Zukunftsperspektiven verbinden sich mit der komplexen saarländischen Nachkriegsgeschichte, in der auch unserer Universität eine besondere Rolle zukam? 'campus' fragte bei Professor Rainer Hudemann nach, der an der UdS Neuere und Neueste Geschichte lehrt. Die französische Deutschlandpolitik nach 1945 sowie speziell auch der saarländische Sonderweg jener Zeit gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten.

Dr. Wolfgang Müller/Dr. Manfred Leber
(campus)


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Der 1. Januar 1957 besiegelte die Lösung eines der kompliziertesten Probleme, welches weitere Fortschritte in der seit 1945/46 eingeleiteten Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland ebenso behindert hatte wie die Fortentwicklung der Europäischen Integration. Außenpolitisch eröffnete die Regelung des Saarproblems 1955/56 der Bundesrepublik weite Perspektiven einer aktiven Beteiligung an der politischen Neugestaltung Europas, die im nächsten Schritt 1957/58 in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mündeten. Im Inneren war 1957 die vehemente Diskussion um die territoriale Regelung an der Westgrenze beendet und die Bundesrepublik weiter konsolidiert.

Das Nachkriegsjahrzehnt war nicht nur eine Zeit harter deutsch-französisch-saarländischer Konflikte. Es hat das Land auch in konstruktivem Sinn tiefgreifend geformt. In einem Europa, das durch den von Deutschland begonnenen Krieg weithin verwüstet und durch Kriegsverbrechen und Völkermord in einer bis dahin unbekannten Ausformung geprägt war, hatte eine engere Bindung an den westlichen Nachbarn für die Mehrheit der Saarländer zunächst große Attraktivität. Die Zukunft Deutschlands war 1945 nicht absehbar, Frankreich dagegen Großmacht. Paris entwickelte rasch eine Fülle von Initativen, um die Saarländer für Frankreich zu gewinnen. Auf eine Annexion, wie sie in der französischen Öffentlichkeit fast als Selbstverständlichkeit gefordert wurde, verzichtete die Regierung 1945 sehr schnell und zielte stattdessen auf eine enge wirtschaftliche Anbindung der Saar, die 1947 rechtlich besiegelt und 1950 sowie 1953 mit zahlreichen Konventionen weiter ausgebaut wurde. Die westlichen Alliierten betrachteten das stets mit einem gewissen Misstrauen, legten ihrem Bündnispartner jedoch keine Steine in den Weg. Politisch stand die Saar-Regierung unter französischer Aufsicht, hatte im Inneren aber wachsende Spielräume etwa zur Entwicklung einer sehr modernen, der jungen Bundesrepublik in vielem überlegenen Sozialpolitik. Kulturpolitisch wurde die Saar zu einem Initiativzentrum für alte und moderne Musik, für Malerei und Skulptur und für deutsch-französische Integrationsexperimente in der 1947/48 gegründeten Universität. all das war aber geprägt von einer grundlegenden Ambivalenz. In den Schulen wurde eine deutsch-französische Grundorientierung, welche noch Jahrzehnte später als vorbildlich gelten konnte, mit autoritärem Gehabe eingeführt und weckte entsprechenden Widerstand. Den politischen Kredit, den man mit den hohen Sozialleistungen zunächst gewann, verspielte Frankreich zugleich wieder durch die Verweigerung der Mitbestimmung im französisch geführten Montansektor. Gouverneur Grandval focht harte Konflikte mit Ministerpräsident Hoffmann aus, ließ aber die Saarländer 1947 entgegen den eindeutigen Pariser Anweisungen in ihrer Landesverfassung ein politisches System nach deutschem Vorbild aufbauen. "Demokratie unter pädagogischem Vorbehalt" hat Armin Heinen das Grundprinzip dieser Politik genannt. Und Anfang der 1950er Jahre stimmten Grandval und Hoffmann darin überein, das saarländisch-französische Tandem zunehmend in einem europäischen Kontext zu vernetzen. Das Europa-Institut und das Centre juridique franco-allemand der Universität entstanden vor diesem Hintergrund. Ein solches Profil verankert sich nicht nur im eitel Sonnenschein ungetrübter Gemeinsamkeit, sondern mehr noch in den harten Alltagserfahrungen konfliktgeladener Politik. Denn viele dieser Konflikte hatten tatsächlich eben auch eine in die Zukunft weisende Seite. Wie tief diese Prägung ging, war schon daran ablesbar, dass noch ein Drittel der Abstimmenden 1955 dem Europa-Statut zustimmte, obwohl die Europäische Integration seit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 am Ende zu sein schien, obwohl Frankreich innenpolitisch immer instabiler und im Kolonialreich immer schwächer wurde, obwohl in der Bundesrepublik ein "Wirtschaftswunder" winkte, obwohl man mit der französischen Vormacht seit Anfang der 1950er Jahre permanent im Klinch lag, obwohl Parteien- und Pressekontrolle der Hoffmann-Regierung inzwischen hart kritisiert wurden und obwohl das Statut unklar gefasst und stark französisch geprägt war. Und zu den Befürwortern der Eingliederung in die Bundesrepublik zählten sehr viele, die sich gleichfalls stark in der deutsch-französischen Kooperation engagiert hatten.

Hier liegt das Kapital, mit dem das Saarland auch 2007 seine besondere Stellung im deutsch-französisch-europäischen Kontext begründen und stets weiterentwickeln kann. Nachdem mit der deutschen Vereinigung und der europäischen Osterweiterung Frankreich im bundesdeutschen politischen und gesellschaftlichen Alltag nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird wie in den Jahrzehnten davor, ist die besondere Verantwortung des Saarlandes für eine dynamische und innovative Fortentwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses noch erheblich gewachsen. Das sind große Chancen für ein kleines Land - sofern es sie aktiv zu nutzen weiß.


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Christine Hohnschopp

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Als Regionalbibliographie verzeichnet die Saarländische Bibliographie seit 46 Jahren das Schrifttum aus allen Wissensgebieten über das Saarland. Seit 1961 in gedruckten Bänden und seit 1991 in einer Datenbank (rund 60 000 Titel) ist das Wissen jederzeit abrufbar. Die Saarländische Bibliographie Online wird jetzt in der neuen Datenbank des 'Südwestdeutschen Bibliotheksverbundes' angeboten, die leistungsstärker und nutzerfreundlicher ist. Zu den Neuerungen zählt die "Suchliste Systematik", die es erlaubt, in der Systematik zu blättern und mit einem Mausklick auf die gewünschte Systemstelle eine Suche in der Datenbank zu starten. So bringt eine Suche nach "Volksabstimmung 1955" 68 Titel, die in der Regel in der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek vorhanden sind.

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Quelle:
campus Ausgabe 1, Februar 2007, 37. Jahrgang, Seite 14-15
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
Redaktion: Presse- und Informationszentrum,
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campus erscheint viermal im Jahr während der Vorlesungszeit.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2007