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KULTUR/098: Deutsche Spuren in der Südsee (Spektrum - Uni Bayreuth)


Spektrum 1/2015 - Universität Bayreuth

Deutsche Spuren in der Südsee
Nachwirkungen der deutschen Kolonialzeit


Die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs begann im Jahr 1884. Die überseeischen Kolonien und sogenannten "Schutzgebiete" galten in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht als Bestandteile, sondern als Besitz des Deutschen Reichs; zollrechtlich waren sie Ausland. Aufgrund des Versailler Vertrags von 1919 mussten sie vollständig aufgegeben werden. Die deutschen Kolonialgebiete in der Südsee bestanden ab 1906 aus zwei großen Verwaltungsgebieten:

  • Deutsch-Neuguinea umfasste in Melanesien den nordöstlichen Teil der Insel Neuguinea, der den Namen "Kaiser-Wilhelms-Land" trug, die vorgelagerten Inseln im Nordosten Neuguineas, die unter der Bezeichnung "Bismarck-Archipel" zusammengefasst wurden, sowie die nördlichen Salomoninseln. In Mikronesien gehörten die Karolinen (einschließlich der Palau-Inseln), die Marianen, die Marshallinseln sowie die Insel Nauru zum Verwaltungsgebiet Deutsch-Neuguinea.
  • Die Deutschen Samoainseln waren das einzige deutsche Kolonialgebiet in der Südsee, das getrennt von Deutsch-Neuguinea verwaltet wurde.

Im Vergleich zu Afrika und Ostasien konnten die deutschen Kolonialbeamten in der Südsee relativ selbstständig agieren und durchaus eigene politische Vorstellungen umsetzen. Zahlreiche administrative Aufgaben wurden gut ausgebildeten Einheimischen übertragen. Im Unterschied zu Großbritannien waren die deutschen Kolonialbeamten in der Regel keine Militärangehörigen und keine Adeligen, sondern Bürgerliche, die meistens einen Universitätsabschluss - in vielen Fällen einen Doktorgrad - besaßen.


"Nichts als Arbeit" - Erinnerungen an die Deutschen

In den 1980er Jahren konnten sich ältere Einheimische noch gut an die deutsche Kolonialzeit erinnern. "Arbeit, Arbeit, nichts als Arbeit" lautete oft das Fazit in den Interviews, die der Verfasser im Rahmen eines Forschungsprojekts führte. Erzählt wurde auch von der Prügelstrafe, die in Deutsch-Neuguinea - anders als in den deutschen Kolonien in Afrika - kein offiziell zugelassenes Mittel des Strafrechts war. Aber die Kolonialherren haben sie 'disziplinarisch' verhängt, vor allem gegen die Arbeiter auf den großen Pflanzungen.

Doch obwohl zwischen 1884 und 1918 insgesamt weniger als 4.000 Deutsche in Deutsch-Neuguinea lebten, kam es nicht zur Rebellion. Das lag zum einen an der ethnischen Zersplitterung des Landes, wo bis heute mehrere Hundert Sprachen (nicht: Dialekte) existieren. Zum anderen aber wurde das Verhalten der Deutschen als "berechenbar" wahrgenommen. Der Eindruck war verbreitet, dass man sich arrangieren könne - das jedenfalls berichteten die älteren Einheimischen in den Interviews.

Besonders imponierten die wenigen vor Ort tätigen deutschen Frauen, zumeist evangelische Missionarsfrauen oder katholische Nonnen. Sie taten Dinge und durften Dinge tun, die für einheimische Frauen tabu waren. Nicht zuletzt wegen ihrer äußeren Erscheinung - viele deutsche Pflanzerinnen trugen Hosen - wurden deutsche Frauen häufig als "Männer" angesehen. Em i bin olsem man, na papamama bilong mipela i bin tingting ol i man. "Sie waren wie Männer; deshalb dachten unsere Eltern, sie wären Männer", erzählten die Einheimischen in ihrer Landessprache, dem Tok Pisin.


Einflüsse der deutschen Sprache

Tok Pisin ist eine Mischsprache, die sich im 19. Jahrhundert aufgrund der vielen unterschiedlichen Sprachen auf Neuguinea herausbildete und in der Forschung als Kreolsprache bezeichnet wird. Sie ist heute - neben Englisch als Amtssprache - eine landesweite Verkehrssprache und enthält Worte aus einheimischen Sprachen sowie aus dem Samoanischen, Chinesischen, Französischen und vor allem aus dem Englischen. Die deutschen Spuren im Tok Pisin verlieren sich immer mehr. Von einer Reihe ursprünglich deutscher Entlehnungen sind nur wenige geblieben. "Raus", vor allem in der Verbform "rausim", und "blut" hört man noch fast überall; "srick" (zurück) und "popaia" (vorbei, daneben, falsch) sind eher selten geworden. Immerhin: Die Grammatik des Tok Pisin und vor allem die der deutschen Phonetik entliehene Orthographie ("Haus Post" für Postamt beispielsweise) sind sehr durch das Deutsche geprägt worden.

Insgesamt dürften heute noch etwa 50 Orts- und Regionalnamen in Papua-Neuguinea deutscher Herkunft sein. Eine "Langemak Bay" erinnert an Hugo Langemak, einen der beiden deutschen Kapitäne, die im 1884 auf der Halbinsel Matupi die deutsche Flagge hissten und so die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich markierten. In einem Ort namens "Finschhafen", benannt nach dem deutschen Geographen und Ethnologen Otto Finsch, errichtete die "Neuguinea-Kompagnie" - eine private Handelsgesellschaft, die im Auftrag des deutschen Kaisers für die Kolonialverwaltung von Neuguinea zuständig war - ihren Hauptsitz. Evangelisch-lutherische Geistliche, die aus dem bayerischen Neuendettelsau nach Neuguinea gekommen waren, wählten den Ort als großen Missionsstützpunkt aus.


Christliche Geistliche in Neuguinea

Am Ende des Ersten Weltkriegs wurden die deutschen Siedler größtenteils von der australischen Besatzung enteignet und nach Deutschland ausgewiesen. Allerdings durften die meisten deutschen Missionare bleiben - eine Ausnahmesituation, die mit der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund im Jahre 1926 völkerrechtlich abgesichert war. Deutsche Patres, Pastoren, Nonnen und Laienbrüder bilden heute das 'letzte' deutsche Element in Papua-Neuguinea. Unter ihnen ist auch eine immer kleiner werdende Gruppe von Hiltruper und Steyler Missionaren, zwei nach ihrem Gründungsort benannten römisch-katholischen Orden.


Deutsche Spuren auf Samoa

Die "Deutschen Samoainseln" wurden erst 1900 eine deutsche Kolonie. Hier verfolgte der Gouverneur Wilhelm Solf eine zurückhaltende paternalistische Politik - in Abstimmung mit einheimischen Ratgebern und bewusst ohne Einsatz der Prügelstrafe. So setzte sich der samoanische Großhäuptling Tamasese nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber der neuseeländischen Militärverwaltung mit Erfolg dafür ein, dass die deutschen Ehemänner bei ihren samoanischen Frauen bleiben durften (auf Neuguinea wurden dagegen auch die deutschen Männer einheimischer Frauen nach 1918 ausgewiesen). Viele Samoaner mit deutschen Wurzeln verschickten nach dem Zweiten Weltkrieg Carepakete ins zerstörte Deutschland.

Noch heute fallen im Telefonbuch Samoas die zahlreichen deutschen Namen auf: Kruse, Berking, Stünzner und viele andere. Stellvertretender Premierminister Samoas war bis vor wenigen Jahren Hermann Theodor Retzlaff, bekannt als Misa Telefoni Retzlaff. Sein Großvater, den es aus Stettin nach Samoa verschlagen hatte, war hier für den Aufbau des Telefonnetzes verantwortlich - und so verpassten die Einheimischen dem politisch aktiven Enkel den Spitznamen "Telefoni".


Wertschätzung im historischen Rückblick

Insgesamt gesehen, ist die Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschen und der Bevölkerung in den früheren deutschen Südsee-Kolonien durchaus mit Brüchen besetzt. Aber wie man auch im persönlichen Leben das Ungute letztlich eher ausblendet und das Gute hervorhebt - so lange das Ungute nicht alles andere dominiert - , so wird auch die gemeinsame Erfahrung mit den Deutschen von Pazifikinsulanern heute eher positiv konnotiert. Die Sicht ihrer Kulturen auf Deutschland wurde stark von ihren Stories und Tänzen beeinflusst, in denen die eigene Geschichte den nachfolgenden Generationen erzählt und schauspielhaft vorgetanzt wurde. In den Erzählungen der tumbuna (Alten) dominierten neben konkreten Ereignissen, die man immer wieder in Erinnerung rief, vor allem Verhaltensmuster, die man den Deutschen zuschrieb: ein Sich-Einlassen auf indigene Kulturen und deren Verhaltensweisen sowie das Bemühen, sie zu verstehen (fast alle deutschen Beamten und Missionare lernten die einheimischen Sprachen); außerdem Hartnäckigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, Geradlinigkeit und Verlässlichkeit, Unbestechlichkeit.

Folgt man den Erzählungen der Menschen, hat eine weitere Eigenschaft offenbar den größten Eindruck hinterlassen: nämlich die Fähigkeit, vertraute Bahnen bewusst zu verlassen, sich mit Problemen nicht zu arrangieren, sondern diese mit unkonventionellen Lösungsansätzen anzupacken. Neues zu schaffen, das besser ist als das Alt-Vertraute - diese Fähigkeit schreibt man auch heute noch vielfach den Deutschen zu. Nur so etwa ist es zu verstehen, dass das längst unabhängige Papua-Neuguinea den deutschen Kolonialgouverneur Dr. Albert Hahl mit einer Sonderbriefmarke ehrte.


Deutschland ohne eigene diplomatische Vertretungen

Bedauerlicherweise ist Deutschland heute in keinem der zwölf Pazifikinselstaaten durch einen eigenen Botschafter vertreten. Dabei hat Papua-Neuguinea mit fast 7,5 Millionen Einwohnern eine deutlich größere Bevölkerung als Neuseeland. Es ist weltweit mit Abstand das größte Land, in dem es keine deutsche Botschaft gibt. Trotz zahlreicher deutscher Staatsbürger vor Ort werden die deutschen Interessen von Canberra, also von Australien aus, wahrgenommen. Die Volksrepublik China hingegen versucht, auf allen Inselstaaten diplomatisch und ökonomisch präsent zu sein, und bemüht sich um enge Beziehungen mit dem aufstrebenden Papua-Neuguinea, das über große Ressourcen und Bodenschätze verfügt.


KASTEN
 
"Germany and Papua New Guinea - Tupela Poroman:
Old Ties and New Relationships"

Unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Joseph Hiery entstand in Kooperation mit der Provinzregierung von East New Britain (einer der 21 Provinzen von Papua-Neuguinea) die Ausstellung "Germany and Papua New Guinea - Tupela Poroman: Old Ties and New Relationships". Sie wurde vom Auswärtigen Amt gefördert und 2012 eröffnet. In der lokalen Öffentlichkeit und den Medien wurde die Ausstellung sehr positiv aufgenommen. Sie vermittelte ein umfassendes Bild der deutschen Kolonialgeschichte in Papua-Neuguinea und betonte die Verbindung zweier Freunde (Poroman). Das von einem einheimischen Studenten entworfene Ausstellungslogo bildet hinter zwei einander zugeneigten Palmen die Flaggen beider Länder ab.

Ähnliche länderspezifische Ausstellungen wurden in Palau und in Samoa veranstaltet, zwei heute unabhängigen Pazifikstaaten, die bis 1914 ebenfalls deutsche Kolonien waren. Die samoanische Ausstellung wurde auch in Neuseeland gezeigt.


Autor

Prof. Dr. Hermann Joseph Hiery ist Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der Universität Bayreuth und seit 2003 Vorsitzender der Gesellschaft für Überseegeschichte e.V. (GÜSG).


Literaturhinweise

- Hermann J. Hiery and Arthur J. Knoll (eds.): The German Colonial Experience. Select Documents on German Rule in Africa, China and the Pacific 1884-1914. Lanham (MD) 2010.
- Hermann J. Hiery: Bilder aus der deutschen Südsee. Fotografien 1884-1914. Paderborn 2004.
- Hermann Joseph Hiery (Hg.): Die deutsche Südsee 1884-1914. Ein Handbuch. Paderborn 2001.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Bildunterschriften von im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Einheimischer Tänzer der Tolai bei der festlichen Eröffnung der Ausstellung "Germany and Papua New Guinea - Tupela Poroman: Old Ties and New Relationships"

- Eingang zur Ausstellung

- Katholische Versöhnungsfeier in St. Paul, Bainingberge, auf der Insel Neubritannien im August 2004. Im Vordergrund zwei Baininger mit Vogelmasken auf den Köpfen und weißen Kreuzen auf dem Rücken, was die Verbindung zwischen Christentum und Tradition deutlich machen soll

- Auf dem Namanula-Hügel in der Stadt Rabaul, auf der Insel Neubritannien im Bismarck-Archipel, befand sich der Verwaltungssitz der Kolonie Deutsch-Neuguinea. Daran erinnert heute ein großes Schild, das den deutschen Gouverneur Dr. Albert Hahl abbildet

- Anlässlich der Öffnung der Berliner Mauer gab Samoa im Jahre 1989 eine Briefmarke heraus, die zugleich - mit einem Porträt Otto von Bismarcks - an den Berliner Vertrag von 1889 erinnerte. Darin hatten sich die USA, Großbritannien und Deutschland auf eine gemeinsame Verwaltung Samoas geeinigt.

- Eine Forschungsreise des Lehrstuhls für Neueste Geschichte in die Südsee führte die Bayreuther Studierenden auch nach Saipan, die auf der gleichnamigen Insel gelegene Hauptstadt der Nördlichen Marianen. 1899 bis 1914 war die Insel eine deutsche Kolonie. Im Nationalarchiv befinden sich noch zahlreiche Dokumente aus dieser Zeit

- Pohnpei, bis heute auch Ponape genannt, ist die Hauptinsel der Föderierten Staaten von Mikronesien und wurde - ebenso wie Saipan und weitere Inseln - 1899 von Spanien an das Deutsche Reich abgetreten. Der Glockenturm der Kathedrale ("German Bell Tower") ist erhalten geblieben

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Quelle:
Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 1 - Juni 2015, Seite 14-17
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
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Internet: www.uni-bayreuth.de
 
Spektrum erscheint ein- bis zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2015

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