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KULTUR/080: Kaffeehaus und Kaffeekränzchen (ROSA)


ROSA:40 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - Februar 2010

Kaffeehaus und Kaffeekränzchen

Von Heidi Witzig


Ein Getränk wie der Kaffee, dem im 18. und 19. Jahrhundert in allen Bevölkerungsschichten eine phänomenale Karriere beschieden war, erfuhr auf der Ebene der Normen und Leitbilder eine starke geschlechtsspezifische Modellierung. Diese stellte sich jedoch in der sozialen Wirklichkeit sehr viel differenzierter dar.


In diesen beiden Einrichtungen fand die im 18. Jahrhundert einsetzende und im 19. Jahrhundert sich noch akzentuierende Polarisierung der Geschlechtercharaktere ihren augenscheinlichen Ausdruck. Das Kaffeehaus erfreute sich insbesondere im 18. Jahrhundert grosser Beliebtheit. Gleichzeitig mit dem steigenden Zustrom von Männern fand eine fortschreitende Ausschliessung jener Frauen, die ihren "guten Ruf" nicht auf das Spiel setzen wollten, aus diesen Lokalen statt. Kaffeehäuser stellten Orte dar, an welchen der "lebendige Prozess der Aufklärung" (1) praktiziert wurde. Da, wo Männer unter sich starken Kaffee tranken, schien sich in der Selbstwahrnehmung ein genuin politischer Raum zu entfalten. Die neue Weltoffenheit und Neugierde steigerten den Informationsbedarf: Allenthalben wurden Zeitungen gelesen und kommentiert. Die Zusammensetzung des Männerpublikums war zufällig, der Zugang vom frühen Morgen bis zum späten Abend demokratisch offen. Das Getränk musste jedoch bezahlt werden, was den Kreis der Teilnehmer wiederum auf jene einschränkte, die über entsprechende Kaufkraft verfügten. (2)

Im selben Zeitraum entwickelte sich das Kaffeekränzchen zu einer exklusiv weiblichen Angelegenheit, zur privaten Kaffeekonsum-Alternative. Es wurde als Prototyp einer weiblichen Form der Geselligkeit dargestellt und mit familiär-verwandtschaftlich-bekanntschaftlich-nachbarschaftlicher Idylle assoziiert. Die Frauen trafen sich, in selbstgewähltem Turnus, bei sich zu Hause. Schwachen, "nervös machenden" Kaffee trinkend unterhielten sie sich hier über Beziehungsfragen und tauschten Neuigkeiten aus. Aus männlicher Sicht schien die Begrenztheit des Problemhorizonts in einem reziproken Verhältnis zur Intensität des Klatsches zu stehen; zugleich galt jedoch dieses Reden über zweitrangige Dinge, das der männlichen Öffentlichkeit des Kaffeehauses nicht würdig gewesen wäre, als der begrenzten Welt der Frauen angemessen. Dem entsprach der Rahmen des privaten Salons oder Esszimmers, der Einblicke in die persönliche Sphäre der Familie und in die Hausführung der Gastgeberin erlaubte.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit war jedoch weit komplexer, als solche populäre Bilder vermuten lassen. In der Schweiz entwickelte sich jene Urbanität, die der Kaffeehauskultur anderswo zu einem breiten Durchbruch verhalf, nur rudimentär. Die Industriegesellschaft mit ihren vielfältigen und auch widersprüchlichen Anforderungen an Individuen und Gruppen entzog einem rollenkonformen Verhalten selber wiederum den Boden. Dass - um einen wichtigen Sachverhalt zu erwähnen - im ausgehenden 19. Jahrhundert über 40% der Frauen einer bezahlten Erwerbsarbeit nachging (resp. nachgehen musste), lässt sich mit den klischierten Rollenbildern kaum vereinbaren. Als kollektive Fiktionen, die in Erwartungen und Einstellungen verankert waren, überlebten diese Bilder jedoch und hinterliessen bei jenen, welche ihnen nicht zu genügen vermochten, häufig ein Unbehagen. Auch das "Kaffeehaus" und das "Kaffeekränzchen", das es in idealtypischer Ausprägung nur in seltenen Fällen gab, überdauerte solche empirischen Anfechtungen - nicht nur im common sense, sondern auch in einem Grossteil der historischen Literatur.


Heisses Zichorienwasser

Die rasche Ausbreitung des Kaffees in den Arbeitermilieus hatte verschiedene Gründe. Zum einen handelte es sich um ökonomische: Verfügbar weil verhältnismässig billig waren traditionellerweise alkoholische Getränke wie Most oder Branntwein, insbesondere solcher aus Kartoffeln. Die Struktur der relativen Preise liess es Frauen, die den Einkauf zu besorgen hatten, angezeigt erscheinen, "Kaffee" einzukaufen, wobei es sich allerdings nicht um echten "Bohnenkaffee" (3), sondern um eine grosse Vielzahl von billigeren und oft auch minderwertigen Surrogaten handelte. Der Erfindergabe schienen diesbezüglich keine Grenzen gesetzt zu sein. Zudem konnte Kaffee besser als andere Lebensmittel "gestreckt" werden. Der Inhalt der Kaffeekanne war in armen Familien in der Regel so verdünnt, dass oft nur noch gefärbtes Wasser übrigblieb. Die Tatsache, dass der Kaffee geeignet war, eine ganze Mahlzeit zu ersetzen oder zumindest die Illusion einer warmen Mahlzeit zu vermitteln, war ein weiterer Faktor, der seine rasche Ausbreitung in Arbeiterkreisen förderte. Er hatte zudem die Eigenschaft, dass er nicht einschläfernd oder benebelnd, sondern im Gegenteil belebend und aufputschend wirkte. Es war gerade aus der Sicht der Frauen sinnvoll, ein Getränk zu fördern, das nicht einfschläfernd-benebelnde oder aggressiv machende Eigenschaften hatte, sondern im Gegenteil belebend und aufputschend wirkte - Gewalt in der Ehe war auch damals ein aktuelles Thema. Kaffeekonsum war zudem gut abgestimmt auf die neue Instant-Food-Esskultur, die im Gefolge des Industrialisierungsprozesses ihren historischen Aufstieg erlebte. Die Temposteigerung darf jedoch nicht über den Umstand hinwegsehen lassen, dass Kaffee gekocht werden musste, also für Frauen einen grossen Aufwand für Brennholzsuche, Feuer anzünden und unterhalten bedeutete. Zudem waren effektive Thermoskrüge unbekannt, sodass der Kaffee bei regelmässigem Gebrauch oft nur am Morgen warm auf den Tisch kam.


Bohnenkaffee im Salon

In dem stärker an einem urbanen Lebensstil orientierten bürgerlichen Milieu entstand demgegenüber in der Schweiz des 19. Jahrhunderts das gutbürgerlich Kaffekränzchen. Bei dieser Gelegenheit wurde selbstverständlich echter, schwarzer, duftender Bohnenkaffee serviert; meistens waren auf den Kaffeetischen auch Süssigkeiten, selbstgebackene Kuchen oder Törtchen zu finden. Männern war die 'funktionale Unverzichtbarkeit' dieser informellen Frauenöffentlichkeit durchaus bewusst. Auch wenn sie die "Kaffeekränzchen"-Frauen-Geselligkeit als einfältige Klatschrunde abqualifizierten, waren sie auf genaue Einhaltung dieser "Pflegeleistung" im Sinne des weiblichen networking äusserst bedacht. Die symbolische Statusdegradierung des Kaffees stand hier eher im Dienste der Selbstaufwertung. (4)

Kaffeetrinken war nicht nur eine isolierte Beschäftigung zwischen den Mahlzeiten, der Kaffee war vielmehr in die kulinarische Kultur des Bürgertums integriert. Er bildete den Abschluss jeder offiziellen Einladung. In den Oberschichten galt die "Kaffeevisite" als beliebtes Mittel, um den familiären Zusammenhalt von Frauen und Männern öffentlich zu repräsentieren.


Der Stoff, aus dem Träume sind

Damit sind wir bei einigen Überlegungen zur imaginären Dimension des Kaffees angelangt. Der Kaffee als "exotisches Getränk" stammt aus fernen Erdteilen, auf die jene Wunschvorstellungen projiziert werden, welche aus der versachlicht-entzauberten Kultur industrialisierter Gesellschaften exorziert wurden. Auch hier geht es nicht zuletzt um das emotionale Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Als koloniales Luxus- und dann Massenkonsumprodukt dokumentierte der Kaffee auch die globale Machtstellung der westlichen Nationen. Die internationale Arbeitsteilung war - hierin mit der geschlechtlichen Arbeitsteilung vergleichbar - mit einer emotionalen Polarisierung, mit einer psychischen (Ab-)Spaltung verbunden. Jene Wünsche, die in den Industrieländern, in der Atmosphäre nüchterner Rechenhaftigkeit und egoistischer Zweckorientierung keine Realisierungschancen mehr hatten, wurde nun in die Ferne projiziert. Kolonialwaren und insbesondere der Kaffee symbolisierten jene Qualitäten, die den Menschen scheinbar abhanden kamen: das Exotisch-Verspielte, das Ferne-Geheimnisvolle. Im Kaffee war arabischer Glanz, orientalischer Luxus, lusitanisch-brasilianischer Lebensrhythmus zu finden. In den Fantasiewelten, zu welchen er unvermittelt einen Zugang eröffnen konnte, war auch immer wieder das Geschlechterverhältnis mit seinen Spannungsfeldern von Attraktion und Distanzierung, Begehren und Befürchtung zu erkennen.

Kaffee geriet insbesondere im 19. Jahrhundert, als sein Konsum sich rasch ausdehnte, in ein kulturelles Spannungsfeld. Zum einen war er ein "gemeines" Produkt. In Form minderwertiger Surrogate gelangte er an die Basis der Sozialpyramide und stellte dort ein Hauptingredienz der neuen industriell-kommerziellen Instant-Billig-Diät dar. Zugleich blieb der Kaffee etwas Luxuriös-Geheimnisvolles. Seit dem 18. Jahrhundert wurde der Kaffeesatz von den "Kaffeeguckerinnen" der "Tassenweiberzunft" für den Aufbau eines schwungvollen Geschäfts mit individuellen Zukunftsprognosen benutzt. Zeitgenossen sprachen in diesem Zusammenhang von "Kaffeewahn". Eine Weissagungs-Konfiguration war folgende: Wird auf dem Teller ein langer Strich abgebildet, so wird die betreffende Person in nächster Zeit eine lange Reise machen; ist der Strich kürzer, so kann die Reise auch kürzer sein. Kaffee war zwar das Getränk der Nüchternheit und der Vernunft, zugleich aber schlug sein Geschmack eine Brücke für eine Reise ins Paradies.5 Als Genussmittel vermittelte er eine Ahnung von dem, was im ganzen Prozess gesellschaftlicher Modernisierung als Verheissung angelegt war - eine Verheissung, die bis heute allerdings weder für die Konsumentinnen und Konsumenten noch für die Produzentenländer eingelöst wurde.


Anmerkungen:

(1) Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962, S. 59; Witzig, Heidi und Jakob Tanner, Kaffeekonsum von Frauen im 19. Jahrhundert, in: (hg.) Daniela U. Ball: Kaffe im Spiegel europäischer Trinksitten (Veröffentlichungen des Johann Jacobs Museums zur Kulturgeschichte des Kaffees, Bd. 2), Zürich 1991.

(2) Heise, Ulla: Kaffee und Kaffeehaus. Eine Kulturgeschichte, Hildersheim etc. 1987.

(3) Obwohl es sich botanisch beim Kaffee nicht um eine "Bohne" handelt, hat sich der Begriff gehalten.

(4) Ein interessantes Beispiel für die Selbstaufwertung durch Abqualifizierung des weiblichen Kaffeetrinkens finden wir in der "Kaffee-Kantate", vertont von Johann Sebastian Bach. Diese wurde um 1734 in Leipzig in einem Kaffeehaus aufgeführt, vor exklusiv männlichem kaffeetrinkendem Publikum und verunglimpfte die weibliche "Kaffeesucht".

(5) Vgl. Schivelbusch, Wolfgang: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel, Frankfurt a. M.. etc, 1982.


Autorin
Dr. Heidi Witzig, Historikerin mit Schwerpunkt Geschlechter- und Alltagsgeschichte. (Mit)autorin zahlreicher Studien, u.a. "Frauengeschichte(n)". Dokumente aus zwei Jahrhunderten zur Situation der Frauen in der Schweiz, 4. erg. Aufl., Zürich 2001.
heidi.witzig@bluewin.ch


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Quelle:
ROSA:40 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe Nr. 40, Februar 2010, S. 30-32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2010