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FUNDSTÄTTEN/097: Neue Sicht auf die europäische Kolonisierung Asiens (idw)


Universität Konstanz - 20.03.2017

Neue Sicht auf die europäische Kolonisierung Asiens

Ausgrabungen in Taiwan belegen, dass die Region bereits im frühen 17. Jahrhundert ein Zentrum früher Globalisierung war


Die Südsee-Erkundungen James Cooks im 18. Jahrhundert sind in die Geschichte eingegangen, dabei gingen ihnen spanische Entdeckungsreisen voraus. Es ist bekannt, dass die Spanier, angefangen mit Ferdinand Magellan im Jahre 1521, den pazifischen Raum bereits im 16. und 17. Jahrhundert erkundeten. Bisher hatten Forscher dieser Tatsache nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, was dazu geführt hat, dass anthropologische, historische und archäologische Erkenntnisse über diese Periode erster Globalisierung im pazifischen Raum weitgehend fehlten. Archäologische Ausgrabungen in einer Siedlung im Norden Taiwans, die unter Leitung von María Cruz Berrocal unternommen wurden, sind auf dem Weg, diese Forschungslücke zu schließen und eine neue Sicht auf die Kolonisierung der pazifischen Region zu eröffnen: In der kleinen spanischen Kolonie von "San Salvador de Isla Hermosa" ging es danach global zu. María Cruz Berrocal ist Research Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz und assoziiert mit dem Fachbereich Geschichte und Soziologie.


Eine Ansiedlung auf der kleinen Insel Heping Dao, die zu der Stadt Keelung im Norden Taiwans gehört, war Gegenstand der Untersuchung. Bereits seit 2011 wurden dort Grabungen durchgeführt, die reiche archäologische Funde zutage förderten. Sie dokumentieren die Geschichte der Besiedlung der Insel: Die Region spielte seit der Frühgeschichte eine besondere Rolle in der Geschichte Taiwans und war auch in der Zeit der Kolonialisierung durch die Europäer von Bedeutung. "San Salvador de Isla Hermosa" wurde 1626 als spanische Kolonie auf Heping Dao gegründet und später durch die Niederländer eingenommen. Es folgten die Annexion durch die Chinesen sowie die japanische Besetzung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Spanier bewohnten die untersuchte Ansiedlung von 1624 bis 1642. Die Grabungen der internationalen Wissenschaftlergruppe unter der Leitung von María Cruz Berrocal belegten dies wesentlich eindeutiger, als zuvor angenommen worden war. Die Archäologen legten die Fundamente frei, die zu einer Kirche oder einem christlichen Konvent gehörten, und entdeckten auch den dazugehörigen Friedhof. "Die Funde zeigen, dass diese Kolonie keine marginale Rolle spielte. Taiwan war ein Knotenpunkt in den Handelsbeziehungen des Pazifikraums und damit auch Zentrum vielfältiger Kontakte", erklärt María Cruz Berrocal.

Die Grabungen - die letzte fand von September bis November 2016 statt - legten sechs Erdbestattungen und andere menschliche Überreste im Bereich der Kirche frei. Im November 2016 fanden die Archäologen ein Skelett, das zeigt, dass der Verstorbene mit zum Gebet gefalteten Händen bestattet wurde. "Es gibt keine europäischen Bestattungen im gesamten asiatisch-pazifischen Raum aus dieser Zeit, das hier sind die ersten dokumentierten Überreste. Auch die koloniale Begräbnisstätte, die wir gefunden haben, ist die älteste, die in dieser Region ausgegraben wurde", sagt María Cruz Berrocal.

Die Analyse der Knochen und insbesondere der Zähne gibt ein vielfältiges Bild ab. Wesentliche biographische Informationen wie geografische Herkunft, Ernährung oder Krankheitsgeschichte der Verstorbenen können durch Isotopenanalyse von Zähnen und Auswertung der Rückstände von Pflanzenmaterial in den Zähnen sowie die Untersuchung der erhaltenen DNA von Krankheitserregern gewonnen werden. Die Isotopenanalysen werden dabei durch Dr. Estelle Herrscher vom CNRS in Frankreich durchgeführt, und die botanische Auswertung wird von Dr. Alexandre Chevalier vorgenommen. Professor Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena untersucht neben der Human-DNA auch die DNA von Krankheitserregern wie Bakterien und Viren. Zudem liefern Pflanzenreste eine Fülle von Informationen, da diese von Europäern in den Pazifischen Raum eingeführt wurden.

Nach aktuellem Stand der Untersuchungen handelte es sich bei den sterblichen Überresten um Menschen, die sehr wahrscheinlich aus Europa und Asien, vielleicht auch aus Afrika stammten. Da diese Menschen mit der einheimischen Bevölkerung auf Heping Dao zusammenlebten, ist es wichtig, dort weiter zu forschen, um die Auswirkungen von europäischer Kolonialisierung auf diese Bewohner zu erfassen. Weitere Analysen werden das Bild der frühen Geschichte dieser Region verfeinern. "Die Ergebnisse zeigen, dass wir es hier mit einem der frühen Knotenpunkte der Globalisierung zu tun haben. Die im spanischen Stil erbaute Kirche zeugt davon, dass die Gründung dieser Kolonie für die spanische Krone so bedeutsam war wie andere Koloniegründungen auch, zum Beispiel in Amerika. Allerdings scheiterte letztlich der Versuch, nachhaltig im Pazifikraum Fuß zu fassen. Daher hat die Geschichtsschreibung im Nachhinein angenommen, dass Taiwan nur eine marginale Rolle spielte. Das ist jedoch nicht der Fall", fasst María Cruz Berrocal zusammen.

Faktenübersicht:
• Grabungen: Die Grabungen unter Leitung von María Cruz Berrocal wurden zunächst unter Federführung der Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (CSIC, Spanien) und der National Science Council of Taiwan durchgeführt. Seit 2013 kooperieren die Universität Konstanz sowie die Academia Sinica (Taiwan) wissenschaftlich.
• Analyse: Prof. Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena untersucht neben der Human- DNA auch die DNA von Krankheitserregern wie Bakterien und Viren. Die Isotopenanalysen werden durch Dr. Estelle Herrscher vom CNRS in Frankreich durchgeführt und die botanische Auswertung wird von Dr. Alexandre Chevalier vorgenommen, Königliches Belgisches Institut für Naturwissenschaften.


Originalpublikation:
Cruz Berrocal, M. and Tsang, Ch. (eds.) 2017
Historical archaeology of the Early Modern Colonialism in Asia Pacific.
Vol. I. The Southwest Pacific and Oceanian regions.
Vol. II. The Asia-Pacific region.
University Press of Florida, Gainesville



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1282

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Konstanz, Julia Wandt, 20.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

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