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FORSCHUNG/119: Die Vermessung der Welt auf historischen Karten (forsch - Uni Bonn)


forsch 3/2009 - Juli 2009
Bonner Universitäts-Nachrichten

Vom "Flickenteppich" zur Weltkarte
Die Vermessung der Welt auf historischen Karten

Von Ulrike Eva Klopp


Detailgenaue Satellitenatlanten, Navigationssysteme und Geodatensammlungen haben uralte Wurzeln. Von Anbeginn waren Zwecke von Kartenwerken Wegbeschreibungen für Reisende, territoriale Herrschaft, aber auch Wissen festzuhalten. Die vielleicht erste kartographische Darstellung stammt aus der Jungsteinzeit: Bei Ausgrabungen entdeckte man in einem Haus in Çatal Hüyük in der Türkei eine Wandzeichnung, die das komplette Dorf bis hin zu den inneren Strukturen der Häuser um etwa 6200 v. Chr. zeigt. Eine exakte und einheitliche Karte der gesamten Welt existiert erst seit den 1990er Jahren, die "IGBP Global Land Use and Land Cover Map". Bis dahin gab es nur Flickenteppiche von einzelnen Überflügen. Auch heute sind Karten manchmal von individueller Weltsicht geprägt - denn für Australier ist Australien eben nicht "Down Under".


Wichtig bei Wegekarten war immer der praktische Nutzen: Sie nennen Distanzen und Stationen auf dem Weg zum Ziel, nicht aber die "Richtung". Deshalb wurden sie häufig nur als Linien dargestellt. Kaufleute, Kuriere oder Wallfahrer reisten von einer Landmarke oder Herberge zur anderen. Auch die Schifffahrt nutzte lineare Küstenkarten, die Portolane, denn das offene Meer war riskant. Orientierungskarten des römischen Reiches waren ebenfalls als Linien dargestellt - schließlich führen sowieso alle Wege nach Rom. Ähnlich arbeiten heutige Routenplaner im Internet, die nur eine Liste von Abzweigungen mit den dazwischen liegenden Entfernungen liefern. "Die Vorstellungen und Bedürfnisse antiker Reisender haben die Entwicklung der Raumwahrnehmung beeinflusst", sagt Dr. Michael Rathmann von der Alten Geschichte, die dem Thema eine eigene Tagung widmete. "Außerdem benötigten Reiche wie das Römische für die Verwaltung ihres Herrschaftsgebiets verlässliche geographische Daten. Erstaunlich präzise waren bereits die Karten des Ptolemaios aus dem 2. Jh."

Mathematik - Geometrie bedeutet ursprünglich Erdvermessung - und auch die Astronomie spielten dabei eine wichtige Rolle: So löste sich die Seefahrt ab dem 13. Jahrhundert mit Hilfe des Kompasses von der Küste, auf hoher See bestimmte man die Position mit einem Winkelmessgerät, dem Astrolabium. Wie korrekt alte Werke oft sind, ist weniger erstaunlich, als man vielleicht denkt. Der Geodät Thomas Kötter erläutert: "Auch heute in der Zeit digitaler Atlanten mit Zoomfunktion bis in kleine Einheiten und der Photogrammetrie entstehen Kartenwerke in der Regel nicht nur aus Luftbildern. Je nach Genauigkeitsanforderung werden bei der terrestrischen Vermessung Strecken und Winkel mit dem Thachymeter ermittelt."


Weltkarten mit Phantasie - oder erstaunlich korrekt

Von kleinen Strichzeichnungen bis zu mehrere Meter großen Darstellungen, mit Feder und Pinsel gezeichnet, später als Holzschnitt oder Kupferstich gestaltet, reichen historische Karten. Als "Urmutter" großräumiger Darstellung gilt eine Tonscheibe aus Nuzi im heutigen Irak. Sie stammt aus der Zeit zwischen 2340 und 2200 v. Chr. und zeigt hauptsächlich das Zweistromland mit seinen Bergen und Flüssen. Die Ebsdorfer Weltkarte hat einen Durchmesser von dreieinhalb Metern und gehört zu den spannendsten und ungewöhnlichsten Quellen wie auch die Tabula Peutingeriana aus dem 13. Jahrhundert. Sie geht auf eine spätantike Vorlage zurück, ist fast sieben Meter lang und stellt bei einer Höhe von nur 38 Zentimetern die antike Welt von Spanien bis Indien in stark gestreckter beziehungsweise gestauchter Weise dar.

Die frühesten noch erhaltenen Karten der bekannten Welt wurden im Mittelalter meist in Klöstern erstellt, um Wissen zu sammeln und zu archivieren. Meist stellten diese "Mappae Mundi" die heilige Stadt Jerusalem als Nabel der Welt in die Mitte, was in der Regel zu starken Maßstabsverzerrungen führt. Außerdem gehen in ihnen oft reale Landmarken und religiöse Vorstellung ineinander über. Da die zeichnenden Mönche nie selbst zu den beschriebenen Orten reisten, enthalten sie naturgemäß Fehler.

Die ersten kartographischen Zeugnisse, ein Globus und eine Karte, die die "Neue Welt" als Kontinent sehen und ihn Amerika nennen, stammen übrigens von Deutschen: Martin Waldseemüller erstellte sie 1507 mit Hilfe seines Partners Ringmüller. Woher die Beiden zu diesem Zeitpunkt die östliche Kontur Amerikas kannten, ist nicht geklärt. Rein wissenschaftliches Reisen und Kartieren begann erst später zu Zeiten Alexander von Humboldts - zumindest in Europa. In China gilt Xu Xiake fast zweihundert Jahre zuvor als erster Forschungsreisender und Geograph. Über ihn schreibt derzeit die Geographin und Sinologin Bianca Hausherr bei Professor Dr. Winfried Schenk, dem Leiter der Historischen Geographie, ihre Doktorarbeit.


Eigene Sichtweise prägt Kartenwerke

"Alte Karten erzählen sehr viel über die Sicht ihrer Produzenten auf die Welt und nicht so sehr darüber, wie es zu der Zeit wirklich war", sagt Jan-Erik Steinkrüger von der Historischen Geographie und erklärt: "Die Ausrichtung der Karte etwa hat viel mit der 'Leserichtung des Raumes' zu tun. So sind zum Beispiel Stadtpläne von Barcelona auch heute nicht genordet, da die Schachbrettstruktur der Stadt parallel zur Küste von Süd-West nach Nord-Ost verläuft. Diese Strukturen sind wichtiger zur Orientierung als die übliche Nord-Süd-Achse. Einzelne australische Karten sind gesüdet - denn Australien ist eben für Australier nicht Down Under. Oder Peking steht in der Mitte chinesischer Karten." Mitunter wurde auch auf Maßstabstreue verzichtet, um bestimmte wichtige Gebäude noch auf eine Karte zu bekommen. Vielfach sind alte Werke bebildert: Tiere und Fabelwesen überdecken "blinde Flecken", Entdecker und ihre Schiffe oder eine Region und ihre Bewohner sind dargestellt. Texte auf Karten bezeugen die politische Einschätzung der Zeit, wenn etwa der Sieg über eine Stadt lobend oder tadelnd herausgestellt wird.

Karten werden zum Politikum, wenn Länder von ihnen verschwinden wie lange Zeit Polen: 1795 wurde es bis nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt und ein zweites Mal 1939 von Stalin und Ribbentrop zwischen Deutschland und der Sowjetunion - die Originalkarte mit ihren Unterschriften existiert noch. Auch sagen die Auswahl und Bezeichnung von Orten oder Regionen wie "Bombay" und "Mumbay", "DDR" und "Sowjetisch besetzte Zone" oder die Wahl eines Kartenausschnittes viel über die vertretene Weltanschauung aus. Manchmal entstehen Länder erst durch Karten. So folgte in Afrika die Einteilung der Ethnien den kolonial eingeteilten Territorien und nicht umgekehrt. Steinkrüger beschäftigt sich zum Beispiel gerade mit einer ethnologischen Karte von 1940, die die vermeintliche Entstehung der afrikanischen Völker aus Sicht der kolonialen und nationalsozialistischen Rassenideologie darstellt. Dabei untersucht er, wie sich die Kolonialherren die Entstehung der Volksgruppen der Hutu und Tutsi in Ruanda vorgestellt haben.

"Für uns in der Historischen Geographie ist es vor allem interessant, ehemalige und heutige Strukturen zu vergleichen", sagt Steinkrüger. "Gerade in der Kulturlandschaftsforschung und -pflege können wir oft erhaltene wie vergangene Nutzungen von Gebieten erkennen oder mit Hilfe der Karten wieder freilegen." Das ist weltweit, aber natürlich besonders für die unmittelbare Umgebung interessant: Unter den großmaßstäbigen Karten gab es bereits in der frühen Neuzeit erstaunlich genaue Werke. Für die Region Bonn besonders wichtig sind die Karten von Jean Joseph Tranchot. Er kartierte auf Befehl Napoleons zwischen 1801 und 1814 das französisch besetzte Rheinland, seine Karte des früheren Bonn ziert die Homepage der Historischen Geographen. Und nicht zuletzt sind viele der alten Kupferstiche einfach schön. So hat der junge Wissenschaftler als Bildschirmschoner keinen Palmenstrand, sondern wechselnde Stadtkarten von Matthäus Seutter und aus der Civitates Orbis Terrarum von Frans Hogenberg vor Augen.

Eine Ausstellung "Alexander von Humboldt - Reise zum Gipfel der Erde" zeigt bis zum 21. August die wichtigsten Stationen seiner Amerikareise zur Vermessung einer neuen Welt.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 3, Juli 2009,
Seite 16-18
Herausgeber:
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2009