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DRITTES REICH/033: Verbrannte Sozialdemokratie (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2008

Verbrannte Sozialdemokratie
"Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Marx und Kautsky!"

Von Werner Treß


Neuere Forschungen ergaben: Die Bücherverbrennungen fanden 1933 nicht nur im Mai, sondern bis in den Herbst hinein statt. Sie waren weiter als bisher bekannt verbreitet, fast hundert Orte wurden gezählt. Sie gingen vor allem von einem Netzwerk um die NS-Studentenbewegung aus und betrafen gerade auch sozialdemokratische Sachbücher und Symbole.


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In den Tagen um den 10. Mai 2008 wurde in zahlreichen deutschen Städten an die NS-Bücherverbrennungen gedacht. Vor 75 Jahren, in den Abendstunden des 10. Mai 1933, brannten in 22 deutschen Hochschulstädten die Scheiterhaufen. Unter lärmenden Schmährufen warfen Studenten in SA- und SS-Uniformen die Werke von Kurt Tucholsky, Heinrich Mann, Anna Seghers und zahlreichen weiteren Schriftstellern, Publizisten und Wissenschaftlern in die Flammen. Von etwa 360 Autorinnen und Autoren lässt sich heute nachweisen, dass ihre Werke von den Bücherverbrennungen 1933 betroffen waren. Darunter waren auch zahlreiche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, beispielsweise so bedeutende Namen wie August Bebel, Ferdinand Lassalle, Karl Kautsky, Eduard Bernstein, Anna Blos, Louise Schröder, Rudolf Hilferding, Gustav Radbruch, Ernst Fraenkel und Otto Suhr.

Die Bücherverbrennungen im Mai 1933 waren Höhepunkt der reichsweiten "Aktion wider den undeutschen Geist". Dabei handelte es sich um eine vierwöchige, generalstabsmäßig geplante und durchgeführte Kampagne mit dem Ziel der Vertreibung der deutsch-jüdischen und kritischen Intelligenz vor allem aus den Universitäten. Durch die Verbreitung des Hetzplakates "Wider den undeutschen Geist" am 13. April, einen "Professorenboykott" ab dem 19. April und schließlich durch die Plünderung von Buchhandlungen und Bibliotheken wurde die "Aktion wider den undeutschen Geist" bis zum 10. Mai 1933 immer weiter eskaliert.

Entgegen der lange verbreiteten These, Joseph Goebbels wäre der Urheber der Bücherverbrennungen gewesen, sind die Historiker sich inzwischen einig, dass die "Deutsche Studentenschaft" als Dachverband der damals bereits vom NS-Studentenbund dominierten Einzelstudentenschaften die Gesamtaktion gleichsam im Alleingang durchgeführt hätte. Diese These hat bis heute Gültigkeit, muss jedoch in ihrer Absolutheit korrigiert werden. Die Reichsstudentenführung war nämlich weder Willens noch in der Lage, eine derart umfassende Kampagne alleine zu organisieren. Von Anfang an wurde auf die Mithilfe staatlicher Institutionen und vor allem der NS-Parteiorganisationen gesetzt. Und die kam auch: vom Preußischem Kultusministerium, vom Reichspropagandaministerium, von den Polizeibehörden, von der SA, SS, HJ, den Burschenschaften, vom "Kampfbund für deutsche Kultur", von Volksbibliothekaren und von Professoren mit NSDAP-Parteibuch oder Ambitionen darauf. Nur vor dem Hintergrund dieses Netzwerkes ist die Schlagkraft der "Aktion wider den undeutschen Geist" erklärbar. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, dass der aktive Part der Bücherverbrennungen von Angehörigen der jungen "Generation des Unbedingten" (Michael Wildt) getragen wurde.

Während die "Aktion wider den undeutschen Geist" seit Erscheinen der Studie von Gerhard Sauder 1983 relativ gut erforscht wurde, blieb lange Zeit unberücksichtigt, dass die NS-Bücherverbrennungen keine bloß temporär auf die Tage um den 10. Mai 1933 beschränkte und räumlich auf die Hochschulorte begrenzte Erscheinung waren. Der im Mai 2008 erschienene Band "Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland" kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen März und Oktober 1933 deutschlandweit mindestens 95 Bücherverbrennungen stattfanden. Dabei bildeten die studentischen Bücherverbrennungen im Rahmen der "Aktion wider den undeutschen Geist" zwar einen Schwerpunkt, machen mit 30 Bücherverbrennungen jedoch nur knapp ein Drittel des zu betrachtenden Gesamtphänomens aus.

Vielerorts waren die Autodafés ein symbolischer Schlussstein derjenigen Maßnahmen und Ereignisse, mit denen in den Wochen und Monaten zuvor die neuen politischen Machtverhältnisse von der zentralstaatlichen auf die kommunale Ebene übertragen wurden. Dabei ging es keineswegs nur um den symbolischen Gehalt der Verbrennungsakte. Dieser war nämlich stets mit einer materiellen Zerstörung und Vernichtung verbunden. Schließlich handelte es sich bei den betroffenen Büchern um öffentliches oder privates Eigentum.

In jeder Hinsicht weisen die verfemten Bücher über die Plätze, auf denen man sie verbrannte, hinaus. Was war in den Häusern geschehen, aus denen man die Bücher zur Verbrennung herbei geschafft hatte? Was hatte man mit den Menschen gemacht, die die Bücher zuvor gelesen, verliehen oder verkauft hatten? Wer waren die Akteure, die vor Ort die Bücherverbrennungen organisierten oder am Scheiterhaufen Reden hielten? Welche Ämter oder Funktionen hatten diese Akteure inne, wenn sie nicht gerade Bücher verbrannten? Diese Fragen lenken den Blick auch auf die regional- und stadtgeschichtlichen Hintergründe der örtlichen Verbrennungsaktionen.

Hinzu kommt, dass der Begriff Bücherverbrennung in den meisten Fällen die tatsächlich durchgeführten Vernichtungsakte nur unzureichend beschreibt. Bei näherer Betrachtung der zahlreichen von den örtlichen Scheiterhaufen erhaltenen Fotografien fällt auf, dass die örtlichen Veranstalter ihre Scheiterhaufen oft mit großem Aufwand ausstaffierten, so als handele es sich um die Schaffung eines Kunstwerkes. Neben Wahlplakaten, Schildern, Bildern, Schallplatten und Büsten sind oft Fahnen und Wimpel auf den Scheiterhaufen zu sehen. Schwarz-rot-goldene Fahnen, die drei Pfeile der sozialdemokratischen Eisernen Front und Symbole des Roten-Frontkämpferbundes sind ebenso zu erkennen, wie Plakate, die sich durch die groß gedruckten Ziffern 2 oder 3 als Wahlkampfmaterial der SPD (Liste 2) beziehungsweise KPD (Liste 3) zu den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zuordnen lassen. Insbesondere die zusätzliche Verbrennung von Parteisymbolen zeigt, dass es sich bei den Bücherverbrennungen nicht nur um eine kulturpolitische Säuberungsaktion handelte. Die brennenden Scheiterhaufen waren vielmehr das Ergebnis der Zerschlagung des gesamten Spektrums der Opposition gegen Hitler in Kultur, Wissenschaft und Politik. Und dass die Nationalsozialisten sich mit der Unterwerfung ihrer Gegner allein nicht zufrieden gaben, sondern von Anbeginn auch nach ihrer Vernichtung trachteten - davon legen die Bücherverbrennungen ebenfalls Zeugnis ab.

Für den Zeitraum von März bis Oktober 1933 lassen sich drei Phasen von Bücherverbrennungen unterscheiden. Bei der ersten Phase (März-April 1933) handelte es sich hauptsächlich um Bücher-, Zeitungs- und Fahnenverbrennungen im Kontext der Erstürmungen von sozialdemokratischen Partei- und Verlagshäusern durch die SA und SS. Die zweite Phase (Mai 1933) bezeichnet die Bücherverbrennungen der erwähnten "Aktion wider den undeutschen Geist", die vor allem durch den Film- und Tonmitschnitt vom Berliner Opernplatz im kollektiven Gedächtnis präsent geblieben sind. Während der dritten Phase (Mai bis Oktober 1933) kam es noch zu einer Reihe weiterer ortsübergreifender Bücherverbrennungsaktionen, die hauptsächlich von der "Hitlerjugend" und dem "Kampfbund für deutsche Kultur" organisiert waren.

Aufgrund ihrer Relevanz für die Zerschlagung der Sozialdemokratie im Frühjahr 1933 soll hier auf die erste Phase näher eingegangen werden. Nach dem Sieg der Regierung Hitler/Papen bei den nicht mehr unter rechtsstaatlichen Bedingungen abgehaltenen Reichstagswahlen am 5. März 1933, ging die NSDAP dazu über, die noch verbliebene politische Opposition deutschlandweit zu zerschlagen. Systematisch wurde vor allem der SPD, KPD und den Gewerkschaften die logistische Basis genommen, indem die SA und SS deren Partei-, Verlags- und Gewerkschaftsgebäude angriff und besetzte. Auf äußerst brutale Weise wurden dabei oppositionelle Partei- und Gewerkschaftsangehörige verhaftet, zusammengeschlagen, gefoltert und ermordet. Die Inneneinrichtungen der besetzten Gebäude, die häufig über wertvolle Zeitungs- und Buchdruckereien verfügten, wurden verwüstet oder vollständig zerstört.

Insbesondere in den sozialdemokratischen Partei- und Verlagshäusern waren neben den Hausbibliotheken häufig auch Buchhandlungen untergebracht. Deren Buchbestände wurden von der SA und SS entweder geraubt oder noch im Zuge der Besetzungsaktionen verbrannt. Ein wichtiges Merkmal dieser Bücherverbrennungen der ersten Phase besteht darin, dass sie nicht eigens als solche geplant wurden, sondern eine Begleiterscheinung des politischen NS-Terrors waren. Es handelte sich also um spontane Bücherverbrennungen, bei denen neben Büchern meistens auch Fahnen, Flugblätter, Zeitungen, Akten und Möbel aus den besetzten Gebäuden verbrannt wurden. Eine spezifische Anfeindung bestimmter Buchtitel oder Autoren war hierbei noch nicht festzustellen. Vermutlich wurden die von der SA und SS bei der Besetzung der Partei-, Verlags- und Gewerkschaftsgebäude vorgefundenen Buchbestände summarisch der politischen Richtung ihrer Besitzer zugeschrieben und als solche verbrannt. Beispiele von Bücherverbrennungen im spezifischen Zusammenhang mit der Zerschlagung der SPD sind u.a. in folgenden Orten belegt: Am 8. März 1933 in Dresden auf dem Wettiner Platz (Verlagshaus und der Volksbuchhandlung der "Dresdner Volkszeitung"), am 8. März 1933 in Zwickau auf dem Hof der Bosenstraße 16 (Verlagshaus und Buchhandlung des "Sächsischen Volksblattes"), am 9. März 1933 in Braunschweig auf dem Ackerhof vor dem Volksfreundhaus (Verlagsgebäude und Buchhandlung des "Braunschweiger Volksfreund"), am 10. März 1933 in Würzburg auf dem Residenzplatz (Gewerkschaftshaus und Verlagsgebäude des "Fränkischen Volksfreund"), am 12. März 1933 in Bochum auf dem Neumarkt (Verlagsgebäude und Buchhandlung des "Volksblatt").

Diese Beispiele zeigen die Welle des politischen Terrors, die ab März 1933 über Deutschland hinwegrollte und der verbliebenen demokratischen Opposition gegen Hitler das Rückgrat brach. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wurden dabei regelrecht totgeschlagen, ihre Verlage wurden buchstäblich zertrümmert, ihre Bücher ins Feuer geworfen, der Faden der Tradition abgerissen.

Einiges ist darüber seither in wissenschaftlichen Publikationen geschrieben worden, in den neuen Bundesländern gab es zarte Versuche der Restitution ehemals sozialdemokratischen Eigentums. Das Beste jedoch, die Bücher und Texte der sozialdemokratischen Vordenker, sie sind verbrannt und vergessen. Diese Bücher als eine Art Ideen-Kanon der Sozialdemokratie neu herauszugeben wäre im Vorfeld des 150. Geburtstages der SPD eine wahre Großtat und ein wichtiges Signal für viele Menschen, die heute nicht mehr wissen, was das überhaupt ist - Sozialdemokratie.


Werner Treß (* 1975) ist Historiker und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam. Im Vorwärtsbuch von ihm erschienen: Wider den undeutschen Geist. Bücherverbrennung 1933.
werner@tress-berlin.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2008, S. 17-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2008