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DISKURS/029: Rosa Luxemburg - "Es wurde nicht die richtige Leiche bestattet" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 30. Mai 2009

»Es wurde nicht die richtige Leiche bestattet«
Die sterblichen Überreste von Rosa Luxemburg lagern vermutlich in der Berliner Charité

Gespräch von Peter Wolter mit Jörn Schütrumpf
(Jörn Schütrumpf ist Historiker und Geschäftsführer des Karl Dietz Verlages)


Peter Wolter: Es gibt Hinweise darauf, daß im Grab von Rosa Luxemburg der falsche Leichnam beerdigt ist. Sie wissen mehr darüber ...

Jörn Schütrumpf: Am 30. Mai 1919 wurde im Landwehrkanal eine Frauenleiche gefunden -etwa an der Stelle, an der zuvor am 15. Januar die ermordete Rosa Luxemburg versenkt wurde. Der damalige Reichswehrminister, der SPD-Mann Gustav Noske, ließ die Leiche aus Angst vor weiteren Aufständen aus der Stadt herausbringen - zum Oberkommando des Heeres, also zu den Mördern, mit denen er das Verbrechen verabredet hatte.

Zur Identifizierung wurden die beiden obersten Pathologen des Deutschen Reiches herangezogen - Fritz Strassmann und Paul Fraenckel. Beiden wurde bei der Obduktion aber offenbar schnell klar, daß es keinesfalls Rosa Luxemburg, sondern wohl eine unbekannte Selbstmörderin war. Das Militär zwang die beiden Wissenschaftler jedoch zur Ausstellung eines falschen Protokolls. Um »ihre Seele zu retten«, schrieben sie ihre wirklichen Untersuchungsergebnisse jedoch in den Text hinein. Den hat der heutige Chefpathologe der Charité, Prof. Dr. Michael Tsokos, kürzlich im Militärarchiv Freiburg geprüft: Die damals bestattete Leiche hatte demnach weder eine Kopfverletzung noch einen Hüftschaden noch ein verkürztes Bein. All das hätte gefunden werden müssen, wenn es wirklich Rosa gewesen wäre.

Peter Wolter: Ist es richtig, daß die richtige Leiche immer noch in der Charité liegt?

Jörn Schütrumpf: Beweisbar ist auf jeden Fall, daß nicht die richtige Leiche bestattet wurde. Für die Leiche in der Charité haben wir eine hohe Dichte von Indizien, daß es die wirkliche Rosa Luxemburg ist.

Peter Wolter: Und welche Indizien sind das?

Jörn Schütrumpf: Die Charité-Tote gehört zu den zehn unbekannten Frauenleichen, die zwischen 1919 und 1922 aus Berliner Gewässern geborgen wurden. Neun wurden im Laufe der Zeit identifiziert, die zehnte aber nicht - Rosas Identität war ja schon vergeben. Die Leiche war im Landwehrkanal aufgeschwommen, nachdem im Lauf der Verwesung die verdrahteten Hände und Füße abgefallen waren und sich somit auch das Grundgewicht gelöst hatte.

Peter Wolter: Die Charité-Leiche hat aber auch keinen Kopf.

Jörn Schütrumpf: Der wurde später in der Pathologie abgetrennt und separat gelagert. Er ist mit Sicherheit noch da - nur wurde er nicht registriert, es weiß also niemand, wo er im Magazin zu finden ist. Jetzt zu den Indizien: Die Größe der Leiche wurde mit 1,50 Meter berechnet, ihr Alter mit etwa 50, sie hat einen Hüftschaden und ein verkürztes Bein. Auch das ungefähre Geburtsjahr trifft auf Rosa zu, wie mit einer C-14-Analyse nachgewiesen wurde.

Das alles sind erst einmal nur Indizien - den allerletzten Beweis kann nur eine DNA-Analyse bringen. Da die Bundesregierung Rechtsnachfolgerin der damaligen Reichsregierung ist, sollte sie auch ihren Job tun und die Forschung nach diesem Beweis finanzieren.

Peter Wolter: Welche DNA-Vergleichsproben gäbe es denn? Haare etwa?

Jörn Schütrumpf: Rosa hatte 1914 ein halbes Jahr lang ein enges Verhältnis mit Paul Levy, dem späteren KPD-Vorsitzenden. Dem hatte sie eine Locke von sich gegeben, die er bis zu seinem Tode 1930 in seiner Brieftasche mit sich führte. Ich bin mir ziemlich sicher, daß sich diese Locke heute immer noch im Besitz der Levy-Familie befindet, die 1938 in die USA ausgewandert ist. Die Nachkommen müßten jetzt also erst einmal gefunden werden.

Peter Wolter: Warum wurden diese Unstimmigkeiten nicht schon zu DDR-Zeiten aufgedeckt?

Jörn Schütrumpf: Es hat sich damit niemand beschäftigt. Der damalige DDR-Präsident Wilhelm Pieck hatte 1950 die Gräber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht öffnen, aber gleich wieder schließen lassen. Es waren nämlich keine Leichen mehr da, weil sie von den Faschisten 1935 bei einer Grabschändung entfernt worden waren.

Peter Wolter: Wenn sich jetzt die Identität zweifelsfrei herausstellen sollte, dann muß es auch eine neue Beisetzung geben. In welchem Rahmen?

Jörn Schütrumpf: Ein Staatsbegräbnis für Rosa Luxemburg wäre natürlich absurd. Nein, es wäre Aufgabe der Linkspartei als der Nachfolgerin der KPD, die sie ja gegründet hatte. Es ist doch selbstverständlich, daß sie die Beerdigung übernimmt.


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Quelle:
junge Welt vom 30.05.2009
mit freundlicher Genehmigung des Interwiepartners Jörn Schütrumpf,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2009