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BUCHTIP/312: Deutsche und britische Staatsmänner im Krieg - neun historische Studien (idw)



Universität Bayreuth, Christian Wißler, 12.10.2010

Deutsche und britische Staatsmänner im Krieg - neun historische Studien

Bayreuth (UBT). "Personen, Männer sind es, welche die Geschichte machen" - dieses Diktum des preußischen Historikers Heinrich von Treitschke gilt in der Geschichtswissenschaft heute längst als überholt. Forschungsansätze, die sich auf personenunabhängige Strukturen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik konzentrieren, sind seit den 1970er Jahren immer einflussreicher geworden und prägen weite Bereiche der Geschichtswissenschaft in Deutschland. Einen Kontrapunkt setzt daher der neue Band der Prinz-Albert-Studien, der vor kurzem unter dem Titel "Die Rückkehr der 'Großen Männer'. Staatsmänner im Krieg - Ein deutsch-britischer Vergleich 1740-1945" erschienen ist.

Neun biografische Studien, von Friedrich dem Großen bis zu Winston Churchill, untersuchen das Handeln deutscher und britischer Staatsmänner in Kriegen, die sie mit hohem Einsatz geführt und in einigen Fällen selbst ausgelöst haben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Interessen, Einschätzungen und Wertvorstellungen das Handeln dieser "Großen Männer" bestimmt haben. Die Autoren sind namhafte deutsche und britische Historiker, die in ihren biografischen Analysen eigene Forschungsergebnisse vorlegen. Während der 28. Öffentlichen Konferenz der Prinz-Albert-Gesellschaft, die 2009 in Coburg stattfand, hatten sie ihre Beiträge erstmals zur Diskussion gestellt.

PD Dr. Karina Urbach, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neueste Geschichte der Universität Bayreuth und Senior Research Fellow an der University of London, hat den Aufsatzband zusammen mit ihrem britischen Kollegen Prof. Dr. Brendan Simms herausgegeben. Beide wollen keineswegs hinter die Ergebnisse einer strukturorientierten Geschichtsforschung zurückfallen. Wohl aber stellen sie die neun Porträts gezielt in die Tradition einer biografisch orientierten Geschichtsschreibung, die außerhalb Deutschlands - insbesondere im angelsächsischen Raum - bis heute lebendig geblieben ist. Der neue Band der Prinz- Albert-Studien kehrt also nicht zu veralteten Mustern deutscher Geschichtsschreibung zurück. Vielmehr versteht er sich als Teil einer internationalen Forschung, die das Denken und Handeln historisch einflussreicher Persönlichkeiten in methodisch bewusster Weise erschließen und dadurch stärker ins Bewusstsein heben will.

Dieser Ansatz macht es leichter, die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft einer interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. "Es war schon immer so, dass die Menschen am ehesten durch die Auseinandersetzung mit eindrucksvollen, mitunter sogar faszinierenden Persönlichkeiten einen Zugang zur Geschichte finden," erklärt Professor Dr. Dieter Weiß, Vorsitzender der Prinz-Albert-Gesellschaft und Historiker an der Universität Bayreuth. "Die Geschichtswissenschaft sollte sich deshalb nicht scheuen, an dieses Interesse anzuknüpfen. Wenn es ihr gelingt, ausgehend von der biografischen Forschung historische Entwicklungen zu vergegenwärtigen, fördert sie den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Prinz-Albert-Gesellschaft will diesen Vermittlungsprozess mit ihren Veranstaltungen und Initiativen unterstützen."

Die Autoren des neuen Aufsatzbandes tragen ihre Forschungsergebnisse "sine ira et studio" vor, verbergen dabei aber nicht ihre eigenen Einschätzungen der porträtierten Persönlichkeiten. William Pitt d. Ä. steuerte als Erster Außenstaatssekretär Großbritanniens sein Land mit strategischer Weitsicht durch den Siebenjährigen Krieg. Seinem Sohn William Pitt d. J., der 1783 mit 24 Jahren zum bisher jüngsten Premierminister Großbritanniens ernannt wurde und den See- und Kolonialkrieg gegen Frankreich führte, wird sogar "staatsmännische Meisterschaft" attestiert. Zwiespältig fällt hingegen das politische und moralische Urteil über William Gladstone aus, den viermaligen britischen Premierminister, der 1882 Ägypten besetzen ließ und damit eine jahrzehntelange britische Herrschaft begründete.

"Bismarck: Ein Amateur in Uniform?", hat Karina Urbach ihre Darstellung des ersten deutschen Reichskanzlers überschrieben. Mit Blick auf den deutsch-französischen Krieg 1870/71 lautet ihr durchaus kritisches Resümee: "Er wollte in der Tradition eines Friedrich des Großen beides sein: Politiker und Militär." Keith Robbins setzt sich mit dem Lebenswerk seines walisischen Landsmanns David Lloyd George auseinander, der während des Ersten Weltkriegs britischer Premierminister wurde. Sein Resümee: "Too much personality can grate." Wie stark persönliche Überzeugungen einerseits und Machtkonstellationen andererseits das politische Handeln im Krieg bestimmen, zeigen schließlich auch die Studien über Kaiser Wilhelm II. und über Winston Churchill.

Die Herausgeber erinnern in ihrem Vorwort an aktuelle Debatten über den 2003 begonnenen Irakkrieg, wenn sie fordern, dass politisch verantwortliche Akteure nicht aus dem Blickfeld der Geschichtsschreibung geraten dürfen: "Es gibt zahllose Gründe für Kriege: religiöse, ideologische, geopolitische, ökonomische [à] Aber am Ende sind sie es, die Entscheidungsträger, die darüber urteilen, ob diese Gründe ausreichen, um in den Krieg zu ziehen."

Veröffentlichung:
Brendan Simms und Karina Urbach:
Die Rückkehr der "Großen Männer". Staatsmänner im Krieg -
Ein deutsch-britischer Vergleich 1740-1945 /
Bringing Personality Back in: Leadership and War -
A British-German Comparison 1740-1945,
Prinz-Albert-Studien (Hrsg. von Dieter J. Weiß), Band 28, Berlin 2010

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 12.10.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2010