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BERICHT/171: Thema "Ungleichheiten" beschäftigt Geschichtswissenschaftler (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 14 vom 16. September 2008

Thema "Ungleichheiten" beschäftigt die Geschichtswissenschaftler
Der 47. Deutsche Historikertag bietet eine große Vielfalt von wissenschaftlichen Themen auch für die Öffentlichkeit

Von Peter E. Fäßler


Sie begegnen uns auf Schritt und Tritt: Ungleichheiten. Kleiderordnungen, die architektonische Gestaltung unterschiedlicher Stadtviertel, religiöse Zeremonien oder kulturelle Vorlieben führen uns die ganze Vielfalt gesellschaftlicher Lebensweisen vor Augen. Dabei sind die Folgen sozialer, kultureller und politischer Ungleichheiten höchst ambivalent. Unbestreitbar treiben die von ihnen aufgebauten Spannungen den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt voran, beflügeln das kulturell-gesellschaftliche Leben und stabilisieren das politische System - im Idealfall. Denn überschreitet das Spannungspotential ein gewisses Limit, drohen der gesellschaftliche Frieden und damit die politische Ordnung zu zerbrechen. Öffentliche Kontroversen über angemessene Managergehälter und Hartz-IV-Sätze, über Chancen und Risiken einer multikulturellen Gesellschaft oder über Sinn und Unsinn interreligiöser Gesprächsrunden zeigen vor allem eines: das Ausmaß an Ungleichheiten, welches einem Gemeinwesen noch zuträglich ist, bleibt heftig umstritten.

Mit der Wahl seines Kongressmottos möchte der Historikerverband erklärtermaßen in die aktuelle öffentliche Debatte eingreifen. Und tatsächlich verspricht das beeindruckend breite Themenspektrum - es umfasst Sektionen aus allen Epochen und zahlreichen Regionen - anregende Diskussionen. Es liegt auf der Hand, dass Veranstaltungen zur sozialen Ungleichheit, zu Wohlstandunterschieden und -gefällen besondere Aufmerksamkeit finden. Beispielsweise stehen in einer Sektion die Leistungsfähigkeit der Sozialsysteme Großbritanniens und Deutschlands während des vergangenen Jahrhunderts auf dem Prüfstand. Eine weitere Sitzung befasst sich mit den Auswirkungen der Globalisierung auf die Befindlichkeit von Gesellschaften. Ungleichheiten zwischen Nationen, Ethnien und Kulturen sind oftmals mit Werturteilen verknüpft. Diesem Phänomen, das in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen zu Ausgrenzung und Gewalt geführt hat, spüren gleich mehrere Veranstaltungen nach. So werden aus historischer Sicht die Beziehungen zu unseren Nachbarn Polen und der Tschechischen Republik unter die Lupe genommen. Ein anderes Meeting widmet sich Begegnungsgeschichten mit dem "Fremden", dem "Exotischen". Ungleichheiten gelten nicht nur für Gesellschaften, sondern auch für Individuen. Eine Sektion befasst sich mit der Ausgrenzung von Behinderten seit der frühen Neuzeit. Auch in einer Veranstaltung über die "Volksgemeinschaft" der Nationalsozialisten wird dieses Thema aufgegriffen.

Für die Geschichtswissenschaft an der TU Dresden ist es ein bemerkenswerter Erfolg, dass sechs eingereichte Sektionen von der Auswahljury angenommen wurden. Dabei bilanziert die vom Sprecher des SFB 537 ("Institutionalität und Geschichtlichkeit "), der Mediävist Gert Melville, geleitete Sektion "Institutionelle Stabilisierung von Ungleichheit" einen zwölf Jahre erfolgreich arbeitenden Sonderforschungsbereich. Der Technikhistoriker Thomas Hänseroth präsentiert Ergebnisse seiner Forschergruppe, die deutsch-deutsche Innovationskulturen untersucht hat. Herrschaftsresidenzen in der Antike stellt eine Sektion unter Leitung der beiden Althistoriker Claudia Tiersch und Rene Pfeilschifter vor. Mit dem Institut für Sächsische Landesgeschichte und Volkskunde sowie dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung sind zwei weitere Einrichtungen vertreten, die in jeweils eigenen Sektionen ihre neuesten Forschungen erläutern. Schließlich diskutiert der Zeithistoriker Klaus-Dietmar Henke mit zwölf renommierten Gästen über Fragen der deutschen Einheit. Mit dabei: Politstar Tilo Sarrazin. Die Podiumsdiskussion findet am Vormittag des 3. Oktober 2008 statt und ist auch für die Dresdner Öffentlichkeit zugänglich.

Der Historikertag bietet geschichtswissenschaftlichen Ausstellungen die hervorragende Möglichkeit, ein umfangreiches Fachpublikum zu erreichen. Die Organisatoren freuen sich daher sehr, dass sowohl die Deutsche Bahn AG als auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft diese Chance genutzt haben. Am Freitag, dem 25. September 2008, wird im Neustädter Bahnhof die Wanderausstellung "Sonderzüge in den Tod" eröffnet. Im Rahmen der systematischen Deportation von Juden, Sinti und Roma während der nationalsozialistischen Diktatur funktionierte die Deutsche Reichsbahn mit erschreckender Transporteffizienz.

In Anwesenheit des DFG-Präsidenten Prof. Matthias Kleiner öffnet in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) am Mittwoch, 1. Oktober 2008, die Ausstellung "Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten" ihre Pforten. Sie dokumentiert die gedankliche und konzeptionelle Vorbereitung der verbrecherischen NS-Politik gegenüber Osteuropa durch führende Vertreter der deutschen Wissenschaften.

Eine solche Großveranstaltung wie der Historikertag lebt keineswegs nur vom wissenschaftlichen Input eingeladener Forscher. Vielmehr erleichtern zahlreiche Studierende der TU Dresden durch ihr Engagement den Kongressablauf. Mehr noch: einige studentische Arbeitsgruppen bereichern mit Projekten das kulturelle Rahmenprogramm. Beispielsweise konzipierten und erstellten einige Geschichtsstudenten gemeinsam mit Mitarbeitern der SLUB und des Sächsischen Hauptstaatsarchivs die Ausstellung "Aufbruch aus der Gleichheit". Sie zeigt eindrucksvolle Exponate vom Prager Frühling bis zum Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa 1989/90. Ein historisch wie städteräumlich eindrucksvoller Ort, der nur wenige Gehminuten vom Hörsaalzentrum gelegene Bismarckturm, steht im Mittelpunkt einer anderen studentischen Initiative. Die wunderbare Sicht auf Dresden kontrastiert mit dem historischen Gedenken an die Bücherverbrennung, welche Studenten der Technischen Hochschule Dresden im Frühjahr 1933 veranstaltet haben. Gemeinsam mit der Stiftung sächsischer Gedenkstätten haben Studenten der TUD nun ein Führungskonzept, einen Flyer und einen Podcast erarbeitet.

Einen Monat vor dem großen Ereignis ist der organisatorische Rahmen nunmehr abgesteckt: Vier Tage lang werden Chancen und Risiken gesellschaftlicher Ungleichheiten in zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden ausgelotet. Auf die Resultate darf man jetzt schon gespannt sein.

Weitere Informationen: www.historikertag.de


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 14 vom 16.09.2008, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2008