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BERICHT/144: Tönerne Zeugnisse vergangener Zeiten für die Zukunft bewahren (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 07.01.2008

Tönerne Zeugnisse vergangener Zeiten für die Zukunft bewahren

Wirtschaftstexte aus der Hilprecht-Sammlung der Universität Jena werden restauriert


Jena (07.01.08) Die ältesten überlieferten Urkunden der Welt wurden mit einem Griffel in Ton geritzt: Listen, mit denen der Viehbestand erfasst wurde oder Besitzurkunden, die Grund und Boden, Pfründe, Erbangelegenheiten oder Ähnliches verzeichneten. Datiert sind diese Urkunden in die Zeit der Schriftentstehung, um das Jahr 3200 vor Christus. Sie stammen aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. In der "Hilprecht-Sammlung" der Friedrich-Schiller-Universität Jena befinden sich unter anderem etwa 350 altbabylonische Wirtschaftstexte. Sie wurden im Gebiet der einstigen Stadt Nippur gefunden und sind fast 4.000 Jahre alt. Nun werden sie mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) restauriert und wissenschaftlich ediert.

Längst hat der Zahn der Zeit an den Tontäfelchen genagt. Kristalline Ausblühungen zerstören die Tafeln von innen her, manche Artefakte wurden unsachgemäß restauriert. "Dank der Förderung durch die DFG können wir die Tontafeln fachkundig restaurieren lassen", sagt Prof. Dr. Manfred Krebernik, der Leiter der Hilprecht-Sammlung. Der Startschuss soll im Februar 2008 fallen. Die von einer Berliner Restauratorin konservierten Tontafeln sollen dann wissenschaftlich ediert werden. Dazu werden die Texte transkribiert, kommentiert und gezeichnet. Den Textband wird zudem eine Foto-CD ergänzen.

Insgesamt umfasst die Sammlung des Gelehrten Hermann Vollrath Hilprecht (1859-1925) etwa 3.500 Keilschrifttexte sowie sogenannte Zauberschalen und weitere archäologische Kleinfunde. Seine Sammlung, die Hilprecht 1925 der Universität Jena hinterließ, ist nach der des Vorderasiatischen Museums in Berlin die zweitgrößte in Deutschland. Auf Wunsch Hilprechts sollte sie "Frau Professor Hilprecht-Collection of Babylonian Antiquities" genannt werden; die erste Frau des Gelehrten verstarb 1902 in Jena.

Mit der Edition der Texte begann Julius Lewy (1895-1963), der erste Leiter der Sammlung. Fortgeführt wurde die Edition von Oluf Krückmann und anderen. Manfred Krebernik, der an Lewys Reihe anknüpft, sagt, dass etwa 90 Prozent aller Keilschrift-Zeugnisse zu den Wirtschaftstexten gerechnet werden: "Diese Texte verraten uns eine Menge über das Leben der Menschen im alten Orient, also ab etwa 2600 vor Christus." Am Beginn der altbabylonischen Zeit (ca. 2000 v. Chr.) starb das Sumerische als gesprochene Sprache aus und wurde allmählich vom Akkadischen verdrängt. Ähnlich wie später das Lateinische hielt sich das Sumerische jedoch als Schriftsprache noch lange. Zur Hilprecht-Sammlung gehören deshalb auch zahlreiche zweisprachige Texte in Sumerisch und Akkadisch.

Während Edition und Restaurierung der Wirtschaftstexte erst im Frühjahr 2008 beginnen, widmen sich Krebernik und seine Mitarbeiter bereits jetzt dem Nachlass Hilprechts. Gefördert vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin werden die Grabungstagebücher, Notizen und Briefe Hermann Vollrath Hilprechts Stück für Stück digitalisiert und inventarisiert und so für die Forschung nutzbar gemacht. "Der Nachlass bietet Einblicke in ein spannendes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte", sagt Manfred Krebernik. Denn Hilprecht, der aus Hohenerxleben (Sachsen-Anhalt) stammte und in Philadelphia lehrte, war an den amerikanischen Ausgrabungen in Nippur (heute Irak) beteiligt. Die altorientalischen Schriftfunde lösten um 1900 den sogenannten Babel-Bibel-Streit aus, weil sie biblische Texte in Frage stellten und eherne Wahrheiten anzweifelten. Interessant ist zudem der Briefwechsel, den Hilprecht mit Osman Hamdi Bey führte, dem Begründer und Leiter des Müze-i Hümayun (Museum des Imperiums) in Istanbul. Die beiden Gelehrten waren befreundet und Hilprecht erhielt von Hamdi Bey zahlreiche Stücke für seine Sammlung.

Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de/hilprechtsammlung.html
http://www.uni-jena.de

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Stephan Laudien, 07.01.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2008