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BERICHT/111: Werner Krauss, deutsch-deutscher Lebenslauf (Marburger Uni Journal)


Marburger Uni Journal Nr. 28 - Februar 2007

Bewegter deutsch-deutscher Lebenslauf

Von Kristina Lieschke


Wissenschaftler, Schriftsteller und Marxist: Vor dreißig Jahren starb Werner Krauss, dessen Arbeit das Romanische Seminar der Philipps-Universität in den 1930er Jahren geprägt hatte. Ein Rückblick auf das Leben einer Persönlichkeit, die "in keine Schublade passte" und das Nazi-Regime mit knapper Not überlebte.


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Werner Krauss (1900 bis 1976) war Wissenschaftler und Schriftsteller, überzeugter Marxist und ein kritischer Geist, der sich nie einfach dem Zeitgeist unterordnete. Er passte in keine Schublade. "Vielleicht liegt es gerade daran, dass man Krauss weder im Osten noch im Westen Deutschlands seiner wahren Bedeutung gemäß zu schätzen wusste", sagt die Marburger Romanistik-Professorin Dr. Gabriele Beck-Busse, die am 24. August 2006 eine Gedenkveranstaltung zu Ehren des ehemaligen Marburger Professors organisiert hatte. Sie weist zugleich darauf hin, dass sich am 28. August des Jahres 2006 die Wiederkehr des Todes von Werner Krauss zum 30. Male, seine Ernennung zum ordentlichen Professor an der Philipps-Universität am 2. Mai 1946 zum 60. Male jährten. "Grund genug, dieses großen deutschen Romanisten und Philologen des 20. Jahrhunderts zu gedenken, dessen akademische Karriere mit seiner Habilitierung 1932 in Marburg durch Erich Auerbach begann."

Krauss' wissenschaftliche Arbeit prägte das Romanische Seminar der Marburger Universität von 1932 bis zu seiner Einberufung nach Berlin in eine Dolmetscherkompanie 1940. Bereits in Marburg fand der Wissenschaftler nach eigener Aussage zu einer "grundsätzliche(n), wenn auch damals noch nicht in militanter Form hervorgekehrte(n) Kampfstellung gegen den Nationalsozialismus". In Berlin beteiligte er sich als Mitglied der "Roten Kapelle" am aktiven Widerstand, wurde verhaftet und 1943 zum Tode verurteilt.


"Die Erfahrung Deutschland bewältigen"

In der Todeszelle und mit gefesselten Händen schrieb er zwei seiner wichtigsten Werke: das hispanistische Fachbuch "Graciáns Lebenslehre" sowie den Roman "PLN - Die Passionen der halykonischen Seele" (PLN steht für Postleitnummer und damit als "halykonische" Chiffre für deutsch).

Im Geleitwort zur Erstausgabe 1946 bezeichnet Krauss selbst seinen Roman als "Versuch eines Verurteilten, die Erfahrung Deutschland für seinen Teil zu bewältigen". Nicht zuletzt durch Fürsprache von Marburger Kollegen und Freunden wie beispielsweise des Philosophieprofessors Hans-Georg Gadamer (der als Privatdozent und außerplanmäßiger Professor einige Jahre in Marburg gelehrt hatte) wurde in einem Wiederaufnahmeverfahren 1944 die Abmilderung des Todesurteils in fünf Jahre Zuchthaus erreicht.

Werner Krauss überlebte das Nazi-Regime, kehrte im Sommer 1945 nach Marburg zurück und wurde wieder in sein Amt als außerplanmäßiger Professor eingesetzt. 1946 wurde er zum ordentlichen Professor und zum Mitdirektor des Romanischen Seminars der Philosophischen Fakultät ernannt. Bereits zum Wintersemester 1947/48 folgte der überzeugte Marxist, der nach dem Krieg in die Kommunistische Partei eingetreten war, einem Ruf nach Leipzig und zog über die Zonengrenze in den anderen Teil Deutschlands.

"Die Leipziger Jahre bis zum Umzug nach Berlin 1961 sind die Jahre einer eminenten pädagogischen und wissenschaftlichen Aktivität. Es sind die Jahre, die das Krauss-Bild meiner Generation prägen", erinnert sich der Schriftsteller Fritz Rudolf Fries. Fries, in seiner Jugend Schüler und Assistent von Werner Krauss in dessen Leipziger und Berliner Zeit, sieht in Krauss' schriftstellerischem Werk "Übergänge in eine Prosa der Moderne" und zugleich "Notate über die Befindlichkeit des Autors, Selbsterkundungen auf dem schmalen Grat, den die Dämonen dem Träumer zu begehen erlauben." Er betont: "Aber es ist - und Krauss wird es mehr als einmal bekunden als ein unumgängliches Kriterium von Literatur, es ist eine Prosa, die den Leser als einen Dialogpartner braucht." Damit umreißt Fries zugleich eine der Grundthesen des Krauss'schen dialektisch-materialistischen Geschichts- und Literaturverständnisses und rührt auch an dessen Selbstverständnis als Wissenschaftler.

Der bewegte deutsch-deutsche Lebenslauf des schwäbischen Beamtensohns fand seinen Schlusspunkt in Berlin, wo Krauss von 1961 bis zu seiner Emeritierung 1965 eine Arbeitsgruppe der Deutschen Akademie der Wissenschaften zur Aufklärungsforschung leitete, an einem letzten Roman arbeitete und schließlich 1976 starb.

Der Roman "Die nabellose Welt" von Werner Krauss ist 2001 posthum erschienen und wird von Rezensenten als die von Krauss ins Gewand der Science Fiction verpackte Kritik am real existierenden Sozialismus gelesen. Krauss selbst wollte sich für keine Art von Politpropaganda einnehmen lassen und betonte in einem seiner Briefe: "Mein Standpunkt ist weder ein östlicher noch ein westlicher." Dennoch geriet Krauss auch im Westen nicht in Vergessenheit: Zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten nach seinem Tod Nachrufe auf den bekannten Wissenschaftler so der Spiegel, die französische Tageszeitung Le Monde und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.


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Quelle:
Marburger UniJournal Nr. 28, Februar 2007, Seite 47
Herausgeber: Der Präsident der Philipps-Universität Marburg
gemeinsam mit dem Vorstand des Marburger Universitätsbunds
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2007