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FORSCHUNG/322: Realisierung des Europäischen Forschungsraums (research*eu)


research*eu Nr. 53 - September 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Der EFR lebt in der Debatte auf

Von Didier Buysse


Seit April 2007 und noch bis Ende August findet eine große Konsultation statt, bei der Akteure aus Forschung und Wissenschaft, der Industrie und der europäischen Politiklandschaft aufgerufen werden, ihre Meinung zu der Frage abzugeben, wie man die Realisierung des Europäischen Forschungsraums beschleunigen könnte. Zielsetzung (ergänzend zur Neubelebung, die im 7. Rahmenprogramm festgeschrieben ist): die Überwindung der Fragmentierung, die die öffentliche europäische Forschung immer noch behindert. Kurze - unvollständige - Zusammenfassung der zentralen Vorschläge der Europäischen Kommission, die im jetzt zur Konsultation freigegebenen Grünbuch aufgeführt sind.


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EU Kommissar Janez Potocnik:
"Der Wiederaufbau Europas fand auf der Grundlage des Kohle- und Stahlhandels statt. Heute entwickelt sich Europa dank des Handels mit Wissen, und das wird es auch in den kommenden Jahrzehnten tun."

Das Konzept des Europäischen Forschungsraums (EFR) umfasst drei miteinander zusammenhängende Aspekte:

o den Weg hin zu einem europäischen Binnenmarkt für Forschung, in dem Forscher, Technologie und Wissen ungehindert Grenzen überschreiten können;

o eine effektive europaweite Koordinierung einzelstaatlicher und regionaler Forschungstätigkeiten, -programme und -strategien, auf der Grundlage gemeinsamer Prioritäten;

o Initiativen zur Errichtung von Infrastrukturen, die auf europäischer, zwischenstaatlicher und interregionaler Ebene umgesetzt und finanziert werden.


Forscher auf Wanderung

Feststellung

Forscher sehen ihre Laufbahnaussichten auch weiterhin durch verschiedene juristische und praktische Hindernisse begrenzt, wodurch ihre Mobilität zwischen Forschungseinrichtungen, Sektoren und Ländern behindert wird. Diese Situation trifft auf Forscher und Ingenieure sowohl aus Europa als auch aus Drittländern zu. Die Aufnahme von Forschern aus Drittländern ist genauso wichtig, denn auf einem immer stärker globalisierten Markt der grauen Masse hat Europa ein gestiegenes Interesse daran, Forscher zu "importieren". Dabei ist man sich aber bewusst, dass der Export von Forschern ebenfalls nicht negativ zu werten ist. Europa für Forscher attraktiv zu gestalten, ist dabei fast noch wichtiger, da die eigenen demografischen Ressourcen Europas Humanpotenzial einschränken - da die derzeit beschränkten Möglichkeiten für mehr Mobilität den Braindrain noch verstärken.

Vorschläge:

o Gewährleistung eines Angebots von freien Stellen und Finanzierungsmöglichkeiten für Forscher über die Landesgrenzen hinweg;

o ein europäischer Rahmen zur Sicherung der Einstellungs- und Arbeitsbedingungen sowie der geografischen Mobilität und der Mobilität zwischen den Sektoren - auch durch Verordnungen -, indem "Übertragbarkeit" und "Flexicurity" (1) sichergestellt werden, auf die zur umfassenden Entwicklung der europäischen Dimension von Forscherlaufbahnen nicht verzichtet werden kann;

o die Harmonisierung und vollständige Anerkennung der Fachkenntnisse und Ausbildungsabschlüsse, die in der beruflichen Ausbildung sowohl in Europa als auch in Drittländern erlangt wurden.


Koordinierung

Feststellung

Die Finanzierung der Forschung auf einzelstaatlicher und regionaler Ebene (Programme, Infrastrukturen, finanzielle Grundausstattung der Forschungseinrichtungen) ist schlecht koordiniert. Den Unternehmensreformen in den Mitgliedstaaten fehlt häufig eine echte europäische Perspektive und länderübergreifende Kohärenz. Das führt zur Zersplitterung der Ressourcen und zu übermäßiger Redundanz. Es führt dazu, dass mögliche Ausbildungseffekte ungenutzt bleiben, und dass Europa nicht die globale Spitzenrolle spielen kann, die ihm durch seine eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten möglich wäre - vor allem wenn es darum geht, sich den großen globalen Herausforderungen zu stellen.

Vorschläge:

o gemeinsam größere gesellschaftliche Probleme ermitteln, für deren Lösung die einzelnen Länder nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen;

o Vereinheitlichung nationaler und regionaler Forschungsprogramme und -prioritäten im Zusammenhang mit diesen Zielen.


Infrastrukturen und Forschungseinrichtungen

Feststellung

Das 'Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen' (ESFRI) hat 2006 einen "Fahrplan" für die Neuschaffung bzw. Aufrüstung gesamteuropäischer Forschungsinfrastrukturen aufgestellt. Die Umsetzung des ESFRI-Fahrplans würde, über zehn Jahre verteilt, 14 Milliarden Euro kosten. Die Union müsste sich mit den Mitgliedstaaten und dem Privatsektor zusammenschließen, um die erforderlichen Finanzmittel zu mobilisieren. Außerdem ist es genauso dringend, die bestehenden wissenschaftlichen Einrichtungen zu stärken, die derzeit vor großen Finanzierungs- und Organisationsproblemen stehen.

Vorschläge:

o Entwicklung eines gemeinschaftlichen Rahmens, um neue europaweite Forschungsinfrastrukturen zu schaffen - und die bestehenden zu stärken -, vor allem in Form virtueller Exzellenzzentren;

o Schaffung eines Rechtsrahmens, mit dem angepasste Partnerschaften gefördert werden, die für Investitionen des Privatsektors in Forschungsinfrastrukturen attraktiv sind;

o Initiativen ins Leben rufen, an denen sich Drittländer und internationale Organisationen beteiligen, in denen die Europäer mit einer Stimme sprechen (zum Beispiel: das 'Iter-Projekt' zur Kernfusion).


Wissen verbreiten und verwerten

Feststellung

Der Zugang und die Verbreitung von Wissen, das im Rahmen der öffentlichen Forschung angeeignet wurde, und die Verwendung dieses Wissens durch Unternehmen und Entscheidungsträger stehen im Zentrum des EFR, wo das Wissen ungehemmt auf allen gesellschaftlichen Ebenen frei zirkulieren soll. Die größten Hindernisse für Innovation sind Inkohärenz und der oft nicht angemessene Charakter der Regeln zur Verwaltung der Rechte an geistigem Eigentum (IPR - intellectual property rights), die sich aus der Forschung mit öffentlichen Mitteln ergeben. Die Patentierung ist in Europa nach wie vor viel zu komplex und kostspielig, und uneinheitliche Streitbeilegungsverfahren bieten keine ausreichende Rechtssicherheit.

Vorschlag

Angestrebt wird ein "europäisches Patentverfahren" - das es bislang nicht gibt -, das sowohl kosteneffizient als auch von den anderen großen internationalen Patentsystemen anerkannt wird (und umgekehrt) und sich auf ein europaweit einheitliches Streitbeilegungssystem stützt.


(1) Übertragbarkeit (Portabilität): Garantie der Übertragbarkeit von Sozialversicherungs- und Rentenansprüchen.

Flexicurity: die Kombination von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt mit Beschäftigungssicherheit.


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Erreichtes festigen

Das Siebte Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung der Europäischen Union soll die Errichtung des EFR unterstützen. Seine Finanzmittel wurden erheblich aufgestockt. Die Einrichtung des neuen Europäischen Forschungsrats, der autonom von der Forschergemeinschaft verwaltet wird, stellt einen wesentlichen Hebel zur Förderung der wissenschaftlichen Exzellenz in Bereichen der Grundlagen- und Pionierforschung dar. Das zukünftige Europäische Technologieinstitut verfügt ebenfalls über das Potenzial, eine wichtige Rolle bei der Schaffung von "Wissens- und Innovationsgemeinschaften" zu spielen. Um die Synergien zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor besser koordinieren zu können, haben Europäische Technologieplattformen langfristige Visionen und strategische Forschungsagenden für verschiedene zentrale Wirtschaftssektoren der Union ausgearbeitet. Sie münden heute in "Gemeinsame Technologieinitiativen". In den vergangenen Jahren konnten über die Netzwerke von "ERA-Net" konkrete Erfahrungen zur offenen Koordinierung nationaler und regionaler Programme auf freiwilliger Basis bezogen werden. Die Kohäsionspolitik der EU und ihre Finanzierungsinstrumente - die Strukturfonds - unterstützen in großem Maße die Entwicklung von Forschungs- und Innovationskapazitäten, vor allem in Regionen mit niedrigem Entwicklungsstand. In diesem Kontext wurde im November 2006 ein modernisierter gemeinschaftlicher Rahmen für staatliche Hilfen und steuerliche Anreize für Forschungs- und Innovationsaktivitäten verabschiedet.


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Mobilisierung der Unternehmen

Wegen der Fragmentierung der öffentlichen Forschung gestaltet sich Europa für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren wollen, nicht besonders attraktiv. Sie stehen oft vor Problemen bei der Kooperation und beim Aufbau von Partnerschaften mit Forschungseinrichtungen, vor allem wenn dies grenzübergreifend erfolgen soll. Der Privatsektor soll mit zwei Dritteln zu den Zielen der Forschungsintensität beitragen: 3 % des Bruttoinlandsproduktes für alle Mitgliedstaaten. Aus neusten Zahlen geht hervor, dass die in der EU ansässigen Unternehmen in 2006 ihre globalen Ausgaben in FuE um mehr als 5 % gesteigert haben. Dieser Anstieg liegt dennoch unter dem der anderen weltweiten Forschungshochburgen. Tatsache ist: europäische Unternehmen tätigen höhere Investitionen in FuE in den Vereinigten Staaten als amerikanische Unternehmen im Gegenzug in der EU, und dieses transatlantische Ungleichgewicht im Investitionsfluss verstärkt sich weiter.


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Quelle:
research*eu Nr. 53 - September 2007, Seite 18-19
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2007
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
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E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2008