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AUSSENHANDEL/280: Freihandelsabkommen - Den Roten Linien auf der Spur (spw)


spw - Ausgabe 3/2016 - Heft 214
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Freihandelsabkommen: Den Roten Linien auf der Spur [1]
Die Anforderungen des SPD-Parteikonvents und deren Erfüllung in CETA

von Ridvan Ciftci, Folke große Deters und Dietmar Köster


Am 20. September 2014 formulierte der Parteikonvent der SPD als Voraussetzung für die Zustimmung zu den transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA "Rote Linien". Mittlerweile liegt die überarbeitete Version von CETA vor. In einem Gutachten (abrufbar unter www.asjnrw.de) hat die ASJ NRW gemeinsam mit dem Europaabgeordneten Professor Dr. Dietmar Köster eine erste Bilanz gezogen. Sie fällt ernüchternd aus. Dem Parteikonventsbeschluss folgend müsste die Partei CETA ablehnen. Die Gründe erläutern wir im Folgenden.

CETA installiert eine Nebenverfassung

Entgegen den Forderungen des Konventsbeschlusses enthält CETA weiterhin Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Rechtsbegriffe wie "gerechte und billige Behandlung" und "indirekte Enteignung". Trotz Verbesserungen im Verfahrensrecht bleibt der grundsätzliche Einwand also bestehen: Die Schiedsgerichtssprüche können demokratisch legitimierte Normen faktisch außer Kraft setzen. Zwar haben Schiedsgerichte (nun "Tribunale" genannt) formal nicht die Kompetenz, die Wirksamkeit von Gesetzen und Verwaltungsakten aufzuheben. Jedoch können sie Staaten zu hohen Schadensersatzleistungen verpflichten. Diese hohen Schadensersatzforderungen werden dazu führen, dass Parlamente und Verwaltungen im Falle einer Verurteilung die Rechtsakte zurückziehen werden, um weiteren Schadensersatzansprüchen zu entgehen. So hätten die Schiedsgerichte faktisch, allerdings nicht rechtlich, dieselbe Wirkung wie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Damit wird das Schiedsgericht zum Nebenverfassungsgericht und eine Nebenverfassung wird installiert (Näheres im Beitrag von Eberhard Waiz in diesem Heft).

Das Vorsorgeprinzip wird aufgegeben

Nach wie vor können Sozialstandards als indirekte Enteignung qualifiziert werden und erhebliche Schadensersatzansprüche auslösen. Auch das widerspricht dem Parteikonventsbeschluss. Überdies wird durch CETA das Vorsorgeprinzip, das ein Grundpfeiler unseres Verbraucherschutzes ist, aufgegeben. Das Vorsorgeprinzip gestattet ein Verbot von Produkten, wenn Hinweise für ihre schädliche Wirkung vorliegen. Bei CETA hingegen reichen diese Hinweise nicht aus, es gilt das Nachsorgeprinzip. Produkte bleiben so lange auf dem Markt, bis ein eindeutiger wissenschaftlicher Nachweis für ihre Schädlichkeit vorliegt. Erst dann darf ein Importverbot durch die EU zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern und der Umwelt verhängt werden.[2] Problematisch am Nachsorgeprinzip ist die Tatsache, dass wissenschaftliche Eindeutigkeit oftmals erst durch aufwendige Langzeitstudien erreicht wird. So lange tragen Verbraucherinnen und Verbraucher die Risiken.

Investorenrechte sind mehr wert als Arbeitnehmerrechte

Der Parteikonventsbeschluss fordert, dass die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein muss wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens. Das ist aber bei CETA keineswegs der Fall, denn Eigentumsverletzungen können von privaten Unternehmen bzw. Investoren vor dem Tribunal eingeklagt werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder Gewerkschaften hingegen wird bei Verletzungen ihrer Rechte diese Möglichkeit nicht eingeräumt. Selbst der zwischenstaatliche Streitschlichtungsmechanismus wird im Arbeitnehmerkapitel bei CETA für nicht anwendbar erklärt. Während Investoren harte Klagerechte zugesprochen bekommen, wird bei Meinungsverschiedenheiten der Staaten über Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern "eine einvernehmliche Lösung angestrebt". Daran wird der unterschiedliche Stellenwert von Investoren- und Arbeitnehmerrechten deutlich.

Die Daseinsvorsorge ist nicht abgesichert

Durch die verpflichtende Marktöffnung in CETA müssen öffentliche Dienstleistungen ausgeschrieben werden. Es gibt also eine allgemeine Liberalisierungspflicht. Alle Dienstleistungen, die nicht unter diese Ausschreibungspflicht fallen, sind in einer so genannten Negativliste festgehalten. Von der Liberalisierungspflicht sind zukünftige Dienstleistungen betroffen, aber auch bereits bestehende Dienstleistungen sind nicht abgesichert, soweit sie nicht auf der Negativliste erscheinen.[3]

Die bereits bestehende öffentliche Daseinsvorsorge ist wegen der Verwendung unklarer Begrifflichkeiten nicht abgesichert. Dies gilt beispielsweise für die Energieversorgung im Rahmen kommunaler Stadtwerke. Sie kann nach dem bestehenden Vertragstext als unzulässig eingestuft werden. Damit wird die staatliche Verantwortung, grundlegende öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen, in Frage gestellt. Gleiches gilt etwa für Klauseln, die für die Vergabe öffentlicher Aufträge Tariftreue oder Einhaltung von Umweltstandards für Unternehmen festschreiben.

Auch eine Re-Kommunalisierung bereits liberalisierter Bereiche wird durch CETA erschwert.

Neoliberale Nebenverfassung ohne realistische Ausstiegsmöglichkeit

Entgegen der Forderung des Parteikonvents gibt es keine Regelung, die eine Korrektur von unerwünschten Fehlentwicklungen und Kündigung ermöglicht. Hierzu wären Teilkündigungsklauseln von einzelnen Regelungsbereichen und eine schnell wirksame Kündigungsklausel erforderlich.

Die in CETA verankerte Kündigungsklausel genügt diesen Anforderungen nicht. Bei einer Kündigung von CETA würde das Investitionsschutzkapitel weitere zwanzig Jahre nachwirken. Damit bleibt für Investoren das Recht bestehen, Schadensersatzansprüche einzufordern. Die faktisch und rechtlich erschwerte Kündigung bedeutet eine konstitutionelle Festschreibung marktradikaler Politik mit dem Ziel der Etablierung einer "marktkonformen Demokratie". Eine andere Politik im Sinne eines ökologisch-sozialen Umbaus der Gesellschaft wird so massiv erschwert. Demokratie setzt die Veränderbarkeit von Normen voraus, damit neue Mehrheiten auch die Politik umsetzen können, für die sie gewählt wurden. CETA folgt dem neoliberalen Paradigma, nach dem die Entfesselung der Marktkräfte für Prosperität sorgt. Dies ist aber längst widerlegt. So wird ein Politikwechsel zu sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft erschwert. Folgt man den CETA-Befürworterinnen und -Befürwortern, wird der Rahmen für neue politische Ideen und Mehrheiten jenseits des aktuellen, marktliberalen Mainstreams eng gesteckt. Wer für eine soziale und demokratische Politik streitet, muss das verhindern.


Ridvan Ciftci hat Jura in Bielefeld studiert und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Dr. Andreas Fisahn an der Universität Bielefeld. Er promoviert zu politischen und rechtlichen Problemen von CETA.

Folke große Deters ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD Nordrhein-Westfalen. Kommunalpolitisch aktiv ist er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Geschäftsführer der SPD Kreistagsfraktion im Rhein-Sieg-Kreis sowie als Mitglied des Rheinbacher Stadtrates.

Prof. Dr. Dietmar Köster ist seit Juli 2014 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied der S&D Fraktion. Er ist Mitglied im Rechtsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung. Vor seiner Zeit als EU-Parlamentarier war er Professor für Soziologie an der FH Dortmund mit dem Forschungsschwerpunkt Geragogik (Altersbildung).


Anmerkungen

[1] Das gleichnamige Kurzgutachten der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) NRW steht auf www.spw.de zum download bereit.

[2] Mit Verweis auf Artikel XX des GATT-Abkommens (Article 28.3 bei CETA), das auf das SPS-Abkommen hinweist, wird das Vorsorgeprinzip aufgegeben.

[3] Ausgenommen sind zum Beispiel die Ausübung hoheitlicher Aufgaben oder die Wasserversorgung.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2016, Heft 214, Seite 68-69
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2016

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