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AUSSENHANDEL/275: CETA - Ein Schlag gegen bäuerliche Strukturen (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

CETA: Ein Schlag gegen bäuerliche Strukturen
In der EU steht die Ratifizierung des Handelsabkommens EU/Kanada vor der Tür

Von Berit Thomsen, AbL-Internationale Agrarpolitik


Der kleine Bruder von TTIP: So wird jedenfalls das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) gerne mal genannt. Klein, weil die kanadische Wirtschaftsleistung weniger als ein Zehntel der US-amerikanischen beträgt. Und Bruder, weil sich diese Abkommen in ihrer Gestalt stark ähneln. Der kleine Bruder gibt einen Vorgeschmack, was erst vom großen zu erwarten ist.

Während das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) seit Juni 2013 verhandelt wird und bisher noch aus einzelnen Verhandlungstextteilen besteht, ist CETA seit September 2014 fertig verhandelt, hat bis vor wenigen Wochen die Rechtsprüfung sowohl in Kanada als auch in der EU durchlaufen und steht nun vor der Ratifizierung. Ab Juni diesen Jahres wird sich der EU-Rat mit CETA befassen, eine Abstimmung ist frühestens September zu erwarten. Danach folgt die Abstimmung im EU-Parlament. Obwohl es als wahrscheinlich gilt, ist noch nicht abschließend geklärt, ob die EU-Kommission dem Rat CETA als gemischtes Abkommen vorschlagen wird. Dann würde über CETA auch in den EU-Mitgliedstaaten abgestimmt. Tritt das ein, wird von Experten erwartet, dass die EU-Kommission eine sogenannte vorläufige Anwendung vorschlagen wird.

Nicht nur als undemokratisch, sondern auch als höchst delikat ist die vorläufige Anwendung einzuschätzen. Das zeigen aktuell die Niederlande, in denen mittels eines Referendums die Wähler gegen die angewendete Handelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine gestimmt haben. In Wallonien, eine von drei Regionen in Belgien, hat die Regierung kurz vor Redaktionsschluss angekündigt, CETA nicht zustimmen zu wollen und zuletzt kamen aus Rumänien ablehnende Worte vom Außenminister. Allein schon die Abstimmung solcher umstrittenen Handelskommen bietet viel Zündstoff. Noch mehr aber die Inhalte. Von einem europäisch-kanadischen Agrarhandel, wie CETA ihn vorsieht, wird in Kanada der Milchmarkt sensibel getroffen und in der EU kommt der Fleischmarkt unter Beschuss.

Derzeit schützt ein Zoll von 245,6 Prozent den kanadischen Milchmarkt vor billigen Importen. Kanada verfügt über eine aktiv gestaltete Mengensteuerung im Milchmarkt. Für jeden Liter überschüssige Milch zahlen die Erzeuger eine Strafabgabe. Während der kanadische Auszahlungspreis an die Erzeuger sich an die Produktionskosten der Milch orientiert, ist der europäische Milchpreis im weltweiten Wettbewerb drastisch abgeschmiert auf 29,3 Cent/kg im Februar diesen Jahres. Die politisch gewollte Exportorientierung, die Vorarbeit für solche Art von Handelspolitik, hat den Milchpreis für europäische Erzeuger gänzlich zerstört. Würde CETA ratifiziert, kommt auch der kanadische Markt mächtig unter Druck. Derzeit gelangen nur mittels zollfreien Quoten EU-Käseexporte nach Kanada. Die sollen durch CETA verdoppelt werden. Dann würde fast 8 Prozent das nationalen Käsemarktes (425.400 t) von der europäischen Molkereiindustrie beliefert. Der billige EU-Preis schlägt den höheren und existenzsichernden kanadischen Milchpreis. Es ist zu erwarten, dass die zollfreie Quote ohne Probleme von der EU-Industrie ausgeschöpft werden kann. Terry Boehm, kanadischer Getreidebauer und ehemaliger Präsident der National Farmers Union sagt: "Unser System der Mengensteuerung ist Verhandlungsobjekt jeglicher Handelsabkommen. Die kanadische Regierung verfolgt die Liberalisierung, schützt aber immer noch die Mengensteuerung, weil in Quebec viele Milchbauern leben und Quebecs Stimmen wichtig sind für die Wahlen in Kanada. Trotzdem wird mit jeder Verhandlung die Mengensteuerung ein Stück weit ausgehölt."

Große Unterschiede

Im Fleischsektor schützt die EU ihren Markt mit Zöllen vor Importen aus Kanada. Dort haben die Erzeuger für Rindfleisch in den letzten zehn Jahren zum Teil 15 bis 35 Prozent niedrigere Auszahlungspreise erhalten als die europäischen, nach Daten der OECD/FAO. Der Preisunterschied im Schweinesektor ist noch gravierender. In einigen Jahren lag der Schweinepreis in Kanada bis zu 60 Prozent unter dem europäischen. Trotz des Preisabstiegs im europäischen Schweinesektor lag der kanadische Preis selbst im Jahr 2014 immer noch 25 Prozent unter dem europäischen. Mittels CETA sollen die zollfreien Quoten für Schweine- und Rindfleisch aus Kanada um das vierzehnfache bzw. zwölffache steigen gegenüber bestehenden Zollquoten. Zumindest, wenn die kanadische Exportindustrie diese Quotenmenge ohne den Einsatz von Hormonen oder Raktopamin, ein umstrittenes Mastmittel, bereitstellen kann. Hier kommt das neu installierte Instrument Regulatorische Kooperation ins Spiel. Demnach soll eine Art Regulierungsrat aus nicht-gewählten Bürokraten Gesetzesvorhaben daraufhin prüfen, ob sie Handelsinteressen beeinträchtigen könnten. Wirtschaftslobbyisten wird damit Tür und Tor geöffnet, unliebsame Gesetzesentwürfe aus dem Verkehr zu ziehen - noch bevor Parlamente und Öffentlichkeit davon erfahren. Sogar eine nachträgliche Veränderung oder Erweiterung des Vertrages ohne demokratische Kontrolle ist möglich. Der Göttinger Rechtswissenschaftler Dr. Peter-Tobias Stoll der Universität Göttingen kommt in einem wenige Wochen alten Gutachten erneut zum Schluss, dass der aktuelle CETA-Entwurf nicht sicherstelle, ob bei völkerrechtlich bindenden Beschlüssen im Regulierungsrat noch die Zustimmung des EU-Parlamentes erforderlich ist. Somit könnten nach einem Abschluss von CETA unliebsame Standards wie etwa Hormonfleisch außerhalb der Parlamente diskutiert und entschieden werden.

Und gleich der nächste Hammer

Der kleine Bruder CETA bietet nur einen Vorgeschmack, was auf die Landwirtschaft erst durch TTIP zukommen würde. Im Milchmarkt wird es keine einseitigen Exporte seitens der EU geben, sondern es ist mit einem Schlagabtausch zu rechnen, der die Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks mächtig aufwirbeln wird. US-amerikanische Fleischindustrie-Lobbyisten haben schon herausposaunt, dass sie sich mit dem CETA-Marktzugangsvorschlag nicht zufrieden geben werden, sondern mindestens das Zehnfache für ihre Exporte in die EU sehen wollen. Auch in den USA wird Rind- und Schweinefleisch billiger und mit Hormonen und Raktopamin erzeugt. Auch soll im TTIP eine Regulatorische Kooperation installiert werden, die nicht weniger undemokratisch ausgestaltet werden soll, als in CETA.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2016

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