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AUSSENHANDEL/233: Freihandelsabkommen mit den USA stoppen! (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 374 - Februar 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

TTIP stoppen!
Viele Europäer sind gegen ein heimlich ausgehandeltes Freihandelsabkommen mit den USA

von Marcus Nürnberger



Na gut, dann eben doch eine öffentliche Beteiligung. Die EU-Kommission reagiert auf den öffentlichen Druck und will eine Konsultation zu den im Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (Transatlantic-Trade-and-Investment-Partnership-Abkommen; TTIP) geplanten Investitionsschutzabkommen durchführen. Diesem ersten Schritt einer öffentlichen Beteiligung gingen viele Monate der Geheimniskrämerei voraus. Weder gab es offizielle Texte noch eine offizielle Aufstellung der an den Gesprächen beteiligten Staats- und Unternehmensvertreter. Allein den inoffiziellen Quellen ist zu entnehmen, dass viele hundert Unternehmen, eine Teilnehmerliste ist unter campact.de einzusehen, direkten Zugang zu den Verhandlungen haben. Vertreter der Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und damit die Gesellschaft, hat weder Zutritt noch wird sie über den Stand und die Inhalte der Verhandlung informiert. Auch gibt es nur inoffizielle Aussagen über die hohen Erwartungen, die sich vor allem Industrieunternehmen von dem Abkommen versprechen. Mit dem jetzt erfolgten Schritt versucht die EU-Kommission die Ablehnung in der Bevölkerung bezüglich der Inhalte und des Vorgehens der Verhandlungen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ganz direkt bezieht sich die EU-Kommission auf einen Aufruf der Organisation Campact, der vorgeworfen wird im Rahmen ihrer Kampagne "TTIP stoppen!" nicht ausreichend über das Abkommen zu informieren. Eine Aufgabe, die eigentlich von der Kommission zu erwarten gewesen wäre.


Um was geht es?

Bei einem klassischen Freihandelsabkommen sollen Zölle und Handelsschranken abgebaut werden. Der Handel, der zwischen den USA und der EU besteht, ist aber soweit optimiert, dass derartige Hemmnisse allenfalls von untergeordneter Relevanz sind. Im Rahmen von TTIP geht es vielmehr um den Abbau von so genannten "nicht-tarifären Handelshemmnissen". Solche Handelshemmnisse können beispielsweise den Verbraucherschutz, die Kennzeichnungspflicht, den Datenschutz oder die Arbeitnehmerrechte betreffen. Im konkreten bedeutet dies, dass daraufhin gearbeitet werden soll, dass die Standards der Vertragspartner, EU und USA, einander angeglichen werden sollen. Aus Sicht der Industrieunternehmen sind hohe Standards immer mit zusätzlichen Kosten verbunden. Es ist daher naheliegend anzunehmen, dass die bei den Verhandlungen beteiligten Industrielobbyisten darauf drängen werden, dass immer der niedrigste Standard zugrunde gelegt wird. In Zukunft, so steht es im wenig konkreten Papier der EU-Kommission, sei es denkbar, "dass die Regulierungsstellen gemeinsam prüfen, wie die Regelungen praktisch umgesetzt werden können." Es bleibt aber offen unter welchen Gesichtpunkten eine solche Umsetzung erfolgen soll. Steht der Verbraucher- oder gar der Umweltschutz an erster Stelle, gilt das europäische Vorsorgeprinzip als Grundlage zukünftiger Regelungen oder geht es in erster und vielleicht einziger Linie um vereinfachte Handelsbeziehungen und damit einer möglichst weit reichenden Harmonisierung der Standards auf niedrigem Niveau. Wird es in Zukunft ausreichen, wenn neue gentechnisch veränderte Sorten das vereinfachte, industriefreundliche Zulassungsverfahren in den USA durchlaufen haben, damit sie auch in Europa zugelassen sind? Werden amerikanische Groß- und Schattenbanken bald nicht mehr der, nach der Finanzkrise eingeführten, strengeren Kontrollen unterworfen sein, weil nicht die strengen US-Vorschriften, sondern die in der EU geltende und maßgeblich von Großbritannien gebremste Finanzmarktregulation auch in Nordamerika umgesetzt wird? Die ganze Tragweite des Abkommens machte der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, zum Auftakt der Verhandlungen im Juli 2012 deutlich und verteidigte die Dringlichkeit der Verhandlungen: "Das derzeitige Wirtschaftsklima zwingt uns, unsere Kräfte zu bündeln und mit weniger Aufwand mehr zu erreichen. Und, was noch wichtiger ist, wir müssen unsere Rolle als starke Global Player behalten, die die Standards und die Regeln für das 21. Jahrhundert festlegen."


Investitionsschutzabkommen

Es gibt weltweit über 3.400 Investitionsschutzabkommen. Ihr Ziel ist es, Unternehmen Rechtssicherheit und Berechenbarkeit zu garantieren. Vor allem soll die Diskriminierung ausländischer Unternehmen bzw. Investoren unterbunden werden bzw. vor einer übergeordneten Stelle, einem internationalen Schiedsgericht, zur Anklage gebracht werden können. Eine Berechtigung haben Investitionsschutzabkommen überall dort, wo aufgrund unsicherer politischer Situationen oder Rechtssysteme davon auszugehen ist, dass eine Verhandlung vor nationalen Gerichten keinen fairen Prozess garantiert. Im Falle des TTIP, mit seinen beiden Verhandlungspartnern EU und USA, sollte man allerdings davon ausgehen können, dass auch nationale Gerichte die Interessen ausländischer Investoren auf Basis der Rechtstaatlichkeit verhandeln. Dass das Investitionsschutzabkommen trotzdem ein zentraler Teil des Abkommens ist dürfte vor allem die Industrieunternehmen freuen, die damit, wie im Beispiel Vattenfall, die Möglichkeit bekommen, einzelne Staaten auf Schadensersatz zu verklagen. Der schwedische Konzern Vattenfall hat in Deutschland zwei Kernkraftwerke und klagt derzeit wegen des Atomausstiegs gegen die Bundesrepublik. Deutschen Stromkonzernen ist dieser Weg verwehrt.


Zwei ungleiche Partner

Als vor 20 Jahren das nordamerikanische Freihandelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada in Kraft trat, sahen sich Millionen mexikanischer Kleinbauern über Nacht mit einer stark industrialisierten und subventionierten Landwirtschaft konfrontiert. Zehn Jahre später konstatierte die US-Stiftung Carnegie Endowment for International Peace, dass Handel und Investitionen zwar rund eine halbe Million Industriejobs geschaffen hätten, demgegenüber aber der Verlust von 1,3 Millionen Jobs in der Landwirtschaft entgegen stehe. Die mexikanischen Kleinbauern hatten den hereinströmenden Importen der hoch subventionierten industriellen US-Farmen nichts entgegenzusetzen. Nun sind die Verhältnisse in Europa nicht mit denen im Mexiko der 90er Jahre zu vergleichen. Dennoch treffen auch hier zwei Systeme mit sehr unterschiedlichen Produktionsstrukturen aufeinander. Deutlich wird dies zum Beispiel bei der Durchschnittsgröße der Betriebe. Diese liegt in den USA bei 180 Hektar, während in der EU-28 im Durchschnitt jeder Betrieb 12 Hektar bewirtschaftet. Dass der Bewertungsrahmen für klein und groß ein ganz anderer ist, zeigt der Blick auf die 2,2 Millionen "small" Farmen in den USA. Zur Kategorie "small" zählen Betriebe mit einem Bruttoeinkommen von bis zu 250.000 Dollar (182.000 Euro). Dagegen liegt der durchschnittliche Jahresgewinn auf einem Hof in Deutschland bei 35.000 Euro und der Umsatz bei 137.386 Euro.


Die Politik

Auch wenn die Kommission mit den anberaumten Konsultationen auf die Bevölkerung zugeht, sollte man sich nicht täuschen lassen und davon ausgehen, die Verhandlungen seien deshalb gestoppt. Zum einen geht es nur um den Bereich der Investitionsabkommen und zum anderen ist nicht klar, ob und wie die Ergebnisse der Befragung in den Verhandlungsprozess einfließen. Es hat den Anschein als wolle die Kommission die Kritiker auf diese Weise beschäftigen bzw. ihre Geschlossenheit stören, um in Ruhe am Gesamtpaket weiterarbeiten zu können. Eine ähnliche Schwächung erfährt die Bewegung, wenn von Interessensgruppen gefordert wird einzelne Themenbereiche wie z.B. den Agrarbereich einfach auszuklammern. Hält man sich die Worte Barrosos vor Augen, der "die Standards und die Regeln für das 21. Jahrhundert festlegen" will, dann wird deutlich, um was es wirklich geht. Hier sollen die Grundlagen zukünftiger Wirtschaftspolitik weltweit gelegt werden. Dass darf nicht wenigen Politikern und Industrielobbyisten überlassen werden. Es muss ihnen entrissen werden! "TTIP stoppen" ist darum der einzig richtige Weg.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 374 - Februar 2014, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2014