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AUSSENHANDEL/231: Bilaterale Freihandelsabkommen auf dem Vormarsch (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013 Globalisierung und Freihandel - Pokerspiel mit ungewissem Ausgang

Bilaterale Freihandelsabkommen auf dem Vormarsch
Aktuelle Entwicklungen der europäischen Handelspolitik

von Ska Keller



Die EU-Kommission treibt die bilaterale Handelsagenda mit aller Kraft voran. Welche Abkommen werden gerade verhandelt und was sind die zentralen Probleme?


Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP-Transatlantic Trade and Investment Partnership)
Die Zollbarrieren zwischen beiden »Handelsgroßmächten« sind bereits sehr niedrig - in den Verhandlungen sollen deshalb vor allen Dingen die regulatorischen Hindernisse abgeschafft und Standards angeglichen werden. Es kann also passieren, dass Fleisch von hormonell behandelten Tieren und gentechnisch veränderte Lebensmittel leichter in die EU eingeführt werden können und Verbote oder Moratorien gegen das hochgefährliche Fracking erschwert werden.

Die Kommission begründet das TTIP mit einem zu erwartenden Wachstumsschub. Die Annahmen von 0,5 Prozent Wachstum des Bruttonationaleinkommens pro Jahr sind jedoch unglaublich überzogen. Beide Wirtschaftsräume stellen ähnliche Güter her, so dass kein massiver Handelsaufschwung zu erwarten ist. Außerdem stellt sich die Frage, wer inmitten von Wirtschaftskrisen die Produkte kaufen soll.

Die Kommission will mit TTIP globale Handelsstandards setzen - von Produktsicherheit, VerbraucherInnenschutz, technischen Standards (zum Beispiel für Medizin oder Internet) und Nahrungssicherheit zu Finanzdienstleistungen und so weiter. Die TTIP-Verhandlungen umgehen dabei bereits stattfindenden Verhandlungen für Handelsstandards auf internationaler Ebene. Das TTIP wird demnach nicht nur Auswirkungen auf die EU und die USA haben, sondern auch auf die Standardsetzung aller zukünftigen Handelsabkommen. Wir Grüne haben starke Bedenken, dass mit TTIP VerbraucherInnenschutz und Umweltschutz unter die Räder kommt. Einem Abkommen, dass beispielsweise Gentechnik oder Chlorhühnchen erlaubt oder die Rechte von InvestorInnen über die Gestaltungsfähigkeit der Parlamente stellt, können wir nicht zustimmen.

Nächste Schritte: Verhandlungsrunden im Oktober in Brüssel und im Dezember in Washington.


Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA-Trade in Services Agreement)
TiSA ist eines der wichtigsten derzeit verhandelten Abkommen neben dem TTIP. Mit dem Abkommen sollen nationale Dienstleistungsmärkte für ausländische InvestorInnen geöffnet werden. Nicht nur die Gefahr der Liberalisierung öffentlicher Güter wie Abfallentsorgung, Bildung und Gesundheit oder anderer Dienstleistungen wie Datenschutz ist problematisch. Das Abkommen wird zudem außerhalb der Welthandelsorganisation (WHO) verhandelt und ebnet somit den Weg für zukünftige plurilaterale statt multilaterale Abkommen.

Die 21 Verhandlerstaaten, die sich selbst »sehr gute DienstleistungsfreundInnen« (Really Good Friends of Services - RGF) nennen, wollen sich auf weitere Standards im Handel mit Dienstleistungen einigen. Bislang ist dieser im Generelles Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services - GATS) geregelt, ein Grundlagendokument der WHO. Weil die Reform des GATS derzeit nicht vorangeht, wollen die 21 Staaten TiSA außerhalb der Welthandelsorganisation durchdrücken. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sind allerdings gegen jegliche Verhandlungen außerhalb der WHO.

TiSA wird den Handel mit Dienstleistungen viel weitergehend als das GATS liberalisieren. Anders als im GATS sollen sich die teilnehmenden Staaten nicht mehr zur Liberalisierung spezifischer Subsektoren mittels einer »Positivliste« verpflichten, sondern nur die explizit nicht zur Liberalisierung frei gegebenen Dienstleistungen ausschließen. Diese »Negativliste« bedeutet, dass alles, was nicht auf der Liste steht, liberalisiert wird! Mit der so genannten »Stillhalteklausel« können Staaten den Status der Liberalisierung der genannten Sektoren beibehalten, aber nicht wieder stärker regulieren. Generell gilt, dass wenn eine Dienstleistung liberalisiert wurde, sie nicht wieder reguliert werden kann (»Ratchet Clause«).

Wir Grüne wollen TiSA stoppen.

Nächste Schritte: Zwei Verhandlungsrunden fanden bereits statt, die Daten für die nächsten Runden sind uns nicht bekannt.


Freihandelsabkommen mit Indien
Die EU verhandelt bereits seit 2007 mit dem größten Markt im südlichen Asien über ein Abkommen. Fällt nun Indien wie geplant aus dem Präferenzsystem heraus, kann es seine Waren nicht mehr zu reduzierten Zöllen in die EU einführen. Der Druck auf Indien, das Freihandelsabkommen zügig abzuschließen, steigt damit.

Tritt das Abkommen wie geplant in Kraft, würde einer der größten Liberalisierungsschübe der letzten Zeit eingeleitet, und das für einen Raum von zusammen fast 1,8 Milliarden Menschen. Die Erwartungen an das Abkommen sind hoch auf der Befürworterseite. Die indische Regierung verspricht sich einen leichteren Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt, vor allem im IT-Bereich. Die EU-Kommission und die europäische Wirtschaft freuen sich auf einen riesigen Markt für Autos im gehobenen Segment, Wein, Spirituosen und Agrarprodukte, und vor allem verbesserte Niederlassungsrechte - Gewinntransferfreiheit eingeschlossen. Die europäischen Supermarktkonzerne stehen schon in den Startlöchern.

Doch die Gewinne werden sich sehr ungleich verteilen. Obwohl Indien hohe Wachstumsraten aufweist, sind die beiden »Partner« doch höchst verschieden. In Indien leben immer noch die meisten Armen der Welt - über 50 Prozent der Bevölkerung lebt von weniger als zwei US Dollar am Tag. Die Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur ist in beiden Regionen kaum zu vergleichen. So gibt es in Indien über 350 Millionen Menschen, die im informellen Sektor arbeiten und 83 Prozent Kleinbäuerinnen und -bauern. Die europäische Industrieproduktion ist viel stärker entwickelt. Hier springt einem schon ins Auge, dass sich eine umfassende Liberalisierung - rund 90 Prozent aller Zolllinien wird angestrebt - unterschiedlich auf die Bevölkerung der EU und Indiens auswirken wird.

Ein Spezifikum in diesen Verhandlungen ist Indiens Rolle als Apotheke der Welt. 80 Prozent der globalen Generika werden in Indien hergestellt und dann in andere Entwicklungsländer - vornehmlich Afrika - exportiert. Vor allen Dingen arme Menschen, die mit HIV/Aids infiziert sind oder an Malaria oder Tuberkulose leiden, sind auf die niedrigen Preise solcher medizinischen Nachahmerprodukte angewiesen. Europäische Pharmakonzerne drängen in den Verhandlungen auf hohe Schutzstandards bei geistigem Eigentum; dies jedoch birgt ernsthafte Gefahren für die Generikaproduktion in Indien. Das ist alles andere als fairer Handel und wir werden dem Abkommen nicht zustimmen.

Nächste Schritte: Die Verhandlungen stocken gerade und es ist möglich, dass vor den indischen Wahlen nicht mehr viel passiert.

Mercosur
Die Generaldirektion Handel hat keine Anfrage seitens Brasiliens bekommen, dass sie nun alleine ein Freihandelsabkommen mit der EU angehen wollen. Es gibt derzeit kaum Bewegung bei Mercosur. Dass sich das ändert ist unwahrscheinlich, nächstes Jahr Wahlen in Brasilien, Argentinien und Uruguay stattfinden.

Kanada
Das sogenannte CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen Kanada und der EU wird seit 2009 verhandelt. Vom 23. bis 27. September findet die nächste Verhandlungsrunde statt.

China
Das Mandat zum Investitionsabkommen mit China wird der Europäische Rat im Oktober 2013 erteilen.

Japan
Die Verhandlungen zwischen der EU und Japan haben im März 2013 begonnen, bisher gab es zwei Verhandlungsrunden und die dritte Verhandlungsrunde wird vom 21. bis 25. Oktober in Brüssel stattfinden.

ASEAN
Die EU hat im Mai 2013 die Verhandlungen mit Thailand begonnen. Thailand ist das vierte Land der ASEAN-Region, das nun bilaterale Verhandlungen mit der EU begonnen hat, nachdem die ASEAN-EU-Verhandlungen vor einigen Jahren ins Stocken geraten sind.

Die fünfte Verhandlungsrunde für ein Freihandelsabkommen mit Vietnam wird in der Woche des 4. November stattfinden und die EU führt auch ihre Gespräche mit Malaysia fort.

Der Verhandlungsprozess mit Singapur wurde im Dezember 2012 erfolgreich abgeschlossen.


Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPAs)
Trotz anhaltender Widerstände in den Ländern Afrikas, der Karibik und im Pazifik (AKP-Länder) drängt die Kommission auf Abschluss der WPAs. Das Europaparlament hat dieses Jahr gegen die Stimmen der Grünen der Ratifizierung des Interimsabkommens mit Kamerun - herausgebrochen aus der Zentralafrikanischen Region - zugestimmt. Ebenso hat das Parlament gegen unseren Widerstand der Ratifizierung des Interim WPA mit Südostafrika zugestimmt. Gleichzeitig konnten wir uns gegen eine große Mehrheit des Europäischen Parlaments nicht damit durchsetzen, die Übergangsregelung für verbesserten Marktzugang (MAR) für AKP-Länder zu verlängern. Sie läuft Mitte 2014 aus und die AKP-Länder fallen auf die üblichen Zollstandards zurück wenn sie die WPAs nicht unterschreiben. Wir fordern immer wieder, einen Reflexionsprozess in der EU zu starten und die gesamte Herangehensweise an die WPAs zu überdenken - bisher leider vergeblich.

Nächste Schritte: Seit kurzem werden keine Interimsabkommen mehr verhandelt und nur noch volle WPAs angestrebt, weil jetzt durch Auslaufen von MAR der Druck auf die AKP-Länder erhöht wurde. Die Abkommen mit Westafrika, der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft stehen noch aus.


Autorin Ska Keller ist grüne Europaabgeordnete und befasst sich mit Handels- und Entwicklungsfragen. Wer monatliche Infos zu europäischer Handelspolitik erhalten will, kann an franziska.keller@europarl.europa.eu schreiben.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2013, Seite 11-12
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2013