Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

AUSSENHANDEL/182: Neo-Merkantilismus im Dienste des europäischen Kapitals (spw)


spw - Ausgabe 5/2008 - Heft 165
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Neo-Merkantilismus im Dienste des europäischen Kapitals
EU-Außenhandelspolitik

Von Werner Raza


Wenig transparente, exekutivlastige Strukturen

Die Außenhandelspolitik der EU ist geprägt von einem recht komplexen Set von Kompetenzen und Beziehungen zwischen den europäischen Institutionen (EU-Kommission, Rat, Europäisches Parlament), den Mitgliedsstaaten und den Unternehmens- und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Bereits der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 (Römische Verträge) enthielt Vereinbarungen über eine Gemeinschaftskompetenz in der Außenhandelspolitik. In historischer Betrachtung lässt sich eine langfristige Verschiebung dieser Kompetenzen von den Mitgliedsstaaten auf die EU-Ebene feststellen. Artikel 133 des EG-Vertrags überträgt der Gemeinschaft eine umfassende Kompetenz zur Aushandlung von Handelsverträgen. Das Recht zur Aufnahme und Durchführung von Außenhandelsvereinbarungen wird dabei von der EU-Kommission wahrgenommen, allerdings auf Grundlage eines Mandats, das der Rat zu beschließen hat. Üblicherweise entscheidet der Rat zu Außenhandelsfragen im Konsens. Die Unklarheit der Bestimmungen des Artikels gewann mit dem Aufkommen so genannter neuer Themen in der Außenhandelspolitik schon während der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Freihandelsabkommens (GATT) von 1986 bis 1994 an Bedeutung. Die neuen Themen umfassen insbesondere den internationalen Dienstleistungsverkehr, die geistigen Eigentumsrechte, und die Deregulierung der internationalen Investitionstätigkeit. Der Unwillen vonseiten der Mitgliedsstaaten, diese sensiblen Themen der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz zu überlassen, führte in den Verträgen von Amsterdam und Nizza zu einer geteilten Zuständigkeit zwischen Union und Mitgliedsstaaten. Handelsvereinbarungen zu bestimmten sensiblen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen) bzw. zur Investitionspolitik benötigen demnach die Zustimmung aller Mitgiledsstaaten.

In der politischen Praxis werden die Aktivitäten der EU-Kommission als initiativem Akteur der EU-Außenhandelspolitik nur mit dem Rat, d.h. den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten abgestimmt. Die entscheidende Rolle in der Gestaltung der Außenhandelspolitik spielt dabei ein informelles Gremium, der sogenannte ad-hoc-Auschuss nach Artikel 133. Dieser Ausschuss ist für das politische und technische Tagesgeschäft zuständig. In ihm sind die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission auf Fachbeamtinnenebene vertreten. Dieses Gremium wird sowohl von unabhängigen Fachleuten als auch von vielen NGOs als eines der mächtigsten der EU beschrieben. Über die Sitzungen werden in der Regel keine Informationen veröffentlicht. Die daraus resultierende Intransparenz und mangelhafte Verantwortlichkeit der EU-Handelspolitik wurde daher in den letzten Jahren von Gewerkschaften, NGOs und globalisierungskritischen Organisationen wie attac immer wieder kritisiert.

Wenig überraschend spielen auch in der EU-Außenhandelspolitik vor allem große Unternehmen und deren Lobbying-Organisationen die führende Rolle in der Artikulation und Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen. Zu nennen sind hier insbesondere Business Europe und das ESF (European Services Forum). Um diesen inneren Kreis der Politikformulierung gruppieren sich zwei weitere Diskussionszusammenhänge, nämlich das Europäische Parlament (EP), andererseits die interessierte Zivilgesellschaft. Die Rechte des EP sind darauf beschränkt, von der Kommission informiert zu werden, und seine Meinung zu den diversen handelpolitischen Themen abgeben zu können. Formale Mitentscheidungsrechte würde das EP erst durch den Vertrag von Lissabon bekommen. Mit der Zivilgesellschaft ist die Kommission erst in Reaktion auf die heftigen Protestaktionen und Kampagnen der globalisierungskritischen Bewegung seit Ende der 1990er Jahre in Dialog getreten. Freilich wird der Informationsgehalt dieser Treffen als mangelhaft und als wenig einflussreich für die Handelspolitik gesehen.


Vom Multilateralismus zum aggressiven Bilateralismus?

Im Oktober 2006 hat die EU-Kommission unter dem Titel "Global Europe - competing in the World" ein neues Strategiepapier vorgestellt. Wesentliche Motivation dieses Papiers ist der schleppende multilaterale Verhandlunguprozess im Rahmen der WTO-Doha-Runde, auf welchen sich die EU-Handelspolitik seit 2001 stark konzentriert hatte. Auch wenn die Doha-Verhandlungen wider Erwarten noch ein Ergebnis zeitigen sollten, war schon seit einiger Zeit absehbar, dass dieses beträchtlich hinter den Liberalisierungsvorstellungen der EU zurückbleiben würde. Insofern lag es für die FreihandelsstrategInnen der EU-Kommission, aber auch exportorientierter Mitgliedsstaaten wie Deutschland, nahe, die handelspolitische Agenda wieder stärker auf die bilaterale Schiene zu verlegen. In dieser neuen Strategie greift die EU wieder all jene Themen auf, welche sie in den WTO Verhandlungen nicht oder nur partiell durchsetzen konnte. Dazu zählen insbesondere die Liberalisierung von Dienstleistungen und Investitionen, Wettbewerbsregelungen, Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte. Die EU-Handelspolitik soll sich für eine aggressive Marktöffnung zugunsten europäischer Unternehmen ins Zeug legen. Besonders nicht-tarifäre Handelshemmnisse in Drittstaaten sollen beseitigt werden. Regional wird der Schwerpunkt auf die neuen Wachstumsmärkte Asiens (Korea, Indien, China) und auf Lateinamerika gelegt. Eine strategische Rolle zur Rohstoffsicherung spielen die laufenden Verhandlungen mit den der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP), die sich allerdings aufgrund des Widerstands afrikanischer Staaten schwieriger als erwartet darstellen. Grund dafür ist, dass den AKP-Staaten weit reichende Marktöffnungen abverlangt werden, welche zu schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen führen könnten. Die südlichen und östlichen Mittelmeer-Anrainerstaaten (EuroMed) sollen schließlich für europäische Dienstleistungsunternehmen und Investoren geöffnet werden.

Mit diesem massiven Arbeitsprogramm wird die EU-Außenhandelspolitik der kommenden Jahre explizit in den Dienst der Lissabon-Strategie gestellt. Wachstum und Beschäftigung sollen durch die Akzentuierung der Weltmarktorientierung der europäischen Wirtschaft geschaffen werden. Im Gegenzug ist die Kommission bereit, auch den EU-Wirtschaftsraum noch stärker zu öffnen bzw. in regulatorischer Hinsicht mit den HaupthandelspartnerInnen eine weitgehende Harmonisierung durchzusetzen. Letzteres ist explizites Ziel der von der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 lancierten Transatlantischen Partnerschaft mit den USA. Damit steht zu befürchten, dass der zum Beispiel anlässlich der Diskussion um die neue EU-Chemikaliengesetzgebung (REACH)zu beobachtende Trend, dass andere Staaten bzw. transnational operierende Unternehmenslobbies massiv in EU-Rechtssetzungprozesse eingreifen, sich noch verstärken wird.


Ausblick: aggressive Außenorientierung, Wachstumsschwäche und globale Risiken

Auf den ersten Blick war die EU-Außenhandelspolitik der letzten 15 Jahre durchaus erfolgreich: Die Leistungsbilanz der EU-15 hat sich in der Periode 1990-2005 insgesamt verbessert. Waren vor 1992 Leistungsbilanzdefizite die Regel, so wurden in der zweiten Hälfte der l990er Jahre und in den Jahren 2002-2004 Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Die aus 12 zum Teil stark importlastigen Ländern bestehenden Erweiterungsrunden 2004 und 2007 sowie die Rohstoffpreissteigerungen der letzten Jahre haben die Außenhandelsposition der EU-27 wieder etwas verschlechtert. Trotzdem liegen die aktuellen Leistungsbilanzdefizite der EU-27 in einer nicht besorgniserregenden Größenordnung von rund 1 Prozent des EU-BIP, während die EU-Kernländer (EU-15) weiterhin moderate Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften.

Die andere Seite der Medaille besteht allerdings darin, dass in makroökonomischer Hinsicht die Wachstumsperformance des EU-Wirtschaftsraums während derselben Periode im langfristigen Vergleich wohl als unterdurchschnittlich einzustufen ist. Das restriktive monetäre und fiskalische Regime der EU, eine vor allem in den kontinentaleuropäischen Ländern wie Deutschland und Österreich forcierte Politik der Lohnzurückhaltung und Arbeitszeitflexibilisierung und ein Rückbau der Systeme der sozialen Sicherheit haben zu einer stagnierenden binnenwirtschaftlichen Entwicklung geführt. Der starke Export konnte diese kontraktiven Kräfte nicht nur nichh kompensieren, sondern die Implementierung einer zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit und Standortkonkurrenz orientierten Wirtschaftspolitik muss als notwendiges Gegenstück zu einer neo-merkantilistisch inspirierten Außenhandelspolitik gesehen werden. Steigende Exportüberschüsse und forcierte Expansionsstrategien von EU-Unternehmen bei gleichzeitig stagnierender Binnennachfrage, hoher Arbeitslosigkeit und abnehmender sozialer Kohäsion sind dann einander bedingende Elemente eines extensiven, d.h. produktivitäts- und wachstumsschwachen, außenorientierten Wirtschaftsmodells.

Angesichts der großen globalökonomischen Ungleichgewichte und der im Frühsommer 2007 ausgehend von den USA virulent gewordenen Finanzkrise ist es höchst zweifelhaft, ob diese Politik mittel- und langfristig durchbaltbar sein wird. Die Schwäche des US-Dollar und im Gegenzug die Stärke des Euro werden voraussichtlich noch 2008 auf den Export durchschlagen und damit die Wachstumsdynamik in der EU dämpfen. Die Frage ist, wie die europäische Wirtschaftspolitik darauf reagieren wird: mit weiterem Druck auf die Lohnabhängigen und Steuergeschenken für Unternehmen zur Steigerung der externen Wettbewerbsfähigkeit, oder mit einer Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage als Kernelement einer binnenwirtschaftlich orientierten Wachstumsstrategie?


Werner Raza ist Mitarbeiter der Arbeiterkammer Wien und Lehrbeauftragter für Außenhandelspolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2008, Heft 165, Seite 20-22
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Abo-/Verlagsadresse:
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Redaktionsadresse:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin
Telefon: 030/469 22 35
E-Mail: redaktion@spw.de
Internet: www.spw.de

Die spw erscheint mit 8 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2008