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ARBEIT/144: Portugal - Exodus der jungen Leute, dem Land laufen die Fachkräfte davon (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Januar 2013

Portugal: Exodus der jungen Leute - Dem Land laufen die Fachkräfte davon

von Mario Queiroz


Bild: © Ricardo Perna/IPS

Die Historikerin Ana Lobato Castanheira erhofft sich eine Zukunft in Brasilien
Bild: © Ricardo Perna/IPS

Lissabon, 2. Januar (IPS) - Als Portugiesen in den 1960er Jahren in Scharen ihr Land verließen, um anderswo ihr Glück zu suchen, erreichte die Emigration längst nicht das Ausmaß, mit dem sich der Staat inzwischen konfrontiert sieht. Erstmals sind es hoch gebildete junge Leute, die auf der Suche nach besseren beruflichen Perspektiven abwandern.

In den vergangenen 14 Jahren setzte sich insgesamt eine Million Portugiesen ins Ausland ab. Das entspricht einem Anteil von 9,8 Prozent der derzeitigen Bevölkerung. Wie der für Arbeitsmigranten zuständige Staatssekretär José Cesário kürzlich bekannt gab, kehrten 2011 120.000 Portugiesen ihrem Land den Rücken. Im vergangenen Jahr waren es sogar noch etwas mehr.

Als 1998 die Wirtschaft schrumpfte, zog es viele Portugiesen in die Fremde. Doch die eigentliche Auswanderungswelle begann erst 2011, als das Land in eine schwere Rezession abdriftete. Vor allem die Auflagen von Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Union und Europäischer Zentralbank als Gegenleistung für einen Kredit in Höhe von 110 Milliarden US-Dollar machten Portugal schwer zu schaffen.


Im Teufelskreis

Der Plan der Geber-Troika konzentrierte sich auf die Sanierung des portugiesischen Haushalts durch einen massiven Anstieg von Steuern und Preisen, eine Senkung der Löhne, eine Abschaffung von Weihnachts- und Urlaubsgratifikationen und eine Verlängerung der Arbeitszeiten. Alle diese Faktoren führten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf offiziell 16,9 Prozent. Die Gewerkschaften des Landes sprechen sogar von 24 Prozent.

Die Erwerbslosigkeit verschärfte die Rezession, die wiederum die öffentlichen Schulden auf ein historisches Hoch von 129 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) drückte. 6.150 Unternehmen - durchschnittlich 17 pro Tag - mussten dichtmachen, was sich wiederum verheerend auf den Arbeitsmarkt auswirkte.

Viele Portugiesen und vor allem junge Akademiker erhoffen sich nun von der Emigration einen Ausweg aus der Krise. Die Folgen für das Land werden allerdings verheerend sein. So wird die Bevölkerung noch schneller altern, das Sozialversicherungssystem noch mehr ins Wanken geraten und ein Braindrain ohnegleichen einsetzen, der unter den Hochschulabsolventen ein Vakuum hinterlässt.

Das Phänomen der Massenemigration junger Menschen sei von den für die Politik und Wirtschaft des Landes verantwortlichen Kreisen gewollt und vorangetrieben worden, meint der Politologe Bruno Mesquita. So befinde sich der Reichtum des Landes dank eines unerhörten Klientelismus und der Einflussnahme reicher Familien, Unternehmer und Banker in den Händen Weniger, die dafür sorgten, dass die Ausgaben für Gesundheit, Bildung und produktive Infrastruktur gering blieben.

Mesquita warnte gleichzeitig vor einer "perversen Dimension" der Emigration, von der diejenigen profitierten, die sich auf den obersten Sprossen der sozialen Leiter befänden. Anreize, um die jungen Leute im Land zu halten, fehlten komplett. Somit verließen auch die Kräfte das Land, die den sozialen und politischen Zündstoff bieten könnten, um die Lage zu Hause positiv zu verändern.

"Alle diese Entwicklungen führen dazu, dass das Bruttosozialprodukt schrumpft, die Reichen immer reicher werden, sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, Arbeitslosigkeit und prekäre Jobs immer weiter zunehmen und lediglich niedrigwertige Dienstleistungen und Billiggüter angeboten werden", meint der Politikwissenschaftler. Für junge Leute bedeute dies den Anstieg der Beschäftigungslosigkeit, die Zunahme prekärer Jobs und die Verringerung der beruflichen Möglichkeiten.

Die Historikerin Ana Lobato Castanheira gehört zu den jungen Leuten, die ernsthaft darüber nachdenken, das Land zu verlassen. Den Ausschlag gab die Entscheidung ihres bisherigen Arbeitgebers, ihren im April 2013 ablaufenden Vertrag nicht zu verlängern. "Der Wunsch, dieses Land zu verlassen, wird immer größer. Ich träume bereits davon, mein Postgraduiertenjahr für Kulturmanagement im Rahmen eines universitären Austauschprogramms ab Sommer 2013 in Rio de Janeiro zu absolvieren", berichtet sie.


Ausbildung, die dem Land nichts mehr bringt

Wie die sozialistische Abgeordnete Ana Catarina Mendes erklärt, steht Portugal vor einer paradoxen Situation. So verfügt es über eine besonders gut ausgebildete Generation junger Menschen, von der es aber nicht profitieren könne. Die Einführung der Demokratie 1974 habe zu mehr Gerechtigkeit im Bildungssektor geführt und eine Generation hochqualifizierter Menschen generiert, die Portugal nun verloren gingen.

Mendes wirft der Regierung vor, angesichts der Krise, in der sich das Land befindet, mit einem Investitionsrückgang "den Weg zur Zerstörung des Landes" eingeschlagen zu haben. Dies habe lediglich dazu geführt, die Arbeitslosigkeit zu vergrößern und den Menschen unerträgliche Opfer abzuverlangen, die Armut und Ungleichheit begünstigten. "Wollen wir hoffen, dass Portugal noch andere Zeiten erlebt, damit wir unsere jungen Leute zurückholen können." (Ende/IPS/kb/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013