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AGRAR/1670: Bäuerlichkeit über EU-Agrarpolitik sichern (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 405 - Dezember 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bäuerlichkeit über EU-Agrarpolitik sichern
Starke Ausrichtung auf Entlohnung gesellschaftlicher Leistungen bei Reformideen für 2020

Von Christine Weißenberg


Zum Ende des Jahres liegen mehrere Vorschläge unterschiedlicher Verbände zur nächsten Reform der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) für die Zeit ab 2020 zur öffentlichen Diskussion auf dem Tisch - mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Neben dem in der letzten Ausgabe der Unabhängigen Bauernstimme vorgestellten Konzept der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) haben schon seit dem Sommer der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) sowie das Kasseler Institut für ländliche Entwicklung (siehe Kasten unten) und seit Anfang November auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) ihre Vorstellungen einer veränderten EU-Förderpolitik zu Papier gebracht.

Bäuerlich gedacht

Die AbL beschreibt in ihrem Arbeitspapier ein Punktesystem mit drei Prämienkomponenten, bestehend aus einer Basiszahlung, einer qualifizierten Flächenzahlung und einer Tierhaltungsprämie. Gertraud Gafus, Bundesvorsitzende der AbL, betont: "Für unsere Überlegungen war es wichtig zwei Aspekte zusammenzubringen: die gesellschaftlichen Ansprüche an die Landwirtschaft und die Art, wie bäuerliche Betriebe arbeiten und welche Leistungen sie erbringen können. Je mehr Aufwand für die Flächenbewirtschaftung und in der Tierhaltung nötig ist, desto mehr sollte das honoriert werden." Gedacht ist dieses Modell vom bäuerlichen Betrieb aus. Dabei wurde bewusst der Anschluss an gesellschaftliche Diskussionen gesucht. Und "durch die Auswertung von Daten aus dem betrieblichen Sammelantrag wird der Verwaltungsaufwand gering gehalten." Ebenfalls auf eine Punktevergabe setzt der DVL, konzentriert sich dabei jedoch auf ökologisch bedeutsame Kriterien. Das Modell wurde in Schleswig-Holstein zusammen mit Praxisbetrieben entwickelt und erprobt. Für die drei Leistungsbereiche Biodiversitäts-, Klima- und Wasserschutz wird anhand von fünf Bewertungskategorien mit insgesamt 22 Parametern eine Punktebewertung der flächengebundenen betrieblichen Umweltleistungen vorgenommen. Herangezogen werden vorliegende Betriebsdaten, die über einen Aufnahmebogen ausgewertet werden können. Vergütet würde je Punkt mit einem festzulegenden Betrag bzw. Anteil je nach Agrarbudget ausgehend von dieser Verfahrensidee entwickelt das Landwirtschaftsministerium Schleswig-Holstein zurzeit ebenfalls einen Reformvorschlag. Den Prozess koordiniert Hans-Georg Starck, der erklärt: "Wenn wir wollen, dass die öffentlichen Güter bzw. Leistungen der Landwirtschaft (wie Biodiversität in der Agrarlandschaft, Schutz von Wasser, Boden, Luft und Klima, Tierwohl in der Nutztierhaltung, aber auch die Vitalität der ländlichen Räume) honoriert werden sollen, dann muss die Gemeinsame Agrarpolitik darauf ausgerichtet werden." Es läuft auf ein Mehrkomponentensystem hinaus, denn für den flächenbezogenen Umweltbereich ist ein Verfahren ähnlich dem DVL-Konzept vorstellbar. "Die Honorierung der Tierwohlleistungen bei der Nutztierhaltung (...) ist eine sehr spannende, aber auch enorm komplexe Frage. Hier haben wir ein entsprechendes Gutachten vergeben, welches Möglichkeiten im Rahmen einer zukünftigen GAP aufzeigen soll", beschreibt Starck eine der Herausforderungen. Aus Verwaltungssicht macht er deutlich: "Für uns wichtig ist dabei, dass es [das Fördersystem] methodisch an das bestehende System der Agrarverwaltung anknüpft (Sammelantrag) und für die Landwirte mit möglichst geringem Aufwand anwendbar ist."

Ganz aktuell hat der NABU seine Vorstellungen von einem anderen Förderformat veröffentlicht. Darin wird das Zwei-Säulen-Modell der GAP nahezu aufgelöst und in verschiedene Maßnahmenbereiche gegliedert, die hauptsächlich ökologische Belange berücksichtigen: Vorgesehen ist eine betriebs- und flächenbezogene Basisprämie, wenn Mindestanforderungen ähnlich einem ausgeweiteten Greening eingehalten werden. Hinzu kommt eine Agrar-Natur-Prämie, wenn als effektiv wirksam eingestufte ökologische Maßnahmen, wie extensive Flächennutzung, umgesetzt werden. Schließen sich Betriebe Beratungsangeboten an, können sie eine pauschale Managementprämie erhalten. Weitere Prämien gibt es für Entwicklungsmaßnahmen zur Förderung der Biodiversität. Übrig bleiben Programme zur ländlichen Entwicklung ähnlich der derzeitigen Gestaltung.

Werte und Verantwortung

Gemeinsam haben all diese Vorschläge, dass sie versuchen, eine mehr oder weniger große Bandbreite gesellschaftlicher Leistungen zu entlohnen. Starck weist darauf hin: "Der Begründungsdruck für die Milliardenzahlungen [im Rahmen der GAP] wird deutlich zunehmen. Die Frage ist, ob man erfolgreich die Gelder für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum verteidigen kann und wie? (...) Es muss auch im Interesse der Landwirtschaft sein, schrittweise ein Fördersystem zu entwickeln, bei dem die öffentlichen Gelder gesellschaftlichen Werten dienen und damit auch als berechtigt anerkannt würden." Er begrüßt die Verstöße aus unterschiedlichen Interessensrichtungen, steht einem Austausch offen, wenn auch realistisch gegenüber: "Entscheidend bei der Diskussion zu einer neuen GAP und für die Eignung von neuen Fördermodellen wird die Frage sein, welche Auswirkung dies auf die wirtschaftliche Situation der landwirtschaftlichen Betriebe und die landwirtschaftliche Struktur insgesamt hat." Almbäuerin Gertraud Gafus möchte gerade bei den Betriebsprämien auf Zukunftsweisendes für die Höfe hinarbeiten: "Ziel des politischen Fördersystems muss es sein, die wirtschaftliche Situation bäuerlicher Betriebe zu stabilisieren. In der gesamten Landwirtschaft müssten Low-Input-Strategien, die einer bäuerlichen Denkweise entsprechen, viel mehr bestärkt werden: eigene Ressourcen und Kreisläufe des Hofes nutzen, auf Vielfalt bauen und sich so unabhängig und widerstandsfähig machen." Es geht darum, den Bauern und Bäuerinnen politisch einen passenden Rahmen zu stellen, der ihnen eigenverantwortliches Handeln ermöglicht und dieses bestärkt.


KASTEN

Anderer Ansatz: Preis-Kosten-Ausgleichszahlungen

Eine völlig andere Strategie zur nächsten GAP-Reform verfolgen Dr. Frieder Thomas, Prof. Dr. Onno Poppinga und Dr. Karin Jürgens vom Kasseler Institut für ländliche Entwicklung e.V. mit ihrem Vorschlag eines veränderten Fördersystems: Schon im August schlugen sie in ihrem Arbeitspapier eine aktive Agrarstrukturpolitik durch Preis-Kosten-Ausgleichszahlungen vor, um den Wachstumsdruck zu verringern und insbesondere bei Preiskrisen bäuerliche Existenzen abzusichern. Die bisherigen Direktzahlungen bezeichnen sie als agrarstrukturell unfair. Nach ihren Vorstellungen würde jeder Betrieb einem bestimmten Betriebstyp zugeordnet werden. Für diese Betriebstypen würden die Produktionskosten errechnet, z. B. mit Hilfe des europäischen Informationsnetzes landwirtschaftlicher Buchführungen. Sinken die realen Preise unter eine festzulegende Marge unterhalb von errechneten optimalen Erzeugerpreisen, entsprechend der Produktionskosten und einem Einkommensansatz, würden Ausgleichszahlungen ausgelöst.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 405 - Dezember 2016, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2017

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