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AGRAR/1508: EU-Agrarpolitik auf dem Prüfstand - Kommission wirbt für "grünen" Anbau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. August 2012

Landwirtschaft: EU-Agrarpolitik auf dem Prüfstand - Kommission wirbt für "grünen" Anbau

von Claudia Ciobanu

Bio-Tomaten in einem Gewächshaus im Süden Polens - Bild: © Claudia Ciobanu/IPS

Bio-Tomaten in einem Gewächshaus im Süden Polens
Bild: © Claudia Ciobanu/IPS

Warschau, 21. August (IPS) - Ernährungsexperten halten die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union für nicht mehr zeitgemäß. Länder, die in und nach dem Zweiten Weltkrieg gravierende Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung zu bewältigen hatten, führten das Modell vor mehr als sechs Jahrzehnten ein. Fachleute halten jedoch die Produktion riesiger Mengen an Lebensmitteln durch industrielle Agrarbetriebe in Zeiten verbreiteter Hungersnöte, drohender Dürren und Ressourcenkriege für überholungsbedürftig.

Tatsache ist, dass Europäer nicht mehr hungern müssen. Der Fleischkonsum auf dem Kontinent ist doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt. Nach Angaben des Europäischen Umweltbüros (EEB) landen in den EU-Wohlstandsgesellschaften jedes Jahr pro Kopf 170 Kilo Nahrung auf dem Müll.

Beanstandet wird außerdem, dass die lange Zeit in der Europäischen Union geförderte industrielle Landwirtschaft einen hohen Tribut von der Umwelt fordert. Ein Viertel des in der EU verbrauchten Wassers wird für die Nahrungsproduktion verwendet. 100.000 Hektar Land sind bereits so geschädigt, dass auf ihnen nichts mehr angebaut werden kann. Und die Artenvielfalt nimmt so rasch ab wie nie zuvor.

Die Subventionen, die Brüssel den Bauern für den Export ihrer Erzeugnisse zu Preisen unterhalb der Produktionskosten zukommen lässt, haben zudem dazu beigetragen, Farmern in Entwicklungsländern die Existenzgrundlage zu entziehen.

Trotz signifikanter Subventionskürzungen in den vergangenen Jahren ist Europa derzeit der weltweit größte Importeur und Exporteur von Agrarerzeugnissen. Die Einfuhren von Futtermitteln stehen in Verbindung mit der Förderung von Monokulturen, der Entwaldung und mit Landklau in Staaten des Südens.


Mehr Schutz für Entwicklungsländer und Klima gefordert

Das Modell muss sich also ändern, damit die Entwicklungsländer, das globale Klima und das Wohlergehen der Europäer geschützt sind. Tatsächlich sind Strukturreformen von CAP im Gang, und es wird damit gerechnet, dass nach 2014 eine neue Agrarpolitik vorgestellt wird.

Im vergangenen Jahr unterbreitete die Europäische Kommission einen Reformvorschlag, der entschiedene Schritte hin zu einer 'grünen' Landwirtschaft enthält. Kritiker wenden allerdings ein, dass die größten Schwächen von CAP wie der breite Fokus auf verstärkter Produktivität auf der Grundlage industrieller Landwirtschaft oder die Auswirkungen auf die weltweite Nahrungssouveränität nicht berücksichtigt werden.

In jedem Sieben-Jahres-Zyklus werden mehr als 350 Milliarden Euro öffentlicher Gelder für Bauern in der EU bereitgestellt. Die Kommission hat vorgeschlagen, ab 2014 die Zahlung von 30 Prozent der direkten Zuschüsse für die Landwirte von der Umsetzung von Umweltstandards abhängig zu machen.

Der Vorschlag sieht außerdem vor, die Subventionen für einen Bauernhof auf insgesamt 300.000 Euro zu begrenzen. Außerdem wird gefordert, dass die Bauern mindestens drei unterschiedliche Nahrungspflanzen anbauen, um eine Abkehr von den destruktiven Monokulturen zu bewirken.

Farmer werden auch dazu aufgefordert, Weideland nicht umzupflügen, um die Speicherung von Kohlendioxid sowie den Erhalt der Artenvielfalt und der Wasserquellen zu unterstützen. Sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen sollen nicht bebaut werden, um die Habitate wild lebender Tiere zu erhalten. Dies alles sind Versuche, die Landwirtschaft in der EU zu natürlicheren Praktiken zurückzuführen.

Viele der insgesamt 15 Millionen Bauern in der Staatengemeinschaft könnten die Vorschläge der EU-Kommission problemlos umsetzen. Zahlreiche kleine Höfe, die sich in der EU gut entwickeln, zeigen, dass die Maßnahmen den Produzenten Vorteile bringen. Industrielle Agrarbetriebe, die jedes Stückchen Land zur ausnutzen, um ihre Profite zu steigern, werden das bisherige Modell aber wohl kaum kampflos aufgeben.

So wurde der Vorstoß aus Brüssel von großen Bauernverbänden und Regierungen scharf kritisiert. In einem parlamentarischen Bericht in Großbritannien wurde damit argumentiert, dass den Bauern ein erheblicher Papierkrieg bevorstünde und der bereits existierende ökologische Anbau in den Mitgliedsstaaten gefährdet würde.


EU-Kommission will bisherige Fortschritte anerkennen

Die Kommission hält derweil an ihrer Strategie fest. "Ich weiß, dass einige Bauern bereits mehr tun, und wir wollen die Champions sicherlich nicht bestrafen", erklärte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos. Deshalb werde über ein Äquivalenzsystem in den Mitgliedsländern und Regionen nachgedacht, die sich bereits in die Richtung der Kommission bewegt hätten. Damit sollen bisherige Fortschritte anerkannt werden.

Ciolos betonte allerdings auch, dass die Umsetzung der Maßnahmen obligatorisch sein müsse. "Wir können nicht über nachhaltige Landwirtschaft sprechen, ohne Verantwortung für den Umweltschutz und den richtigen Umgang mit Rohstoffen zu übernehmen."

Etwa ein Jahr vor dem Abschluss der CAP-Verhandlungen kämpft die EU-Kommission nun darum, dass die ursprünglichen Vorschläge nicht aufgeweicht werden. Zugleich wirbt sie für Unterstützung bei skeptischen Mitgliedsländern. Unabhängige Umweltorganisationen, denen die Pläne zunächst nicht weit genug gingen, befürworten nun die Reform und versuchen von der Basis aus, ihre Regierungen zur Annahme der Vorschläge zu bringen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Europa-Internationales/Agrarpolitik/GAP-Gemeinsame-Agrarpolitik.html
http://ec.europa.eu/agriculture/index_en.htm
http://www.ipsnews.net/2012/08/europe-thinks-again-about-food/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012