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AGRAR/1423: Reform der Agrarpolitik - diesmal ein großer Wurf? (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Reform der Agrarpolitik - diesmal ein großer Wurf?


Bisher dominierten konservative Kräfte die Debatte um die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die wie der neue mehrjährige Finanzrahmen ab 2013 greifen soll. Konservativ verkünden auch die deutsche Bundesregierung und der Bauernverband bei jeder Gelegenheit, sie würden die derzeitigen Strukturen im Großen und Ganzen am liebsten beibehalten. Doch dann läge der Hauptanteil der EU-Subventionen weiter bei den Direktzahlungen pro Hektar (2010: 42 Mrd. Euro). Das wäre gleichbedeutend mit einer Fortschreibung der überproportionalen Begünstigung agrarindustrieller Betriebe - und des Bauernsterbens bzw. des sogenannten "Strukturwandels", wie die massive Aufgabe kleiner und mittlerer Betriebe dank gezielter Subventionspolitik gern euphemistisch genannt wird.


Grünere Ansichten finden breitere Basis

Zum Glück gibt es gute Gründe für die Annahme, dass die Reform der GAP am Ende doch viel tiefgreifender ausfallen könnte, als es bisher scheint. Denn die Weiterführung des bisherigen Systems wäre sehr teuer und würde die von weiten Teilen der Gesellschaft geforderten wesentlichen Bedingungen nicht erfüllen: nämlich den Landwirten ein faires Einkommen zu sichern, den ländlichen Raum vor Verödung durch Abwanderung, Agrarfabriken und Monokulturen zu schützen sowie durch hohe Tier- und Umweltschutzstandards eine ethisch vertretbare und nachhaltige Landwirtschaft zu gewährleisten. Die Mitgliedsstaaten würden wegen der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise zunehmend in Erklärungsnot geraten, sollten Zuckerindustrie, Energiekonzerne und industrielle Massentierhalter auch weiterhin zu den Hauptbegünstigten der GAP zählen.

Am 19. und 20. Juli 2010 veranstaltete EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos eine Konferenz über die Zukunft der GAP (1), an der auch PROVIEH teilnahm. Dort sprachen sich neben Tier- und Umweltschützern auch einflussreiche Lobbygruppen wie die Europäische Landbesitzer Organisation (ELO) dafür aus, die Agrarsubventionen künftig viel stärker an die Bereitstellung öffentlicher Güter wie Landschafts-, Arten- und Ressourcenschutz zu knüpfen. Auf der Konferenz wurden auch die Ergebnisse der Online-Konsultation über die Bürgerwünsche bezüglich der GAP vorgestellt. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die unserem Aufruf zur Teilnahme folgten: Insgesamt 150 deutsche TierschützerInnen trugen durch ihre Eingaben dazu bei, dass der Tierschutz bei dieser Debatte nicht übergangen werden konnte. Insgesamt reagierten etwa 6.000 Menschen und Organisationen auf die Online-Konsultation, davon fast 25 % (über 1.400) aus Deutschland. Das zeigt, wie wichtig den Deutschen die Agrarpolitik ist - wahrscheinlich auch deshalb, weil wir die Hauptlast der Finanzierung tragen müssen: Deutschland ist mit 2,4 Milliarden Euro der mit Abstand größte EU-Nettozahler, Tendenz steigend (nach Expertenschätzung ca. 3 Mrd. Euro im Jahr 2013).


Das neue EU-Biosiegel

EU-Bioerzeugnisse werden erst seit 1991 reguliert und gekennzeichnet, jetzt mit neuem Logo (siehe Abb.). Biobauern bekommen aber trotz EU-Aktionsplan (2004) viel zu wenig Unterstützung. Schleswig-Holstein strich im Jahr 2010 die Umstellungsprämien für Neueinsteiger sogar ganz - am falschen Ende gespart, meint PROVIEH. Die steigende Nachfrage nach Ökoprodukten kann in der EU bereits jetzt nur mit Hilfe von Importen gedeckt werden, woran sich laut EU-Bericht vom 16.07.2010 auch nichts ändern wird. Schade, denn Biohöfe sind viel besser für Umwelt und Tiere!


Die Bundesregierung könnte angesichts dieser immensen Belastung der deutschen Steuerzahler unter starken Druck geraten, sollte sie die Landwirte durch verfehlte Subventionspolitik auch künftig dazu bringen, mehr Probleme zu schaffen als zu lösen, z.B. den Klimawandel, das Artensterben, die Umweltverschmutzung und die Ressourcenverschwendung zu beschleunigen statt aufzuhalten. Zudem kommen der Tierschutz und die Bewegung gegen die industrielle Massentierhaltung immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an, weil Tierfabriken die Umweltprobleme zunehmend verschärfen und die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden (siehe Vogel- und Schweinegrippe, aber auch Antibiotikaresistenzen). Eine echte Wende in der EU-Agrarpolitik ist heute also nicht nur denkbar, sondern könnte in greifbare Nähe rücken - wenn die Lobby der Agrarindustrie diesmal in Schach gehalten werden kann.


Quelle:

1) Die Ergebnisse der Online-Konsultation und die Videoaufzeichnung der Konferenz sind abrufbar unter
http://ec.europa.eu/agriculture/cap-post-2013/conference/index_en.htm


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 33-34
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2011