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AGRAR/1419: EU-Agrarpolitik und Hungerbekämpfung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

EU-Agrarpolitik und Hungerbekämpfung
Eine Agrarpolitik, die Bauern in Entwicklungsländern und Deutschland nutzt

Von Christiane Hinck


Misereor, Germanwatch und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) veranstalteten am 13. Oktober in Berlin die Tagung: "Wer ernährt die Welt?". Etwa 70 Teilnehmer waren zu der lebhaften Diskussionsrunde gekommen. In der Eröffnungsdiskussion erklärte Leonard Mizzi von der EU-Kommission, Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, dass angesichts der gewachsenen Weltbevölkerung enorme Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft nötig seien. Zu den Vorschlägen der EU-Kommission zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und dem öffentlich gewordenen Vorschlag des EU-Agrarkommissars Dacian Ciolos blieb Mizzi als sein Mitarbeiter. Antworten schuldig. Differenzierter betrachtete Gudrun Kopp (FDP), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die exportorientierte EU-Agrarpolitik: "Es kann nicht angehen, dass riesige Mengen Futtermittel nach Europa eingeführt werden und die Menschen in den Anbauländern hungern. Die landwirtschaftliche Produktion in einem Staat muss in erster Linie der Ernährung der eigenen Bevölkerung dienen." Die Staatssekretärin kritisiert mit deutlichen Worten die Dumpingwirkungen der EU-Agrarpolitik in Entwicklungsländern. Dennoch sieht sie große Chancen für Entwicklungsländer, wenn diese ihre Handelsschranken weiter fallen lassen würden und damit den Schutz vor möglichen Importfluten. Dem schloss sich Tobias Reichert, Germanwatch-Referent für Welthandel und Ernährung an: "Die Europäische Kommission widerspricht mit ihrer Exportstrategie ihren eigenen Entwicklungshilfezielen. Durch die Ausfuhr von Agrarprodukten zu Dumpingpreisen werden mühsam aufgebaute lokale Märkte zerstört.

In der Gesprächsrunde mit Gästen aus Indien und Burkina Faso sagte Armin Paasch, Misereor-Referent für Welthandel und Ernährung: "Heute sind nicht mehr die jährlich etwa 650 Mio. Euro Exportsubventionen für Agrarprodukte entscheidend für die wirtschaftliche Situation in Entwicklungsländern, sondern die Niedrigpreisspirale." Diese sei angekurbelt worden durch die EU-Agrarreformen seit 1992. Die Vorsitzende der nationalen Vereinigung der Kleinstmolkereien, Korotoumo Gariko aus Burkina Faso, berichtete, in ihrem Land entwickle sich die lokale Milchproduktion und Vermarktung zu einer ländlichen Wirtschaftskraft. Dennoch drückten Milchimporte aus dem Ausland, darunter auch aus der EU, auf den Binnenmarkt. "Europäische und afrikanische Milchbauern haben die gleichen Probleme. Also müssen wir uns vor Importen schützen können", forderte sie. Gariko betonte das an erster Stelle stehende Menschenrecht auf Nahrung: "Wir wollen auch in Würde leben." Veterinärin Nitya Ghotje, Gründerin der indischen Kleinbauern- und Frauenorganisation Anthra, berichtete über den Aufbau der Milchwirtschaft nach der Unabhängigkeit ihres Landes. Heute sei Indien der größte Milcherzeuger weltweit, es werde täglich frische Milch in die Städte geliefert.


Den europäischen Milchmarkt im Blick

Zwei Räume weiter diskutierten Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverbands, mit den Teilnehmern. Heuser verdeutlichte, dass es der Milchindustrie auch zukünftig um Weltmarktanteile geht. "Für Bauern zieht das Argument um Weltmarktanteile nicht", kommentierte Schaber. Dreiviertel der Exporte aus der EU seien Massenwaren wie Milchpulver und Butter. "Exporte bedingen niedrige Preise", so Schaber. Angesprochen auf die Vorstellung der Milchbauern von der Gestaltung der Märkte skizzierte Schaber die Idee der bedarfsorientierten Milcherzeugung.


Für qualifizierte Zahlungen

In der abschließenden Podiumsdiskussion zwischen Dr. Dietrich Guth, Leiter EU-Politik und Internationale Zusammenarbeit im Bundesministerium für Landwirtschaft, dem AbL-Bundesvorsitzenden Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf und Nitya Ghotje sprach sich Graefe zu Baringdorf gegen die einseitige Exportorientierung aus. "Wir können uns ja nicht einmal selbst ernähren", sagte er und wies auf die Abhängigkeit der EU von Futtermittelimporten hin. Er stellte fest, dass die Exportstrategie nicht im Interesse der EU, sondern der Ernährungsindustrie ist. "International wettbewerbsfähige Agrarprodukte aus der EU sind eine Illusion." Dies belege auch der Bericht des Europäischen Rechnungshofs von 2009, merkte Schaber aus dem Auditorium in Bezug auf die Milchprodukte an. Graefe zu Baringdorf legte dar, dass durch die einseitige Ausrichtung der Investitionsförderung und pauschale Direktzahlungen Wettbewerbsverzerrungen zu Gunsten stark rationalisierter Betriebe entstünden. Der Arbeitskräfteansatz käme nicht in Anrechnung. Auf diese Argumente ging Guth nicht ein. Er machte deutlich, dass aus seinem Ministerium kein Kurswechsel in der Agrarpolitik zu erwarten sei. Zum einen führte er in seinem Vortrag aus, dass die Exportsubventionen bereits stark zurückgeführt worden seien, und zum anderen sah er keinen Einfluss der EU-Agrarpolitik auf die Entwicklungspolitik.

Graefe zu Baringdorf machte in seinem Schlusswort deutlich, dass die bäuerliche Landwirtschaft weiter vorherrsche, vor allem in Entwicklungsländern, aber auch in Europa. "Es kann noch viel kaputt gemacht werden, aber es ist noch viel zu retten."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 338 - November 2010, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2011