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INTERVIEW/053: Dublin - Statement mit Folgen ...    Raymond Deane im Gespräch (SB)


Interview mit dem Komponisten Raymond Deane am 13. Juli 2018 in Dublin


Mit dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus Anfang 2017 ist die ohnehin katastrophale Lage für die Palästinenser noch schwieriger geworden. Trump gilt als enger ideologischer Gefährte des rechtskonservativen israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. In deren Auftrag bastelt Trumps Schwiegersohn, der bekennende Zionist Jared Kushner, an einem Friedensplan für den Nahen Osten, der Israel sämtliche Wünsche erfüllt und die Chancen für einen palästinensischen Staat, der diesen Namen verdient, zunichte macht. Darum hat Trump vor kurzem die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen sowie die amerikanischen Subventionen für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten zusammenstreichen lassen. Mit der letztgenannten Maßnahme wollen Trump und Kushner das "Problem" der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und Syrien für immer erledigen, indem man deren Recht auf Rückkehr in die alte Heimat begräbt.

Gegen die Pläne Washingtons und Tel Avivs laufen die Palästinenser Sturm. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter der Leitung von Präsident Mahmud Abbas hat die Beziehungen zu den USA wegen der Botschaftsverlegung auf Eis gelegt und Washington wegen der offenen Parteilichkeit für Israel jede Vermittlerrolle im Nahostkonflikt aberkannt. Seit Wochen protestieren jeden Freitag die Menschen im Gazastreifen gegen ihre jahrelange Belagerung durch die israelischen Streitkräfte. Dort werden sie am Grenzzaum von israelischen Scharfschützen unter dem Einsatz von Splitterkugeln erschossen oder zu Krüppeln gemacht.

Der grausame Umgang der Israelis mit den Palästinensern nicht nur in Gaza sondern auch in Westjordanland, wo sie Attacken von der Polizei und Armee, aber auch schwerbewaffneten, radikalen jüdischen Siedlern ausgesetzt sind, ist Wasser auf die Mühle der transnationalen Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Mittels BDS soll Israel zum Abzug aus den besetzten Gebieten gezwungen und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge durchgesetzt werden. Im Gegenzug versuchen die Israelis, die Verfechter der BDS-Kampagne als Antisemiten zu diffamieren. In einigen Ländern wie den USA und Großbritannien fällt die Bezichtigung auf fruchtbaren Boden. Dort weht den Unterstützern der Palästinenser ein rauher Wind seitens der Medien und Behörden ins Gesicht.

In Irland hingegen haben Israels Propagandisten bislang nicht die Meinungshoheit zum Thema Nahostkonflikt erringen können. Dort hat die populäre Volksmusiksängerin und parteiunabhängige Senatorin Frances Black am 11. Juli einen eigenen Gesetzesentwurf durch das Oberhaus des Parlaments in Dublin gebracht, der jeglichen Handel mit den illegalen jüdischen Siedlungen im Westjordanland verbieten soll. Nach der Sommerpause soll der Gesetzesentwurf vom Dáil, dem Unterhaus, ebenfalls verabschiedet und danach vom irischen Präsidenten Michael D. Higgins unterzeichnet werden, wofür derzeit die Chancen gut stehen. Über diesen kleinen Etappensieg der BDS-Kampagne sowie die Lage im Nahen Osten im allgemeinen sprach am 13. Juli der Schattenblick mit Raymond Deane. Der renommierte Komponist, der 2001 die Ireland-Palestine Solidarity Campaign (IPSC) mitbegründet hat, gilt als führender Vertreter der irischen Antikriegsbewegung.


Black und ein palästinensisches Mädchen mit rot-grün-weiß-bemaltem Gesicht halten den Text des Gesetzentwurfs in die Kamera - Foto: © 2018 by Schattenblick

Frances Black und eine kleine Mitstreiterin
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick: Mit der Verabschiedung von Frances Blacks Gesetzesentwurf vor zwei Tagen ist die Republik Irland auf dem besten Weg, der erste westliche Staat zu werden, der den Handel mit den illegalen jüdischen Siedlungen in dem von Israel besetzten Westjordanland verbietet. Worauf führen Sie diese Entwicklung sowie die große Unterstützung, welche die Sache der Palästinenser in der breiten Öffentlichkeit Irlands erfährt, zurück?

Raymond Deane: Ohne Klischees bedienen zu wollen, denke ich, daß die Antwort auf Ihre Frage in Irlands eigener Geschichte zu finden ist. Ähnlich wie Palästina wurde Irland von Großbritannien zunächst kolonisiert und später geteilt. Die Gründung des Staates Israel 1948 ist auf die berühmt-berüchtigte Balfour-Deklaration von 1917, jenen Brief des britischen Außenministers Arthur Balfour an den Zionistenführer Baron Rothschild, in dem sich London zum Ziel der Schaffung eines jüdischen Staates im damals noch zum Osmanischen Reich gehörenden Palästina bekannte, zurückzuführen. Als Chief Secretary for Irland in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte sich derselbe Mann durch seine brutale Unterdrückung der zahlreichen Proteste der Kleinbauern gegen die Großgrundbesitzer den Schimpfnamen "Bloody Balfour" zugezogen. Als ehemalige Kolonie, die sich mühsam befreien konnte, steht man in Irland traditionell auf der Seite aller Länder und Völker, welche die Fremdherrschaft abzuschütteln versuchen, insbesondere Palästinas.

SB: Wie wichtig ist die Rolle Irlands bei der BDS-Kampagne?

RD: Tatsache ist, daß die Ireland-Palestine Solidarity Campaign eine der ersten Organisationen weltweit war, die sich voll und ganz dem BDS-Aufruf 2005 angeschlossen hat. Mehrere Städte in Irland haben seitdem die BDS-Kampagne auf ihre Fahne geschrieben. Dublin war die erste Hauptstadt weltweit, die das getan hat. Insofern geht Irland, auch wenn es nur ein kleines Land und keine Großmacht ist, international mit gutem Beispiel voran.

SB: Bedenkt man die Reaktion Avigdor Liebermans, gleich mit der Schließung der israelischen Botschaft in Dublin zu drohen, scheint man in Tel Aviv der Verabschiedung von Frances Blacks Gesetzesentwurf im irischen Senat große Bedeutung beizumessen. Wie läßt sich die lautstarke Kritik Israels erklären, denn schließlich dürften die Auswirkungen des Gesetzes, sollte er das irische Unterhaus passieren und vom Präsidenten unterzeichnet werden, nur symbolischen Charakter haben, da Irland in Sachen Handel nicht allein agieren kann, sondern an die Vorgaben der EU gebunden ist?


Frances Black und Mitglieder der irischen BDS-Kampagne samt Transparent vor den Toren des irischen Parlaments an der Kildare Street - Foto: © 2018 by Schattenblick

Irland erklärt sich mit Palästina solidarisch
Foto: © 2018 by Schattenblick

RD: Ob das tatsächlich der Fall ist, darüber gibt es in Irland bereits eine rege Diskussion. Ich bin kein Fachmann für EU-Handelsrecht, aber es scheint mir, als hätte Irland in diesem Zusammenhang doch einen gewissen Handlungsspielraum, denn schließlich sind die jüdischen Siedlungen im Westjordanland nach internationalem Recht illegal. Unter Völkerrechtsexperten ist das unbestritten. Von daher ist mir nicht klar, warum EU-Recht die Republik Irland daran hindern soll, ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht nachzukommen.

Wie Noam Chomsky wiederholt hervorgehoben hat, verwenden Israel und seine Unterstützer sehr viel Energie darauf, in den westlichen Staaten die Parameter des Diskurses über die Nahost-Problematik zu bestimmen. Die Israelis können es daher nicht dulden, daß jemand ausschert. Sie werden alles in ihrer Macht stehende unternehmen, den Iren ihre Vorreiterrolle in Sachen BDS madig zu machen. Denn wenn es Irland gelingt, den Handel mit den jüdischen Siedlungen unter Hinweis auf deren Illegalität zu verbieten, könnte das Schule machen. Der Erhalt der Siedlungen und somit das zionistische Großprojekt wäre gefährdet. Das kann Israel nicht zulassen.

SB: Die Kampagne gegen BDS seitens Israels und dessen Unterstützern nimmt immer drastischere Formen an. In einzelnen Bundesstaaten der USA steht die öffentliche Werbung für BDS als vorgebliches Haßverbrechen inzwischen unter Strafe. Beim Kongreß in Washington liegt ein Gesetzesentwurf vor, der Werbung für die BDS-Kampagne als Antisemitismus brandmarkt. Sind Sie oder andere Mitglieder der IPSC mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert worden? Haben Sie und Ihre Mitstreiter Erfahrungen mit israelischen Propagandisten im Netz und den sozialen Medien gemacht? Zum Beispiel hat es in den letzten Monaten mehrere Fälle gegeben, in denen die Israelis und ihre Freunde Online-Umfragen irischer Medien manipuliert haben. Ende letzten Jahres fand eine Umfrage auf der Webseite der Irish Times statt, ob die palästinensische Fahne aus Solidaritätsgründen über dem Dubliner Stadtratsgebäude gehißt werden sollte, und im vergangenen Mai fragte die Onlinezeitung thejournal.ie ihre Leser, ob Irland den Eurovision Song Contest im kommenden Jahr in Israel boykottieren sollte. In beiden Fällen lag zunächst die Zustimmungsquote bei mehr als 60 Prozent bis es zu einem ungewöhnlich hohen Besucherverkehr aus dem Ausland, hauptsächlich aus den USA, kam, der für eine Pattsituation zwischen Ja- und Nein-Stimmen sorgte.

RD: Der Widerstand in der EU gegen die BDS-Kampagne ist sehr stark. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien gibt es bereits verschiedene Initiativen, das öffentliche Eintreten für BDS zu diffamieren, indem man es auf die gleiche Stufe wie die Äußerung oder Verbreitung antisemitischer Ansichten stellt. Ungeachtet der historischen Tatsache, daß in Irland der Begriff Boykott geprägt wurde - von armen Pächtern an der Westküste um 1880 im Kampf gegen den von ihnen als grausam empfundenen Captain Charles Boycott, den Gutsverwalter des Grafen von Erne -, hat sich die Regierung in Dublin gegen BDS als Mittel, Israel zu einem gerechteren Umgang mit den Palästinensern zu bewegen, ausgesprochen. Doch gleichzeitig hat die irische Regierung stets das Recht der eigenen Bürger, sich für BDS stark zu machen und zu engagieren, verteidigt - auch gegen Kritik aus Israel. So gesehen hat man es in Irland als Unterstützer der Palästinenser leichter als in vielen anderen europäischen Staaten. Hier muß man sich nicht ständig mit öffentlichen Angriffen seitens irgendwelcher Zionisten herumplagen, wie es anderswo in der EU der Fall ist.

Anhand der Verabschiedung von Frances Blacks Gesetzesentwurf kann man erkennen, daß die Solidarität mit den Palästinensern und eine kritische Haltung gegenüber Israel im irischen Parlament parteiübergreifend sind. Wäre ich ein Zyniker, könnte ich auf die Idee kommen, daß die Möglichkeit, daß das geplante Gesetz aufgrund von EU-Recht keine praktische Anwendung finden wird, einige Senatoren dazu bewogen hat, bei der Abstimmung für den Entwurf zu votieren. Sie können sozusagen Sympathie für die Lage der Palästinenser zeigen, ohne gleich befürchten zu müssen, Ärger mit bestimmten Kreisen in den USA zu bekommen. Was die Aktivität der Hasbaraisten in den sozialen Medien betrifft, so ist die gezielte Manipulation von Umfragen zugunsten Israels kein Geheimnis. Die Aktionen sind so plump, daß sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre Urheber lenken und von daher eher kontraproduktiv sind. Wir von der IPSC sind Anfeindungen im Netz und den sozialen Medien gewohnt. Sie haben keine besondere Wirkung. Wir ignorieren sie einfach.

SB: Dem überraschenden Wahlsieg des Populisten Donald Trump in den USA und dem Vormarsch nationalchauvinistischer Kräfte in der EU ist bereits vor Jahren ein deutlicher Rechtsruck in der israelischen Politik unter Akteuren wie Ariel Sharon, Benjamin Netanjahu, Avigdor Lieberman und Naftali Bennett vorausgegangen. Muß man nicht vor diesem Hintergrund den Kampf um die Rechte der Palästinenser als wesentlichen Bestandteil des Strebens nach Multilateralismus, der Einhaltung internationaler Gesetze und Verträge einschließlich der UN-Charta und gegen Rassismus und Demagogie weltweit ansehen?


Raymond Deane am Kaffeetisch im Irish Film Institute - Foto: © 2018 by Schattenblick

Raymond Deane
Foto: © 2018 by Schattenblick

RD: Besser hätte ich es nicht formulieren können. (lacht)

SB: Entschuldigung, wenn die These etwas weit gefaßt ist. Aber ich denke, Sie verstehen, worauf sie hinausläuft?

RD: Ich glaube schon. Die Israelis und ihre Verbündeten werfen ständig die Frage auf, warum so viele Menschen Kritik an Israel üben und sich überhaupt für das Thema Palästina interessieren, wenn so viele andere grausame und zum Teil vielleicht auch schlimmere Dinge auf der Welt passieren. Nun, der eine Grund ist, wie Sie selbst angedeutet haben, daß der Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern für so viele andere Politikbereiche von Bedeutung ist. Das beste Beispiel sind die gemeinsamen hegemonialen Bestrebungen der USA und Israels im Nahen Osten. Der zweite Grund für das starke Interesse vieler Europäer am Schicksal der Palästinenser ist der Umstand, daß die Regierungen der EU-Staaten durch ihre diplomatische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung Israels an der traurigen Lage im Nahen Osten direkt eine Mitschuld tragen. Sie unterstützen nicht nur Israel, sondern schauen dessen Verbrechen tatenlos zu.

Statt die rechtlichen Möglichkeiten aufzugreifen, welche zum Beispiel das Euro-Mediterranean Association Agreement (EMAA) mit Israel und das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag von 2004 zur Illegalität der israelischen Trennmauer im Westjordanland bieten, unterstützen sie die Israelis auf ganze Linie und lassen ihnen alles durchgehen. Darüber hinaus legen sie den eigenen Bürgern, welche die Einhaltung der Rechte der Palästinenser einfordern, Hindernisse in den Weg und behandeln sie wie halbe Kriminelle. Dadurch wird überall aus einem außenpolitischen Sachthema ein innenpolitischer Zankapfel. Viele Bürger der EU fühlen sich in bezug auf den Nahost-Konflikt von ihren Regierungen nicht vertreten, sondern im Gegenteil ignoriert.

An der Stelle stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck der Demokratie. Wozu wählen, sich engagieren et cetera, wenn am Ende die Regierung einfach das tut, was sie ohnehin will? Letzten Endes ist die BDS-Kampagne auf die Untätigkeit der westlichen Regierungen gegenüber Israel zurückzuführen. Der Drang zivilgesellschaftlicher Gruppen, Israel zu boykottieren, wäre nicht entstanden, hätten die Regierungen der EU-Staaten ihre Aufgaben erledigt und Israel zum Beispiel mittels ökonomischen Drucks zu einem gemäßigteren Kurs gegenüber den Palästinensern gezwungen oder ihre rechtlichen Möglichkeiten, israelische Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht zu ahnden, in Gebrauch genommen. So wie die Dinge bisher laufen, haben die Israelis das Gefühl, daß sie sich alles erlauben können, daß sie niemals zur Rechenschaft gezogen werden bzw. daß es für sie niemals rechtliche Konsequenzen gibt. Insofern stimmt Ihre Eingangsthese, daß der Nahost-Konflikt im Mittelpunkt des Kampfes um die Aufrechterhaltung und die Durchsetzung gültiger internationaler Rechtsnormen steht, an die sich alle Staaten zu halten haben.

SB: Inwiefern, wenn überhaupt, stellen Staaten wie der Iran für Israel eine echte Gefahr dar oder dient die Dauerthese von der "existentiellen Bedrohung" des jüdischen Staats durch Nachbarländer nicht ausschließlich dazu, vom fortgesetzten Raub palästinensischen Territoriums durch die jüdischen Siedler und die israelischen Behörden abzulenken?

RD: Um außenpolitisch aggressiv agieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Innern garantieren zu können, braucht fast jeder Staat ein Feindbild. Da ist Israel nicht anders als die meisten anderen Staaten. Nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Wegfall der Sowjetunion als Gegner ab 1991 entdeckten die USA und Israel im "islamischen Terrorismus" die neue große Bedrohung. Seitdem hört man in Medien und Politik das Wort "islamisch" fast nicht mehr, ohne daß im gleichen Atemzug von "Terrorismus" die Rede wäre. Jahrelang galten ominöse Freischärlergruppen wie Al Kaida oder der Islamische Staat als Hauptvertreter des "islamischen Terrorismus". Seit diese beiden Organisationen scheinbar an Kampfkraft verlieren, bauschen Washington und Tel Aviv jetzt den schiitischen Iran zur Urquelle nicht nur des islamischen, sondern des internationalen Terrorismus schlechthin auf. Es wird behauptet, die Iraner hätten mehrmals damit gedroht, Israel "von der Landkarte zu tilgen" - eine These, die nachweislich nicht der Wahrheit entspricht.

Die Islamische Republik Iran wird seit 1979 von einem Regime geführt, das ich persönlich vollkommen abstoßend finde. Dessen ungeachtet verblassen die Missetaten der Führung in Teheran im Vergleich zu denjenigen Tel Avivs. Im Iran gibt es massive Polizeirepression gegen Oppositionelle, die Todesstrafe für Schwerverbrecher und vieles mehr, was ich nicht gutheißen kann. Doch die Verhältnisse im Iran, so repressiv sie auch für Frauen sein mögen, lassen sich nicht mit dem Umgang Israels mit den Palästinensern auf eine Stufe stellen. Israel hält die palästinensischen Gebiete besetzt, baut die illegalen Siedlungen im Westjordanland kontinuierlich aus, steckt Palästinenser, darunter Kinder, ohne Anklage ins Gefängnis und foltert sie dort. Regelmäßig verüben die israelischen Streitkräfte Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza. Der Iran bedroht Israel nicht wirklich, sondern bedient sich bei seiner Kritik am jüdischen Staat häufig einer drastischen Rhetorik. Die Iraner sind nicht so dumm, daß sie gezielt einen militärischen Konflikt mit Israel, das schließlich eine Nuklearmacht mit einem beträchtlichen Atombombenarsenal ist, provozierten. Doch Israel behauptet unentwegt, der Iran sei eine "existentielle Bedrohung" und der eigentliche Unruhestifter in der Region, um davon abzulenken, was den Palästinensern angetan wird. Die Rolle des großen Feinds hat Israel dem Iran zugewiesen, nachdem 2003 die Streitkräfte der USA und Großbritanniens unter fadenscheinigen Gründen in den Irak einmarschiert sind und das "Regime" Saddam Husseins gestürzt haben.


Eine Gruppe Zionisten schwenkt israelische Fahnen vor dem irischen Parlament - Foto: © 2018 by Schattenblick

Israels Freunde machen mobil
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Was halten Sie von dem größten "peace deal" aller Zeiten, den US-Präsident Donald Trumps Schwiegersohn und Sonderberater Jared Kushner den Palästinensern aufzuzwingen versucht? Wird es den USA mit Hilfe Israels, Saudi-Arabiens und Ägyptens gelingen, den aktuellen Zwist zwischen der Fatah und der Hamas zu nutzen, um Westjordanland und Gazastreifen für immer voneinander zu trennen?

RD: Ich würde am liebsten mit Nein antworten, denn der Deal der Trump-Regierung, wie er sich aktuell abzeichnet, ist für die Palästinenser derart nachteilig, daß kein palästinensischer Politiker es wagen dürfte, ihn anzunehmen. Doch bei den Apparatschiks der Fatah in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah im Westjordanland weiß man es nie. Sie plustern sich immer wieder auf und empören sich über dies und jenes, nur um am Ende doch klein beizugeben. Bestimmt gibt es auch bei der Hamas in Gaza Opportunisten, die bereit wären, den Weg des vermeintlich kleineren Übels einzuschlagen. Doch aktuell ist die Zeit dafür nicht reif. Das Opfer, welches die Bewohner des Gazastreifens seit Ende März jeden Freitag beim Rückkehrmarsch am Grenzzaun zu Israel bringen, ist zu groß, das Leid - mehr als hundert Tote und Tausende von Verletzten und Verkrüppelten - zu unermeßlich. Die palästinensische Bevölkerung würde es nicht hinnehmen, wenn Fatah oder Hamas sie an Trumps Laufburschen Kushner ausverkauften.

Die Vorstellung Kushners, der wie sein Schwiegervater aus der New Yorker Immobilienbranche kommt und über keine diplomatische Erfahrung verfügt, daß man den Nahostkonflikt einfach mit Geld aus der Welt schaffen könnte, ist absurd. Shimon Peres hatte dieselbe Idee beim Abschluß der Osloer Verträge Anfang der neunziger Jahre - und es hat auch nicht funktioniert. Man kann keinen "ökonomischen Frieden" stiften, solange weiterhin politische Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt herrschen.

SB: Wie schätzen Sie die Rolle ein, die Kairo und Riad in den Plänen Trumps, Kushners und Netanjahus spielen? Wie lange können die USA und Israel die Diktaturen in Ägypten und Saudi-Arabien noch stützen? Schließlich scheint der große Rückkehrmarsch der Palästinenser am Grenzzaun von Gaza nur ein weiterer Ausdruck jener allgemeinen Unzufriedenheit in der arabischen Welt zu sein, die 2011 an die Oberfläche drang, ohne daß die Gründe ihrer Entstehung unter den einfachen Menschen bis heute beseitigt worden wären.

RD: Es ist unbestreitbar, daß die Gründe, die vor sieben Jahren zum Ausbruch des Arabischen Frühlings führten, etwa politische Unterdrückung und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, nach wie vor in der gesamten Region vorhanden sind. Die Lage der Palästinenser mit der israelischen Fremdherrschaft ist jedoch eine gänzlich andere als die der Menschen in den arabischen Staaten. Was Ägypten und Saudi-Arabien betrifft, so ist deren äußerlich zur Schau getragene Unterstützung der Palästinenser keinen Pfifferling wert. Die Generalität in Kairo und die Monarchie in Riad werden den Palästinensern den Rücken kehren, sobald es für sie opportun ist. Kushner ist gerade dabei, mit beiden Eliten über den Preis des Verrats zu verhandeln. Insofern wäre ich überhaupt nicht optimistisch, was die Chancen eines erfolgreichen Volksaufstands gegen die Regime in Ägypten und Saudi-Arabien betrifft. Dafür ist die militärische Rückendeckung, welche die Generäle Ägyptens und das Haus Saud genießen, viel zu stark.

SB: Wir bedanken uns sehr, Raymond Deane, für das Interview.


Außenfassade des im georgianischen Stil gebauten Sitzes des IFI - Foto: © 2018 by Schattenblick

Das Irish Film Institute in Dublins Eustace Street
Foto: © 2018 by Schattenblick

9. August 2018


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