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INTERVIEW/036: Irlands neuer Widerstand - Widerstand der Zukunft ...    Mick Wallace im Gespräch (SB)


Interview mit Mick Wallace, Dublin, 29. Mai 2015


Als Mick Wallace 2011 als unabhängiger Abgeordneter in das Parlament in Dublin einzog, wußten die meisten Menschen in Irland nicht, was sie von ihm halten sollten. Sein langes graues Haar samt Bart, sein Ohrring und sein rosarotes Polohemd, das durch die strikte Weigerung, sich der Kleiderordnung des Hohen Hauses anzupassen, sein Markenzeichen geworden ist, deuteten auf einen Politiker neuen Typs hin, der das Leben der Vertreter der etablierten Parteien Fianna Fáil, Fine Gael und Labour ungemütlich machen könnte. Dies ist Wallace, der wegen seiner langjährigen Tätigkeit als Fußballtrainer diverser Jugendmannschaften in seinem heimatlichen Wexford beliebt ist, auch vollends gelungen. Ungeachtet einer Kontroverse um die Umstände des Konkurses seiner Baufirma hat Wallace 2013 unter Inanspruchnahme seiner Immunität als Parlamentarier pikante Einzelheiten eines lange vertuschten Skandals um Korruption und Amtsmißbrauch bei der irischen Polizei öffentlich gemacht. Beim Versuch, die Affäre zu vertuschen bzw. Wallace in Mißkredit zu bringen, ist der damalige Justizminister Alan Shatter dermaßen übers Ziel hinausgeschossen, daß er und Polizeipräsident Martin Callinan 2014 zurücktreten mußten. Wegen seiner Bereitschaft, schwierige Themen anzupacken und die Dinge beim Namen zu nennen, genießt Wallace bei den meisten Iren inzwischen hohes Ansehen. [1]

Seit einiger Zeit erhebt der ehemalige Bauunternehmer im Parlament schwere Vorwürfe wegen Insider-Geschäften in Verbindung mit der irischen Bad Bank, National Asset Management Agency (NAMA). Inzwischen untersucht die britische Kriminalpolizei die Hintergründe des größten Immobiliengeschäfts der irischen Geschichte - den Verkauf von 850 Grundstücken und Gebäuden in Nordirland, auch "Project Eagle" genannt, für 1,7 Milliarden Euro an den US-Investmentfonds Cerberus. Ursprünglich hatte das Paket einen Bilanzwert von mehr als fünf Milliarden Euro. Es besteht der Verdacht, daß der eine oder andere Politiker in Nordirland "Provisionen" aus dem Deal in Höhe von insgesamt sieben Millionen Pfund (zehn Millionen Euro) erhalten hat. Als möglicher Empfänger solcher Gelder wird in der irischen und britischen Presse Nordirlands Erster Minister Peter Robinson, der auch Vorsitzender der Democratic Unionist Party (DUP) ist, gehandelt. Am 29. Mai sprach der Schattenblick mit Mick Wallace im Café Cagliostro in dem von ihm gebauten Italian Quarter an der Bloom's Lane in Dublin.


Mick Wallace im rosaroten Polohemd vor dem Café Cagliostro in der Bloom's Lane - Foto: © 2015 by Schattenblick

Mick Wallace
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Wallace, ein Teil der irischen Öffentlichkeit hält Sie für genauso ein Schlitzohr wie Seanie Fitzpatrick und David Drumm, die ehemaligen Chefs der Pleitebank Anglo Irish, oder die Baulöwen Bernard McNamara, Johnny Ronan und Richard Barrett, deren Firmen mit Milliardenschulden in die Brüche gingen, und all die anderen Hauptverursacher der Immobilienblase samt anschließender Finanzkrise. Was sagen Sie sie zu diesem Vorwurf?

Mick Wallace: Ich würde sagen, daß der Vergleich ungerecht ist. Bernard McNamaras Baufirma ging mit Schulden von rund 1,5 Milliarden Euro pleite. Der Kollaps kostete den Steuerzahler zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro. Der Konkurs meines Bauunternehmens hat den Staat bisher nur 1,4 Millionen Euro gekostet. McNamara hat sein Insolvenzverfahren 2012 in Großbritannien absolviert, konnte deshalb nach nur einem Jahr eine neue Firma gründen und führt bereits wieder große staatliche Bauaufträge durch. Die Tatsache, daß er so etwas machen konnte und ich nicht, beweist für mich, daß unsere Fälle nicht vergleichbar sind.

SB: Wer war nach Ihrer Meinung hauptverantwortlich für die damalige Immobilienblase - die Erschaffer des Euros, die Europäische Zentralbank, die eine niedrige Zinspolitik zu einer Zeit, die für Irland ungünstig war, verfolgte, oder die Kamarilla aus Bauunternehmern, Bankenchefs und Politikern in Irland selbst?

MW: Auf dem Höhepunkt des Baubooms hatten die Aktiva unserer Firma einen Wert von rund 80 Millionen Euro. Innerhalb von 15 bis 18 Monaten fiel der Wert auf rund 20 Millionen Euro. Die Ursache dieses Werteverfalls war die internationale Bankenkrise. Die Staaten in verschiedenen Teilen der Welt, Irland eingeschlossen, entschieden, die Banken mit Steuergeldern zu retten. Angesichts der Tatsache, daß die betroffenen Banken insolvent waren, hat die Krise die Vermögenswerte weltweit - meine eingeschlossen - nach unten gedrückt. Gab es damals eine Krise in der Baubranche? Da bin ich mir unschlüssig, aber es gibt mit Sicherheit jetzt eine. Errichteten wir damals zu viele Einheiten? Vielleicht. Aber wenn man bedenkt, daß derzeit eine ungeheure Knappheit an Wohnungen herrscht, müßte man sagen, daß wir nicht eine absolut verrückte Anzahl bauten. Der aktuelle Wohnungsmangel ist eine direkte Folge des ungeheuren Rückgangs der Bauaktivität in Irland in den letzten fünf bis sechs Jahren.

Im Vorfeld des Crashs wurde der Immobilienmarkt in Irland durch billige Kredite angeheizt, der die Preise nach oben trieb. Leute denken, daß die Bauunternehmer ein Vermögen machten, aber dem ist nicht so. Die Baubranche verdiente gut - keine Frage. Aber das wirklich große Geld wurde damals mit Immobilien - durch Spekulation, Auflassung und insbesondere die Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen in Bauland - gemacht.

Damals habe ich ein Baugrundstück pro Jahr gekauft. Blieb der Preis stabil zwischen dem Zeitpunkt, als ich kaufte, bis zu dem, als ich weiterverkaufte, habe ich nicht viel daran verdient. In Irland ist das Bauen traditionell teuer. Während des Booms war es wegen einer Knappheit an Handwerkern besonders teuer. Sie haben das Doppelte des Üblichen verdient. Gute Zimmerleute zum Beispiel bekamen etwa zwischen 35 und 60 Euro die Stunde. Doch das große Problem war - und ist - Land Banking, d. h. Immobilienspekulation. Auf dem Höhepunkt des Baubooms habe ich für ein Grundstück in der Größe 0,08 Hektar in Dominick Street, in einem heruntergekommenen Teil der Dubliner Innenstadt, fünf Millionen Euro bezahlen müssen. Mit anderen Worten, damals kostete Bauland in einem Dubliner Arbeiterviertel mehr als 60 Millionen Euro pro Hektar. Wollte man weiter in Dublin bauen, mußte man solche riesigen Summen bezahlen. In der Regel habe ich Grundstücke in Arbeitervierteln gekauft, denn ich konnte es mir nicht leisten, welche in den besseren Teilen der Stadt, wo das Bauland noch viel teurer war, zu kaufen. Ich hätte dafür die Finanzierung nicht bekommen.

2006 habe ich erlebt, wie Grundstücke mit einer Baugenehmigung für zehn Wohnungen den Besitz für 2,2 Millionen Euro wechselten. Das läuft auf 220.000 Euro per Einheit hinaus. Der eigentliche Bau der Wohnung kostete uns mindestens 200.000 Euro. Ich mußte zudem mehr als die Konkurrenten für mein Geld bezahlen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Darlehen mit einem Zinssatz von weniger als sechs Prozent bekommen zu haben. Man hat mich nicht als sichere Investition betrachtet. Ich war nicht der typische Bauunternehmer. Ich trug keinen Anzug. Mein Haar war wahrscheinlich etwas zu lang. Und auch damals war ich als Kritiker der politischen Verhältnisse in diesem Land bekannt gewesen. Also fiel es mir niemals leicht, an Geld heranzukommen. Und wenn ich es bekommen habe, mußte ich stets über Gebühr bezahlen. Also bei einem Grundstückspreis per Einheit von rund 200.000 Euro, Baukosten in gleicher Höhe, Anwaltsgebühren et cetera lagen die Gesamtkosten per Wohnung bei rund 450.000 Euro. Gelang es, die Wohnung gleich nach Bauabschluß für 500.000 zu verkaufen, konnte man sich glücklich schätzen. Dauerte dagegen der Verkauf doch länger, konnte man sehr schnell in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

SB: Woher kommt Ihr Interesse an der Politik? War Ihre Entscheidung, sich um einen Sitz im Parlament zu bemühen der Versuch, sich finanziell und rechtlich zu retten?

MW: Als finanzielle Rettung würde ich den Gang in die Politik nicht bezeichnen. Ich habe im Baugewerbe an manchen Tagen mehr verdient als in einem ganzen Jahr als Abgeordneter. Also war es nicht das Geld, das mich in die Politik getrieben hat. Ich habe mich immer für Politik interessiert. Als ich in Wexford aufwuchs, war in unserer Familie das tägliche Politgeschehen häufig das Gesprächsthema. Als ich 17 war, ging ich für den Sommer arbeiten auf dem Bau in den USA. Danach reiste ich für vier oder fünf Monate in Lateinamerika herum. Als Jugendlicher hatte ich eine ganze Reihe von Büchern über die Geschichte der Region gelesen, darunter über die Revolution auf Kuba und die Karrieren von Che Guevara und Fidel Castro.

Tatsächlich befand ich mich in Südamerika, als die chilenische Regierung Salvador Allendes vom Militär mit Hilfe der CIA gestürzt wurde. Ich war auch in Bolivien, als das Militär dort mit Unterstützung der U. S. Rangers einen Streik der Bergbauarbeiter brutal niederschlug - etwas, worüber in den westlichen Medien nicht berichtet wurde. Also habe ich mit eigenen Augen gesehen, was die jüngste Version des Imperialismus mit den einfachen Menschen in Südamerika tat und welche Folgen es für sie hatte. Sie lebten in schrecklicher Armut, während der Mineralienreichtum ihrer Länder in die USA und nach Europa exportiert wurde. Die Politiker der Region wie Hugo Banzer und Augusto Pinochet unterdrückten die eigenen Landsleute, während die ausländischen Unternehmen Mineralien wie Zinn und Kupfer gegen ganz wenig Geld abbauen und ausführen durften.

Ich war immer an Politik und der Frage, wie die Welt funktioniert, interessiert. Meine Entscheidung, in die Politik einzusteigen, war nicht finanziell motiviert. Selbst nachdem meine Baufirma pleite ging, hatte ich immer noch ein paar Weinlokale zu betreiben. Des weiteren hätte ich eine gutbezahlte Stelle bei jedem großen Baukonzern bekommen können, hätte ich es gewollt.

SB: Entschlossen Sie sich, bei der Parlamentswahl zu kandidieren, weil Sie glaubten, die Menschen in Wexford besser vertreten zu können als die Politiker, die schon da waren?

MW: Wenn ich um mich schaute, konnte ich sehen, daß die irische Gesellschaft sehr schlecht und sehr ungerecht organisiert ist. Ich bin zudem der Meinung, daß die irischen Wähler durch ihre lokalen Parlamentsabgeordneten sehr schlecht vertreten werden. Die Art, wie die meisten irischen Politiker ihre Aufgaben erfüllen, ist erbärmlich, meiner Meinung nach. Ich mache keine Kirchturmpolitik - ich halte keine Sprechstunden ab, besuche keine Trauerfeier und nehme an keinen Eröffnungen teil. Ich betrachte mich als nationalen Politiker, denn ich wurde in ein nationales Parlament gewählt. Es stimmt, es waren die Leute von Wexford, die mich gewählt haben, doch wenn ich mich zu nationalen Themen äußere, befasse ich mich auch mit Themen, die sie betreffen. Selbstverständlich habe ich mich involviert in eine Anzahl von Themen in meinem Wahlbezirk, welche die Bevölkerung im allgemeinen tangieren. Ich halte es nicht für meine Aufgabe als Parlamentsabgeordneter, mich um die Behebung von Schlaglöchern zu kümmern oder eine Baugenehmigung für den einen oder anderen Wähler zu organisieren. Zwei der übrigen vier Abgeordneten für den Wahlbezirk Wexford, mit anderen Worten meine politische Gegner, prahlen damit, daß sie jeweils zehn Trauerfeiern pro Woche besuchen. Das sind 500 im Jahr oder 2000 seit sie 2011 gewählt wurden. Ich habe letztes Jahr vier Trauerfeiern und siebzehn insgesamt, seit ich gewählt worden bin, besucht.

SB: Da drängt sich die Frage auf, ob die Verfechter der Kirchturmpolitik noch Zeit für etwas anderes haben.

MW: Eines kann ich Ihnen versichern. Hätte ich 2000 Trauerfeiern in den letzten vier Jahren besucht, hätte ich keine Zeit gehabt, fünf- oder sechsmal die Woche im Parlament eine Rede zu halten.


Blick vom Anfang der Kildare Street aus auf das dreistöckige, neoklassische Parlamentsgebäude - Foto: © 2015 by Schattenblick

Leinster House - Sitz des irischen Parlamentes
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Haben Sie noch irgendwelche Beteiligungen im Bau- oder Immobiliensektor?

MW: Es gibt Aktiva unter meinem Namen, aber die sind alle beschlagnahmt worden bzw. das Verfahren läuft bereits. Momentan sieht es so aus, als würde ich meinen Wohnsitz verlieren, denn die Banken versuchen ihn mir abzunehmen. Da werden wir sehen müssen, wie sich die Dinge entwickeln. Als die Krise begann, hatte ich 76 Einheiten oder verschiedene Wohnungssorten. Die sind alle weg.

SB: Sie sagten jedoch, Sie hätten noch ein paar Weinlokale?

MW: Sie sind gepachtet. Solange ich die Pacht bezahlen kann, sei es an eine irische Bank oder einen US-Investitionsfonds, kann ich ich sie weiter betreiben.

SB: Wie ist ihre Meinung zur irischen Bad Bank NAMA und was sagen Sie zu den Gerüchten, daß dort Insidergeschäfte im riesigen Stil stattfinden.

MW: Auf jeden Fall scheinen die Gerüchte einiges an Substanz zu haben. Als im Dezember 2009 die damalige Koalitionsregierung aus Fianna Fáil und den Grünen NAMA schuf, galt als das Primärziel die Rettung des Systems. Es war ein Mechanismus, um den Banken die risikobehafteten Aktiva zu einem reduzierten Preis abzunehmen. Der Bilanzwert der Aktiva, die NAMA übernahm, belief sich auf grob 73 Milliarden Euro. NAMA hat dafür ungefähr 31 Milliarden Euro bezahlt. Der entstandene Verlust wurde auf die Steuerzahler abgewälzt. Obwohl NAMA eine staatliche Agentur ist, scheint es, als hätte sich die Leitung dort zum Ziel gesetzt, die 31 Milliarden - statt die 73 Milliarden - wieder hereinzuholen. Später prahlten sie damit, sie hofften nach dem Abschluß ihres Auftrags einen Profit von einer Milliarde gemacht zu haben. Nun, einen Gewinn auf den Verkauf von Vermögenswerten, die den Staat 73 Milliarden Euro gekostet haben und die NAMA für 31 Milliarden gekauft haben, kann man schwer als Beispiel guten Geschäftssinns bezeichnen.

Zu Beginn behaupteten sie, sie würden keinen Räumungsverkauf veranstalten, sondern wollten warten, bis die Aktiva in etwa ihre alten Bilanzwerte erreicht hatten. Doch es dauerte nicht lange, bis sie ihre Meinung änderten und anfingen, alles an jeden, der Geld hatte, zu veräußern. Die Leute, die in den ersten Jahren der Finanzkrise immer noch Geldreserven hatten, haben sich wie die Geier benommen. Sie haben den Kadaver namens Irland bis auf die Knochen abgenagt.

SB: Sprechen wir hier von ausländischen oder irischen Finanzinteressen?

MW: Es waren nicht viele irische Firmen oder Individuen beteiligt. Es waren hauptsächlich ausländische Investitionsfonds, welche NAMA und den irischen Banken die risikobehafteten Vermögenswerte abnahmen. Das war aus mehrfacher Hinsicht problematisch. Aus der Perspektive des irischen Steuerzahlers wurden die Aktiva zu schnell und zu einem zu niedrigen Preis abgestoßen. Dies war besonders der Fall, nachdem im Frühjahr 2011 die Koalitionsregierung aus Fine Gael und der Labour Party an die Macht kam. Fine Gael, der größere Koalitionspartner, verfolgt eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Sie waren sehr darauf erpicht, daß NAMA ihre Bilanzbücher in Ordnung brachte, die Aktiva so schnell wie möglich weiterverkaufte und ausländische Investoren ins Land holte. Als Resultat dessen erleben wir heute, wie die Aktiva, die in den letzten zwei oder drei Jahren von NAMA gekauft wurden, mit Riesengewinn weiterverkauft werden. Einige der Vermögensübertragungen finden zwischen ausländischen Investitionsfonds statt. An anderen sind irische Geschäftsinteressen, die über politische Verbindungen verfügen, beteiligt.

Eines der großen Probleme bei NAMA und deren Operationen, insbesondere mit dem Ausschreibungsverfahren, besteht in dem Mangel an Transparenz. Sie weigern sich öffentlich bekanntzugeben, was im Angebot steht. Bis vor einem Monat war die Agentur nicht dem Informationsfreiheitsgesetz unterworfen. Wenn man als potentieller Käufer NAMA anruft und nach Informationen über eine bestimmte Immobilie in ihren Büchern fragt, werden sie ihnen sagen, daß das Objekt nicht mehr zum Verkauf stehe. Der Grund sind Insider-Deals. Jemand anderes macht damit ein Amigo-Geschäft.

Ich habe mir am 15. Januar 2014, vor fast eineinhalb Jahren, im Dáil mit Finanzminister Michael Noonan einen Streit über REITS (Real Estate Investment Trusts) - ein Vehikel, das er kreiert hatte, geliefert. Nach diesem Programm, muß ein ausländischer Investor in Irland, wenn er eine Immobilie kauft, auf die Mieteinnahmen keine Steuern bezahlen, solange er 85 Prozent der Dividende an die Aktionäre auszahlt, was ganz leicht zu organisieren ist. Er zahlt auf die Immobilien keine Kapitalertragssteuer, solange er sie sieben Jahre lang im Besitz hält. Im Grunde genommen sind die Geschäfte nach dem REITS-Programm steuerfrei. Für ausländische Investoren war das natürlich hoch attraktiv. Das Ergebnis des Programms ist jedoch, daß ein großer Teil des Mietmarktes für Büros, Läden und Wohnungen in Irland, insbesondere in Dublin, von sechs oder sieben ausländischen Akteuren, die meisten von ihnen aus den USA, kontrolliert wird. Jene ausländischen Investoren haben auf dem irischen Mietmarkt ein Kartell gebildet. Die Lage ähnelt derjenigen früher mit dem Land Banking, als 26 Personen die ganzen Grundstücke in Dublin, deren Umwandlung in Bauland vorgesehen war, kontrollierten. Diese ausländischen Investoren haben die risikobehafteten Aktiva billig gekauft, nicht verkauft, sondern treiben statt dessen nun die Mietpreise hoch.

Vor zweieinhalb Jahren hat man für eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern in der Dominick Street 1000 Euro Monatsmiete bezahlt. Heute kostet dieselbe Wohnung 1400 Euro pro Monat. Der Grund für den drastischen Anstieg des Mietpreises ist eine Knappheit des Angebots. In den letzten Jahren gab es wenig Anreize fürs Bauen. Man konnte viel mehr Geld mit Immobilienspekulation und dem Aufkauf von Objekten, die bereits fertig gebaut waren, verdienen. Die mangelnde Bautätigkeit der vergangenen Jahre hat zu einer Knappheit an bezahlbarem Wohnraum geführt, Erstkäufern den Einstieg in den Wohnungsmarkt erschwert und eine dramatische Obdachlosigkeitskrise ausgelöst. Die Art, wie die Regierung mit dem Problem umgeht, wird die Lage nur noch verschärfen, meiner Meinung nach.

Im vergangenen Juni hat die Regierungskoalition eine neue Wohnungsbaupolitik vorgelegt, die mehr als nutzlos ist. Sie haben keine Ahnung, was sie da tun. Man fragt sich, wer sie berät. Auf jeden Fall scheinen sie nicht mit Leuten im Gespräch zu sein, welche die Industrie verstehen. Im irischen Bausektor haben wir unglaubliche Probleme zum Beispiel mit dem Typ und der Qualität der Häuser, die wir errichten sowie mit der Art, wie wir den weniger wohlhabenden Teil der Bevölkerung quasi in Ghettos gesteckt haben. Das sind sehr wichtige Themen. Leider werden sie nicht angegangen. Alan Kelly, der zuständige Minister für Umwelt, Gemeinwesen und Kommunalverwaltung, scheint mehr vom Briefmarkensammeln als von der Bauindustrie zu verstehen. Er selbst wird von Staatsbeamten beraten, die an Verbesserung nicht interessiert zu sein scheinen. Die Abneigung gegen Veränderungen geht auf die Macht bestimmter Interessensgruppen zurück, die von den herrschenden Verhältnissen profitieren.

SB: Seit im Frühjahr 2014 die Vorwürfe in bezug auf Fehlverhalten seitens der Polizei zum Rücktritt des Justizministers Alan Shatter und des Polizeipräsidenten Martin Callinan führten, erlebt Irland eine ganze Welle politisch motivierter Überwachung und Einschüchterung der Teilnehmer der massiven Proteste gegen die Installation von Wasserzählern unter dem Bürgersteig vor ihren Wohnungen durch die staatlichen Ordnungshüter. Wie ist der Stand im Skandal um Fehlverhalten bei der Polizei und wie könnte seine Bewältigung zu einer sinnvollen Reform der Garda Síochána führen?

MW: Als Shatter und Callinan zum Rücktritt gezwungen wurden, fühlten wir uns, meine Mitabgeordnete Clare Daly und ich, mit Recht bestätigt, da wir großen Anteil daran gehabt hatten, die Informationen von den beiden Garda-Whistleblowern Maurice McCabe und John Wilson öffentlich bekanntgemacht zu haben. 18 Monate lang, bis zum dramatischen Rücktritt des Justizministers und seines Polizeichefs hatten die großen Medien in Irland die Bedeutung der Vorwürfe der Korruption und des Fehlverhaltens bei der Garda Síochána heruntergespielt. Von der Entwicklung seitdem sind wir enttäuscht. Die neue Polizeipräsidentin Nóirín O'Sullivan ist von der gleichen Art wie Callinan und hat praktisch nichts verändert. Am Anfang haben wir der neuen Justizministerin Frances Fitzgerald Raum gelassen, denn sie ist eine nette Person. Leider ist sie als Leiterin des Justizministeriums völlig ungeeignet. Jemand anderes hat dort das Sagen. Es hat kaum Veränderungen gegeben. Wir haben einen Polizeigesetzentwurf eingebracht, doch gelang es uns nur, rund zehn Prozent unserer Reformvorschläge durchzusetzen.

Das irische Polizeisystem ist extrem reformbedürftig. Leider gibt es daran seitens der Regierung kein Interesse, denn sie will weiterhin die Polizeiarbeit politisieren. Nóirín O'Sullivan tut so, als würde sie Änderungen in ihren Zuständigkeitsbereich vollbringen. Doch wenn man sieht, wie Whistleblower weiterhin behandelt werden, ist es offensichtlich, daß sich gar nichts verändert hat. Es ist allgemein anerkannt worden, daß die beiden ersten Whistleblower, McCabe und Wilson, mit ihrer Kritik recht hatten, ungeachtet der Tatsache, daß sie vom eigenen Berufsverband, der Garda Representative Association, niemals unterstützt wurden. Lange Zeit hat die GRA die Bedeutung der Mißstände, die McCabe und Wilson behoben sehen wollten, aktiv heruntergespielt. Ich habe vor wenigen Tagen zwei neue Whistleblower im Dáil empfangen. Die großen Medien haben aber nicht darüber berichtet. Sobald Shatter zurückgetreten war, waren sie an der ganzen Angelegenheit nicht mehr interessiert. Die Medien in Irland sind katastrophal, denn sie tragen das herrschende politische System zum Gutteil mit.

Für einen demokratischen Staat ist es ungesund, wenn die Politiker die Fäden bei der Polizei ziehen. Im Idealfall sollte die Polizei ihren Pflichten auf transparente Weise nachkommen, rechenschaftspflichtig sein und die Unterstützung der allgemeinen Bevölkerung genießen. Transparenz bzw. das Fehlen derselben in polizeilichen Angelegenheiten wirkt sich massiv auf die Funktionsweise des Staates aus. In Irland haben wir immer noch große Probleme, was die Art, wie die Polizei ihre Aufgaben erfüllt, betrifft. Leider sehe ich bei der Garda Síochána, im Justizministerium oder bei der momentanen Regierung nicht das geringste Verlangen nach echten Reformen im Gegensatz zu kosmetischen.

Dessen ungeachtet hat der ganze Skandal nach meinem Dafürhalten eine positive Wirkung gehabt. Die Menschen sehen die Polizei mit anderen Augen als früher. Ähnlich wie die Leute früher in Ehrfurcht vor der katholischen Kirche waren, haben sie auch bei Fehlverhalten seitens Angehörigen der Polizei ein Auge zugedrückt. Die Menschen begriffen nicht, wie korrupt und nicht-rechenschaftspflichtig die Gardaí waren. Als Folge der ganzen Affäre sind die Menschen etwas aufgeklärter und wollen tatsächlich eine ordentliche Polizei. Sie wollen es mehr als die Regierung oder die höheren Ränge der Polizei. Wird es dazu kommen? Mit der Zeit denke ich schon. Doch derlei Veränderung erfolgt meistens langsam. Bewaffnete Revolutionen werden einen Wandel viel dramatischer herbeiführen, doch wenn man den Weg über den parlamentarischen Prozeß nimmt, dauern solche Reformmaßnahmen einfach länger.

SB: Stehen noch irgendwelche rechtlichen Verwicklungen für Sie infolge Ihrer Beteiligung bei der Aufdeckung der verschiedenen Fälle polizeilichen Fehlverhaltens aus? Ziehen Sie Ex-Justizminister Shatter noch vor Gericht oder ist das inzwischen Schnee von gestern?

MW: Nein, die Angelegenheit läuft noch. Mir steht immer noch die Möglichkeit zu, den Fall gegen Shatter und das Justizministerium vor Gericht zu bringen. Shatter hat gegen das erste Urteil, demzufolge er gegen mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen hatte, Einspruch eingelegt. Das Urteil will er vor dem High Court anfechten, also müssen wir erst einmal den Ausgang jenes Verfahrens abwarten.

SB: In bezug auf eine weitere rechtliche Schwierigkeit, in die Sie sich selbst gebracht haben, könnten Sie uns über den Vorfall aufklären, bei dem Sie und Clare Daly im Juli vergangenen Jahres auf dem Rollfeld des Flughafens Shannon festgenommen wurden, und wie Sie die Angelegenheit bereinigt zu sehen erwarten - sowohl rechtlich für Sie, denn Sie sind deswegen angeklagt worden, als auch, was die diplomatischen Beziehungen zwischen Irland und den USA betrifft? Ich gehe davon aus, daß Sie die Aktion nicht als symbolische Geste durchgeführt haben, sondern weil Sie eine Änderung des derzeitigen Arrangements bezüglich der Nutzung des Flughafens durch das US-Militär erreichen wollten.

MW: Unser Planet erlebt in den letzten Jahren eine noch niemals dagewesene Militarisierung. Der US-Militärapparat ist zu keinem Zeitpunkt so mächtig gewesen. Er hat noch niemals soviel Schaden angerichtet. Das Ganze hat inzwischen ein Angst einflößendes Ausmaß erreicht. Ich bin der starken Meinung, daß Irland seine traditionelle Neutralität aufrechterhalten soll, die wir leider in den letzten Jahren scheinbar aufgegeben haben. Dessen ungeachtet haben unsere Politiker die Unverfrorenheit, sich im Parlament hinzustellen und zu behaupten, daß Irland weiterhin ein neutraler Staat ist. Doch wie können wir uns als neutral bezeichnen, solange wir es US-Militärmaschinen gestatten, auf dem Weg zu oder von irgendwelchen Kriegszonen Shannon zu benutzen?

Seit 2001 sind mehr als zweieinhalb Millionen US-Soldaten auf dem Flughafen von Shannon zwischengelandet. US-Militärflugzeuge benutzen Shannon täglich, um Soldaten, Waffen und Munition zu transportieren. Das ist illegal, denn die Nutzung des "neutralen" irischen Luftraums für den Transport von Kriegsmaterial verstößt gegen internationales Recht. Die zuständigen irischen Behörden weigern sich jedoch, die Flugzeuge zu durchsuchen, denn die Regierung in Dublin will nicht zugeben müssen, was sich dort drin befindet. Als sich die Labour-Partei in der Opposition befand, forderten ihre Abgeordneten dauernd, daß der Inhalt dieser Flugzeuge kontrolliert werden sollte. Doch sobald sie die Regierung mit Fine Gael bildeten, wollten sie solche Durchsuchungen nicht mehr. Was sagt uns das über die irische Politik? Es ist echt widerwärtig.

Ich denke, daß wir uns beim Prozeß gut verkauft haben. Wir mußten an vier verschiedenen Anlässen vor dem Ennis District Court erscheinen. Wir haben während des ganzen Verfahrens Notizen gemacht und hoffen ein Buch vor Ende des Jahres über die ganze Angelegenheit zu veröffentlichen.

SB: Also ist der Fall vorbei?

MW: Ja. Man hat uns des unbefugten Zutritts für schuldig gesprochen.

SB: Doch Sie haben damals erklärt, Sie würden die Geldstrafe nicht bezahlen. Ist das immer noch Ihre Position?

MW: Ja. Manche Leute haben die Aktion kritisiert und gesagt, es sei überheblich von uns, das Gesetz zu brechen, wenn es uns paßt. Vor Gericht haben wir argumentiert, daß wir über den Zaun geklettert waren, um das internationale Recht, das nationalen Gesetzen und Regularien vorgeht, durchzusetzen. Wir luden drei Personen in den Zeugenstand, die unter Eid aussagten, daß sie Waffen und Munition in den Flugzeugen gesehen hatten. Indem es die Flugzeuge nicht kontrolliert, verstößt Irland gegen internationales Recht. Da sich die staatlichen Behörden weigerten, ihren internationalen Pflichten nachzukommen, fühlten wir uns als Mitglieder des irischen Parlaments dafür verantwortlich, es zu tun. Richter Patrick Durkan hat uns unsere Aufrichtigkeit abgenommen und die Richtigkeit der Aussagen unserer Zeugen anerkannt, und dennoch gegen uns entschieden. Das Urteil war nicht nur enttäuschend, sondern auch schlecht, wenn man bedenkt, daß der Richter alle die Beweise, die wir vorbrachten, als wahrhaftig und akkurat akzeptierte und trotzdem eine Entscheidung fällte, die seinen eigenen Schlußfolgerungen widersprechen.

Vier verschiedene Ministerien - für Verteidigung, Justiz, Transport und Äußeres - sind in die Nutzung des Flughafens Shannon durch das US-Militär involviert und begnügen sich damit, die Verantwortung dafür sich gegenseitig zuzuschieben. Sie erzeugen damit nur eine Nebelwand. Es ist verrückt.

SB: Werden Sie das Urteil anfechten?

MW: Nein. Wir haben uns dagegen entschieden. Statt dessen werden wir die Geldstrafe nicht bezahlen. Der Richter sagte, wenn wir nicht bezahlten, kämen wir für 30 Tage ins Gefängnis. Aus Prinzip sind wir bereit, die 30 Tage Haft abzuleisten.


Blick von der Millenium Bridge auf Ormond Quay und Bloom's Lane - Foto: © 2015 by Schattenblick

Eingang am Ormond Quay zu Dublins neuem Italian Quarter
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Werden Sie bei der nächsten Parlamentswahl kandidieren? Wie würden Sie Ihre eigene Effektivität als Abgeordneter bewerten? Und wie könnten, Ihrer Meinung nach, Dáil und Senat am besten reformiert werden?

MW: Ich werde mich wahrscheinlich erneut zur Wahl aufstellen, trotz der Tatsache, daß die Politik die ungesündeste Arbeit ist, die ich jemals hatte, zudem zweifelsohne mit der schlechtesten Arbeitsatmosphäre.

SB: Warum nennen Sie sie ungesund?

MW: Ich weiß nicht, wie es für die anderen Abgeordneten ist, also kann ich nur für mich sprechen. Ich finde sie total aufsaugend. Sie beschäftigt mich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es gibt kein Entkommen davon. Nun, wahrscheinlich packe ich es anders an als viele meiner Kollegen.

SB: Jedenfalls besuchen Sie nicht allzu viele Trauerfeiern. (lacht)

MW: (lacht ebenfalls) Ich mache die meiste Recherchearbeit selbst. Ich halte im Dáil fünf- bis sechsmal in der Woche eine Rede. Nebenher haben wir einen Dauerdisput mit den Medien laufen, die kaum über unsere Arbeit berichten. Die Zeitung Irish Independent ist zwar schlimm, aber die Irish Times wird ihr mit jedem Tag ähnlicher. Beide Zeitungen berichten über uns nur, wenn wir in Schwierigkeiten geraten. Sie mögen nicht, was wir zu sagen haben. Wir wollen das System auf den Kopf stellen. Wenn ich sage 'wir', dann meine ich hauptsächlich mich selbst, Clare Daly und Luke "Ming" Flanagan, der nach drei Jahren im Dáil im letzten Frühjahr ins EU-Parlament gewählt wurde. Das, was mich am meisten enttäuscht und schockiert hat, als ich vor vier Jahren in den Dáil kam, war die Entdeckung, daß das Ganze für die meisten Politiker dort ein großes Spiel ist. Neunzig Prozent all dessen, was sie sagen, was sie tun und wie sie es tun, ist auf die Wiederwahl ausgerichtet. Wie traurig ist das? Werde ich bei einer erneuten Kandidatur wiedergewählt werden? Ich weiß es nicht.

SB: Nun, das letzte Mal haben Sie von allen Kandidaten im Bezirk Wexford die meisten Stimmen bekommen.

MW: Das stimmt. Aber diesmal wird es anders sein. Ich glaube nicht, daß sich die Steuer-Sache negativ auf meinen Stimmenanteil auswirken wird. Die meisten Leute, die mich kennen und die mit mir geschäftlich zu tun gehabt haben, erlebten mich als solide. Meine Firma hat mehr als zwanzig Jahre lang keine Steuerzahlung versäumt. Mir wurde vorgeworfen, die Rentenzahlungen für meine Mitarbeiter nicht entrichtet zu haben, was völlig unwahr ist. Ich mußte wegen verspäteter Zahlung, nicht wegen Nicht-Zahlung, wie es die Presse darstellte, eine Strafe bezahlen. Der Grund für die Verspätung war, daß der staatliche Rentenfonds darauf insistierte, daß ich für Leute Rentenzahlungen mache, die bereits sechs Monate zuvor entlassen worden waren. Ich mußte am Ende die Zahlungen machen, denn der Rentenfonds hat mich vor Gericht geschleppt, wissend, daß ich als Politiker im Rampenlicht stand und nur verlieren konnte.

Was die Steuern betrifft, die Firma hat eine 1,4 Millionen Steuerschuld nicht beglichen, weil wir das Geld nicht hatten. Seit 2008 und dem Platzen der Immobilienblase waren wir verpflichtet, die Einnahmen aus dem Verkauf der Wohnungen an die ACC Bank, die einen Gutteil unserer Bauprojekte finanziert hatte, weiterzuleiten. Um die Steuerschuld abzutragen, hätte ich die Firma veräußern müssen. Statt das zu machen, hatte ich gehofft, daß sich in zwölf Monaten die Dinge verbessern würden, was mich in die Lage versetzt hätte, die Steuerschuld zu begleichen. Leider ging der Kollaps im Bausektor noch weiter. Schließlich fiel der Wert der Firmenaktiva dermaßen tief, daß mir klar wurde, daß ich die Steuern nicht, wie geplant, würde bezahlen können. Das war der Punkt, wo ich mich mit dem Finanzamt in Verbindung setzte und den Leuten dort die Lage schilderte. Es gelang mir, eine Vereinbarung mit dem Finanzamt zu treffen, derzufolge ich die Steuerschuld mittels einer monatlichen Rate abtragen durfte.

Wenngleich es sehr schwer war, habe ich das dreizehn Monate lang gemacht, bis im Oktober 2011 die ACC bei meiner Firma den Stecker zog, indem sie sie vor Gericht schleppte und dort eine Verfügung erwirkte. Das war das Aus für die Firma, denn dadurch waren wir nicht mehr imstande, staatliche Aufträge zu bekommen, auf die wir eigentlich angewiesen waren. Die meisten Leute verstehen, wie das Geschäft läuft und verstehen meine Lage. Die meisten Menschen begreifen, daß ich kein Geld für mich selbst abgezweigt habe, ungeachtet des gegenteiligen von den Medien erzeugten Eindrucks.

Die schlechte Presse, die ich bekam, ist einer der Gründe, warum ich, falls ich wieder ins Baugeschäft einsteigen wollte, Hilfe von Leuten, die für mich bürgen, benötige, damit ein Finanzinstitut Geld in das Projekt investiert. Gleichzeitig gibt es andere Bauunternehmer, die den Staat eine Menge Geld kosteten, die Pleite gingen, nun aber wieder im Geschäft sind, große staatliche Aufträge durchführen, und niemand läßt ein schlechtes Wort über sie fallen. Jeder kann die Menschen, die früher für mich arbeiteten, fragen, wie ich sie behandelte, oder die Leute fragen, die ein von meiner Firma gebautes Objekt kauften, wie die Qualität ist. Ich bin stolz auf das, was meine Firma in der Bauindustrie geleistet hat. Ich bin auf jedes Gebäude, das wir errichtet haben, stolz. Lange nachdem ich tot bin, werden sie weiter stehen.

Die meisten Menschen, die 2011 in Wexford für mich gestimmt haben, wissen, wie ich mich benehme. Sie kennen mich als Person, daher glaube ich nicht, daß sie sich von der Steuergeschichte beeindrucken lassen werden. Die Tatsache, daß ich keine Kirchturmpolitik betreibe, könnte für viele Leute ein negativer Faktor sein, denn sie werden sagen: 'Wir haben Sie gewählt, Sie sollten uns vertreten.' Doch wie vertritt man in der irischen Politik seine Wähler am besten? Darüber gibt es eine laufende Debatte. Wie ich vorhin sagte, sind es die Verfechter der Kirchturmpolitik, die traditionell als diejenigen betrachtet werden, die sich um ihre Wähler kümmern. Sie sind diejenigen, die ihre ganze Energie darein investieren, Besorgungen für ihre Wähler zu machen - zum Beispiel indem sie Leute auf die Liste für dies oder jenes nach oben schieben und in das System eingreifen, damit jemand vor anderen etwas bekommt.

In Irland sind viele Leute häufig unzufrieden mit den staatlichen Dienstleistungen. Dafür könnte es verschiedene Gründe geben: Mißmanagement, Faulheit, was auch immer. In solchen Fällen wenden sich die Menschen an den Parlamentsabgeordneten für ihren Bezirk und bitten ihn, die Angelegenheit anzuschieben. Als Folge dessen kommt es in Irland zu einem ungewöhnlich hohen Ausmaß an politischer Einmischung in die Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen. Eine der tiefliegenden Ursachen dieses Phänomens ist das Fehlen vernünftiger Selbstverwaltung auf der regionalen Ebene. Der irische Staat hat eine sehr zentralistische Bürokratie; das ganze Land wird praktisch von Dublin aus verwaltet. Die Grafschaftsräte sind als administrative Einheiten zu klein und haben keine wirkliche Macht. Deswegen haben viele Menschen das Gefühl, sie haben in bezug darauf, wie ihre Gemeinden verwaltet werden oder durch Entscheidungen aus Dublin tangiert werden, keinen Einfluß. In Irland haben wir vielleicht eine der zentralistischsten Regierungssysteme in ganz Europa. Wir haben die lokalen Verwaltungseinheiten um fast alle Macht gebracht, die sie hatten. Heute sind das reine Verwaltungsknotenpunkte; sie leisten keine Selbstverwaltung im direkten Sinne des Wortes. Das ist schade, denn ohne effektive Selbstverwaltung auf der lokalen Ebene gibt es keine Demokratie.

Meiner Meinung nach haben wir keine echte Demokratie in Irland. Hin und wieder, das heißt alle vier bis fünf Jahre, erhalten die Bürger die Gelegenheit, bei den Parlamentswahlen ihre Stimme abzugeben. Doch das kann man nicht als echte Demokratie bezeichnen. Es ist verständlich, daß sich viele Leute, wenn sie keine effektiven örtlichen Behörden haben und sich von der Zentralregierung in Dublin übergangen fühlen, mit Hilfegesuchen an ihren Parlamentsabgeordneten wenden. Und wenn der ihnen im Sinne der Kirchturmpolitik nicht zu Diensten steht, werden sie für denjenigen bei der nächsten Wahl stimmen, der ihnen dies verspricht. Im allgemeinen mögen die Iren die Kirchturmpolitik. Sollte ich bei der nächsten Wahl kandidieren, wird es interessant sein zu sehen, ob die Wähler in Wexford mich dafür bestrafen werden, die Trauerfeiern nicht besucht, die Sprechstunden nicht abgehalten zu haben et cetera, oder ob sie meine Bemühungen, meiner Verantwortung als nationaler Politiker gerecht zu werden, würdigen. Sollte mein Stimmenanteil stabil bleiben, wäre das, meine ich, eine gute Sache für die irische Politik, denn es würde zeigen, daß es eine Wählerbasis gibt, die sich von den Abgeordneten wünscht, daß sie sich im Dáil aktiv mit den nationalen Themen auseinandersetzen, statt einfach dort nur bei Abstimmungen zu erscheinen und sich ansonsten die restliche Zeit um lokale Angelegenheiten im Wahlbezirk zu kümmern.

SB: Wie könnte bei der nächsten Wahl eine Mehrheit an Abgeordneten, die nicht den Parteien Fianna Fáil, Fine Gael und Labour angehören, erzielt werden?

MW: Derzeit würde ich sagen, daß das nicht möglich ist. Ich bin überzeugt, daß nach der nächsten Wahl Fine Gael weiterhin die stärkste Fraktion stellen und die neue Regierung bilden wird. Es bleibt lediglich die Frage, woher sie die nötigen Stimmen für die absolute Mehrheit bekommen wird. Letzten Umfragen zufolge kann Fine Gael mit 50 bis 55 der 166 Sitze rechnen. Die Labour-Partei könnte 10 bis 12 bekommen. Die beiden größten Oppositionsparteien Fianna Fáil und Sinn Féin werden bei rund 30 landen. 30 plus 30 gleich 60 und keine Mehrheit. Addiert man 50 für Fine Gael und 10 für Labour dazu, ergibt das 120 Sitze für die großen Parteien. Da wären noch 46 Sitze übrig. Sollte es Fine Gael auf 55 bringen, wären es nur 41. Von diesen 41 Sitzen wird die radikale Linke, das heißt die Socialist Party und People Before Profit, wahrscheinlich 6 gewinnen. Also sind wir bei 35. Die rechten Splittergruppen wie Renua und das Bündnis, das Shane Ross zu gründen versucht, werden um die 10 Sitze erringen. Da sie alles tun werden, um sich an der Macht beteiligen zu können, werden sie wahrscheinlich einer Fine-Gael-Labour-Koalition die nötigen Stimmen für eine absolute Mehrheit verschaffen. Danach wird es rund 25 unabhängige Abgeordnete geben, die im unterschiedlichen Grad links von der Mitte stehen. Zusammengenommen werden Sinn Féin, die Sozialisten, People Before Profit und die links von der Mitte agierenden Unabhängigen vermutlich um die fünfzig Sitze gewinnen, was nicht ausreicht, um die Regierung stellen zu können.

SB: Nach den Erfahrungen, die Sie in den letzten Jahren im Dáil gemacht haben, was meinen Sie, wie die Zusammenarbeit zwischen Sinn Féin und den anderen linken Gruppierungen und Unabhängigen verbessert werden könnte, damit sie kollektiv ihre Wahlchancen verbessern und irgendwann einmal das Monopol, das Fianna Fáil, Fine Gael und Labour über die irische Politik seit der Gründung des Staates im Jahre 1922 haben, beenden?

MW: Es besteht sehr wohl die Aussicht auf eine echte Neuordnung der politischen Kräfte im irischen Parlament, auch wenn die nächste Wahl dafür vielleicht zu früh sein wird. Ich denke, daß in Irland etwas nach dem Modell von Podemos machbar wäre. Viele irische Wähler fühlen sich von den vorhandenen politischen Parteien nicht vertreten. Der Eindruck ist berechtigt. Die politischen Parteien vertreten sich selbst. Fianna Fáil, Fine Gael, Labour und Sinn Féin - sie alle geben den Parteiinteressen höchste Priorität, statt sich wirklich mit den Sachthemen zu befassen. Selbst die Socialist Party und People Before Profit machen es. Wenn wir eine politische Formation haben wollen, deren Mitglieder und Führung die Interessen der Bürger vor das Schicksal der eigenen Gruppierung oder Partei stellen, dann müssen wir uns eine neue Vorgehensweise ausdenken.

Der Kampf gegen die neuen Wassergebühren hat eine Massenbewegung in historischer Dimension hervorgebracht. Die Kampagne Right2Water versucht, aus den Kräften, die sie freigesetzt hat, eine breite Volksbewegung für soziale Gerechtigkeit zu schmieden. Das Ganze bislang zusammengehalten zu haben, ist schon eine Leistung, denn Sinn Féin, die Socialist Party und People Before Profit versuchen es zu übernehmen. Ich wäre der letzte, der bestreiten würde, daß die Parteien, welche diese Bewegung kapern wollen, maßgeblich an deren Entstehung und Stärkung beteiligt waren. Doch die Hauptrolle haben die Ortsgruppen in den Gemeinden gespielt. Es hat mich schon enttäuscht, mitansehen zu müssen, wie die linken politischen Parteien versuchten, auf Kosten der vielen Gemeindegruppen die Kampagne Right2Water zur Verbesserung der eigenen Wahlaussichten zu kapern. Das ist ein Aspekt der Politik, der mich anwidert und mich manchmal ans Aussteigen denken läßt.

Die Socialist Party und People Before Profit haben bei der letzten Parlamentswahl landesweit rund zwei Prozent der Stimmen erhalten. Diesmal werden sie wahrscheinlich zweieinhalb, bestenfalls drei Prozent bekommen. Ein Auftrag zum Regieren sieht anders aus. Sie beide zusammen mit Sinn Féin und den anderen linken Unabhängigen Gruppen werden nicht über genügend Sitze für eine Mehrheit verfügen. Und dennoch glaube ich schon, daß es in Irland für eine politische Entität, die ideologisch die Dinge nicht zu eng sieht, die einfach eine bessere Gesellschaft bauen und Politik anders machen will, Potential gibt. Ich bin mir sicher, daß Podemos nicht perfekt ist. Doch es ist ein Modell, das wir nutzen könnten, unabhängig davon, ob bei der nächsten Wahl für einen Sieg der irischen Linken gestimmt wird oder nicht.

Es gibt Leute bei der Kampagne Right2Water, die sich Gedanken machen, wie etwas von Podemos in Irland verwirklicht werden könnte. Leider stoßen sie auf ziemlichen Widerstand seitens der Socialist Party, die nichts Neues wollen und es lieber hätten, wenn die Dinge wie bisher liefen. Fine Gael gelten traditionell als die konservativste Partei im politischen Spektrum Irlands. Gleichwohl könnte man der Socialist Party vorwerfen, in Sachen Denken und ihres Umgangs mit den Themen ebenfalls extrem konservativ zu sein. Mir kommt es vor, als wollte sie die Art, wie sie die Dinge anpacken, nicht ändern. Aus meiner Sicht macht sie das konservativ, selbst wenn sie radikal links steht. Wir brachen in der irischen Politik frischen Wind. Wir brauchen eine neue Vorgehensweise. Wir brauchen Leute, die ihre alten Ideologien loslassen können. Damit will ich nicht sagen, daß Leute keine Ideologie haben sollen, doch gleichzeitig darf man sich nicht vor neuen Dingen, neuen Ideen, neuen Vorgehensweisen abschotten.

Die Herausforderung besteht darin, Strukturen zu schaffen, welche die Menschen in die Politik bringt, die sich in der Gemeinde bzw. im Wohnviertel durch die Kampagne gegen die Installation der Wasserzähler haben mobilisieren lassen. Möglicherweise wollen viele von ihnen sich nicht in dem Ausmaß oder auf der Ebene an der Politik beteiligen. Doch wenn sich die Dinge ändern sollen, dann brauchen wir mehr solcher Leute im irischen Parlament. Derzeit sind die meisten Abgeordneten im Dáil institutionalisierte Ja-Sager, die nichts als wiedergewählt werden wollen.

SB: Danke sehr, Mick Wallace, für dieses Gespräch.


Blick von der Millenium Bridge flußabwärts auf die Ha'penny Bridge mit Liberty Hall im Hintergrund - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Liffey oder, wie Joyce ihn nannte, Anna Livia Plurabelle
Foto: © 2015 by Schattenblick



Fußnote:

1. Gene Kerrigan, "Sorry, but we need to talk about Enda", Irish Independent, July 5, 2015
http://www.independent.ie/opinion/columnists/gene-kerrigan/sorry-but-we-need-to-talk-about-enda-31352292.html

Bisherige Beiträge zur irischen Protestwelle im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/015: Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf (SB)
INTERVIEW/035: Irlands neuer Widerstand - dem Kapitalvampirismus ein Ende bereiten ... nbsp;nbsp; Michael Taft im Gespräch (SB)

11. Juli 2015


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