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BERICHT/007: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... Gemeinschaftswährung totgesagt (SB)


Nicht der Euro, die neoliberale Strategie ist das Problem

Symposium in Berlin-Mitte am 10. März 2012


Lucas Zeise in Großaufnahme - Foto: © 2012 by Schattenblick

Lucas Zeise, Referent der Tagung 'Aggressiver Euro-Imperialismus'
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Unmut über die herrschenden sozialen, wirtschaftlichen und damit selbstverständlich auch politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, einem der reichsten Staaten der Welt, ist schwer zu beziffern. Am 1. Mai, dem traditionellen, wenn auch längst in moderate Fahrwasser manövrierten Kampftag der Arbeiterklasse, beteiligten sich nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes in diesem Jahr über 400.000 Menschen an rund 420 Orten an gewerkschaftlich organisierten Kundgebungen und Protesten gegen die zunehmende Not im Lande. Auf einer zentralen Kundgebung in Stuttgart warnte DGB-Chef Sommer davor, die Kosten der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Allgemeinheit abzuwälzen und erntete tosenden Applaus für seine Aussage, gierige Eliten plünderten die Staaten aus. Ob gewerkschaftliche Positionen dieser Art Teil der Lösung oder Teil des Problems sind, steht auf einem anderen Blatt und berührt eine Fragestellung, die aus dem öffentlichen Diskurs bislang recht erfolgreich ferngehalten werden konnte, da die etablierten Gewerkschaften wie auch die ihnen positionsverwandten Parteien und gesellschaftlichen Verbände eine gewisse Medienhoheit und damit Meinungsführerschaft für sich beanspruchen konnten.

Angesichts des großen Interesses, das bei den Betroffenen einer Sozial- und Wirtschaftspolitik, die unter deutscher Führung in der gesamten EU zum Modellfall erklärt wird, mehr als zu vermuten steht, traf das Symposium, das von der linken Tageszeitung "junge Welt" in Kooperation mit der Marx-Engels-Stiftung am 10. März 2012 in Berlin zum Thema "Aggressiver Euro-Imperialismus" veranstaltet wurde, vollauf ins Schwarze [1]. Die zentralen Thesen, Themen- wie Fragestellungen und nicht zuletzt die Referenten selbst verhießen ein einer grundsätzlichen Kritik und Infragestellung gewidmetes Informations- und Diskussionsforum. Bereits in der Einladung war deutlich gemacht worden, daß die internationale Finanzkrise die Schwächen der EU-Institutionen und der Währungsunion offengelegt hat und der Augenschein dafür spricht, daß die Aggressivität auch der europäischen Imperialisten um einiges gestiegen ist.

Der Wirtschaftswissenschaftler, Journalist und Publizist Lucas Zeise, Vorsitzender des mitveranstaltenden Marx-Engels-Stiftung, wies zu Beginn der Tagung darauf hin, daß sich die gesteigerte Aggressivität des europäischen Imperialismus aktuell am Libyenkrieg gezeigt habe. Auf der Tagung werde all dies unter Bezugnahme auf den von Lenin und Luxemburg geprägten Imperialismusbegriff analytisch beschrieben werden. Zeise, Mitbegründer der Financial Times Deutschland und just seit dem 10. März Wirtschaftskolumnist in der "jungen Welt", in der er unter dem Motto "Lucas Zeise zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs" seine Sicht der Dinge darlegt, war neben Hannes Hofbauer, Rainer Rupp und Georg Polikeit einer der vier Referenten. In der vollbesetzten Ladengalerie der jungen Welt legte er den mit großem Interesse seinen Ausführungen folgenden rund 70 Anwesenden die "brutale Hilflosigkeit neoliberaler Regulierung", so der Titel seines Vortrages, dar. Die in der gesamten EU wie auch ihren Mitgliedstaaten verfolgte neoliberale Regulierungspolitik als brutal zu bezeichnen, bedarf sicherlich keiner weiteren Erläuterung, ihr eine Hilflosigkeit zu attestieren, schon eher.

Lucas Zeise machte gleich zu Beginn seines Referats deutlich, daß die europäische Währungsunion seiner Auffassung nach platzen und zusammenbrechen werde. Die Strategie des weiteren Auspressens durch das Kapital sei nicht haltbar, ebenso wie die gemeinsame Währung, der Euro, schon aus ökonomischen Gründen nicht tragfähig sei. Im Unterschied zu Rainer Rupp [2], der die Gemeinschaftswährung für ein primär politisches Projekt hält, sprach Zeise von einem "zentral ökonomischen Projekt" und wollte seine Prognose vom Zusammenbruch des Euro-Systems als ökonomisch begründete Aussage verstanden wissen, wobei er ausdrücklich offen ließ, welche Schlußfolgerungen daraus aus Sicht linker Politik zu ziehen seien. Um seine Einschätzung näher zu erläutern, führte der Referent aus, daß es grundsätzlich im Interesse des Kapitals läge, seine Verwertungsbedingungen zu verbessern. Für das deutsche Kapital, eines der ganz großen Kapitalien, sei eine Kapitalverwertungseinheit wie der europäische Binnenmarkt, für den die Währungsunion unerläßlich sei, von elementarem Interesse.

Aus Sicht des Kapitals, nicht nur des deutschen, sondern auch anderer, so Zeise, ist es "von unglaublicher Nützlichkeit", eine Währungsunion und damit feste Wechselkurse in Europa zu schaffen. Für das deutsche Kapital stelle ein solches Projekt einen "unglaublichen Machtgewinn" dar, während kleinere EU-Staaten wie beispielsweise Griechenland durch die Währungsunion sehr wohl etwas zu verlieren hätten, weil sie sich bzw. die eigene Währung und damit den eigenen Markt gegen den Warenzufluß von außen nicht abschotten können. Die kleineren Staaten sind dem Hauptgesetz des Kapitalismus, worunter der Referent versteht, daß die starken Kapitalien immer stärker und die schwachen immer schwächer werden, ausgeliefert, weil ihnen durch die Währungsunion die Möglichkeit, die eigene (nationale) Währung abzuwerten, verlorengegangen ist.

Diese Feststellung ist nicht unbedingt neu, jedoch einer größeren Öffentlichkeit weitgehend unvertraut, und so ist es gerade in einer Zeit, in der über die schwächsten EU-Staaten Bezichtigungen bis hin zu rassistisch aufmunitionierter Häme ausgekippt werden, von großer Wichtigkeit, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen und die Frage zu stellen, ob nicht in umgekehrter als allgemein behaupteter Richtung der relative Wohlstand Deutschlands auf der durch dieses System beförderten Ausplünderung der ärmeren EU-Staaten Südeuropas beruhe. Doch wie könnte dies vonstatten gegangen sein? Der Referent erläuterte, daß das deutsche Kapital zu der von ihm so sehr forcierten Währungsunion noch die Nebenbedingung gestellt habe, daß diese möglichst wenig, am besten gar nichts kosten dürfe, weil dies die eigenen Profite schmälern würde.

Er zog eine Analogie zur früheren Bundesrepublik, die zur Zeit der D-Mark ebenfalls, wenn man so wollte, eine Währungsunion gewesen ist. Im Unterschied zur Euro-Zone habe der gemeinsame Währungsraum der D-Mark, also der bundesdeutsche Staat, jedoch ein gemeinsames Steuersystem, ein soziales Sicherungssystem und eine zentrale Verwaltung gehabt, um ein völliges Ausbluten der Schwächeren zu verhindern. Damit sprach der Referent die Politik sozialer Befriedung an, wie sie unter dem Stichwort "soziale Marktwirtschaft" einst gehandelt wurde und wie sie namentlich für die Gewerkschaften, aber auch die Sozialdemokratie sinnbildlich geworden ist, war es doch die von ihnen mit großem Erfolg angenommene historische Aufgabe, angesichts einer ungebremst räuberischen Klassenherrschaft so etwas wie einen sozialen Puffer zu implementieren mit dem Ziel, diese Herrschaftsordnung zu stabilisieren.

Zeise sprach in diesem Zusammenhang davon, daß der Staat ein Transfersystem schaffe, das den "Markt" am Laufen erhalte. Dementsprechende staatlichen Institutionen seien die Garantie einer solchen Währungsunion, die insofern zugleich auch eine Transferunion sei, in der eine von der Politik vorgenommene Umverteilung betrieben werde. Mit diesen Ausführungen legte der Referent die Position einer sozialdemokratisch bzw. gewerkschaftlich begründeten Kritik am neoliberalen EU- bzw. Euro-Projekt nahe, indem er geltend machte, daß zu einer echten und funktionierenden Währungsunion auch eine Transferunion gehöre. Zur Erläuterung ging er auf die historische Entwicklung Deutschlands ein und die sogenannte deutsche Einigung, die keineswegs "billig" gewesen sei, die entsprechenden Transferleistungen enthalten habe und insofern als vollwertige Währungsunion angesehen werden könne. Dies war nur eineinhalb Jahre, bevor im Jahre 1992 mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union aus der Taufe gehoben worden war.

Eine solch teure "Einigung" wollte das deutsche Kapital in Europa nicht noch einmal erleben. Im Maastrichter Vertrag wurde denn auch eine strikt neoliberale Agenda festgelegt. Erklärtermaßen sollte es in der EU weder eine gemeinsame Steuerpolitik noch staatliche Regulierungen geben, einzig die Europäische Zentralbank (EZB) wurde als neue Behörde geschaffen, um das gemeinsame Geld zu verwalten. Ein EU-weites Transfersystem war definitiv nicht vorgesehen, anstelle dessen hätten die damaligen Konstrukteure des neuen europäischen Projekts in bester neoliberaler Manier geglaubt (bzw. zu glauben behauptet), der freie Wettbewerb zwischen den Staaten um das Kapital würde den Transfer regeln. Auf den leisen Widerspruch zu seiner Aussage, es sei klar gewesen, daß dies auf Dauer nicht funktionieren könne, weshalb durch die späteren Maastricht-Kriterien sichergestellt werden sollte, daß nur wirklich starke Regionen der Zone einer gemeinsamen Währung beitreten können, ging der Referent nicht näher ein.

Er führte aus, daß die ursprünglichen Kriterien zur Eingliederungsfähigkeit der einzelnen Staaten in das neue Währungssystem - also ihre Wechselkursstabilität zur damaligen europäischen Verrechnungswährung ECU [3], eine nicht zu hohe Inflationsrate sowie eine nicht zu hohe Staatsverschuldung - keinen tatsächlichen Aussagewert über die Stärke einer Volkswirtschaft gehabt hätten. Obwohl diese von der deutschen Bank entwickelten Kriterien "dämlich" gewesen seien und in vielen Fällen - beileibe nicht nur beim Beitritt Griechenlands, sondern zuvor auch bei der Aufnahme Italiens und Belgiens - auch nicht berücksichtigt worden sind, wurden aus ihnen, genauer gesagt aus dem letzten, nämlich dem der Höhe der Staatsverschuldung, die sogenannten Maastricht-Kriterien, die alle EU-Staaten unter einen Sparzwang stellen und die inzwischen auch in den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt Aufnahme gefunden haben.

Lucas Zeise mit geballter Faust - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kapitalistische Verwertungslogik - Die Starken werden immer stärker
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Referent schilderte die weitere Entwicklung so, daß das Auseinanderklaffen zwischen den starken und den schwächeren EU- bzw. Euro-Staaten nicht unmittelbar eingetreten sei. Zunächst hätten zwischen 2001 und 2005 Schwachwährungsländer wie Spanien und Griechenland sogar "sehr gute Jahre" gehabt, weil es einen Kapitalzustrom in diese Länder gegeben habe, der es so habe aussehen lassen, als gäbe es ein reales Wirtschaftswachstum. Dem habe Folgendes zugrunde gelegen: Das Kapital habe vor der Einführung der Gemeinschaftswährung in diesen Ländern immer mit einer Abwertung der heimischen Währung rechnen und sich gegen dieses Risiko absichern müssen, weshalb die Zinsen und damit Kosten solcher Geldanlagen immer recht hoch gewesen seien. Mit der Einführung des Euro wurde diese Gefahr gebannt, die Kapitalzinsen sanken. Kapital floß in diese Länder, während es zur selben Zeit in dem Starkwährungsland Deutschland zu einer Stagnationsphase gekommen war.

Mit der sogenannten Finanzkrise änderte sich all dies schlagartig. Es habe eine plötzliche Knappheit an Finanzmitteln gegeben, weshalb ab 2008‍ ‍die Regierungen der EU-Staaten immense Gelder in die Rettung "ihrer" Banken gesteckt hätten. Dabei sei es zu einem regelrechten Wettbewerb zwischen den Einzelstaaten gekommen, wer "seine" Banken am stabilsten machen könne. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise wurde vom Bundestag ein Bankenrettungsplan beschlossen in Höhe von 480 Milliarden Euro, was dem Anderthalbfachen eines jährlichen Bundesetats entsprach. Weder mit dem Geist noch mit den Buchstaben der in den EU-Verträgen festgelegten Kapitalverkehrsfreiheit noch der inzwischen zum EU-Modellfall auserkorenen deutschen "Schuldenbremse" könnten solche Maßnahmen zugunsten einzelner Geldhäuser in Übereinstimmung gebracht werden.

Seit 2008 versorgt die Europäische Zentralbank die Banken mit langfristigen Krediten mit einer Verzinsung von nur einem Prozent. Wegen der unterschiedlich hohen Unterstützung durch den eigenen Staat kommen die Banken der verschiedenen Länder zu mehr oder minder günstigen Konditionen an Finanzmittel. Am Finanzmarkt vollziehe sich, so Zeise, völlig ungeachtet der Kapitalverkehrsfreiheit in der EU noch einmal das Gesetz des Kapitalismus, demzufolge die starken Kapitalien immer stärker und die schwachen immer schwächer werden. Auf diese Weise kommt das deutsche Kapital, so Zeise, am Finanzmarkt zu deutlich günstigeren Geldern als die Kapitalien anderer Staaten. Wenn es jedoch um die Interessen der schwächeren Staaten oder Beitrittskandidaten gehe, werde das Prinzip der Kapitalverkehrsfreiheit rigoros durchgesetzt, so beispielsweise gegenüber der polnischen Regierung, der noch vor der Vollmitgliedschaft Polens in der EU verboten worden war, die eigenen Banken vor der Übernahme durch westliche Geldhäuser zu schützen, oder auch gegenüber der spanischen Regierung, der es verwehrt wurde, die heimischen Stromproduzenten vor dem deutschen Energiekonzern E.on zu retten.

Namentlich die Profitrate des deutschen Kapitals habe von der Euro-Krise massiv profitiert und tue es noch immer. Der anderen Staaten drohende Bankrott könne für das deutsche Kapital genutzt werden, da die Zinsen und damit Kapitalkosten hierzulande niedrig, in den bedrohten Staaten jedoch zum Teil exorbitant hoch seien. Unter diesen Voraussetzungen wäre es ein "politisches Wunder", würde sich das deutsche Kapital davon überzeugen lassen, die Finanzkrise zu lösen, woraus der Referent schlußfolgert, daß diese Krise die Schwächen der Währungsunion offengelegt habe. Die Konstrukteure der Währungsunion hätten sich, wie er darlegte, vorgestellt, daß in ihr ein Staat, der seine Wettbewerbsfähigkeit verloren hätte, seine Einstandskosten so lange senken würde, bis seine Produkte wieder wettbewerbsfähig seien und den gemeinsamen Binnenmarkt überschwemmen würden.

Dieses Konzept könne nicht aufgehen, so Zeises Urteil, nicht einmal dann, wenn - was nicht der Fall ist - ein solcher Staat die eigene Währung noch hätte abwerten können. In der Währungsunion trete sogar das Gegenteil ein. Die Einstandskosten bestehen aus den Lohn- und den Finanzierungskosten. Da letztere gerade in den Staaten, die am Rande des Bankrotts stehen, in die Höhe schießen, müssen diesem neoliberalen Konzept oder vielmehr Diktat zufolge die Lohnkosten gesenkt werden, und zwar solange, bis die in diesem Land produzierten Waren wieder "wettbewerbsfähig" sind, also mit den Produkten der Starkwährungsländer wie Deutschland konkurrieren können. Wenn dies nicht am Markt "von selbst" geschehe, müsse, so das Credo dieser zutiefst neoliberalen Maxime, "nachgeholfen werden". Fraglos ist es das Verdienst des Referenten, den absolut fremdbestimmten Charakter dieser als wirtschaftspolitische Notwendigkeit ausgegebenen Zwangslage verdeutlicht zu haben. Diese Zustände seien unhaltbar, so Zeise, und führten dazu, daß ein Land nach dem nächsten abspringen und die Währungsunion platzen werde.

Die angebotene Lösung, den betroffenen Euro-Staaten immer mehr Kredite zu gewähren, die diese Zwangslage nur noch weiter vertieften, ändere nicht das Geringste an der Unhaltbarkeit dieses Systems. Der Referent erwähnte die in diesem Zusammenhang von den deutschen Grünen wie auch der Linkspartei vorgeschlagene Alternative einer Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses. Damit ist gemeint, die vom deutschen Kapital durchgesetzte Maßgabe, die Währungsunion müsse billig sein oder am besten gar nichts kosten, rückgängig und aus dem Fiskalpakt eine Fiskalunion mit gemeinsamen Steuersätzen und einer Transferunion zu machen. Dies wäre der entscheidende Schritt hin zu einer echten politischen Union, einem tatsächlichen europäischen Staatswesen, was Zeise zufolge die eigentlich richtige Konsequenz und ein wahrhaft revolutionärer Vorgang wäre. Seiner Einschätzung nach ist es für eine staatlich organisierte Währungsunion allerdings schon zu spät, weil bereits zu viele Gelder in den Finanzsektor abgeflossen seien.

Hinzu käme, daß das deutsche Kapital immer noch von der Krise profitiere. Es habe einen "unglaublichen Geschäftsvorteil", den es nicht wieder aus der Hand geben werde. Es sei zwar richtig, daß die Banken, auch die deutschen Banken, Verluste in Milliardenhöhe in Euro bzw. Dollar abgeschrieben hätten. Im Rahmen der Euro-Krise habe das deutsche Kapital, gestützt vom deutschen Staat, gleichwohl besondere Profitmöglichkeiten. So könne es Kredite mit 2 Prozent Zinsen aufnehmen, während das italienische Kapital 8 Prozent aufbringen müsse. Die Aussage von Bundeskanzlerin Merkel, Deutschland wolle stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingegangen sei, habe sich insofern bewahrheitet. Mit anderen Worten: Selbst wenn es noch nicht, wie der Referent annimmt, für eine staatliche Union in Europa schon zu spät wäre, würde sie nicht verwirklicht werden können wegen der strikten Weigerung des deutschen Kapitals, das viel zu sehr von der Krise profitiere, als daß es sie beheben wollen würde.

Zeise sagte deshalb einen Desintegrationsprozeß in der Europäischen Union voraus, von der ein Land nach dem nächsten abgesprengt werden würde. Sein Fazit bestand weder in Forderungen, nun Maßnahmen für den Erhalt der Europäischen Union respektive der Euro-Zone zu ergreifen; ebensowenig propagierte er die Parole, ohne Euro einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Zum Abschluß seines Vortrags zog er die Schlußfolgerung, die neoliberale Strategie, die innerhalb wie außerhalb der EU zu den beschriebenen Verwerfungen geführt hat, in ihr Gegenteil zu wenden und den Prozeß dieser Umverteilung umzukehren. Damit erteilte er jedweder Fehlannahme, aus seinem Vortrag womöglich die Forderung nach einer Renaissance sozialer Marktwirtschaftskonzepte abzuleiten, eine klare und eindeutige Absage.

Gemäß der von ihm selbst in seiner Eigenschaft als Mitveranstalter an den Beginn der Tagung gestellten Absichtserklärung, analytisch-beschreibend tätig zu werden, verzichtete er auf Lösungsvorschläge und -rezepte. So blieb der Raum frei, den von ihm wie auch seinen Mitreferenten auf dieser Tagung angetretenen Weg, mit den von den Apologeten des Euro-Projektes womöglich gezielt und mit großem Bedacht verbreiteten Fehlannahmen und Irrtümern aufzuräumen, fortzusetzen in der gut begründbaren Annahme, das Ende der Fahnenstande womöglich noch gar nicht erreicht zu haben.

Lucas Zeise und Mitreferent Georg Polikeit auf dem Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ob mit oder ohne Euro - der EU-Imperialismus ist nicht reformwürdig
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:

[1]‍ ‍BERICHT/005: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... im Labor neokolonialer Verfügungsgewalt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0005.html

[2]‍ ‍BERICHT/006: "Aggressiver Euro-Imperialismus" ... Risse im transatlantischen Pakt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0006.html

[3]‍ ‍Der ECU (European Currency Unit, zu deutsch: Europäische Währungseinheit - EWE) war von 1979 bis 1998 die Rechnungseinheit der Europäischen Gemeinschaften (EG), der späteren Europäischen Union (EU). Der ECU ist der Vorläufer der Gemeinschaftswährung Euro und wurde ab dem 1.1.1999 im Verhältnis 1:1 durch diese ersetzt.

3.‍ ‍Mai 2012