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PARTEIEN/351: Belfast - Oranierorden will's wissen ... (SB)


Belfast - Oranierorden will's wissen ...


Als Vorsitzende(r) einer Minderheitsregierung hat man es wirklich nicht leicht. Diese Erfahrung hat die britische Premierministerin Theresa May innerhalb weniger Wochen nun zweimal machen müssen. Am 4. Dezember mußte die Chefin der britischen konservativen Partei in letzter Sekunde in Brüssel die Paraphierung einer Vereinbarung über den Abschluß von Phase I der Verhandlungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU abblasen, nachdem telefonisch Arlene Foster, die Präsidentin der protestantisch-probritischen Democratic Unionist Party (DUP), aus Belfast ihr Veto gegen die geplante Abmachung eingelegt hatte. Bekanntlich halten die zehn nordirischen DUP-Abgeordneten im britischen Unterhaus Mays Tory-Regierung über Wasser.

Damals verlangte Foster die schriftliche Garantie, daß nach dem Brexit die angepeilte Aufrechterhaltung der "ordnungspolitischen Übereinstimmung" zwischen der Republik Irland und Nordirland - um künftig Grenzkontrollen zu vermeiden - nicht zu einer Schwächung der völkerrechtlichen Beziehungen zwischen den sechs nordöstlichen Grafschaften der grünen Insel und Großbritannien führen werde. Die DUP bekam ihre Garantie, hat dafür jedoch das Ansehen und die Position der konservativen Partei- und Regierungschefin erheblich geschwächt.

Am 12. Februar hat die DUP May in aller Öffentlichkeit erneut blamiert. An jenem Tag sollte in Belfast der über ein Jahr dauernde Streit zwischen der DUP und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin beigelegt und der Weg für eine Neuauflage der interkonfessionellen Provinzregierung für Nordirland endlich freigegeben werden. Seit vier Wochen hatten Unterhändler von DUP und Sinn Féin hinter verschlossenen Türen um Kompromisse gerungen und sollen dabei auch fündig geworden sein. Um feierlich Zeugnis von der Einigung verkünden zu können, ließ man aus London May und aus Dublin den irischen Premierminister Leo Varadkar anreisen. Doch kaum, daß die beiden Regierungsdelegationen Schloß Stormont, das monumentale Parlament- und Regierungsgebäude im Nordosten Belfasts, erreicht hatten, hieß es, der große Durchbruch lasse auf sich warten, May und Varadkar seien umsonst gekommen.

Die beiden Regierungschefs machten gute Miene zum bösen Spiel, lobten die fleißige, wie offenbar produktive Verhandlungsarbeit und äußerten sich zuversichtlich, daß die Wiederaufnahme des regulären politischen Betriebs in Nordirland höchstens eine Frage von Tagen, wenn nicht sogar Stunden sei. Die positiven Äußerungen von May und Varadkar deckten sich mit dem, was nordirische Journalisten mit Kontakten zur Spitze von DUP und Sinn Féin seit Tagen über eine vorsichtige Annäherung der Streitparteien berichteten.

Etwa 24 Stunden dauerte die Scharade. Am Abend des 13. Februar trat Arlene Foster vor die Presse, behauptete, entgegen des allgemeinen Eindrucks stünden DUP und Sinn Féin in ihren Positionen noch meilenweit auseinander, und erklärte kategorisch, mit ihr werde es keine Erfüllung der Hauptforderung des politischen Gegners, die Verabschiedung eines Gesetzes zur Gleichstellung der gälischen Sprache in Nordirland, geben. Damit hat die DUP-Chefin eine Fortsetzung der Verhandlungen sinnlos gemacht. Folgerichtig hat sie am nächsten Tag die Gespräche für gescheitert erklärt und Sinn Féin dafür die alleinige Verantwortung zugeschoben. Im gleichen Atemzug hat Foster eine Wiedereinführung der Direktverwaltung Nordirlands durch London gefordert und sich damit im Grunde vom Karfreitagsabkommen - das die DUP 1998 nicht unterzeichnete und zu dessen Umsetzung sie sich 2007 nur halbherzig bereiterklärt hatte - verabschiedet.

Wie konnte es dazu kommen? Wie konnten die Verhandlungen zwischen der DUP und Sinn Féin so grandios scheitern? Wie es als Überschrift auf dem Blog des angesehenen Politkommentators Eamonn Mallie am 15. Februar hieß, war die DUP "in die eigene Falle gegangen". Seit Jahren hat die DUP-Führung die gälische Sprache und Sinn Féins Forderung nach deren gesetzlichen Gleichstellung zu einer Popanz aufgebaut. Jedes Zugeständnis an Sinn Féin in der Frage des Gälischen komme aus DUP-Sicht der Aufgabe des "britischen" Charakters Nordirlands gleich; im "Kulturkampf" dürfe keinen Millimeter aufgegeben werden. Deswegen hat sich Foster, als sie von der großen Entfernung zwischen den Verhandlungsdelegationen sprach, zum Beispiel vehement gegen einen Zwang zum Gälischunterricht an den Schulen Nordirlands und eine Quote für Irischsprecher bei Einstellungen zum öffentlichen Dienst ausgesprochen.

Diese beiden Punkte belegen die Unaufrichtigkeit der DUP, denn sie standen bei den Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Bei einer Richtigstellung gab die Sinn-Féin-Vorsitzende Mary Lou McDonald am 15. Februar den Inhalt der offenbar erzielten Einigung der Unterhändler bekannt. Demnach sollte es nicht nur ein Gesetz zur Gleichstellung der gälischen Sprache, sondern ein zweites zur Aufwertung des, einen Teil der Unionisten wichtigen Dialekts Ulster-Scots sowie ein drittes zum Zwecke einer möglichst streßfreien Regelung verschiedener kultureller Streitthemen geben, etwa zu den Routen von Oraniermärschen. Die Nationalisten und die Unionisten hätten alle etwas bekommen; es wäre eine Win-Win-Situation gewesen. Darüber hinaus soll man sich laut McDonald über Wege zur Einführung der Ehe-für-alle, zur künftigen Vermeidung eines weiteren Kollapses der politischen Institutionen sowie sogar zur gemeinsamen Aufarbeitung der hochbelastenden "legacy issues" - gemeint sind juristisch unaufgeklärte Mordfälle aus der Zeit der "Troubles" - einig gewesen sein.

Doch als am vergangenen Wochenende Foster und die DUP-Unterhändler die restliche Partei über das Ergebnis der Diskussionen mit Sinn Féin informierten, soll es zu einer massiven Gegenreaktion gekommen sein. Die zehnköpfige DUP-Gruppe im britischen Unterhaus unter der Leitung von Nigel Dodds und der mächtige Oranier-Orden haben den Kompromiß rundum abgelehnt. In einem Gastkommentar in der DUP-nahen Zeitung Belfast Newsletter sowie in einer Mitteilung auf der eigenen Facebook-Seite hat Orange Order Grand Master Edward Stevenson respektive die Oranier-Loge an der Belfaster Queen's Universität eine gesetzliche Aufwertung der gälischen Sprache für absolut inakzeptabel erklärt; unter keinen Umständen dürfe es hierzu kommen, sonst sei das "britische" Nordirland für immer verloren. Foster hatte offenbar keine Wahl, als die Reißleine zu ziehen. Hätte sie anders gehandelt, wäre sie vermutlich kurz darauf parteiintern weggeputscht geworden.

Das Scheitern der Gespräche in Nordirland kann niemand begrüßen, denn, wie man aus der Vergangenheit weiß, kann das Versagen der Politik dort leicht in eine Entladung interkonfessioneller Gewalt umschlagen. Eins steht jedenfalls fest: Die Weigerung der Unionisten, auf die Nationalisten in der Frage der gälischen Sprache zuzugehen, bedeutet, daß sich letztere niemals mit dem Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich abfinden, sondern zunehmend ihr Heil in der Wiedervereinigung mit der Republik suchen und - aufgrund der absehbaren demographischen Entwicklung - über kurz oder lang auch finden werden. Die Chancen, daß die DUP diese Entwicklung wird aufhalten können - trotz oder wegen ihrer aktuellen Schlüsselstellung als Mehrheitsbeschafferin für die Brexiteers in London - sind gering bis gar nicht existent.

16. Februar 2018


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