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PARTEIEN/334: Dublin lehnt Grenze zu Nordirland kategorisch ab (SB)


Dublin lehnt Grenze zu Nordirland kategorisch ab

Irische Regierung nutzt die aktuelle politische Krise in London aus


Das Durcheinander um den Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (EU) findet kein Ende. Die restlichen 27 EU-Staaten beharren vor der Aufnahme formeller Austrittsverhandlungen bekanntlich auf eine Regelung dreier Themenkomplexe: Erstens die künftigen Rechte der im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürger sowie von britischen Bürgern in den anderen EU-Staaten. Zweitens eine Verständigung über die Begleichung von Großbritanniens finanziellen Restverpflichtungen gegenüber der EU - die sogenannte "Scheidungssumme", die irgendwo zwischen 50 und 100 Milliarden Euro liegen soll. Und drittens eine Lösung der Frage des Umgangs mit der bevorstehenden Landesgrenze zwischen EU und dem Vereinigten Königreich auf der Insel Irland. Wegen der bisherigen Weigerung bzw. Unfähigkeit Londons, den Vorschlägen der EU-27 in allen drei Bereichen eigene handfeste Positionen entgegenzusetzen, schwindet in Brüssel der Glaube, daß man, wie geplant, mit den eigentlichen Austrittsverhandlungen Ende Oktober, Anfang November wird angefangen können. Die Dürftigkeit der britischen Positionspapiere bei den bisherigen Gesprächen haben in den letzten Tagen sowohl der EU-Chefunterhändler Michel Barnier als auch Guy Verhofstadt, der Vertreter des EU-Parlaments in Sachen Brexit, öffentlich kritisiert.

Die mangelnde Vorbereitung der Vertreter Londons im Vergleich mit den europäischen Kollegen bei den verschiedenen Expertenrunden in Brüssel geht auf die herrschende Krise innerhalb der politischen Elite Großbritanniens zurück. Eigentlich hatte 2016 der damalige britische Premierminister David Cameron eine Volksbefragung über den EU-Austritt nur durchführen lassen, um die nörgelnden Euroskeptiker in der eigenen konservativen Partei endlich zum Schweigen zu bringen. Cameron hatte nicht im Traum gedacht, daß eine Mehrheit der britischen Bürger für den Brexit votieren würde. Das haben die britischen Wähler dann doch getan, um der Politikerkaste in London eins auszuwischen und auch ihrer Unzufriedenheit über die aus ihrer Sicht unbegrenzte Einwanderung aus dem Ausland in den letzten Jahren Ausdruck zu verleihen.

Wegen der katastrophalen Fehlkalkulation mußte Cameron am 24. Juni 2016, gleich am Tag nach der Abstimmung, als Premierminister und Tory-Parteichef zurücktreten. Seine Nachfolgerin in beiden Ämtern, Theresa May, hat seitdem das Desaster nur noch verschlimmert. Die ehemalige Innenministerin hat sich gleich beim Einzug in die Number 10 Downing Street auf einen harten Brexit, sprich Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt und der Zollunion, festgelegt, obwohl dies gar nicht notwendig gewesen wäre. Sie hat ohne Not und ohne Plan für die Zeit danach am 31. März Artikel 50 des Vertrages von Lissabon, der den Austritt eines Landes innerhalb von 24 Monaten vorsieht, aktiviert. Und sie hat vorgezogene Parlamentswahlen für den 8. Juni anberaumt in der Hoffnung, eine überwältige Mehrheit für ihren harten Kurs gegenüber Brüssel und ihre Vision eines Empire 2.0 zu erzielen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die Tories haben ihre Mehrheit verspielt und können seitdem nur noch mit der Unterstützung der erzkonservativen Democratic Unionist Party (DUP) Nordirlands regieren. May gilt als wandelnde Leiche. Mit der Neubesetzung des Amts des Partei- und Regierungschefs wird für den Herbst gerechnet, sofern sich bis dahin ein Sieger der aktuellen Schlammschlacht bei den Tories ermitteln läßt.

Die fehlende Autorität der Premierministerin veranlaßt die Brexit-Fundamentalisten im Kabinett Mays zu politischen Eskapaden und provokativen Äußerungen. Hatte am 13. Juli Außenminister Boris Johnson bei einer Unterhausdebatte mit einem beleidigenden Spruch die Forderung Brüssels nach finanzieller Entschädigung als inakzeptabel und unrealistisch abgetan, so hat Handelsminister Liam Fox bei einem Besuch in Washington am 21. Juli die Aussicht auf ein Freihandelsabkommen mit den USA in den höchsten Tönen gepriesen und dabei die Gefahr einer Herabsetzung bisherigen EU-Hygienenormen bei Lebensmitteln als irrelevant abgetan. Dafür hat das Szenario, demnächst im Supermarkt statt wie bisher Qualitätswaren aus der EU kaufen zu können nun mit hormonbehandeltem Fleisch sowie genverändertem Obst und Gemüse aus den USA konfrontiert zu werden, bei den britischen Verbrauchern einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Gerade die von Fox in Aussicht gestellte Lockerung der Qualitätsstandards in Großbritannien bei landwirtschaftlichen Produkten läßt die Notwendigkeit von Grenzkontrollen zwischen Nord- und Südirland zwingend erscheinen. Wie sonst dürfte die ungehinderte Einfuhr von minderwertigen Nahrungsmitteln aus Nordirland in die Republik Irland zu verhindern sein? Der Vorstoß des pro-amerikanischen, neokonservativen Fox hat Dublin zum Handeln bewogen. Wie die irische Ausgabe der Londoner Times am 28. Juli auf ihrer Titelseite berichtet, haben Irlands neuer Premierminister Leo Varadkar und dessen neuer Außenminister Simon Coveney in den vergangenen Tagen ihren Kollegen in London und den anderen EU-Hauptstädten unmißverständlich klargemacht, daß Dublin unter keinen Umständen die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auf der Insel Irland hinzunehmen bereit ist.

Unter Hinweis auf die Notwendigkeit, den nordirischen Friedensprozeß am Leben zu erhalten und keinen erneuten Ausbruch der Troubles zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten herbeizuführen, droht Dublin offen damit, am Ende der Brexit-Verhandlungen - unabhängig von deren sonstigen Ergebnissen - von seinem Veto Gebrauch zu machen, will heißen, die ganze Geschichte platzen zu lassen. Die irische Regierung verlangt kategorisch, daß die neuen Grenzkontrollen, sollten welche erforderlich sein, an den See- und Flughäfen beiderseits der Irischen See eingerichtet werden. Über die harte Haltung Dublins soll man in Londoner Regierungskreisen laut Times "fassungslos" sein. Bei der DUP ist man darüber auch nicht glücklich, käme die von Dublin verlangte Regelung doch einer De-Facto-Wiedervereinigung Irlands gleich.

28. Juli 2017


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