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PARTEIEN/321: Theresa Mays Brexit-Gesetz passiert die erste Hürde (SB)


Theresa Mays Brexit-Gesetz passiert die erste Hürde

Englands Tories suchen ihr Heil in der Umarmung Donald Trumps


Am 1. Februar ist im Londoner Unterhaus mit großer Mehrheit der Gesetzentwurf der konservativen Regierung zur Aktivierung von Artikel 50 des Lissaboner Vertrages und damit zur Einleitung des Austritts des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union, der sogenannte Brexit, in erster Lesung passiert. Die von den Befürwortern eines Verbleibs in der EU erhoffte Meuterei seitens gemäßigter Hinterbänkler der Tories - die im Unterhaus über eine Mehrheit von 18 Sitzen verfügen - ist ausgeblieben. Nur ein einziger konservativer Abgeordneter, der europhile Parteigrande Kenneth Clarke, der in den Kabinetten Margaret Thatchers, John Majors und zuletzt David Camerons verschiedene Posten innegehabt hatte, hat gegen den Gesetzentwurf votiert. Sein flammendes Plädoyer für eine starke Mitwirkung Großbritanniens bei der künftigen Gestaltung der europäischen Politik hat Clarke parteiübergreifend zwar viel Befall und Lob eingebracht, doch damit konnte er keinen einzigen seiner Parteikollegen, von denen sich bekanntlich die Mehrheit vor der Volksbefragung im Juni vergangenen Jahres gegen den EU-Austritt ausgesprochen hatte, zum Umdenken bewegen.

Damit zeigt sich, wie sehr in Großbritannien die Politik aus dem Lot geraten ist. Um die jahrelangen Querelen zwischen EU-Skeptiker und -Befürworter bei den Konservativen ein für allemal zu beenden und der Konkurrenz am rechten Rand seitens der United Kingdom Independence Party (UKIP) um Nigel Farage eins auszuwischen, hat 2015 der damalige Premierminister Cameron im Wahlkampf die Abhaltung eines Referendums über die Fortsetzung der britischen EU-Mitgliedschaft versprochen. Aber niemals im Traum hat Cameron wirklich geglaubt, daß eine Mehrheit der Bevölkerung für den Austritt stimmen würde. Doch am 23. Juni 2016 kam es anders, als praktisch alle Medienkommentatoren und Demoskopen erwartet hatten.

Obwohl damals die EU-Gegnerschaft und rassistische Ressentiments gegenüber Immigranten und Kriegsflüchtlingen im Vergleich zum Wunsch, die politische und wirtschaftlichen Elite in London wegen der jahrelangen Umverteilung von unten nach oben zu bestrafen, eine geringe Rolle spielten, verhalten sich seitdem die Tories, allen voran Camerons Nachfolgerin als Premierministerin Theresa May, als sei die Umsetzung der extremsten Forderungen von UKIP nicht nur das, wofür die 52prozentige Mehrheit beim Referendum gestimmt hatte, sondern was die ganze Bevölkerung will. Für die Festlegung der Verhandlungsposition Londons auf einen "harten Brexit", das heißt nicht nur Austritt aus der EU, sondern auch aus dem europäischen Binnenmarkt, hat vor allem der Sieg Donald Trumps bei der Präsidentenwahl in den USA im vergangenen November gesorgt.

Seitdem läßt der Baulöwe und Realitysendungsmoderator keine Gelegenheit aus, über die EU als Instrument deutscher Interessen herzuziehen, den Brexit zu preisen und dem Austritt weiterer Länder wie Frankreich und den Niederlanden das Wort zu reden. Nach der Wahl zum 45. US-Präsidenten empfing Trump in dem nach ihm benannten Wolkenkratzer im New Yorker Stadtteil Manhattan demonstrativ als ersten britischen Politiker Nigel Farage und empfahl diesen sogleich als geeignetste Person für den Posten des britischen Botschafters in Washington. Angeblich will Trump als EU-Botschafter der USA den Geschäftsmann und Ex-Diplomaten Ted Malloch nach Brüssel entsenden. Sollte dies stimmen, kann die Personalie nur als feindlicher Akt interpretiert werden, hat doch Malloch in der Vergangenheit die EU öffentlich mit der Sowjetunion verglichen und sie abfällig als "keine richtige Demokratie" herabgewürdigt.

Wie beim Antrittsbesuch Mays in Washington Ende Januar deutlich zu erkennen war, verspricht sich die britische Regierung die Lösung der schweren wirtschaftliche Probleme, die mit dem Brexit einhergehen, in der Umarmung durch die USA. In Großbritannien selbst sind die allermeisten Menschen über die Unterwürfigkeit, die May gegenüber Trump beim gemeinsamen Auftritt vor der Presse im Weißen Haus an den Tag gelegt hat, empört. Das Einreiseverbot für Muslime aus sieben Ländern Asiens und Afrikas, das Trump zwei Tage danach verkündete, haben Befürchtungen aufkommen lassen, daß der Staatsbesuch in diesem Sommer, zu dem die Premierministerin Amerikas neuen (laut)starken Mann eingeladen hat, zu einer hochpeinlichen Blamage für die stets leise und umsichtig auftretende Königin Elizabeth II. werden könnte. Befürchtet wird zum Beispiel, daß der dünnhäutige Trump allergisch auf irgendwelche Ermahnungen des britischen Thronfolgers und bekennenden Umweltschützers Prinz Charles, den Klimawandel doch noch ernst zu nehmen und nicht mehr als vermeintlichen Mythos zu ignorieren, reagieren könnte.

Während die Pläne Mays für die Austrittsverhandlungen, die am 1. März beginnen und zwei Jahre dauern sollen, trotz der Veröffentlichung eines entsprechenden Weißbuches am 2. Februar, nebulös bleiben, so reißen die Warnungen vor den potentiellen Auswirkungen eines kategorischen Bruchs Großbritanniens mit der EU nicht ab. Bei einem Auftritt vor dem EU-Unterausschuß im britischen Parlament am 1. Februar umriß Sir Ivan Rogers, der im Januar als Londons Botschafter in Brüssel spektakulär zurückgetreten war, mit drastischen Worten die Gefahren jenes Kurses, den May und die Tories eingeschlagen haben. Laut Rogers wird die Entflechtung Großbritanniens von der EU nach 43 Jahren Mitgliedschaft ungemein schwierig sein und könnte sich wegen der Kompliziertheit der Materie über mehr als zehn Jahre hinziehen. Sollte London in der Frage des britischen Zugangs zum EU-Binnenmarkt nicht Kompromißbereitschaft zeigen und statt dessen, wie von May angedroht, Großbritannien handelstechnisch den Regularien der Welthandelsorganisation (WTO) unterwerfen, wären die wirtschaftlichen Schäden beiderseits des Ärmelkanals absolut verheerend, so Rogers. Die politische Zwickmühle, in die sich Englands Brexiteers manövriert haben, erklärt die neue Aggressivität, welche in den letzten Monaten die britische Außenpolitik - siehe Rußland und den Iran - auszeichnet, und hat sich zu einer Bedrohung für den Weltfrieden entwickelt.

3. Februar 2017


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