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PARTEIEN/310: Großbritannien erneuert sein Atomwaffenarsenal (SB)


Großbritannien erneuert sein Atomwaffenarsenal

Neue Premierministerin Theresa May macht auf "Eiserne Lady"


In Großbritannien konsolidiert die neue Premierministerin Theresa May rasend schnell ihre Machtposition, damit London demnächst mit einheitlicher Front in Verhandlungen mit Brüssel über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union treten kann. Nach dem plötzlichen Ausstieg Andrea Leadsoms aus der Kampfabstimmung um die Führung bei den britischen Konservativen am 11. Juli wurde May noch am selben Abend von den Abgeordneten der Partei zur neuen Tory-Chefin gekürt. Bei einem Besuch bei Königin Elizabeth II. am 13. Mai im Buckingham Palace wurde die ehemalige Innenministerin Nachfolgerin von David Cameron. Seitdem folgt ein Paukenschlag dem nächsten. Am lautesten hallte der Ausgang der von May angesetzten Abstimmung des Unterhauses über die geschätzte 40 Milliarden Pfund teuere Erneuerung des britischen Atomwaffenarsenals samt der dazugehörigen Flotte von vier U-Booten. Bei der Abstimmung votierten 472 Abgeordneten für und 117 gegen das umstrittene Vorhaben.

In ihren ersten Tagen in Number 10 Downing Street hat May im Rahmen einer radikalen Kabinettsumbildung die bisher herrschende Cameron-Clique - prominentestes Opfer Finanzminister George Osborne - auf die Hinterbänke verbannt und sich weitgehend mit eigenen Vertrauten umgeben. In einem besonders klugen Schachzug hat die neue Premierministerin die für die Brexit-Verhandlungen wichtigsten Ämter mit Personen besetzt, die im Vorfeld der Volksbefragung am 23. Juni am lautesten den Austritt aus der EU gefordert hatten. Folglich wurde Boris Johnson Außenminister, David Davis Brexit-Minister und Liam Fox Handelsminister. Das Trio wird die politischen Folgen zu tragen haben, sollten, wie bereits absehbar ist, die Verhandlungen mit den anderen EU-Staaten schwierig werden bzw. der Brexit nicht die positiven Erwartungen seiner Befürworter erfüllen. Als neuer Schatzmeister ist der bisherige Verteidigungsminister Philip Hammond in Number 11 Downing Street eingezogen.

Ihre erste Reise als Premierministerin unternahm May nach Edinburgh, wo sie sich mit Nicola Sturgeon, Chefin der schottischen Autonomieregierung, traf. Bei der Abstimmung vor drei Wochen hatten die Schotten mit deutlicher Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt. Seitdem droht Sturgeon abwechselnd mit einem Veto Schottlands über den Brexit bzw. mit der Durchführung eines zweiten Referendums zur Frage der schottischen Unabhängigkeit. Wie Sturgeon und die schottischen Nationalisten zurecht monieren, hat die Cameron-Regierung bei der Volksbefragung 2014 eine Mehrheit für den Fortbestand der Union mit England nicht zuletzt durch die Behauptung herbeigeführt, nur so sichere man den Platz Schottlands in der EU. Auch wenn Sturgeon und May bei ihren gegensätzlichen Positionen blieben, hat die britische Regierungschefin der schottischen Autonomie-Administration in Edinburgh doch zumindest eine Teilnahme an den Verhandlungen mit Brüssel zugesichert.

Unterdessen hat die Entscheidung einer Mehrheit der Bürger in Nordirland gegen den Brexit in ganz Irland eine lebhafte Diskussion um die Wiedervereinigung der grünen Insel in Gang gesetzt. In den letzten Tagen haben sowohl der irische Premierminister Enda Kenny von Fine Gael als auch Oppositionsführer Mícheál Martin von Fianna Fáil und Gerry Adams von Sinn Féin laut über die Beendigung der Partition nachgedacht, um Nordirland in der EU halten zu können und nicht erneut eine feste innerirische Grenze mit Zollkontrollen installieren zu müssen. Über die aufgekommene Debatte ist Arlene Foster, Chefin der pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP) und Erste Ministerin der Autonomie-Regierung in Belfast, alles andere als glücklich. Die nordirischen Unionisten gehörten zu den eifrigsten Brexit-Befürwortern und müssen nun erleben, wie der Sieg bei der Abstimmung für sie zum politischen Bumerang wird.

In Dublin sieht sich das Außenministerium mit einer enorm gestiegenen Nachfrage aus Nordirland nach Reisepässen der Irischen Republik konfrontiert. Und selbst die bisher hartgesottensten Unionisten in Nordirland wollen nicht auf EU-Subventionen in der Landwirtschaft oder Hilfsgelder aus den Brüsseler Strukturfonds verzichten. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Formen der künftigen Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd erwogen, angefangen von einer geteilten Souveränität Londons und Dublins über Nordirland bis hin zur Durchführung einer Volksbefragung über die Wiedervereinigung mit der Republik. Letztlich sieht das Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der Bürgerkrieg beendet wurde, eine solche Möglichkeit ausdrücklich vor.

Die Spannungen, die das Brexit-Votum zwischen den einzelnen Bestandteilen des Vereinigten Königreich ausgelöst hat, werden der Zentralregierung in London schwer zu schaffen machen. Angesichts dessen kann sich Theresa May glücklich schätzen, daß sie sich derzeit nicht um die oppositionellen Sozialdemokraten kümmern muß, weil sich diese regelrecht selbst zerfleischen. Seit der Brexit-Abstimmung läuft ein Putsch, mittels dessen die Unterhausabgeordneten der Labour Party den eigenen Vorsitzenden und Fraktionschef Jeremy Corbyn loszuwerden versuchen. Corbyn, ein Vertreter des linken Flügels, genießt derzeit lediglich die Unterstützung von rund einem Drittel der eigenen Fraktionskollegen. Diese haben deshalb eine Abstimmung über den Parteivorsitz erzwungen. Doch weil Corbyn über großen Rückhalt bei der Parteibasis verfügt, wird er vermutlich bei der Abstimmung gegen seine Kontrahenten Angela Eagle und Owen Smith, beide rechte Blair-Anhänger, gewinnen. Womöglich wird es deshalb im September zu einer Spaltung der britischen Labour-Partei kommen. Die Blairites um Tom Watson, Hillary Benn, Eagle und Smith werden ihre eigene Partei gründen müssen.

Nicht zuletzt um den fraktionsinternen Konflikt bei Labour zu forcieren, hatte May die Abstimmung über den Kauf eines Ersatzes für das britische Atomraketensystem Trident auf den 18. Mai vorgezogen. Der Trick hat auch funktioniert. Während Corbyn bei seinem prinzipiellen Nein zu Atomwaffen blieb und das Unterhaus an die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsabkommens erinnerte, votierte die Hälfte seiner Parteikollegen für das Festhalten Großbritanniens an den Massenvernichtungswaffen. Als sei der Geist Margaret Thatchers in sie gefahren, erklärte May während der Debatte in Beantwortung der Frage des schottischen Nationalisten George Kerevan, ob sie persönlich bereit wäre, "den Befehl zu einem Atomangriff, der einhunderttausend unschuldige Männer, Frauen und Kinder töten könnte", zu geben: "Ja. Und ich muß dem ehrwürdigen Herrn Abgeordneten sagen, daß der Sinn der Abschreckung darin besteht, daß unsere Feinde wissen müssen, daß wir bereit sind, sie zu nutzen ...!"

19. Juli 2016


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