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PARTEIEN/282: Flaggenprotest nordirischer Loyalisten läßt nach (SB)


Flaggenprotest nordirischer Loyalisten läßt nach

Zu Weihnachten kehrt wieder Ruhe in Belfast und Umgebung ein



Die gewalttätigen Proteste, mit denen protestantische Jugendliche in Nordirland auf die am 4. Dezember getroffene Entscheidung des Belfaster Stadtrats, über dem Wahrzeichen der Stadt am Lagan die britische Staatsflagge nicht wie bisher ganzjährig, sondern nur an Feiertagen wehen zu lassen, lassen rechtzeitig zu Weihnachten spürbar nach. Am Freitagabend, dem 14. Dezember fand vor dem Rathaus eine interkonfessionelle Lichterkette samt Friedensgebet, an der mehrere hundert Menschen teilgenommen haben, statt. Unter den probritischen Unionisten insbesondere in den protestantischen Arbeitervierteln sind die Gemüter dennoch weiterhin gereizt. Jederzeit kann eine spontane, unangemeldete Demonstration irgendwelcher Flaggenprotestler in eine Straßenschlacht mit Beamten des Police Service of Northern Ireland (PSNI) ausarten.

Hatten die Proteste am vergangenen Wochenende ihren eigentlichen Höhepunkt mit schweren Krawallen in Belfast und den umliegenden Kleinstädten der überwiegend von Protestanten bewohnten Grafschaften Antrim und Down erreicht, so kam es am Dienstag, dem 11. Dezember zu einem gefährlichen und bedenklichen Vorfall. Bei einer kleinen Demonstration vor dem Wohnhaus der Politikerin Naomi Long von der Alliance Party im Ostbelfast griffen maskierte Jugendliche ein Auto mit Steinen an, in dem ein Polizist und eine Polizistin in Zivil, die das Objekt bewachten, saßen. Dabei wurde die Windschutzscheibe eingeschlagen und eine Brandbombe ins Innere des Fahrzeugs geworfen. Unverletzt aber unter Schock konnten die beiden Beamten rechtzeitig aus dem Auto entkommen. Dennoch ermittelt der PSNI wegen versuchten Mordes.

Es sind vor allem Politiker der überkonfessionellen Alliance Party, die dieser Tage im Visier der Flaggenprotestler stehen. Ihnen wird vorgeworfen, den Antrag der relativen Mehrheit der katholisch-nationalistischen Fraktionen von Sinn Féin und Social Democratic Party (SDLP) im Belfaster Stadtrat, das Hissen der britischen Staatsflagge über dem edwardianischen Prachtbau stark einzuschränken, zur absoluten Mehrheit verholfen zu haben. In den vergangenen elf Tagen sind mehrere Büros und Wohnhäuser von Vertretern der Alliance Party auf kommunaler Ebene sowie im nordirischen Regionalparlament mit Steinen, Farbbeuteln und Brandbomben angegriffen worden. Bisher hat es zum Glück nur Sachschäden gegeben. Dennoch haben einige Alliance-Politiker vorübergehend den Wohnort gewechselt oder betreten auf Anraten des PSNI vorerst ihre Büros nicht mehr.

Zu den Hauptleidtragenden gehört die bereits erwähnte Naomi Long, die am Vorabend des Besuchs von US-Außenministerin Hillary Clinton in Belfast am 7. Dezember sogar eine Todesdrohung erhielt. Long gehört dem Belfaster Stadtrat seit zweieinhalb Jahren nicht mehr an. Da muß man sich fragen, warum die Flaggenprotestler gerade gegen sie wettern und ihr Büro an der Upper Newtownards Road praktisch belagern. Die Erklärung ist einfach. Als Long bei den britischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2010 für die Alliance Party deren bisher ersten Sitz im Unterhaus im Londoner Palast von Westminister eroberte, tat sie dies in Belfast East. Dieser stark protestantisch-geprägte Wahlbezirk lag seit der Teilung Irlands 1921 in unionistischer Hand. Seit 1979 hatte Peter Robinson, lange Jahre der Stellvertreter Ian Paisleys und heute Chef der Democratic Unionist Party (DUP) sowie Erster Minister der interkonfessionen Mehrparteienregierung Nordirlands, als Member for Belfast East im britischen Parlament gesessen.

2010 schlug sich Robinson mit einem hochpeinlichen und sehr unappetitlichen Korruptionsskandal um seine Gattin Iris, die damals ebenfalls noch DUP-Politikerin war, herum. Vielleicht nur deshalb konnte Long ihn in seiner eigenen Hochburg besiegen. Jedenfalls lassen die Flaggenproteste den Eindruck entstehen, als wollten Robinson und die DUP Belfast East zurückerobern, koste es was es wolle. Am 14. Dezember hat Friedensnobelpreisträger David Trimble, der ehemalige Vorsitzende der Ulster Unionist Party, die DUP-Konkurrenz bezichtigt, den Streit um die britische Flagge absichtlich anzuheizen, um die eigene Wählerschaft zu mobilisieren und bei den nächsten Parlamentswahlen in Belfast East wieder zu siegen. Am selben Tag hatten Robinson und Mike Nesbitt, der heutige UUP-Vorsitzende, in einer gemeinsamen Erklärung ein Ende der Flaggenproteste gefordert. Nach einem Treffen mit Gegnern der neuen Regelung, darunter auch ehemalige loyalistische Paramilitärs, kündigten Robinson und Nesbitt für die kommende Woche eine eigene Initiative an. Angesichts der Interessenlage kann man davon ausgehen, daß die Initiative von DUP und UUP die Kontroverse am Leben halten wird - und sei es auf Sparflamme -, statt zu ihrer Beilegung beizutragen.

15. Dezember 2012