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PARTEIEN/278: IRA-Gefangene brechen Schmutzprotest vorerst ab (SB)


IRA-Gefangene brechen Schmutzprotest vorerst ab

Éamon Ó Cuív auf geheimer diplomatischer Mission in London?



Der Zusammenschluß mehrerer katholisch-nationalistischer Dissidentengruppen zu einer "neuen" Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hat Ängste vor einem erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges in Nordirland ausgelöst. In derselben Mitteilung, die am 12. November bei der Tageszeitung Belfast News einging, haben die "Real IRA", die Organisation Republican Action Against Drugs und die Milizionäre von Óglaigh na hÉireann (den Freiwilligen Irlands) sowohl die Vereinigung ihrer Kräfte publik gemacht als sich auch zum tödlichen Attentat auf den Gefängniswärter David Black am 1. November bekannt. Der 52jährige Black war nicht nur Protestant, sondern auch Mitglied des pro-britischen Oranier-Ordens. Deshalb ist als Vergeltung für seine Erschießung der eine oder andere tödliche Anschlag protestantisch-loyalistischer Paramilitärs gegen katholische Zivilisten zu befürchten. Das könnte wiederum eine erneute Runde sektiererischer Gewalt in Nordirland in Gang setzen.

Ob dies das Ziel der neuen IRA war, als sie entschied, Black bei der morgendlichen Fahrt zur Arbeit in Her Majesty's Prison Maghaberry nahe Lisburn in seinem Auto zu erschießen, ist unklar. Weniger wichtig als die Provokation der gegnerischen loyalistischen Seite scheint für die neue IRA die Erzeugung von Aufmerksamkeit für die Lage im HMP Maghaberry selbst gewesen zu sein. Dort haben im Mai 2011 41 republikanische Gefangene, die den "Friedensprozeß" einschließlich der Beteiligung von Sinn Féin, einst politischer Arm der IRA, an der interkonfessionellen Regierung Nordirlands ablehnen, eine Protestaktion gegen Leibesvisitationen, die sie für eine gezielte Erniedrigung durch die Behörden halten, und die Tatsache, daß sie in der Regel 23 Stunden am Tag in ihren Zellen eingeschlossen sind, gestartet. Als die Aktion nach wenigen Monaten zu keiner Verbesserung führte, haben die Gefangenen sie in einen Schmutzprotest ausgeweitet. Ähnlich der Proteste, die Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in die berühmten Hungerstreiks im berüchtigten Hochsicherheitstrakt Long Kesh mündeten, haben die republikanischen Insassen in Maghaberry aufgehört, sich zu waschen oder zu rasieren, und angefangen, ihre Zellen mit dem eigenen Kot zu beschmieren.

20 Tage nach der Erschießung von Black haben am 21. November die republikanischen Dissidenten in Maghaberry, die sich selbst als Kriegsgefangene betrachten, ihre Protestaktion bis auf weiteres ausgesetzt. In einer offiziellen Verlautbarung bezeichneten die Gefangenen die Beendigung der Protestaktion als "aufrichtigen und ernstgemeinten Versuch, Bedingungen zu schaffen, damit eine konfliktfreie Umgebung entstehen kann, in der alle mit Respekt und Würde behandelt werden." Sie riefen die Gefängnisleitung dazu auf, "die gescheiterte Politik der Vergangenheit hinter sich zu lassen" und den Fortschritt zu wagen. "Konfrontation müsse kein Teil der Umgebung sein, in der wir alle leben und arbeiten müssen", gaben sie zu bedenken.

Interessanterweise wurde der Schmutzprotest in Maghaberry einen Tag, nachdem es erstmals im britischen Unterhaus in London zu einer öffentlichen Anhörung über die Lage republikanischer Gefangener in Nordirland gekommen war, abgebrochen. Zu der Anhörung hatte der sozialdemokratische Abgeordnete John McDonnell aus Liverpool eingeladen, der sich seit Jahren für eine Verbesserung der angloirischen Beziehungen einsetzt und an diesem Abend den Vorsitz innehatte. Es sprachen unter anderem Conor Murphy, Sinn-Féin-Abgeordneter im Belfaster Regionalparlament, der Menschenrechtler und Autor, Monsignore Dr. Raymond Murray aus Armagh, Moya St. Leger, die ehemalige Vorsitzende der sozialistischen Connolly Association, und Éamon Ó Cuív, Abgeordneter der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil in Dubliner Parlament.

Gerade die Anwesenheit Ó Cuívs in der britischen Hauptstadt ist von keiner geringen Bedeutung. Der ehemalige Regierungsminister hat einen unvergleichlichen irisch-republikanischen Stammbaum. Sein Großvater Éamon de Valera nahm als Kommandeur am Osteraufstand 1916 und als Präsident der irischen Republik am Unabhängigkeitskrieg 1919-1921 teil. Später gründete er die Partei Fianna Fáil, diente mehrmals als Premierminister und in späteren Jahren als Präsident. Wie keine zweite Figur hat Dev, so sein Spitzname, die irische Politik des 20. Jahrhunderts dominiert. Sein Enkel Ó Cuív trägt wegen des ähnlichen Aussehens und seines Eintritts für die republikanischen Ziele seines Großvaters - ein politisch, kulturell und wirtschaftlich unabhängiges sowie ungeteiltes Irland - den Spitznamen Dev Óg (óg ist das gälische Wort für jung oder Junior).

Ó Cuív hat sich in den vergangenen Monaten unermüdlich für eine Lösung des Streits zwischen Gefängnisleitung und Insassen in Maghaberry eingesetzt. Des weiteren hat er mehr als jeder andere Politiker der Republik Irland die Kampagne für die Freilassung drei weiterer Ex-IRA-Kämpfer - Martin Corey, Gerry McGeough und Marian Price -, die in den letzten zwei Jahren in Nordirland aufgrund nicht näher überprüfbarer "Erkenntnisse" des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 hinter Gitter gesteckt wurden, unterstützt. Die Internierung von Corey, McGeogh und Price hat den Verdacht aufkommen lassen, bestimmte Elemente innerhalb der Sicherheitapparats in Nordirland - Mitglieder der inzwischen abgeschafften, protestantisch-dominierten Sicherheitspolizei und des MI5 - nutzten den Umstand, daß in London seit 2010 unter David Cameron die Konservativen wieder an der Macht sind (und sei es in Koalition mit den Liberaldemokraten), um einen härteren Kurs gegenüber mutmaßlichen "Staatsfeinden" in der Unruheprovinz zu fahren.

Bisher haben die Tories den konfrontativen Kurs der nordirischen "Securocraten" gedeckt. Man kann jedoch hoffen, daß Ó Cuív bei seiner Stippvisite im Londoner Parlament in der Lage war, bestimmte Entscheidungsträger für eine versöhnliche Politik Großbritanniens in Nordirland zu gewinnen. Die Andeutung, daß dies der Fall gewesen sein könnte, machte Dev Óg bei einem Live-Interview am 21. November in der Nachrichtensendung Adhmhaidin des gälischsprachigen Senders Raidió na Gaeltachta. Auf direkte Nachfrage des Moderators Gearóid Mac Donncha erklärte Ó Cuív, seine Gespräche an der Themse bezüglich der nordirischen Gefangenen-Problematik seien "recht nützlich" gewesen.

27. November 2012