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PARTEIEN/270: Irische Präsidentenwahl - Ergebnis noch offen? (SB)


Irische Präsidentenwahl - Ergebnis noch offen?

Seán Gallagher profitiert vom Verdruß mit dem politischen System


Knapp eine Woche vor der Wahl des neuen irischen Präsidenten am 27. Oktober hat sich das Feld nach Meinung der Buchmacher, Demoskopen und Medienkommentatoren auf der grünen Insel gelichtet. Die Nachfolge von Mary McAleese wird entweder der Sozialdemokrat Michael D. Higgins oder der parteilose Geschäftsmann Seán Gallagher antreten. Die anderen fünf Kandidaten - Gay Mitchell von der mit den Sozialdemokraten als Juniorpartner regierenden, nationalkonservativen Fine-Gael-Partei, Martin McGuinness von der linksnationalistischen Sinn Féin, der parteilose Senator David Norris, die parteilose Geschäftsfrau Mary Davis und die Gewinnerin des Eurovision-Schlagerwettbewerbs im Jahr 1970, Mary "Dana" Scallon - liegen in allen Umfragen zu weit zurück, als daß man ihnen eine realistische Siegeschance noch einräumen könnte. Doch weil erwartet wird, daß niemand auf Anhieb die absolute Mehrheit erreichen wird und der Wähler in Irland bei der Präsidentenwahl ähnlich wie bei den Parlamentswahlen die Stimme nicht nur seinem Favoriten allein geben muß, sondern den anderen Kandidaten eine nachgeordnete Stimme gemäß der eigenen Präferenz bzw. Einschätzung erteilen kann, wird der Ausgang des Urnengangs aller Voraussicht nach von der Verteilung der Zweitstimmen der weniger erfolgreichen Kandidaten abhängen.

Mit seinem laut Umfragen und Wettquoten vierten Platz unter den Bewerbern um die Wahl zum neuen irischen Staatsoberhaupt hat sich Mitchell jedoch nicht abgefunden. Bei einem Bad in der Menge am 16. Oktober am Süddubliner Hafen von Dún Laoghaire in Begleitung vom Karlspreisträger und Ex-EU-Kommissar Pat Cox und der örtlichen Fine-Gael-Abgeordneten Mary Mitchell O'Connor (die beide früher den inzwischen in der Versenkung verschwundenen neoliberalen Progressive Democrats angehörten) hat der 59jährige Dubliner die Aussagekraft der jüngsten Umfragen in Zweifel gezogen und darauf hingewiesen, daß bei der letzten Präsidentenwahl 1997 40 Prozent der Wähler nach eigenen Angaben ihre Entscheidung über die Stimmenvergabe erst in der letzten Woche getroffen habe.

Auch wenn Fine Gael sowohl auf nationaler als auch kommunaler Ebene inzwischen die mit Abstand stärkste Partei Irlands ist, sind die Hoffnungen Mitchells auf eine dramatische Wende zu seinen Gunsten in letzter Minute jedoch illusorisch. Seine Kampagne leidet darunter, daß die Führung von Fine Gael ursprünglich nicht ihn, sondern den europhilen Technokraten und umtriebigen Lobbyisten Cox als Kandidaten aufstellen wollte, sich jedoch nicht gegen die Hinterbänkler in der eigenen Parlamentsfraktion durchsetzen konnte, die in den Ex-PD-Vizepräsidenten einen politischen Ämterjäger erkannten und deshalb ablehnten. Die geringe Unterstützung, die Mitchell von der eigenen Parteizentrale in den vergangenen Wochen erfährt und sich durch einen deutlichen Mangel an Aktivität seitens der Parteikader im ganzen Land bemerkbar macht, ist der Hauptgrund, weshalb der Ex-EU-Abgeordnete bisher das Mittelfeld belegt und am Ende auch dort verbleiben dürfte.

Über fehlendes Engagement seitens der eigenen Parteibasis und -kollegen kann sich Sinn Féins Vizepräsident McGuinness nicht beklagen, benutzt doch die größte katholisch-nationalistische Partei Nordirlands, die zusammen mit den protestantisch-probritischen Democratic Unionists in Belfast die Provinzregierung stellt, seine Präsidentenschaftskandidatur, um ihr Profil im Süden Irlands zu verbessern und sich als einzige, glaubhaft allirische Formation zu etablieren. Doch der 61jährige Stellvertretende Premierminister Nordirlands aus Derry wird seine Vergangenheit als ranghoher Kommandeur der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) während des nordirischen Bürgerkrieges nicht los.

McGuinness' unplausible Behauptung, 1974 aus der Untergrundarmee ausgetreten zu sein und sich seitdem nur politisch betätigt zu haben, wo er doch nach Einschätzung aller unabhängigen Kenner der Materie bis in die neunziger Jahre hinein dem IRA-Militärrat angehörte, und seine ausweichenden, zum Teil gereizten Antworten auf Fragen nach seiner genauen Rolle bei den "Troubles" lassen ihn als unglaubwürdig erscheinen und machen ihn für weite Teile der Bürger Irlands unwählbar. Gerade das Bekanntwerden des unschönen Krachs, den McGuinness mit der RTÉ-Moderatorin Miriam O'Callaghan gleich im Anschluß an der von ihr am 18. Oktober geleiteten, praktisch vom ganzen Volk mitverfolgten Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten anzettelte, weil sie ihn zuvor fragetechnisch angeblich härter als die anderen Kandidaten angepackt hätte, hat das Image des leicht reizbaren Tyrannen, dem allzu leicht die Maske des jovialen "chuckle brother" herunterrutscht, gefestigt.

Während laut Umfragen McGuinness und Mitchell derzeit auf dem dritten respektive vierten Platz liegen, dürften sich die Positionen der beiden nach der Wahl vertauschen. Wegen der Verbindung zu den Jahren der Gewalt in Nordirland gilt Sinn Féin bei Wahlen im Süden als "transfer resistant", das heißt, daß sie im Vergleich zu allen anderen Gruppierungen am wenigsten von der Zweitstimmenvergabe profitiert. Von daher könnte McGuinness, selbst wenn er nach der Auszählung der Erststimmen auf dem dritten Platz landet, nach der Vergabe der Zweitstimmen der unter ihm liegenden Kandidaten hinter Mitchell und eventuell sogar hinter dem Joyceaner und Bürgerrechtler Norris zurückfallen.

Der 67jährige ehemalige Anglistikdozent am Dubliner Trinity College bleibt bisher weit hinter den in ihn gesteckten Erwartungen zurück. Dies überrascht wenig, denn die Affäre um schriftliche Gnadengesuche für seinen ehemaligen israelischen Lebenspartner nach dessen Verurteilung wegen der Vergewaltigung eines palästinensischen Jugendlichen, die Norris im Sommer zunächst zum Ausstieg aus dem Rennen veranlaßt hatte, hat ihre für seine Kandidatur abträgliche Wirkung nicht gefehlt. Sein aktuelles Bemühen, sich trotzdem die Herzen der Wähler zu erobern, wirkt vergeblich und läßt Sinn für die politischen Realitäten vermissen. Die 57jährige Mary Davis, die zunächst stark begonnen hatte, wird von Vorwürfen, ihre zahlreichen gutdotierten Vorstandsposten bei irgendwelchen staatlichen oder halbstaatlichen Institutionen und Unternehmen wären das Ergebnis parteipolitischen Klüngels, verfolgt. Die Kandidatur der 60jährigen Dana, die sich anfangs als diejenige verkaufte, welche die irische Verfassung über irgendwelche perfiden EU-Verträge stellen würde, hat sich von der Enthüllung, die erzkonservative Katholikin war bereits in den neunziger Jahren US-Bürgerin geworden, hatte einen Treueschwur auf die amerikanische Verfassung geleistet und diese Tatsache zu verheimlichen versucht, nicht erholt.

Die größte Überraschung der letzten Tage war der erstaunliche Anstieg der Zustimmungsraten für Gallagher, der sich offenbar ganz erfolgreich als einzige ernsthafte Alternative zu den Parteiapparatschiks Higgins, McGuinness und Mitchell präsentierte. Während das Ergebnis einer am 16. Oktober in der Sunday Independent veröffentlichten, von Quantum Research durchgeführten Umfrage Higgins bei 36%, Gallagher bei 29%, McGuinness bei 13%, Norris bei 10 und Mitchell bei 6% sah, lieferte das Resultat einer am selben Tag von der Sunday Business Post bekanntgemachten und von Red C erhobenen Umfrage eine weitaus dramatischere Entwicklung. Demnach war Gallagher innerhalb einer Woche um 18 Punkte auf 39% gestiegen, hatte damit die Führung übernommen und Higgins auf den zweiten Platz mit 27% verwiesen.

Es bleibt abzuwarten, ob Gallagher diese Führung bis zum Ende wird aufrechterhalten können. Die Ereignisse der letzten Tage sprechen dagegen. Higgins, seine sichergeglaubte Wahl in Gefahr, ist in die Offensive gegangen und hat den Nebenbuhler offen bezichtigt, den Leuten falsche Versprechungen vor allem in Bezug auf eine Reduzierung der derzeit mit 14,4% Prozent sehr hohen Arbeitslosigkeit zu machen. Dabei ist das Amt des irischen Präsidenten hauptsächlich repräsentativ, der Inhaber hat gar keine exekutive Funktion. Darüber hinaus erinnert Higgins, der seit mehr als 40 Jahren zum linken Flügel der Irish Labour Party gehört, die Wähler bei öffentlichen Auftritten verstärkt an seinen lebenslangen Einsatz für sozial Benachteiligte und setzt sich mit dem Ruf nach einer gerechten Gesellschaft immer besser in Szene. Gallagher dagegen muß sich gegen zunehmende Vorwürfe verteidigen, er sei im Grunde genommen ein heimlicher Noch-Anhänger von Fianna Fáil und habe sich erst von der einst stärksten Partei der Republik distanziert - nämlich durch den Rücktritt aus dem Parteivorstand im Januar -, als sich deren katastrophale Niederlage bei den Parlamentswahlen im Februar abzeichnete.

Inzwischen scheint der Höhenflug des 49jährigen Unternehmers aus der Grafschaft Cavan zum Erliegen gekommen zu sein. Beim Buchmacher Paddypower.com liegt die Quote für Michael D. als nächster Präsident Irlands bei 1/3, während Gallagher mit 2/1 inzwischen wieder auf Platz zwei zurückgefallen ist (Zum Vergleich lauten die Quoten für die restlichen fünf Kandidaten: Martin McGuinness 25/1, Gay Mitchell 40/1, David Norris 50/1, Mary Davis 80/1 und Dana 250/1).

21. Oktober 2011