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PARTEIEN/232: Nordirlands DUP-Sinn-Féin-Koalition vor dem Aus (SB)


Nordirlands DUP-Sinn-Féin-Koalition vor dem Aus

Politische Krise in Belfast unlösbar - DUP zielt auf Neuwahlen ab


In Nordirland ist der Zusammenbruch der Koalitionsregierung der probritisch-protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin nur noch eine Frage von Stunden. Nach dem erneuten Scheitern von Verhandlungen zwischen den beiden Koalitionspartnern zum Thema der Rückübertragung der Polizeigewalt von London an Belfast einschließlich der Schaffung eines eigenständigen, nordirischen Innen- und Justizministeriums, dem David Ford, der Vorsitzende der als neutral geltenden Alliance Party, als erster Amtschef vorstehen soll, flogen am Nachmittag des 26. Januar die beiden Regierungschefs des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Republik Irland, Gordon Brown und Brian Cowen, gemeinsam von London, wo sie über die Lage in der Unruheprovinz beraten hatten, nach Belfast, um mit den zerstrittenen politischen Akteuren dort nach einer Lösung des Dauerstreits zu suchen.

Trotz eins langem Verhandlungsmarathons, der bis in die frühen Morgenstunden des 27. Januar dauerte, reisten die beiden Premierminister am selben Nachmittag ohne Ergebnis wieder ab (nicht zuletzt, weil Brown noch Vorbereitungen für die große Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London treffen mußte). Vor der Abreise von Hillsborough Castle gaben Brown und Cowen den Vertretern der DUP und Sinn Féin ein 48stündiges Ultimatum, ihre Differenzen zu beizulegen, sonst würden Dublin und London einen eigenen Plan zur Rückübertragung der Polizeigewalt und zur Beseitigung der anderen Streitthemen, u. a. Genehmigung von Märschen des protestantischen Oranierordens, Aufwertung der gälischen Sprache, Nord-Süd-Zusammenarbeit, durchführen. Die beiden Regierungchefs appellierten an die nordirischen Politiker, bis März ein entsprechendes Gesetz durch das Parlament zu bringen, das die Schaffung des neuen nordirischen Innenministeriums bis Anfang Mai - und damit vor dem noch nicht endgültig festgelegten Datum für die Wahlen zum britischen Unterhaus - ermöglichte. Täten sie dies innerhalb des vorgeschlagenen Zeitrahmens, würde das Londoner Finanzministerium für die Rückübertragung der Polizeigewalt 800 Millionen Pfund (926 Millionen Euro) freimachen.

Trotz des massiven Drucks und der finanziellen Verlockungen sieht es nicht danach aus, als würde die DUP auf die Forderungen von Sinn Féin eingehen, auch wenn dies den Zusammenbruch der Koalition und Neuwahlen zum nordirischen Regionalparlament bedeutete. Die DUP hat ihren Aufstieg zur stärksten politischen Kraft des nordirischen Protestantismus ihrer harten Haltung gegenüber Sinn Féin und der IRA zu verdanken. In den ersten Jahren nach dem Karfreitagsabkommen 1998 bezichtigten die Männer und Frauen um Reverend Ian Paisley die gemäßigtere Ulster Unionist Party (DUP) unter ihrem damaligen Chef David Trimble, durch die Bildung einer Regierung mit Sinn Féin und der ebenfalls gemäßigten katholisch-nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP) Königin Elizabeths treue, protestantische Untertanen in Nordirland verraten zu haben. Mit diesem Vorwurf überflügelte die Paisley-Partei bei den Wahlen 2003 zum Regionalparlament erstmals die UUP. 2005 verbannte sie die Ulster Unionists in die politische Bedeutungslosigkeit, als diese bei den Wahlen zum britischen Unterhaus nur einen einzigen Sitz errangen, die DUP dagegen neun (von 18 für Nordirland insgesamt) einheimste. Nur unter Zwang willigte sie 2006 in eine Koalition mit den von ihr gehaßten, irisch-republikanischen "Terrorpaten" ein. Gleichzeitig machte sie es zur Bedingung, daß vorher Sinn Féin den Police Service of Northern Ireland (PSNI) anerkennt und sich zur Zusammenarbeit mit dessen Vertretern bereit erklärt. Dies tat Sinn Féin innerhalb von drei Monaten. Mehr als drei Jahre später wartet man immer noch darauf, daß die DUP ihre im Rahmen des damaligen St.-Andrews-Abkommens gemachten Zusagen einlöst.

Der Grund für die Verweigerungshaltung der DUP ist einfach. Allein die Koalitionsbildung mit Sinn Féin hat einen Teil der traditionellen DUP-Wählerschaft zur neugegründeten Traditional Unionist Voice (TUV), welche die alten "No Surrender"-Parolen des inzwischen in die Rente gegangenen Paisleys unablässig wiederholt, abwandern lassen. Bei den Wahlen zum Europarlament im letzten Sommer hat die TUV unter ihrem Chef Jim Allister der DUP empfindliche Stimmenverluste bereitet. Das mahnende Beispiel der UUP vor Augen, scheinen Peter Robinson, Sammy Wilson, Nigel Dodds und Konsorten lieber einen Zusammenbruch der Koalition riskieren zu wollen, als den Eindruck entstehen zu lassen, auch sie wären zu weich gegenüber den Vertretern des irischen Republikanismus.

Anfang Januar war in der britischen Presse von einer Umfrage die Rede, derzufolge im Falle Neuwahlen zur nordirischen Regionalversammlung die DUP 20 Sitze (2007 - 35), und die UUP, die inzwischen eine formelle Zusammenarbeit mit den britischen Konservativen vereinbart hat, 24 (2007 - 18) und die TUV 8 (2007 - O) erreichten. Die Umfrage soll kurz vor Weihnachten und damit kurz vor dem Aufkommen des Sex- und Korruptionsskandals um die Ehefrau des DUP-Chefs Robinson, die deshalb inzwischen ihre Sitze in den Parlamenten von Belfast und London aufgegeben hat, durchgeführt worden sein. Das Entscheidende an der Umfrage ist weniger der Stimmenverlust der DUP unter den protestantischen Wählern zugunsten von UUP und TUV, sondern die Aufsplittung des unionistischen Wähleranteils an sich. Bei einem solchen Ergebnis im unionistischen Lager könnte Sinn Féin, die 2007 auf katholisch-nationalistischer Seite mit 28 Sitzen vor der SDLP mit nur 18 lag, diesmal den ersten Platz unter den nordirischen Parteien erringen, womit sie automatisch Anspruch auf das Amt des Ersten Ministers - eine für die Unionisten nicht hinnehmbare Entwicklung - hätte. Vermutlich, um dies zu verhindern, flogen Mitte Januar führende Mitglieder der DUP und der UUP nach England zu Geheimgesprächen mit Owen Patterson, dem Nordirland-Minister der britischen Konservativen, denen guten Chancen auf einen Sieg bei den bevorstehenden Unterhauswahlen eingeräumt werden.

Seitdem gibt sich die Führungsmannschaft der DUP wieder selbstbewußt. Sie verlangt im Gegenzug zur Rückübertragung der Polizeigewalt von London an Belfast die Abschaffung der sogenannten Parades Commission, die in den letzten Jahren zum Zwecke eines friedlichen Zusammenlebens die Routen der umstrittensten Oraniermärsche neu bestimmte. Die Mitglieder des Oranier-Ordens, der nach wie vor die stärkste "zivilgesellschaftliche Gruppierung" Nordirlands ist, betrachten die Einmischung der Parades Commission als Beschneidung ihrer Rechte und als unzulässiges Zugeständnis an die nationalistischen Katholiken. Deshalb verlangen sie die Abschaffung dieses im Rahmen des Karfreitagsabkommens geschaffenen Gremiums. Aus ideologischen, parteipolitischen und wahltaktischen Gründen haben sich Peter Robinson und die DUP diese Forderung - inoffiziell, versteht sich - zu eigen gemacht.

Sinn Féin tobt natürlich. Sie macht geltend, ihren Teil des St.-Andrews-Agreements eingelöst und sich mit der nordirischen Polizei versöhnt zu haben, nur um mehr als drei Jahre später immer noch vergeblich darauf zu warten, daß die DUP ihren Teil der Abmachung einhält. Das Problem für Sinn Féin ist, daß sie gegen die DUP nichts mehr in der Hand hat. Sollte sie ihre Drohung, aus der Koalition auszutreten, wahrmachen, stünde sie eventuell als diejenige Partei da, welche den sogenannten Friedensprozeß in Gefahr gebracht hat. Doch es gibt inzwischen einen noch trifftigeren Grund, warum Sinn Féin Angst vor Neuwahlen haben und sich deshalb alles von der DUP bieten lassen muß. Gegen den Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams türmen sich seit einigen Wochen die Vorwürfe auf, er habe jahrelang Fälle von Vergewaltigungen von jungen Frauen und sexuellen Mißbrauch von Kindern durch führende Mitglieder entweder der Partei oder der IRA - darunter der eigenen Nichte Aine Tyrell durch seinen Bruder Liam - vertuscht. Seine Beteuerungen in dieser Sache wirken angesichts all dessen, was die Reporterin Suzanne Breen an den beiden letzten Wochenenden in der in Dublin erscheinenden Zeitung Sunday Tribune enthüllt hat, höchst unglaubwürdig.

Es drängen sich sogar Erinnerungen an den Fall Robert McCartney auf. Dieser war im Januar 2005 in einer Belfaster Gasse von einer Gruppe führender Sinn Féin/IRA-Männer nach einer Kneipenstreiterei brutal ermordet worden. Damals wandte sich die McCartney-Schwester, die selbst Sinn-Féin-Anhänger waren, an Adams und den Partei-Vizepräsidenten Martin McGuinness um Hilfe bei der Aufklärung. Aufgeklärt ist der Mord dennoch bis heute nicht. Dieser peinliche und beschämende Fall hat nicht wenig dazu beigetragen, daß der politische Vormarsch von Sinn Féin in der Republik verebbt ist. Der Skandal um das jahrelange Märtyrium von Aine Tyrell und einigen anderen jungen katholischen Frauen in Nordirland, verstärkt durch die durchsichtigen Bemühungen von Gerry "Grizzly" Adams um politische Schadensbegrenzung, dürfte das Ansehen von Sinn Féin nördlich der Grenze bei ihrer Stammwählerschaft schwer erschüttern. Folglich kann die DUP ungeachtet des Seitensprungs Iris Robinsons mit dem fast dreißig Jahre jüngeren Kirk McCambley mit einer weniger harten Bestrafung durch die Wähler rechnen als Sinn Féin - schließlich stehen im Mittelpunkt des protestantisch-unionistischen Sexskandals zwei Erwachsene, des der katholischen Nationalisten dagegen Übergriffe auf Minderjährige - weswegen es die Erben Paisley im aktuellen politischen Streit darauf ankommen lassen werden, mit allen Konsequenzen, die dieser Kurs nach sich ziehen wird.

28. Januar 2010